Die Toten können sich nicht wehren – Über linke Gedenkkultur

30. November 2017

Kürzlich haben die beiden Autoren Maulhofer und Oggenbach im Lower Class Magazine eine Debatte über linke Gedenkkultur angestoßen. Ausgehend vom Gedenken an den ermordeten Silvio Meier treffen sie einige wunde Punkte linker Erinnerungs- und Gedenkkultur. Sie stellen fest, dass die jährlichen Gedenkdemonstration zu einer abstrahierten und ritualisierten Folklore geworden sind – ein Trend der linken Szene, Erinnerung und Gedenken zu entfremden und zu instrumentalisieren. Sei es, weil die Taten schon einige Jahre her sind, sei es, weil keine Auseinandersetzung mit den Angehörigen, Freunden und Freundinnen stattgefunden hat. Das gilt nicht (nur) für die Erinnerungskultur an Silvio Meier, sondern lässt sich auch an anderen Orten feststellen. Der Fokus auf die Tat und die Täter, lässt die Ermordeten, ihr Leben, aber auch den Schmerz der Angehörigen in den Hintergrund rücken.

Wenn ihr Helden braucht, dann werdet gefälligst selbst welche“

Wo ritualisiertes, linkes Gedenken kritisiert wird, scheint sich die Szene selbst zu reflektieren. Umso verwunderlicher erscheinen die gezogenen Schlüsse. Ermordete „Genoss*innen“ werden zu Gefallenen, zu Helden, zu Märtyrer verklärt. Diese „revolutionäre Gedenkkultur“, so heißt es, ließe die eigene politische Bewegung selbstbewusster kämpfen. Eine problematische Betrachtungsweise auf mehreren Ebenen, die so wenig mit selbstkritischer, solidarischer Auseinandersetzung der eigenen Geschichte zu tun hat. Die Erschaffung von Helden und Märtyrern dient als Identifikationspunkt, um das eigene Handeln zu bekräftigen. Heldengeschichten sollen uns helfen, über uns hinaus zu wachsen, mögliche Gefahren auszublenden und uns einer Sache aufzuopfern. Eine Notwendigkeit von Heldensagen gibt es in Deutschland nicht. Stattdessen gibt es für die Linke in Hinblick auf Erinnerungs- und Gedenkkultur andere Baustellen.

Antifaschistische und linke Gruppen befanden sich nach der Selbstenttarnung des nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) in einer lähmenden Ohnmacht. Wohingegen es bald zu einer notwendigen Kritik an Neonazis, Verfassungsschutz und Mehrheitsgesellschaft kam, scheint eine Auseinandersetzung mit den Opfern auch heute noch schwierig. Wir sehen es auch an den Vorschlägen von Maulhofer und Oggenbach, die, wenn vielleicht auch unbewusst, die Opfer des NSU aus ihrer Gedenk- und Erinnerungskultur streichen. Wurden sie etwa nicht vom politischen Feind ermordet? Gebührt ihnen und ihren Angehörigen, den Überlebenden der Taten etwa nicht unsere Solidarität? Sie passen nicht in die Begrifflichkeiten von politischen Gefallenen oder linken Märtyrern – und legen so die Probleme der linken Szene offen: das Unvermögen im Umgang mit Opfern und Betroffenen rechter Gewalt, die nicht der „eigenen“ Bewegung entstammen. Freund*innen von Silvio Meier sagten einst: „Wenn ihr Helden braucht, dann werdet gefälligst selbst welche. Silvio Meier kann sich nicht mehr wehren.“

Unsere Antwort Solidarität

Eine wirklich revolutionäre Gedenkkultur wäre jene der Solidarität. Wenn wir solidarisch mit den Opfern, Betroffenen und Angehörigen sind. Wenn wir unser Augenmerk auf die Wünsche und Bedürfnisse der Überlebenden, der Opfer und ihrer Angehörigen legen. Wenn wir sie unterstützen in ihrem Kampf um einem selbstbestimmten Gedenken, um Entschädigung und um Respekt. Diesen Kampf können und wollen viele nicht alleine führen. Es gibt bereits unzählige Initiativen und Zusammenschlüsse – von der Linken oft unbeachtet. Wir müssen Erinnerungsorte schaffen, Orte des Sprechens, des Erinnerns und der Begegnung, die jenseits von staatlicher aber auch von der Szene inszenierter Erinnerungszeremonien liegen. Wichtig sind dabei auch Fragen wie: Was wünschen sich Überlebende und Angehörige? Sind es wirklich Gedenktafeln, Umbenennungen von Straßen oder Plätzen? Oder ist es etwas ganz anderes? Ibrahim Arslan, der kurz nach der Ermordung Silvios einen rassistischen Brandanschlag in Mölln überlebt hat, sagt einst zum Umgang mit Überlebenden und Angehörigen von Opfern rechter Gewalt: „Wir sind keine Statisten, sondern die Hauptzeugen des Geschehenen.“ Wenn es eine Linke ernst meint mit einer solidarischen Gedenk- und Erinnerungskultur, dann muss sie die Opferperspektive stärken, muss zuhören, ohne zu instrumentalisieren.

# Benjamin Kreutzhof

# Titelbild: Po Ming Cheung

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