Zypern im Spannungsfeld der Mächte: Geschichte, Teilung und geopolitische Herausforderungen
Die letzten zwei Jahre waren für den Mittleren Osten ein historischer Wendepunkt. Entwicklungen, die zuvor undenkbar waren, überschlagen sich und wirken im nächsten Moment schon fast banal. „Eingefrorene Konflikte“ brechen auf, jahrzehntealte Diktaturen fallen in sich zusammen, historische Rivalitäten eskalieren oder werden versucht, zu beenden.
Im Schatten dieser Entwicklungen rückt auch Zypern, das deutlich näher an der Region liegt, als man vielleicht denken mag, immer stärker in den Fokus der Rivalitäten der regionalen Mächte. Schon lange war die Insel ein wichtiger Dreh- und Angelpunkt für Logistik, militärische Aufklärung und Unterstützung westlicher Länder für den Genozid in Gaza.
Zunehmend droht aber auch die Insel selbst, nicht mehr nur als dauerhafter Flugzeugträger der NATO in der Region, sondern auch selbst Schlachtfeld im Kampf um Vorherrschaft in der Region zu werden. Die Lieferung israelischer Luftabwehrsysteme auf die Insel und die angekündigte Verdopplung türkischer Truppen auf der Insel sind nur zwei Beispiele dieser Entwicklung.
Doch um in der Auseinandersetzung, die sich dort gerade anbahnt, den Überblick zu behalten und auch die Perspektive der zyprischen Bevölkerung zu verstehen, und nicht nur die der regionalen Mächte wie Griechenland, Israel oder der Türkei, ist ein Blick in die Vergangenheit des „Zypernkonflikts“ unerlässlich.
Von Nikos Antoniou und Jakob Helfrich
Die historische Bedeutung Zyperns
Seit diesem August ist Zypern seit 51 Jahren geteilt. 51 Jahre Spaltung einer Insel, die nicht erst seitdem zum Spielball regionaler und globaler Mächte geworden ist. Aktuelle Spekulationen über die Zukunft des Landes im äußersten Osten des Mittelmeers nehmen an Fahrt auf, nicht nur wegen seiner geteilten Hauptstadt, sondern auch aufgrund der geografischen Nähe zu Israel, und damit als der EU-Staat, der am nächsten an den Kriegen im Nahen und Mittleren Osten ist.
Trotz der zahlreichen Lehren, die man aus dem Zypernkonflikt ziehen könnte, wird eher selten über ihn berichtet. Letztes Jahr zum 50. Jubiläum wurde eine Ausnahme gemacht und die deutsche Presse schrieb zum tragischen Jahrestag, mit Blick auf die Entwicklungen, die zur Teilung führten. Gerne wird das Narrativ des ethnischen Konflikts bemüht: zwischen Türken und Griechen, Christen und Muslimen, Norden und Süden. Doch die Gründe und Auslöser für die Teilung und auch die Dynamiken, die heute zur politischen und militärischen Relevanz Zyperns führen, liegen tiefer. Und sie liegen nicht nur auf der Insel selbst.
Zypern war schon in der Antike aufgrund seiner Lage im östlichen Mittelmeer zwischen Europa und Asien strategisch hoch relevant. Diese Bedeutung blieb bis in die Neuzeit bestehen: Von der Antike über Byzanz, von den Osmanen bis zur britischen Kolonialherrschaft war die Insel fast durchgängig weitgehend unter Fremdherrschaft. Eine Gesellschaft in jahrhundertelanger Fremdherrschaft. Abhängig davon, wann auf dem Zeitstrahl der Geschichte ein Kreuz gesetzt wird und dieser zum Ausgangspunkt von Diskussionen genutzt wird, waren Zypriot:innen demnach unter unterschiedlichen Herrschern und in deren Herrschaftssysteme integriert. So wird heute von manchen argumentiert, dass Zypriot:innen ethnisch Phönizier:innen, Assyrer:innen, Perser:innen, Ägypter:innen, Römer:innen, Byzantiner:innen, Osman:innen oder Helen:innen sind. Die Debatte wird im Norden wie im Süden unterschiedlich geführt und vor allem gibt es je nach politischer Position eine andere Analyse und damit auch eine andere Ableitung für die politische Realität der Zypriot:innen und für Zypern. Denn häufig wird mit der Frage, wer zypriotisch ist und ob es überhaupt so was gibt wie Zypriot:innen, die Frage verbunden, wer das Recht hat, auf der Insel zu leben und sie zu gestalten, und wer nicht. So werden Zypriot:innen heute schnell mal so mal so fälschlicherweise als Griech:innen oder Türk:innen verkannt.
