Wer sich dem Kampf entzieht, steht ausserhalb der Geschichte – Interview mit Muhammad Hashisho

3. Juli 2025

 

Revolutionäre Kräfte im Libanon und in Palästina kämpfen schon seit vielen Jahrzehnten Seite an Seite gegen die Besatzungspolitik Israels. Ihre Praxis und ihre Perspektiven sind innerhalb der revolutionären Linken in Europa, insbesondere im Deutschsprachigen Raum wenig bekannt. Viele Parteien und Organisationen haben den bewaffneten Kampf aufgegeben, die revolutionäre Linke im Libanon spaltet sich an dieser Frage. Die Popular Democratic Party (PDP) ist eine revolutionäre kommunistische Organisation, die im Jahr 1972 gegründet wurde und an bewaffneten Kämpfen im libanesischen Bürgerkrieg und gegen die israelische Besatzung beteiligt war. Anders als andere linke Parteien hat sie sich nie vom bewaffneten Kampf zur Verteidigung der Souveränität des Libanons und zu der Befreiung von Palästina losgesagt. Die Partei versteht sich als libanesische und palästinensische Organisation und verbindet in ihrem Programm den Kampf die Befreiung Palästinas und für das Recht auf Rückkehr für alle Palästinenser:innen, mit einer revolutionären Perspektive im Libanon. Damit stellt sie die Palästinafrage ins Zentrum ihrer Aktivität. Dieses Interview wurde am 23. Juni mit Muhammad Hashisho in Beirut im Kontext der anhaltenden zionistischen Aggression gegen den Iran und den Libanon geführt.

Frage: Muhammad, danke, dass du dir die Zeit für dieses Interview nimmst. Du bist Generalsekretär der PDP. Die Partei ist in der revolutionären deutschsprachigen Linken nur wenig bekannt. Kannst du uns zum Einstieg mehr über die Entstehung und aktuelle Praxis der DPP erzählen.

Antwort: Die PDP wurde 1972 gegründet. Wir sind eine marxistisch-leninistische Partei, deren Fokus seit der Gründung die Befreiung Palästinas war. Wir sind eine palästineneische, libanesische Partei, unser Programm konzentriert sich neben dem Kampf für die Befreung Palästinas auf soziale und Klassenkämpfe im Libanon. Wir beteiligen uns an Klassenkämpfen und sozialen Konflikten in allen gesellschaftlichen Sektoren und sind auch Teil des militärischen Widerstandes im Libanon. Wir haben am libanesischen Bürgerkrieg teilgenommen, den wir als Befreiungskrieg verstanden haben, um den zionistischen Interventionen im Libanon entgegenzutreten. Wir waren zudem ein integraler Bestandteil der Libanesischen Nationalen Befreiungsfront zur Befreiung der besetzten libanesischen Gebiete. Zudem sind wir tief im Arbeiter:innenkampf verwurzelt. Unsere Erfahrungen reichen bis in verschiedene Regionen des Libanon, in denen wir uns an Volkskämpfen beteiligt haben. Wir haben während und nach dem Krieg Volkskomitees mit aufgebaut, Genossenschaften für Bauern unterstützt, Alphabetisierungskampagnen für ältere Menschen organisiert und Aktivitäten für Kinder, Ferienlager und andere soziale Initiativen durchgeführt. In Saida, einer Küstenstadt südlich von Beirut unterhält die PDP seit 1985 eine Volksklinik, in der täglich Menschen behandelt werden. Seit der Corona Pandemie organisiert die PDP auch eine Volkskantine, in der täglich über 300 Mahlzeiten zubereitet werden. Während dem Krieg im Oktober und November 2024 gab es in Saida viele Flüchtlinge aus dem Süden des Libanons, weswegen wir täglich für über 1000 Menschen gekocht haben. Die PDP finanziert ihre sozialen Aktivitäten ausschliesslich über private Spenden um nicht in Abhängigkeit von NGOs zu geraten. Die PDP ist also Teil eines umfassenderen Kampfes – sowohl in der Region als auch weltweit.

Frage: Du hast erwähnt, dass die palästinensische Sache zentral für die Partei ist. Im Libanon leben über 400 000 Palästinenser:innen, die meisten davon in den 12 Flüchtlingslagern im Land. Seid ihr in den Lagern präsent und wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit verschiedenen palästinensischen Fraktionen?

Antwort: Wir arbeiten auf zwei Ebenen mit den Palästinenser:innen zusammen. Erstens pflegen wir enge Beziehungen zu den palästinensischen Widerstandsfraktionen, insbesondere zu denen, die unsere Vision von der Befreiung Palästinas teilen. Wir haben keinerlei Beziehungen zu Fraktionen, die dem Oslo-Abkommen, Verhandlungen oder Normalisierungsprojekten mit Israel folgen. