„Im Ernstfall bestimmt der Staat, wer wo arbeitet“
trällerte die Frankfurter Allgemeine nach dem NATO-Übungsmanöver in Hamburg vergangenen September. In der Hansestadt probten nicht nur Soldatinnen und Soldaten, wie sie vom Kriegsschiff auf den Panzer Richtung Osten umsatteln können, sondern auch die Agentur für Arbeit hatte in den späten Sommertagen mächtig zu tun.
Konkret würde dies bedeutet, dass die Agentur für Arbeit einem Friseur schreiben könnte, der einen LKW-Führerschein besitzt, dass dieser doch bitte seine Schere niederlegen solle, um Nachschub an die Ostfront zu kutschieren. Andersherum ist es der Agentur ebenfalls möglich, einen Bäcker oder auch Pflegepersonal davon abzuhalten, ihren Beruf niederzulegen, sobald dieser als kriegsrelevant eingestuft wird. Andernfalls droht eine Geldstrafe oder bis zu einem Jahr Haft.
Grundlage für dieses Herumkommandieren bietet das „Arbeitssicherstellungsgesetz“ welches im Zuge der 1968 erlassenen Notstandsgesetze eingeführt wurde. Das Gesetz kann wie die anderen Notstandsgesetze nach der Ausrufung des Spannungs- oder Verteidigungsfall durch eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag in Kraft treten und weitreichende Grundrechtseinschränkungen durchführen. In diesem Fall das Recht auf die freie Berufswahl.
Die Diskussion um die Einführung der Notstandsgesetze brachten alleine am 11. Mai 1968 noch über 40.000 Menschen auf die Straße, die mit einem Sternmarsch auf Bonn ihre Ablehnung für die weitreichenden Grundrechtseinschränkungen ausdrückten. Unter der Parole „Und sie üben wieder fleißig für ein neues 33“ warnten damals Verbände aus Student:innen, Arbeiter:innen, Gewerkschaften, Kirchen und diverse zivilgesellschaftliche Organisationen vor einer Wiederholung der in der Weimarer Verfassung festgeschrieben Notstandsverordnung. Diese war die Grundlage für die von Paul von Hindenburg 1933 erlassenen „Reichstagsbrandverordnung“ und ebnete auf rechtlicher Ebene den Aufstieg der Nationalsozialisten.
Heute ist jedoch von Empörungen über weitreichende Grundrechtseinschränkungen wenig zu hören. Die Corona-Pandemie, die mit ihren Ausgangssperren und Regeln wie Nicht-auf-einer-Parkbank-sitzen, hat wohl neben der Kriegspropaganda-Beschallung, ihr Übriges getan. Man hat sich gewöhnt.
Erst vor kurzem hatte der CDU-Politiker Roderich Kiesewetter im Drohnen-Wahn die Ausrufung des Spannungsfalls gefordert. Viele dürften nicht einmal wissen, was das überhaupt bedeutet, geschweige denn, welche Grundrechtseinschränkungen damit einhergehen würden. Dass dieser sehr bald ausgerufen wird, gilt es zu bezweifeln. Aber es ist und bleibt ein gut bewährter Politikstil, alles schon mal vorab in den Raum zu werfen, damit wenn es dann, wenn es darauf ankommt, doch irgendwie schon mal alle gehört haben. Man gewöhnt sich eben.
Theoretisch könnte die Bundesregierung, wenn der Spannungsfall ausgerufen wird, direkt vorschreiben, wer wo zu arbeiten hat. Auf eine Weise tut sie das schon, Stichwort neue Grundsicherung, nur wäre dies eben nochmal weitreichender. Neben der sofort greifenden Wehrpflicht und der Ausweitung der Befugnisse der Bundeswehr im Inneren durch das Notstandsgesetz ermöglicht das Arbeitssicherstellungsgesetz die Zwangsverpflichtung von Frauen und Männern in die für den Krieg dienlichen Berufen. Frauen dürfen, nachdem zwischen 18 und 55 Jahren in „zivilen Sanitäts- oder Heilwesen sowie in der ortsfesten militärischen Lazarettorganisation“ eingesetzt werden, während für Männer auch der Zwang zum Dienst an der Waffe gilt.
Auch die Ampelregierung hat sich noch kurz vor ihrer Abdankung mächtig ins Zeug gelegt, um möglichst viele Berufe unter dem Arbeitssicherungsgesetz fassen zu können. So brachte Ende Oktober 2024 der ehemalige und aktuelle Kriegsminister Boris Pistorius, das „Gesetz zur weiteren Stärkung der personellen Einsatzbereitschaft und zur Änderung von Vorschriften für die Bundeswehr“ ein. Ende Februar wurde es mit der Unterschrift von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier besiegelt. Neben vielen Anreizen, die eine Beschäftigung bei der Bundeswehr oder gleich der Stationierung in Litauen attraktiver machen sollen, wurde auch das Arbeitssicherungsgesetz ausgeweitet. Die Änderungen umfassen insbesondere die Erweiterung des Gesetztes auf weitere Berufsgruppen. So können nun zum Beispiel auch Forschungseinrichtungen die, Forschung betreiben, die das Militär für ihre Kriegsmaschine nutzen wollen, zur Weiterführung ihrer Arbeit gezwungen werden.
Mit der erneuten Ausweitung des Gesetztes folgt die Bundesregierung einem guten Ratschlag der Denkfabrik German Institute for Defence and Strategic Studies (GIDS). Diese forderte bereits in einem im Juni letzten Jahres veröffentlichten Papier, dass man die Berufsgruppe ausweiten soll, auf die das Arbeitssicherstellungsgesetz angewendet werden könne. „Gerade in der Drehscheibenfunktion Deutschlands könnte das ASG eine wichtige Bedeutung bekommen“, unterstrich die Denkfabrik. Zudem empfiehlt sie gleich einmal die Abläufe der Einsetzung des Arbeitssicherstellungsgesetzes auch in Friedenszeiten zu proben. Ein gutes Jahr später wurde dieser Ratschlag in Hamburg gehorsam befolgt.
Damit an der Heimatfront alles glattläuft, der Nachschub sichergestellt ist und die Profite weiterhin eingefahren werden, soll die Regierung in Krisenzeiten die gesamte Bevölkerung an ihre Plätze verweisen können. Der Arbeitszwang reicht weit über die Wehrpflicht hinaus. Aber Obacht es gilt nicht für alle: Ausgenommen sind selbstredend, neben körperlich eingeschränkten Menschen, „Mitglieder der obersten Verfassungsorgane des Bundes“. Irgendwer muss ja noch im Bundestag, im Bundesrat oder im einberufenen gemeinsamen Ausschuss sitzen und Kommandos an Bäcker Willi von nebenan und den 19-jährigen Lukas an der Ostfront verteilen.