Im Jahr 1878 übernahmen die Briten im Rahmen des Berliner Kongresses die Verwaltung über die Insel vom Osmanischen Reich. Großbritannien nutzte die Gelegenheit, um dem expandierenden russischen Zarenreich im Mittelmeer entgegenzuwirken und sich eine geostrategische Basis zu sichern. Zypern wurde zum Teil einer imperialen Infrastruktur: einem Ort, von dem aus der Nahe Osten, Nordafrika und die Handelswege nach Indien kontrolliert werden konnten. Nach der Eröffnung des Suezkanals 1869 war die Insel noch bedeutender geworden. Der Kanal war eine Lebensader des britischen Empires, militärisch wie wirtschaftlich. Wer Zypern kontrollierte, konnte nicht nur den Kanal absichern, sondern auch schnell auf Krisen und Umbrüche in der Region reagieren, eine Position, die bis heute besteht und die Zypern im Blick von Militärstrategen zu einem dauerhaften Flugzeugträger im östlichen Mittelmeer macht.
Als Churchill und Stalin im Oktober 1944 das sogenannte „Percentages Agreement“ schlossen, teilten sie angesichts des sich abzeichnenden Sieges über Nazi-Deutschland informell die Einflusssphären in Südosteuropa auf. Das Abkommen regelte, zu welchen Anteilen Großbritannien und die Sowjetunion in einzelnen Ländern politischen Einfluss ausüben sollten. So wurde Griechenland zu 90 Prozent dem britischen und zu 10 Prozent dem sowjetischen Einfluss zugeschrieben. Die Türkei wurde in dem Abkommen zwar nicht erwähnt, jedoch gezielt von Großbritannien und später den USA als strategisches Gegengewicht zur Sowjetunion im östlichen Mittelmeerraum in die westliche Einflusssphäre eingebunden. Auch Zypern wurde nicht explizit genannt, galt aber als britische Kolonie klar als Teil des westlichen Machtblocks.
Der Deal war für beide Seiten vorteilhaft: Großbritannien konnte seine Dominanz in Griechenland sichern, ohne militärische Konfrontationen mit der Sowjetunion zu riskieren, während Stalin im Gegenzug weitgehende Kontrolle über Rumänien, Bulgarien und andere Staaten im sowjetischen Hinterhof erhielt. In jenen Ländern, die die sowjetische Seite offiziell dem Westen überließ, hielten sich kommunistische Parteien mit Rückendeckung aus Moskau vom bewaffneten Widerstand fern. Die Sowjetführung verzichtete dort auf direkte Unterstützung linker Aufstände, selbst wenn dies ihrer Ideologie entsprochen hätte. Der Preis war politische Passivität in Gebieten, die nicht zur eigenen Zone gehörten, auch wenn dort kommunistische Bewegungen unterdrückt wurden.
Das Abkommen spiegelte eine machtpolitische Logik wider: Statt auf die Selbstbestimmung der Völker zu setzen, wurde hinter verschlossenen Türen ein neuer europäischer Status quo verhandelt, autoritär, antidemokratisch und imperialistisch. So konnte Großbritannien in Griechenland die Monarchie stützen, während die Sowjetunion trotz politischer Nähe zur linken Opposition untätig blieb. Eine ähnliche Zurückhaltung zeigte sie auch gegenüber Zypern, das vollständig im britischen Einflussbereich lag.
Immer wieder die NATO
Nach dem Zweiten Weltkrieg geriet das britische Empire ins Wanken, der antikoloniale Aufbruch erfasste auch Zypern. Dieser war wie auch in den meisten andern Kolonien grundsätzlich linker Natur. Die beiden NATO-Staaten Griechenland und Türkei begannen allerdings, entlang vermeintlich ethnischer Linien Einfluss zu nehmen. Griechenland unterstützte direkt oder indirekt die EOKA (Nationale Organisation der zypriotischen Kämpfer), eine nationalistische, griechisch-christlich geprägte Untergrundorganisation, deren Ziel die Enosis, der Anschluss Zyperns an Griechenland, war – unter Ausschluss der türkischsprachigen Zyprioten. Die Türkei wiederum setzte auf die Organisationen Volkan und später TMT, die vor allem die türkischsprachige Bevölkerung militarisierten und eine türkische Protektion vorbereiteten.
