Alles hat ein Ende, nur die Wursttheke hat zwei: Simon Loidl gelingt mit seinem Debütroman nicht nur der lustigste Ein- und Ausstieg eines Buchs seit langem. Es ist auch einfach gut und beleuchtet Zwang und Langeweile unserer Arbeitswelt.
„Robert Prunner steht gern vor Wursttheken.“ Dieser Aufmacher knallt so geschmeidig ins Hirn wie ein behänder Metzger. Über die nächsten Zeilen hinweg präsentiert er uns durch Roberts Augen „die Wunder menschlicher Schlachtkunst“ wie der Oberkellner im Nobelrestaurant einen Wein. In der Regel bleibt Robert aber ganz Prolet und greift zur Extrawurstsemmel, zu Leberkäse oder Knackwürsten. Schluss des ersten Absatzes von „Endstation Ananas“.
Der Wortmetzger ist der Wiener Simon Loidl, einigen sicher bekannt als regelmäßiger Autor der Tageszeitung junge Welt. Laut Kurzbio ertrug er selbst einige prekäre Mist- und Minijobs in seinen 41 Lenzen und war dazwischen auch immer wieder arbeitslos. Er kann also recht gut den Alltag der rund zehn berufstätigen Figuren seines Romans niederschreiben. Loidl greift sich eine Woche im Leben der Charaktere raus: Da sind vor allem der festangestellte Lektor Robert und seine Kollegen, die recht fade Auftragsmedien produzieren. Oder die freie Fotografin und Mutter Tatjana, die in Berlin mal wieder die Sau rauslässt. Hotelpianist Martin macht nach einem Ulk mit Barkeeper Andrej blau.
Besonders gut aber gelingt Loidl die Schilderung des Alltags von Hannes. Roberts bester Freund war Garderobier im Theater. Er ist nach einem Konflikt mit dem opportunistischen Betriebsrat arbeitslos. Bekannte feixen: Hannes, der Arbeitslose, lebe ja auf ihre Kosten. Könne doch ständig in die Sonne und so. Für Hannes ist seine Freizeit aber ein Knast. Die Tage ziehen sich wie Gummi, allein die Termine beim Arbeitsamt und Wochenendbesäufnisse versprechen Abwechslung und Struktur. Checken die anderen eigentlich, wie glücklich sie sein können mit ihren shitty Jobs? Weil sie öfter was anderes als die eigenen vier Wände sehen. Seinen „Betreuer“ vom Arbeitsamt bringt er vorm inneren Auge um. Einmal fährt Hannes mächtig motiviert zum Kurs – nur um zu erfahren, dass es sich um einen Videolehrgang handelt. „Er befand sich in einer alptraumhaften Kopie seines Alltags zu Hause: Er starrte auf einen Bildschirm und schlug die Zeit mit Herumklicken tot.“ Also wieder Knast. Zum Schluss landet Robert übrigens erneut an der Wursttheke. Kauft er wieder eine Extrawurstsemmel, Leberkäse oder Knackwürste?
Es ist wurscht, ob das Kellerlokal im Buch nun dieses oder jenes echte Pendant hat. Es ist auch blunzn (= unwichtig; Blutwurst in Ostösterreich), dass die Wiener U6 in echt gar keine dieser neuen, durchgehenden Garnituren hat, sondern immer noch wie eine Wurstkette aussieht. Wien und Berlin sind nur Kulissen. „Endstation Ananas“ könnte genauso gut in Mödling und München, Leibnitz und Leipzig spielen. Loidl geht es in seinem Debüt nämlich um etwas anderes: Kompakt und mit trockenem Schmäh filetiert er unsere moderne Arbeitswelt im Norden.
Kanons sind bürgerlicher Mist. Aber wenn es einen für proletarische Gegenwartsliteratur gibt, gehört „Endstation Ananas“ definitiv dazu. Es war mal wieder Zeit für einen guten Arbeiterroman.
#Moša Marković
Simon Loidl: Endstation Ananas. Roman, Sisyphus Verlag 2018, 132 Seiten, € 14,80. Bereits erschienen.
# Bilder: Pixnio, Sisyphus Verlag