Innere Zeitenwende

13. September 2025

Aktuell nimmt die Diskussion über einen Neuauflage der Berufsverbotepraxis auf Länderebene wieder an Fahrt auf. Im Zuge der Expansion nach Außen samt Militarisierung im Inneren gehen die Behörden gegen sogenannte „Verfassungsfeinde“ vor. Wir haben darüber mit Werner Siebler, der in den 1980er Jahren ebenfalls von einem Berufsverbot betroffen war und Sprecher des Bundesarbeitsausschusses der Initiativen gegen Berufsverbote und für die Verteidigung der demokratischen Grundrechte​​​​​​​ ist, gesprochen.


1. Herr Siebler, die aktuelle Diskussionen in mehreren Bundesländern zu
„Regelanfragen“ für Anwärter:innen im öffentlichen Dienst laufen heiß.
Bayern war lange „Vorreiter“, jetzt ziehen Bundesländer wie Brandenburg
und Rheinland-Pfalz nach. Wie sehen sie die aktuellen Entwicklungen, die
immer wieder mit einem „Kampf gegen Rechts“ begründet werden?

Werner Siebler: Fast täglich wird in den bundesdeutschen Massenmedien irgendwo in der Bundesrepublik darüber berichtet wie an einer Neuauflage des Radikalenerlasses gearbeitet wird. In den Schlagzeilen wird suggeriert es gehe gegen die AfD, doch schaut man dann in die Texte der Gesetze oder Verordnungen sieht die Welt schon anders aus. Und ausgerechnet die SPD und die Grünen machen sich ganz besonders eifrig daran die Berufsverbote wieder hoffähig zu machen.

Insbesondere gab es am 15. Juli 2025 bundesweite Schlagzeilen mit der Ankündigung aus Rheinland-Pfalz, wo die SPD geführte Landesregierung ankündigte keine AfD-Mitglieder mehr einzustellen. Inzwischen wurde da zurückgerudert, was die Frage der Mitgliedschaft betrifft, aber dass zahlreiche linke Organisationen und auch migrantische Organisationen betroffen sind, bleibt oft unerwähnt.

Für mich stellt sich schon die Frage welchen Zusammenhang es zur aktuellen Militarisierung gibt, da gerade Rheinland-Pfalz mit Büchel und Ramstein die größten Militärbasen der USA in Europa beherbergt.

2. Einen „Radikalenerlass“ gab es bereits 1972, damals wurde er vor
allem gegen Linke in Stellung gebracht. Wie aktuell sind die Gefahren
heute?

WS: Auch der Radikalenerlass von 1972 hatte seine Vorläufer vor allem in SPD geführten Bundesländern wie Hamburg und Bremen. Doch dort wurde er auch relativ früh wieder eingestellt und es gab sogar offizielle Forschungsergebnisse, die sich mit der Demokratieschädlichkeit der Berufsverbote befassten. Vor allem auch die internationalen Proteste und Gerichtsurteile brachten die Berufsverbote gänzlich zum Gegenstand der Geschichtsforschung. Wie rechtswidrig die Berufsverbotepraxis war, bestätigen nicht nur deutsche Gerichte, sondern auch internationale Gremien wie die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) oder der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte. Die derzeitigen Entwicklungen stellen also nicht nur eine politische, sondern auch eine rechtliche Bankrotterklärung dar und scheinen dem alten Spontispruch zu folgen: „Legal-Illegal, scheißegal“, Hauptsache wir werden kriegstüchtig und jeder Widerstand wird im Keim erstickt.


3. Im Zuge der Militarisierung von Staat und Gesellschaft brauchen die
Herrschenden immer weitreichendere Mittel zur Kontrolle und Überwachung.
Sehen sie auch die neuen Bemühungen für Berufsverbote wie im Fall von
Benjamin Ruß oder Lisa Poettinger in diesem Kontext?

WS: Der Klimaaktivistin Lisa Poettinger wurde das Referendariat verweigert, unter anderem mit der Begründung, sie verwende den Begriff „Profitmaximerung“. Sie sagte dazu in einem Interview:

„Als ich das gelesen habe, musste ich schon ordentlich lachen. Von einem Ministerium, das sich um Bildung kümmert, erwarte ich mir schon mehr Differenzierung und Wissenschaftlichkeit. Wir, also der Soli-Kreis, mein Anwaltsteam und ich, haben darauf reagiert, indem wir aufgeführt haben, dass der Begriff »Profitmaximierung« ein wirtschaftswissenschaftlicher Begriff ist, der von unterschiedlichsten Ökonominnen und Ökonomen bis hin zum Papst verwendet wird.