Trat die EOKA zwar öffentlich als militante antikoloniale Bewegung auf, war ihr Ziel mitnichten die Selbstbestimmung aller Zypriot:innen, sondern ein ethnisch exklusiver Anschluss Zyperns an Griechenland. Die Organisation genoss in der griechischsprachigen Mehrheitsbevölkerung zunächst breite Unterstützung und konnte sich auf die volle Unterstützung der orthodoxen Kirche verlassen. Ihre repressive Haltung gegenüber politischen Gegner:innen, insbesondere Kommunist:innen und Gewerkschaften, wurde jedoch schnell deutlich. Streiks wurden bekämpft, Linke und Gewerkschaftler:innen ausgeschlossen und verfolgt. Im Verlauf der Zeit wuchs die Kritik unter der griechisch-zyprischen Bevölkerung. Bald kam sie auch von konservativen Kräften, die Angst vor einer britischen Antwort in Form von Repressionen hatten. Die Mittel, zu denen die EOKA griff, waren Attentate, Sabotageakte und andere Guerillataktiken, mit denen sie neben der britischen Infrastruktur, wie Kasernen, Polizeistationen und Kommunikationsnetzen, auch Zypriot*innen ins Visier nahmen, wenn sie ihrer Einflussnahme im Wege standen oder nicht förderlich waren. Zivile Opfer wurden bewusst in Kauf genommen. Währenddessen hatte die kommunistische Partei AKEL, die Nachfolgepartei der schon 1931 von Großbritannien verbotenen KKK, sich entschieden, auf bewaffneten Widerstand zu verzichten. Stattdessen setzte AKEL auf politische Mobilisierung der breiten Basis sowie auf Streiks und Demonstrationen. Friedliche politische Veränderung durch Massenmobilisierung als Motto für langfristige gesellschaftliche Transformation wurde einer weiteren Eskalation überlegen angesehen. Internationale Diplomatie, sowie eine Orientierung an der sowjetischen Außenpolitik im Kontext des Kalten Krieges und dem „Percentage Agreement“ für ihr strategisches Vorgehen schienen nach der Unabhängigkeit 1960 sinnvoller als der bewaffnete Kampf. Der Enosis stand die AKEL dennoch wie auch die EOKA positiv gegenüber und sie unterstützte auch inhaftierte EOKA-Mitglieder. Diese Position behielt sie auch ab 1955 in der Illegalität und im unabhängigen Zypern bis 1968 bei.

Makarios III., Erzbischof und Führungsfigur des griechischsprachigen Establishments auf Zypern und später erster Präsident der Republik Zypern, war Mitgründer der EOKA. 1956 wurde er wegen deren Aktivitäten von den Briten ins Exil auf die Seychellen geschickt, was seine Rolle als Symbolfigur des Widerstands stärkte und ihm breite Sympathien einbrachte. Nach seiner Rückkehr wandte er sich, entsprechend der Stimmung in der Bevölkerung, schrittweise von der Enosis ab und suchte stattdessen einen dritten Weg. Die Idee eines unabhängigen, blockfreien Zypern wurde derzeit immer populärer. Diese Neuorientierung war auch auf den wachsenden Einfluss der kommunistischen Partei AKEL zurückzuführen, die 1970 einen historischen Wahlsieg errang, der ihr aufgrund des Präsidialsystems aber nicht wirklich zur Macht verhalf, ihre Unterstützung in der Bevölkerung aber unter Beweis stellte. Kurz nachdem der Meinungsführer Makarios sich 1968 von der Enosis verabschiedet hatte, tat auch die AKEL dies und befürwortete ein unabhängiges und blockfreies Zypern. Die AKEL war jeher eng mit Gewerkschaften verbunden, spielte eine zentrale Rolle in der zypriotischen Frauenbewegung und genoss unter der zyprischen Bevölkerung an der Basis entsprechend hohes Ansehen.
Da Makarios weiterhin an seinem Führungsanspruch festhielt, war klar, dass er dafür neue Mehrheiten benötigte. Die griechisch-nationalistische Rechte rund um Grivas war mit ihrer Idee der Enosis isoliert und fand keine gesellschaftlichen Mehrheiten mehr. Makarios war zunehmend auf die Unterstützung der Linken angewiesen und musste seine politischen Positionen anpassen. In der Bevölkerung wuchs die Zustimmung zur Unabhängigkeit und Demokratie, während sich das Enosis-Projekt zunehmend diskreditierte. Auch deshalb, weil sich in Griechenland mit der Errichtung der Militärdiktatur, der sogenannten Junta, ein autoritäres Regierungssystem etablierte. Diese Entwicklung provozierte eine Reorganisierung der nationalistischen Griechischzyprer:innen: Mit Rückendeckung der griechischen Militärjunta entstand aus der EOKA die EOKA-B, eine neofaschistische Terrororganisation, die den endgültigen Bruch mit der Türkei und die gewaltsame Durchsetzung der Enosis forderte. Von diesem Punkt an gingen die Wege von Makarios und den rechten Kräften der EOKA-B endgültig auseinander.
