Früher war die BRD wohl noch 1 okaye Kulturlandschaft, *hust*: Referate, Textbeiträge und Diskussionen zur Konferenz „Richtige Literatur im Falschen?“ liegen jetzt gebunden vor
Es ist Uso innerhalb der bundesdeutschen Linken: Ein lang brodelndes, eigentlich schon übergekochtes Problem – der Gesamtscheiße Kapitalismus anzukreiden – taucht auf der To-Do-Liste ganz oben auf. Als Reaktion ruft man zur spektrenübergreifenden Krisenkonferenz. An sich keine falsche Praxis, hätte diese Form des Austauschs nicht immer die Neigung zur ergebnislosen Selbstbeschäftigung an sich. Oft sind die Ergebnisse abstraktes Dooffinden des Bestehenden und Dissens was die Wege und Mittel angeht, daran etwas zu ändern.
Auch die Konferenz „Richtige Literatur im Falschen? Schriftsteller – Kapitalismus – Kritik“ bildet da keine Ausnahme, bei der sich im April 2015 zwei Tage lang Autor_innen aus dem deutschsprachigen Raum darüber austauschten, wie gegenwärtig progressiv-politische Literatur produziert werden kann. Zumindest zeugt der Tagungsband, der nun erschienen ist, von so einiger Ratlosigkeit und der Tendenz, nostalgisch zu werden, wenn es um die alten, weniger beschissenen Zeiten in der Bundesrepublik geht.
Alle Versprechen gebrochen
Den Einstieg macht Mit-Initiator und Das Argument-Redakteur Ingar Solty mit einem kurzen (um nicht zu sagen verkürzenden) Einstieg in Historie und aktueller Lage des Kapitalismus. Zentral für ihn ist gegenwärtig der Bruch mit den „Versprechen“ von Freiheit, Transparenz und kosmopolitischer „globale[r] Vernetzung“. Denn trotz Blinklichtern und Bananen, steht der Kapitalismus nach der weitestgehenden Abwicklung des Realsozialismus für imperialistische Zerstörung, Niedriglohn und Cyber-Überwachung.
Frustration und Weltschmerz sind bekanntlich Brandbeschleuniger für Literatur. Nur bitte nicht zu langsam und in Ich-Erzähl-Modi, meint der zweite Konferenzinitiator Enno Stahl („Diskurspogo“, Verbrecher Verlag) in seinem von Ambivalenz geprägten Beitrag „Scheinrealismus und literarische Analyse“. Auf der einen Seite geißelt er den Ich-Erzähler als inflationäres Mittel zum „identifikatorischen Erzählen“ (nach der Creative-Writing-Regel: Leser_innen müssen sich in den Figuren wiedererkennen, sonst fuck off!), während er auf der anderen Seite den klassischen Schreibschul-Ratschlag erteilt, sich bei David Foster Wallace und Co. was abzugucken. Bereits in den vorangehenden Diskussionsteilen, wird auf ein „eher ängstlicher werdendes ‚Ich‘“ (Raul Zelik) und den „totalen Individualismus“ (Ann Cotten) hingewiesen.
Natürlich ist für Pop-Literat_innen das „Ich“ mit ordentlich viel Rollenprosa seit zwanzig, dreißig Jahren Pflicht. Aber nicht das ist im Gesonderten zu kritisieren, sondern – Enno Stahl spricht es richtigerweise auch konkret als „Scheinrealismus“ an – das Droppen von Jetztzeit-Phänomenen, was eben nicht aufzeigt, dass hinter der neuesten Party-Droge Existenzängste und im neuen Freizeittrend Marktinteressen wenigstens mitschwimmen.
Blinde Flecken
Zwei Lücken treten hervor: Zum einen wird wenig über literarische Themen(-findung) und die damit verbundene Recherche gesprochen. Signifikant für die junge Literatur im deutschsprachigen Raum sind Handlungslokale bzw. Settings, die selten aus der Studentler-WG-Party herauskommen.