Darüber hinaus kritisieren wir, dass eine solche Haltung seitens des Ministeriums und Verfassungsschutzes dazu dienen kann, jegliche Kritik am profitmaximierenden Wirtschaften zu kriminalisieren. Profitmaximierung verursacht aber sämtliche Krisen wie etwa Klimakrise, Faschisierung, Krieg, die Teuerung des Lebens. Es ist notwendig, dass wir uns dagegen wehren (dürfen).“

Auf der gleichen Ebene bewegt sich das Urteil des Arbeitsgerichtes München, das die Nichteinstellung von Benjamin Ruß bei der Ludwig-Maximilian Universität in München ausdrücklich absegnete mit der Begründung, er trete für ein erweitertes Streikrecht ein.

Insbesondere die Meinung von Benjamin Ruß zum Streik wertet das Arbeitsgericht als Hinweis auf seine mangelnde Verfassungstreue. Hier ein Originalzitat aus dem Urteil:

„In dem Artikel vom 26.01.2020 äußert der Kläger, dass „aufgeworfene[n] Fragen nicht innerhalb des kapitalistischen Regimes zu beantworten sind. Es braucht eine Demokratisierung der Betriebe auf Grundlage einer Arbeiter*innenselbstverwaltung und die Organisation des politischen Streiks gegen die Ausbeutung und Unterdrückung. Der Aufbau einer Partei für genau diesen Zweck ist die oberste Priorität im Kampf gegen das kapitalistische Regime.“ (Bl. 272). Diese Aussagen können so verstanden werden, dass der Kläger die geltende Rechtsordnung mit ihren Organen ablehnt („kapitalistisches Regime“) – denn die Verwendung des Wortes „Regime“ deutet regelmäßig auf eine abwertende Haltung […] – und aktiv dazu aufruft, privatwirtschaftlich geführte Unternehmen zu enteignen („Demokratisierung der Betriebe auf der Grundlage einer Arbeiter*innenselbstverwaltung“). Die vom Kläger angestrebten Änderungen sollen jedenfalls nicht nur durch parteipolitisches Handeln, sondern (auch) durch rechtswidrige Mittel erfolgen, […] „die Organisation des politischen Streiks gegen die Ausbeutung und Unterdrückung“. Dabei würde es sich um einen sog. Erzwingungsstreik zur Durchsetzung eines politischen Ziels handeln, was weit überwiegend als rechtswidrig angesehen wird […], allerdings nicht dergestalt, dass der bestehende Staat und seine Organe zu einem bestimmten Handeln „gezwungen“ werden sollen, sondern vielmehr vertritt der Kläger weitergehend die Idee, durch einen „politischen Streik“ die „Ausbeutung und Unterdrückung“ durch das „kapitalistischen Regime“ zu überwinden, sprich mit rechtswidrigen Mitteln gegen den bestehenden Staat vorzugehen, um eine neue Gesellschaftsordnung zu erreichen.“

Soweit die „Beweisführung des bayrischen Arbeitsgerichts und dieses Urteil ist rechtsgültig. Leider!

In einem UZ Interview vom 24. Januar 2025 sagte Benjamin Ruß treffend:

„Das Gericht hat daraus abgeleitet: Wer Erzwingungsstreiks will, würde auch Behörden und Unternehmen blockieren, was den Tatbestand der Nötigung erfülle und somit ein rechtswidriges Mittel darstelle. Das ist ein heftiger Angriff auf das Streikrecht. Es passt aber in den Diskurs, den wir derzeit haben. Im Zuge der Militarisierung und Aufrüstung wollen die Parteien von den Grünen über FDP und CDU bis zur AfD das Streikrecht beschränken, um die imperialistischen Interessen des deutschen Kapitals durchzusetzen. Mit solchen Urteilssprüchen hält die „Zeitenwende“ also auch Einzug in die Justiz. Da sollten wir aus gewerkschaftlicher Sicht hellhörig werden. Wenn wir uns nicht auf breiter Front dagegen wehren, wachen wir eines Tages ohne Streikrecht auf oder müssen miterleben, wie unsere Kolleginnen und Kollegen verurteilt werden, weil sie gegen den Krieg sind.“

4. Herr Siebler, welche Form von Widerstand braucht es aus der
Gesellschaft um sich diesen Entwicklungen entgegenzustellen?

