Am 05. Dezember wollen in 90 deutschen Städten Schüler:innen gegen eine Wiedereinführung der Wehrpflicht protestieren. Wie schon bei Fridays for Future wird dazu aufgerufen, die Schule zu bestreiken und stattdessen auf die Straße zu gehen.
Wir sprechen mit Ronja über den anstehenden Schulstreik gegen die Wehrpflicht.
Kannst du dich der Leserschaft einmal selbst kurz vorstellen?
Ich bin Ronja. Ich bin Auszubildende und Mitorganisatorin des Schulstreiks in Berlin. Früher war ich auch bei Fridays for Future bei den Schulstreiks aktiv, deshalb kenne ich mich mit dem Thema aus.
Wie kam es denn dazu, dass sich das Bündnis geschlossen hat und wer ist alles in diesem Bündnis vertreten?
Schulstreik gegen Wehrpflicht ist eine Initiative von aktiven Schüler:innen. Angefangen hat alles mit einem bundesweiten Aufruf, Streikkomitees zu gründen. Diese Streikkomitees bestehen größtenteils aus aktiven Schüler:innen. Teilweise werden sie aber auch von Jugendorganisationen und Friedensorganisationen, wie Fridays For Future, der Grünen Jugend, den Jusos und der SDAJ unterstützt. Hier in Berlin ist mit Pax Christi auch eine christliche Organisation dabei. Gewerkschaftsjugenden, vor allem der GEW, die viele friedenspolitische Beschlüsse gemacht haben und die Verdi Jugend unterstützen auch lokal den Streik. Wer am Start ist, ist von Ort zu Ort sehr unterschiedlich. Die Inhalte der Komitees werden aber vor allem von den aktiven Schüler:innen bestimmt, auf Grundlage des Minimalkonsenses gegen die Wehrpflicht und alle anderen Zwangsdienste. So etwas wie Vorgaben einzelner Organisationen gibt es also nicht.
Die Schulstreiks am 5.12. werden ja dezentral von Komitees vorbereitet. Wie können wir uns die konkrete Arbeitsweise vorstellen?
Man stellt sich es viel komplizierter vor als es eigentlich ist. Es reicht schon, wenn sich drei Schüler:innen als Streikkomitee zusammentun. Als Nächstes schaut man, wie man weitere Menschen organisiert und seine Mitschüler:innen überzeugen kann. In Berlin treffen wir uns beispielsweise zweimal die Woche. In den Treffen werden dann viele unterschiedliche Aktionen vorbereitet. Die Treffen sollen dabei so gestaltet werden, dass sie für alle Teilnehmenden gewinnbringend sind. Das heißt, dass ein Raum entstehen soll, wo geschaut wird, was an den Schulen gebraucht wird. Ebenso wird darüber geredet, welche Argumente gut ankommen, wie man gut ins Gespräch kommt und wie man eben weitere Menschen für die Teilnahme überzeugen kann.
Vor allem ist es wichtig, Mitstreiter:innen zu finden. Das können einfach Freunde, Menschen von anderen Schulen oder Schülervertreter:innen sein. Ebenso ist ein Social-Media-Account wichtig, damit auch weitere Menschen von dem Streik erfahren. Gut ist es auch mit den Schülervertretungen, auch auf Bezirks- und Stadtebene ins Gespräch zu kommen und mit denen abzuklären, wie man mit Plakaten und Flyern an den Schulen zum Streik einladen kann.
Ganz konkret, was sind eure Erwartungen an den Streik am 5. Dezember?
Bei dem ersten Treffen des Streikkomitees in Berlin waren wir zu dritt. Die bundesweite Aufmerksamkeit, die es super schnell gab, hat dazu geführt, dass in kurzer Zeit über 100 Menschen in unsere Whatsapp Gruppe gekommen sind. Davon sind größtenteils Schüler:innen, aber auch einige Elternteile, die den Streik mit unterstützen wollen. Anders als es beispielsweise damals bei Fridays for Future war, hat es sehr wenig Anlaufzeit gebraucht. Das kann man auch daran sehen, dass wir den ersten Aufruf für den bundesweiten Streik erst im Oktober veröffentlicht haben.