Eine tatsächliche Auseinandersetzung mit der sozialen Umwelt, ihren Widersprüchen und Konflikten würde mancher aber guttun.
Zum anderen wird viel über die jüngere Vergangenheit geredet: Über die für den Kulturbetrieb verheerende Einführung des Privatfernsehens unter Kohl etwa. Nicht nur Ingo Schulze und andere ehemalige DDR-Bürger_innen („Unsere schönen neuen Kleider. Gegen eine marktkonforme Demokratie – für demokratiekonforme Märkte“, Hanser) stehen bei dieser Rückbesinnung eher außen vor. Auch die Werkbeispiele, über die verhandelt wird, sind, wie Peter Weiss‘ „Ästhetik des Widerstands“, eher moderne Klassiker. Mit Ann Cotten („Der schaudernde Fächer“, Suhrkamp) ist die jüngste Teilnehmerin zum Zeitpunkt der Konferenz auch bereits über Dreißig. Dadurch entstehen blinde Flecken, was die junge Literatur angeht. Über die Merkelianerin Juli Zeh („Nachts sind das Tiere“, Schöffling) wird viel geredet. Sasa Stanisic und seine damals aktuelle ethnografische Aufarbeitung der Kahlschlagpolitik im Neuen Bundesland Brandenburg, „Vor dem Fest“ (Luchterhand), werden leider komplett ignoriert.
Kampf dem linken Neoliberalismus
Konkret werden die Debatten erst nach dem Referat „Die Ideologiemaschine“ vom mittlerweile nicht mehr Literaturredakteur der jungen Welt, Thomas Wagner. Konkret analysiert er den Think Tank „Zentrale Intelligenz Agentur“ (ZIA), der, unter dem Hahnenkamm von Sascha Lobo Belletristik- und Sach-Autor_innen für einen „linken Neoliberalismus“ mit der prekären, fancy Firmenpolitik „no office, no employees, no pitches, no bullshit“ für den variablen Markt quasiorganisiert.
Im darauffolgenden Gespräch widmet sich die „Avantgarde des Prekariats“, wie sie Michael Wildenhain („Blutsbrüder“, Ravensburger Buchverlag) eher subjektiv tituliert, dem Brainstorming für eine linke Gegenorganisation der Schriftsteller_innen, die so bitter notwendig erscheint, gegen die Hegemonie der alten weißen Männern mit Martin-Walser-Fimmel in den Agenturen, Feuilletons, Verlagen und Schreibschulen, genauso wie deren postmodernen Nachwuchs in Gestalt von Wirtschaftsknechten mit Revoluzzer-Image.
Über den zu ver.di gehörenden „Verband deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller“ (VS) und der „Grazer Autoren-Versammlung“ (GAV), wird genauso verhandelt, wie über die Gründung eines „linken PEN“ („Poets, Essayists, Novelists“ – internationaler Autor_innenverband). Autor_innen (selbst-)organisieren, ist so eine Sache. Gerade, wenn sie sich politisch doch weniger nahestehen, als es das Open-Access-Label „Links“ suggeriert. Und, wenn deutlich wird, dass die „Avantgarde des Prekariats“ bei klammen Privatguthaben ohne fette Sponsoren auskommen muss und die langsam mahlenden Mühlen der Revolution nicht durch Geldflüsse angeschoben werden können. Was sicher keine Schande bedeutet.
Schließlich bleibt der Wunsch nach einer Nachfolgeveranstaltung. Das Konzept soweit ist schließlich eine Basis, auf der sich stehen lässt, und offene Fragen gibt es genug.
-Pat Batemensch
Ingar Solty, Enno Stahl (Hrsg.): Richtige Literatur im Falschen? Schriftsteller – Kapitalismus – Kritik, Verbrecher Verlag, Berlin 2016, 251 S., 21 €