Zeitgleich ist die Bewertung der EOKA bis heute umstritten. Mitglieder der EOKA sind bis heute noch als Straßennamen oder Statuen auf der ganzen Insel zu finden. Die politische Rechte sieht sie als legitime antikoloniale Bewegung, verteidigt sie und sieht erst in der EOKA-B eine problematische Radikalisierung. Linke Kritiker:innen sehen schon in der ursprünglichen EOKA autoritäre, antikommunistische und nationalistische Tendenzen. Entwicklungen, die sich später in der EOKA-B nur konsequent zuspitzten.
Die EOKA-B und der Putsch von 1974
Georgios Grivas, der in Zukunft die EOKA-B prägte, war zuvor militärischer Führer der EOKA im antikolonialen Kampf und in den 1950er Jahren zunächst ein Verbündeter von Makarios als politischer und geistlicher Führungspersönlichkeit gewesen. Nach dem Bruch Makarios’ mit der Enosis verließ Grivas Zypern und ging nach Griechenland, wo er enge Verbindungen zur griechischen Militärführung aufbaute und sich zum ultranationalistischen Vordenker entwickelte.
Im Jahr 1971 kehrte Grivas mit stillschweigender Unterstützung der griechischen Militärjunta heimlich zur Gründung der EOKA-B nach Zypern zurück. Diese neue Organisation sah sich in der Tradition der alten EOKA, richtete sich aber nun offen gegen Präsident Makarios, der von der Junta und Grivas als „kommunistisch unterwandert“ und als Hindernis für die Enosis betrachtet wurde. Die Junta, eng verbunden mit der NATO und insbesondere den USA, war Teil eines breiteren antikommunistischen Machtblocks, der jede Annäherung an die Sowjetunion oder eine blockfreie Positionierung Zyperns unterbinden wollte. Makarios, der sich zunehmend außenpolitisch unabhängig zeigte und auch mit dem Ostblock kooperierte, wurde innerhalb westlicher Strategiekreise – besonders in den USA – als Risiko wahrgenommen. In CIA-Dokumenten jener Zeit wurde er gar als „Castro des Mittelmeers“ bezeichnet, auch wenn er selbst als klarer Antikommunist diesen Titel wohl weder verdient, noch mit Stolz getragen hätte.
Die Situation spitzte sich ab 1973 durch den Jom-Kippur-Krieg weiter zu. Israel und eine Koalition arabischer Staaten unter der Führung Ägyptens und Syriens standen sich in einem militärischen Konflikt gegenüber. Dieser Konflikt unterstrich eindrücklich die geostrategische Bedeutung Zyperns. Als westlich kontrollierte Insel in unmittelbarer Nähe zu den Konfliktherden des Nahen Ostens war Zypern für die NATO von entscheidender Bedeutung. Die britischen Militärbasen auf der Insel ermöglichten schnelle Eingreifmöglichkeiten und Überwachungskapazitäten in der Region. In einer Phase, in der der Zugang zu Öl und die Sicherung westlicher Interessen gegenüber sowjetisch unterstützten arabischen Staaten höchste Priorität hatten, machte der Krieg deutlich: Wer Zypern kontrolliert, verfügt über einen militärischen Vorposten zur Projektion westlicher Macht im östlichen Mittelmeer in unmittelbarer Nähe zu Syrien, Ägypten, Israel und dem Libanon.
Grivas’ Rückkehr war also mitnichten nur ein persönliches Comeback, sondern Teil einer gezielten Destabilisierungspolitik, um Zypern für die NATO nutzbar zu machen. Die Putschpläne gegen Makarios hatten zwar keine offizielle NATO-Genehmigung, doch wurden sie von einem NATO-Mitglied, der griechischen Junta, umgesetzt, mit Duldung oder Unterstützung aus Washington. Für die Junta war das auch nach dem Aufstand an der Uni in Athen ein dringend benötigter außenpolitischer Erfolg. Der Putsch, der schließlich am 15. Juli 1974 durch die Nationalgarde und EOKA-B durchgeführt wurde, markierte den vorläufigen Höhepunkt dieser Eskalation. Makarios entkam während des Putsches der Ermordung durch die EOKA-B nur knapp. Nikos Sampson, bekannt für seine Beteiligung an den als „Bloody Christmas“ bekannt gewordenen Massakern 1963, übernahm das Präsidentenamt.