Nun gibt es in über 90 Städten bereits Streikkomitees und das ist total beeindruckend. In den meisten Städten wird es am 5. Dezember Schulstreiks geben. In anderen Städten, wo es noch keine Streikkomitees an den Schulen gibt, werden Demonstrationen organisiert. In Berlin haben wir beispielsweise 12 Uhr einen Schulstreik und um 16 Uhr eine Demonstration von einem breiteren Bündnis. Im Anschluss wird es noch ein offenes Treffen für alle Interessierten geben.
Wie viele Leute aber tatsächlich auf die Straße gehen werden, ist noch nicht absehbar, da alles so unfassbar schnell ging. Es ist aber gut möglich, dass tausende, wenn nicht gar zehntausend Menschen, dabei sein werden. Dann schauen wir mal, wie die Politik reagieren wird.
Warum sollten denn auch Menschen mit streiken, auf die sich die Musterungspflicht nicht bezieht?
Das Thema Wehrpflicht betrifft uns alle. Auch wenn im aktuellen Vorschlag der Musterungspflicht nur die Jugendlichen ab dem Jahrgang 2008 betroffen sind, gibt es schon jetzt Spekulationen, diese Pflicht auf Ältere und sogar auf Frauen auszuweiten. Wenn es dazu kommen sollte, dass die Bundeswehr mit dem freiwilligen Wehrdienst nicht auf ihre Wunschzahlen kommt, dann wird es ja konkret um die Wehrpflicht gehen. Das ist sehr wahrscheinlich.
Alle von uns haben aber jetzt schon Menschen in unserem Umfeld, die es ganz konkret betrifft. Wir sollten deshalb geschlossen zeigen, dass wir insgesamt auf die Militarisierung der Gesellschaft keinen Bock haben, während wiederum alles kaputtgespart und Jugendlichen überhaupt keine Zukunftsperspektive geboten wird. Oft steht dann bei uns in den Kommentaren auf Instagram „ihr Wohlstandsverwahrlosten“ und „es hat mir damals auch nicht geschadet den Wehrdienst zu leisten“. Wir müssen den Menschen begreifbar machen, in wessen Interesse das ist, was gerade passiert. Brauchen wir wirklich mehr Menschen im Militär und viel mehr Geld für Waffen und Aufrüstung? Das ist kein Konflikt von Alt und Jung, sondern von Arm und Reich.
Hattet ihr denn vorher schon eine Verankerung an den Schulen?
Was wir sehen ist, dass sich überwiegend Schüler:innen zusammenschließen, die vorher noch nicht politisiert und organisiert waren. Das heißt, dass es nicht unbedingt notwendig ist, bereits zuvor anpolitisierte Schüler:innen zu kennen. Das Thema Wehrpflicht beschäftigt viele und macht viele wütend. Das führt natürlich zu Aktionsbereitschaft. Als wir uns überlegt hatten, Streikkomitees zu gründen, waren wir wirklich nicht so optimistisch, dass das alles so groß wird. Man sieht also, dass es sich bei der Wehrpflicht um ein anknüpfungsfähiges Thema handelt, auch bei Menschen außerhalb des bereits vorhandenen politischen Spektrums. Es geht den Schüler:innen eben sehr nahe und dieser krasse Einschnitt in die Freiheitsrechte dieser jungen Leute betrifft alle.
Habt ihr auch Kontakt zu Lehrkräften oder den Schülervertretungen und wie fallen denn die Reaktionen von den Schulen insgesamt aus?
