Die Apardo GmbH will in Neukölln eine syrische Familie aus ihrer Wohnung werfen. Der Vorfall rückt erneut die Businessmodelle der privaten Betreuungsunternehmen in den Fokus.
Eigentlich muss Mohamad T. lernen. Für die Schule. „Ich war richtig gut bis vor einem Monat“, erzählt der junge Mann aus dem syrischen Ariha. „Aber jetzt, mit dieser Sache, komme ich gar nicht dazu. Meine Noten werden schon schlechter“, sorgt er sich. Diese Sache, das ist die Angst um die eigene Wohnung. Am 8. Februar erging ein Brief an Mohamad, der „ordnungsgemäß“ die Kündigung einer Nutzungsvereinbarung mit der Apardo Betreutes Wohnen GmbH zum 28. Februar 2019 erklärte – ohne Begründung, ohne Vorschlag, wo er und seine Familie nun leben sollen. „Eine weitere Unterbringung in diesem Objekt ist damit nach dem o.g. Datum nicht möglich“, heißt es lapidar.
Für Mohamad, seine Mutter, seine kleine Schwester und seinen Bruder bedeutet das, dass sie plötzlich auf die Straße gesetzt werden sollen. Was danach passiert, ist unklar. Eine Sozialarbeiterin im für Mohamad zuständigen Bezirksamt Charlottenburg sprach bereits von Heimunterbringung. Das aber will die Familie auf keinen Fall.
„Große Potentiale – höhere Mieten“
Immer wieder ist bei den Gesprächen mit Mohamad Thema: Was für ein Verein ist eigentlich diese Apardo GmbH? Auf ihrem Internetauftritt gibt sich das Unternehmen betont karitativ. „Wir bei Apardo haben es uns zur Aufgabe gemacht, Menschen in Not einen adäquaten Raum zum Wohnen und Leben zu bieten“, so die Selbstdarstellung. Zentral sind dabei diverse Betreuungsangebote, Sprachkurse. Das Unternehmen verspricht quasi eine Rundumsorge für Menschen in Not.
Die Realität sieht anders aus. Ehemalige Angestellte Apardos berichten gegenüber lcm von einem „äußerst unangenehmen“ Betriebsklima. Und: Zumindest seit Juni 2018 hat die Familie T. keinen Betreuer mehr gesehen. „Am Anfang sind die wirklich gekommen“, erinnert sich der 20-jährige Mohamad. „Dann hat das irgendwann aufgehört. Ein arabisch sprechender Mitarbeiter hat mir gesagt, die hätten jetzt für sowas keine Leute mehr. Und ich solle auch nicht nachfragen, wenn wir die Wohnung behalten wollen“.
Nun stellt sich die Frage: Was passierte mit den 30 Euro täglich, die das Jobcenter für Mohamad an die Apardo GmbH überweist? Rechnen wir durch: Vor drei Wochen erst zog Mohamads Vater aus, davor bestand die Bedarfsgemeinschaft aus insgesamt 5 Personen. Das ergibt etwa 4500 Euro monatlich. Rund 54 000 Euro im Jahr. Hat also die SAC Hausverwaltung eine horrende Miete kassiert? Oder hat sich die Apardo GmbH bereichert?
Apardo ist Teil eines Firmengeflechts, der Ebling Group GmbH. Die wiederum erklärt viel offener als das scheinbar humanistische Aushängeschild, worum es wirklich geht. In den vergangenen drei Jahren habe man über 1500 Menschen „betreut“ und dabei „über 70 Millionen Euro umgesetzt und bis zu 80 Mitarbeiter direkt, sowie weitere über Subunternehmer beschäftigt“. Der Ton ist hier schon viel klarer als beim Subunternehmen Apardo: „Die aktuelle Nachfrage nach Objekten und entsprechenden Betreuungsleistungen im sozialen Bereich, besonders im Raum Berlin, spiegelt den Bedarf an Wohnraum für Menschen wider und birgt zudem für Eigentümer große Potenziale – nicht zuletzt aufgrund von höheren und zuverlässigen Mieteinnahmen.“
Schon als dieses Geschäftsmodell aufkam, gab es Kritik. Es entwickelte sich ein Millionengeschäft mit Geflüchteten, das in Grundzügen bis heute weiter läuft. Und das, obwohl extreme Fälle immer wieder journalistisch aufgearbeitet werden.
Verwertbares Material
Nun kann man sagen, dass Familie T. Die vergangenen Jahre wenigstens nicht zusammengepfercht in einem Heim verbrachte, sondern in einer schönen Neuköllner Altbauwohnung. Doch dafür, dass sie die jetzt verlieren könnte, ist ebenfalls das System profitorientierter Privatfirmen verantwortlich.
Als im Jahr 2015 die Anzahl von Geflüchteten wuchs, begann die Zeit der Goldgräber. Findige Unternehmer*innen erkannten die Chance, aus denen, die wirklich gar nichts mehr hatten, doch noch ein wenig Geld heraus zu pressen. Wie? Die Idee war einfach: Den Verwaltungen des Staates stand das Wasser bis zum Hals. Man war unvorbereitet und die Politik war mehr damit beschäftigt, ihr Grenzsicherungsregime wiederherzustellen, als den Menschen, die hier ankamen, Ressourcen zur Verfügung zu stellen. Also kamen private Firmen ins Spiel, die aus der Not eine Tugend machten. Hostels stopften ihre Räume mit jenen voll, mit denen sie hohe Tagessätze vom Jobcenter kassieren konnten; und ganz smarte gründeten gleich All-inclusive-Betriebe zum Geflüchteten-Management: Von Baumaßnahmen über Security bis zur Betreuung.
Ihre Umsätze realisierten die Ebling Group und Apardo in zwei Sektoren: Massenunterkünfte und ein kleinerer Bereich von „normalen“ Wohnungen, die mittels mobiler Betreuung bespielt werden sollten. Mohamad T.s Familie hatte das Glück in letzterem unterzukommen.
Doch schon vor längerer Zeit bewertete Apardo die Unterbringung in Privatwohnungen– so erzählt eine ehemalige Mitarbeiterin, die anonym bleiben möchte, gegenüber lower class magazine – als „nicht lukrativ genug“. Man wollte sich von dem gesamten Bereich trennen. Das steht nicht nur dem erklärten Ziel des Berliner Senats entgegen, Geflüchteten so rasch wie möglich zu ermöglichen aus Heimen in Wohnungen umzuziehen. Es bedeutet auch für die betroffenen Familien, erneut aus ihrem Lebensumfeld gerissen zu werden. Geflüchtete erscheinen in diesem Geschäftsmodell – allen gelegentlichen hübschen Projekten und verbalen Beteuerungen zum Trotz – als Material, mit dem man Geld machen kann.
„Wir bleiben“
Für die Familie von Mohamad T. und eine zweite Familie im selben Haus hat die auf Lukrativität ausgerichtete Arbeitsweise von Firmen wie Apardo ganz konkrete Auswirkungen. Sie lebten sich ein, die Kinder besuchen Schulen, lernen Deutsch. Jetzt werden sie unverschuldet wieder aus ihrer Umgebung gerissen, stehen vor dem Nichts.
Doch Familie T. will nicht kampflos gehen. Und deshalb ist Mohamad in diesen Tagen viel unterwegs anstatt zu lernen. Er spricht mit Anwält*innen, Aktivist*innen, der Presse und den Verantwortlichen. „Also am 28.2. werden wir schon mal sicher nicht ausziehen“, sagt er. „Wie sollen wir denn so schnell überhaupt etwas finden. Das ist doch gar nicht möglich.“
# Von Peter Schaber