Fünf Tage später marschierte auch die Türkei ein, was zur dauerhaften Teilung der Insel führte. Auch für die Türkei in der Zeit nach dem Halb-Putsch von 1971 ein außenpolitischer Erfolg, um innenpolitische Krisen zu übertünchen. Die Rolle der NATO-Staaten bleibt bis heute umstritten, zwischen aktiver Einmischung, strategischem Kalkül und tatenloser Duldung.
Die britischen Reaktionen blieben halbherzig, und die USA unter Außenminister Henry Kissinger verhinderten ein Eingreifen der Garantiemächte. Der Weg war frei für die Teilung der Insel. Am 14. August 1974 begann die zweite Offensive der Türkei: Binnen zwei Tagen wurde Zypern geteilt. Hunderttausende Menschen wurden vertrieben. Die bis heute bestehende UN-Pufferzone wurde eingerichtet. Die für die NATO so wichtigen britischen Militärbasen blieben durch ein geteiltes und damit geschwächtes Zypern unangetastet.
Zwischen den Stühlen
Seither ist Zypern nicht nur geteilt, sondern auch ein ständiger geopolitischer Zankapfel. Die britischen Militärbasen bestehen weiter. Westliche Geheimdienste nutzen die Insel zur Überwachung des Nahen Ostens und unterstützen von dort aus auch den Genozid in Gaza mit ihrer strategischen Unterstützung Israels, die auch über diese Basen läuft. Die NATO agiert über Zypern, ohne dass das Land selbst Mitglied ist. In jüngster Zeit drohte sogar die libanesische Hisbollah Zypern mit Angriffen, sollte die Insel als Evakuierungsort für israelische Zivilist:innen dienen. Und im Inland bricht Angst aus, dass seine Unabhängigkeit durch Flucht- und Siedlungsbewegungen aus Israel im Süden gefährdet wird.

Zypern bleibt geopolitisch relevant, auch als potenzieller NATO-Standort. Doch einer Nutzbarmachung der ganzen Insel für regionale Mächte steht die Teilung der Insel im Wege. Weder der Block aus NATO, EU und Israel kann die Insel vollumfänglich nutzen, noch die Türkei, die in rasendem Tempo auf eine neue Konfrontation mit Israel zusteuert. Die Vorboten dafür können wir in Syrien, in dem die beiden Länder um Einflusssphären in dem zersplitterten Land streiten, beobachten, aber eben auch in Zypern. „Northern Cyprus is also an Israeli problem“, titelte die rechte israelische Zeitung Israel Hayom Ende Juli. „It is not Israel’s role or desire to liberate Northern Cyprus. […] Israel, in coordination with Greece and Cyprus, must prepare a contingency operation for liberating the island’s north.“ schrieb darin nicht irgendein wildgewordener politischer Außenseiter, sondern Shay Gal, Vizepräsident für äußere Verbindungen beim staatlichen israelischen Waffenkonzern IAI.
Ein weiteres Mal droht das ungelöste zyprische Problem, zum Trumpf im Kartendeck in den sich verändernden internationalen Dynamiken zu werden, in einer Zeit, in der alle regionalen Player Morgenluft wittern und versuchen werden, wunde Punkte zu beseitigen und Vorteile für sich herauszuschlagen.
Ein weiteres Mal droht dabei die Gesellschaft auf der ganzen Insel ins Hintertreffen zu geraten, während weder Israel, noch Großbritannien oder die Türkei sich wirklich für die Interessen der zypriotischen Gesellschaft interessieren. Solange keine gerechte, gesellschaftliche Lösung der Zypernfrage gefunden wird, wird sich diese Dynamik unaufhörlich wiederholen, für NATO und globale oder regionale Akteure praktisch, für die Gesellschaft auf der Insel eine Katastrophe. Die Frage, wie die Zukunft dieser Insel aussehen kann, lässt sich nicht durch neue militärische Bündnisse beantworten, sondern nur durch eine gerechte, demokratische Lösung der Zypernfrage und durch die Rückgabe der Entscheidungsmacht an die Menschen vor Ort.
Fotos: Privat und British Colonial Government, Public domain, via Wikimedia Commons