Die Reaktionen fallen total unterschiedlich aus. In vielen Streikkomitees sind Schülersprecher:innen und Menschen aus den Schülervertretungen. Das sind ja oft auch die Leute, die sich schon vorher für andere Schüler:innen eingesetzt haben. Auch in Berlin gibt es mehrere Schülersprecher:innen in den Streikkomitees. Bei Direktor:innen ist es natürlich schwierig. Zum einen können sie nicht offen für die Streiks aufrufen und meistens ist ihre Reaktion eher verhalten. Es gab aber auch Fälle, wo das Flyern an den Schulen verboten wurde. Teilweise gab es jetzt von Schulleitungen die Androhung, den Schüler:innen für den Tag die Note 6 einzutragen und in Hamburg musste ein Streikkomitee aufgelöst werden. Natürlich gibt es aber auch Lehrkräfte, die sagen, dass wir die Wehrpflicht brauchen.
Was extrem cool ist, ist, dass uns in Berlin die Bildungsgewerkschaft-GEW unterstützt und dazu aufruft, den Streik zu unterstützen. Hoffentlich werden uns alle Lehrer:innen, die selbst in der GEW sind, unterstützen und dafür sorgen, dass vielleicht die Fehlstunden nicht aufgeschrieben werden. Und eben die Gründe dafür aus der Welt zu schaffen, warum manche nicht zum Streik gehen.
Auch wenn etwas wie Repression passieren sollte, ist es das wichtigste, dass man nicht alleine damit ist und man Unterstützung bekommt. Der beste Schutz ist es aber, wenn tausende Schüler:innen mit auf die Straßen gehen und viele Organisationen zum Streik aufrufen. Repression wird dann unwahrscheinlicher, da man nicht so leicht vereinzelt oder eingeschüchtert werden kann, ob von der Schulleitung oder auch von der Polizei. Schüler:innen sollen keine Angst davor haben, sich im Falle von Einschüchterungen dagegen zu wehren und zu sagen „das lasse ich nicht auf mir sitzen, ich mache das öffentlich“.
Wie soll es nach dem Streik für das Bündnis weitergehen?
Das Beste wäre natürlich, wenn die Politik sagt, wir lassen dieses Wehrdienstmodernisierungsgesetz einfach mal sein und das Geld stattdessen in die Schulbildung investieren. Dann könnte es vielleicht wirklich mal gleiche Möglichkeiten und Bedingungen für alle geben, die nicht vom Geldbeutel der Eltern abhängen. Das ist aber sehr utopisch.
Schon jetzt arbeiten wir eng mit der DFG-VK (Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen) zusammen. Wir überlegen schon und lassen rechtlich prüfen, ob die Musterung verweigert oder herausgezögert werden kann. In Berlin wollen wir bei den offenen Treffen konkrete Beratung zur Wehrdienstverweigerung zusammen mit der DFG-VK anbieten.
Die Wehrpflicht ist nicht vom Tisch und wird in den nächsten Jahren zum Thema werden, wenn nicht genügend Menschen freiwillig zur Bundeswehr gehen. Wir wollen den Menschen zeigen, dass, auch wenn dieses Wehrdienstgesetz beschlossen wird, sie nicht verzweifeln sollen. Es gibt auch dann noch Möglichkeiten, wie die persönliche Verweigerung. Wenn man genügend Menschen dazu bekommen sollte, den Wehrdienst zu verweigern, ist das natürlich auch ein starkes Signal, dass wir uns nicht instrumentalisieren und zum Militär zwingen lassen. Ob wir dann weiter Schulstreiks wählen oder andere Aktionen machen, ist noch nicht ganz klar. So oder so gilt aber, dass wir uns weiter vernetzen müssen, um der Jugend eine Stimme zu geben und dann, wenn es Einschränkungen bei den Freiheitsrechten von Jugendlichen gibt, dagegen auf die Straße gehen und laut sind.
Aber erstmal heißt es, am 5. Dezember auf die Straße zu gehen, ob Schüler:in, Lehrer:in oder Eltern! Es geht um unsere Zukunft, um die Zukunft von all den Jugendlichen in diesem Land.