Im Fadenkreuz: Welche Rolle Venezuela im US-Imperialismus zugeteilt wird

22. November 2025

Was eine Überraschung es doch war, als das norwegische Nobelkomitee am 11. Oktober die Preisträgerin des wichtigsten Friedenspreises der Welt für dieses Jahr bekannt gab. Aus Venezuela kam sie. Oppositionelle. Im Exil. Ein Friedensengel, der für die gerechte Sache und gegen die Tyrannei in ihrer Heimat lebt – könnte man meinen wenn man die Berichterstattung über Corina Maria Machado der letzten Wochen auf sich wirken lässt.

Tatsächlich passte die Verleihung des Preises erstaunlich gut in die Zeit. So befindet sich Machados Heimat aktuell wirklich in einer äußerst prekären Situation. Seit September wird sie von einem Land bedroht, dass bevölkerungsmäßig 12 Mal, vom Bruttoinlandsprodukt über 600 Mal und gemessen an den Soldaten noch immer über 7 Mal so groß ist. Was ist wohl die Aufgabe von einer Friedensnobelpreisträgerin in solch einer Situation? Falsch gedacht. Machado widmete ihren Preis keinem anderen, als dem Präsidenten des Landes, das gerade 16.000 Soldaten vor die Küste ihres Landes verlegt hatte.

Was ist da also los in der südlichen Karibik? Warum interessieren sich die USA wieder derart für dieses Land, über 2000 Kilometer von der eigenen Küste entfernt?

Das Imperium lebt – Kolumne von Jakob Helfrich


Zu Beginn sei gesagt, dass die Argumentation der US-Regierung, bei der Aggression handle es sich um Drogenbekämpfung wohl eine der dreistesten, fadenscheinigsten und zugleich doch von erstaunlich vielen mitgetragenen Lüge zur Kriegsvorbereitung ist, die man seit Langem gesehen hat. Von einem erfundenen Kartell bis zu den angeblichen 25.000 Menschenleben, die pro versenktem Kleinboot gerettet würden, sollte allen klar sein, dass es bei der aktuellen Aggression weder um Drogen, noch darum geht, die zugegeben wirklich mangelhafte Demokratie in Venezuela wiederherzustellen.

Um was es tatsächlich geht, beschrieb die frisch gebackene Friedensnobelpreisträgerin Machado kürzlich sehr gut selbst. Als Gast auf dem „America Business Forum“ in Miami erklärte sie vor versammelter Mannschaft US-amerikanischer Investoren, die Vorteile eines Venezuelas in dem „Rechtsstaatlichkeit“ wieder hergestellt sei. Öl, Gas, Gold, Mineralien, Tourismus, KI, alte und neue Begriffe, die die imperialen Begierden des US-Kapitals wecken. In ihrer Rede von der „Öffnung der Märkte“ und „Garantien für ausländische Investments“, deren historische Vorbilder wir später noch mal ansprechen werden, spiegelt sich das wieder, was amerikanische Offizielle unter den Regierungen Trump und Biden recht offen ausgesprochen haben. James Story, Botschafter der USA in Venezuela bis 2023, erklärte gegenüber dem Sender CBS in klassisch US-amerikanischer Manier: „Das ist ein sehr böser Akteur, der auf den weltweit größten bekannten Ölreserven sitzt, dazu kommen die kritischen Mineralien, die die Wirtschaft des 21. Jahrhunderts antreiben werden. Und er steckt mit unseren strategischen Kontrahenten unter einer Decke.“

Zwei Aspekte also: für die US-Wirtschaft unverzichtbare Rohstoffe und „strategische Kontrahenten“ die auf diese aktuell Zugriff haben. Und schon macht der Aufwand, den die US-Armee betreibt schon mehr Sinn. Ginge es nur um die kleinen Boote vor der Küste, sei es wie mit einem Flammenwerfer Eier zu kochen, beschreibt es James Story.


Für die USA scheinen die Ressourcen in Venezuela, aber auch in anderen Ländern der Region zu einem unverzichtbaren Puzzleteil in ihrer Strategie in einer zunehmend umkämpften Weltordnung geworden zu sein. Die Vorteile dieser Weltregion liegen auf der Hand. Warum sollte man seltene Erden und Mineralien aus dem zunehmend selbstbewussten China oder umkämpften Regionen in Afrika wie dem Kongo importieren, wenn man es auch in Lateinamerika „vor der eigenen Haustür“ besorgen kann. Warum sollte man Öl von der anderen Seite der Welt aus dem Mittleren Osten saugen, wenn das auch quasi einen Katzensprung entfernt zugänglich gemacht werden kann und die Industrie zur Verarbeitung schon bequem an der eigenen Südküste positioniert ist. Wenn man dann auch noch die strategische Konkurrenz schwächen kann, indem man ihnen den Zugang zu eben diesen Rohstoffen abschneidet, wird das ganze zu einer geopolitisch hochrentablen Angelegenheit.

In seiner strategischen Konkurrenz zu China könnte sich Lateinamerika für die USA als Zwischenschritt und Vorbereitung für größere Konfrontationen herausstellen. Die letzten Monate der Gespräche über seltene Erden und Mineralien wie Lithium, haben das Monopol Chinas in diesem Bereich erneut unter Beweis gestellt, sodass vor diesem Hintergrund auch der „Handelskrieg“ zwischen USA und China bei dem Treffen zwischen Xi und Trump fürs Erste pausiert wurde. Der Schritt nach Südamerika könnte mittelfristig den Hunger nach seltenen Erden und Öl stillen und einen amerikanischen Doppelkontinent schaffen, der fest unter der Kontrolle und Hegemonie der USA steht und wirtschaftlich gänzlich zu seinen Gunsten ausgerichtet ist. Dass Trump in seiner Antrittsrede im Januar über den Panamakanal, Kanada oder auch Grönland redete, ist kein Zufall oder „wirres Gerede“ gewesen, wie es liberale Kommentatoren in Europa gerne darstellen wollen. Es war eine strategische Ankündigung, den gesamten amerikanischen Kontinent den USA unterzuordnen.

Auch die engen Verbindungen, die Washington zu den neoliberalen Lateinamerikas, wie Bukele in El-Salvador, Milei in Argentinien, Paz in Bolivien, Bolsonaro in Brasilien oder eben Machado in Venezuela aufgebaut hat sind daher nicht rein ideologische Freundschaften, sie sind strategischer Natur. Sie dienen als Mögliche Schachfiguren der Pläne Washingtons und stehen bereit die Interessen der USA in ihren Ländern umzusetzen. Auch hier sollte man Machado ernst nehmen, wenn sie beim America Business Forum sagt, dass Venezuela nur der erste Schritt sein wird, bevor es an die „Befreiung“ Kubas und Nicaraguas gehe.

Was das für die Gesellschaften Lateinamerikas bedeutet, lässt sich leicht in allen Geschichtsbüchern nachlesen. Der Versuch des amerikanischen Imperiums, sein direktes geografisches Umfeld in eine Ansammlung von Vasallenstaaten zu verwandeln ist nichts Neues. Seit der Monroedoktrin der 1820er-Jahren sind Effekte der US-Einmischung eindeutig. Unterstützung von Putsch um Putsch, und die aktive Bekämpfung von sozialistischen und tatsächlich demokratischen Bewegungen in Lateinamerika zugunsten der totalen wirtschaftlichen Öffnung der Länder haben ihre Wunden hinterlassen. Der aktuelle Aufmarsch vor Venezuela ist nur die neuste Episode dieser makaberen Serie.