WS: Mich entsetzt der Ruf nach einem starken Verfassungsschutz selbst von Leuten die bis vor kurzer Zeit eher noch kritisch waren. Diese waren auch bei den Grünen und den Sozialdemokarten zu finden, doch damit ist es wohl vorbei. Die baden-württembergische Landtagspräsidentin Muhterem Aras von den Grünen forderte nun sogar den Verfassungsschutz in die Landesverfassung aufzunehmen. Damit soll verhindert werden, dass der VS mit einfacher Mehrheit aufgelöst werden kann. Das aber fordern wir vom Bundesarbeitsausschuss gemeinsam mit zahlreichen anderen Bürgerrechtsorganisationen schon lange. Dieser Verfassungsschutz wurde von Nazis aufgebaut, war jahrzehntelang von Nazis durchsetzt und hielt seine schützende Hand über die Mörderbande vom NSU wie in den Untersuchungsausschüssen ans Tageslicht kam. Und dass bis vor kurzem ein Mann wie Hans-Georg Maaßen an der Spitze des Bundesamtes für Verfassungsschutz stand, soll nun schnell vergessen werden.

Dagegen sollte nun schnell demokratischer Widerstand organisiert werden. Unser Bundesarbeitsausschuss ist gemeinsam mit Bayerischen Bündnispartnern dabei, am 10. Oktober in München eine Solidaritätsveranstaltung zu organisieren. Dazu brauchen wir noch jede Menge Unterstützung. Erste kritische Stellungnahmen aus Gewerkschaftskreisen gibt es:

So beschloss die GEW Baden-Württemberg auf ihrer Landeskonferenz im April 2025 einen Antrag an den GEW Gewerkschaftstag im Mai in Berlin in dem festgestellt wird:

Die GEW wendet sich ausdrücklich dagegen, dass mit Formulierungen wie „Extremisten“ und „Verfassungsfeinde“ im Sinne der sogenannten „Hufeisentheorie“ dem Inlandsgeheimdienst die Deutungshoheit übertragen wird, wer und was konkret damit gemeint sein soll. Wir lassen nicht zu, dass aus politischen Meinungsäußerungen und politischen Aktivitäten strafrechtliche Folgen konstruiert werden, um Berufsverbote verhängen zu können. So hat der Landtag von Niedersachsen in einer Entschließung 2016 festgehalten, „dass politisch motivierte Berufsverbote, Bespitzelungen und Verdächtigungen nie wieder Instrumente des demokratischen Rechtsstaates sein dürfen.“ Dem schließt sich die GEW an. Die Landesdelegiertenversammlung der GEW Baden-Württemberg fordert daher: die Betroffenen der Berufsverbote in den 1970/80er Jahren sind zu rehabilitieren und zu entschädigen! Einhaltung der Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO): Politische Überzeugungen dürfen nicht zu Berufsverboten und Existenzvernichtung führen. Die GEW spricht sich gegen neue „Radikalengesetze und -erlasse“ aus! Etwaige Überlegungen zu Regelabfragen und ‚verdachtsunabhängigen Prüfverfahren‘ werden von der GEW BW abgelehnt! Die GEW fordert, die Diskussion und Behandlung der Forschungsstudie zum Radikalenerlass der Universität Heidelberg im Baden-Württembergischen Landtag. Leider konnte dieser Antrag beim Gewerkschaftstag aus Zeitgründen nicht mehr behandelt werden und liegt nun beim GEW Bundesvorstand.

Deutlich und unmissverständlich hat es die neue verdi.-Landeschefin aus Baden-Württemberg, Maike Schollenberger, auf den Punkt gebracht.

„Wir brauchen keine Berufsverbote 2.0 mit Listen, in denen Menschen, die sich für eine gerechtere Gesellschaftsordnung engagieren, gleichgesetzt werden mit Faschisten, die die Demokratie abschaffen wollen.“