Argentinien: Inmitten neoliberaler Angriffe auf die Arbeiter*innenklasse zeigt sich auch, dass der gut organisierte Widerstand siegreich sein kann.
Die Rio Santiago Werft nahe der Hauptstadt Buenos Aires besitzt eine lange Kampftradition. In den 1990er-Jahren, als viele Betriebe unter dem neoliberalen Präsidenten Carlos Menem privatisiert wurden, hielt diese Werft stand und ist bis heute ein staatlicher Betrieb. Die zutiefst arbeiter*innenfeindliche Politik von Menem entlud sich Anfang der 2000er Jahre. Das wirtschaftliche Desaster führte im Dezember 2001 zu einem landesweitem Aufstand mit 28 Toten, der Zusammenbruch des Staates nahe war.
Die Probleme von damals sind dabei charakteristisch für halbkoloniale kapitalistische Länder: Abwertung der eigenen Währung, hohe Auslandsverschuldung, Kapitalflucht etc. Es sind allerdings auch die Probleme von heute. Die Inflation liegt bei 42 Prozent und die neoliberale Regierung um Präsident Mauricio Macri bittet erneut den Internationalen Währungsfonds (IWF) um „Hilfe”, d.h. um einen Kredit im Umfang von 50 Milliarden US-Dollar. Damit einher geht die Annahme des berühmten „Strukturanpassungsprogramms” des IWF: Deregulierung der Finanzmärkte sowie die Privatisierungsvorhaben sind die Grundlagen dieser Programme, die in Wahrheit nichts weiter als Angriffe auf die Lohnabhängigen darstellen.
Ein zurückgeschlagener Angriff
Die geplante Privatisierung der Werft in Rio Santiago, in der über 3300 Arbeiter*innen tätig sind, reiht sich dabei ein in eine Kette von Angriffen auf die gesamte lohnabhängige Bevölkerung: In etlichen Betrieben sollen Stellen gestrichen und die Löhne gesenkt werden (der Reallohn sinkt sowieso infolge der galoppierenden Inflation). Die Lohnabhängigen in Argentinien, welche die „revolutionären Tage” vom Dezember 2001 noch gut in Erinnerung haben, sind gleichwohl in der Lage, sich gegen diese Politik des Sozialabbaus zu wehren. Bereits am 26. Juni fand ein eintägiger Generalstreik statt, der das Land paralysierte. Er blieb aber beschränkt, weil er keinen strategischen Kampfplan seitens der Gewerkschaften gegen die Macri-Regierung enthielt.
Vor diesem Hintergrund entlud sich der Zorn der Arbeiter*innen der Werft am 21. August in kämpferischen Demonstrationen und Auseinandersetzungen mit der Polizei. Die Werft ist dabei auch das einzige öffentliche Unternehmen, welches die Menem-Regierung in den 90er-Jahren nicht privatisieren konnte; sie stellt gewissermaßen eine Bastion der Werft-Arbeiter*innen und aller Lohnabhängigen in Argentinien dar.
Die Regierung um Macri schien gewillt bis zum Äußersten zu gehen, sodass die Polizei mit enormer Härte agierte. Ein Mensch wurde dabei sogar mit einem Polizeiwagen umgefahren. „Die Repression war schrecklich“, so der Werft-Arbeiter Juan Constrisciani. „Sie griffen uns mit Tränengas und Gummigeschossen an und ein Polizeiauto überfuhr einen Kollegen schleuderte ihn buchstäblich in die Luft. […] Diese Situation ist das Ergebnis der Provokation seitens der Regierung, die unser Werk leert, unsere Arbeitsplätze gefährdet und zudem unsere Gehälter angreift. […] Wir sind mobilisiert und werden es auch bleiben, weil unsere Forderungen bestehen bleiben. Wir lehnen es ab, dass sie unsere Arbeitsplätze zerstören und wir werden keines unserer Rechte abgeben.“
Die entscheidende Wende und damit auch der Sieg der Werft-Arbeiter*innen kam am 13. September, als die Werft-Arbeiter*innen nach einer Vollversammlung eine Kundgebung vor der Unternehmensleitung abhielten, die ganze acht Stunden anhielt. Die Arbeiter*innen zwangen die Unternehmensleitung, ein Protokoll zu unterzeichnen, welches die geplante Privatisierung stoppt. Die Regierung garantiert darin auch die weiterführende Produktion im Werk, sodass die Arbeitsplätze gesichert sind.
In einer Atmosphäre des Klassenkampfes, wo nicht nur die Werft-Arbeiter*innen kämpfen, sondern auch die Angestellten im Bildungssektor, die Beschäftigten im Krankenhaus Posadas, Studierende und Frauen, welche erst kürzlich, zusammen mit Männern, zu Hunderttausenden für das Abtreibungsrecht auf die Straßen gingen, bedeutet dies einen Triumph für die Arbeiter*innenklasse. „Die historische Kampftradition und die Kampfbereitschaft der Werft sind der Spiegel, in dem sich die Arbeiter*innen des ganzen Landes erblicken”, so Jose „El Negro” Montes, eine bedeutende Figur des Kampfes aus den 90er-Jahren gegen die Privatisierung.
# Hovhannes Gevorkian
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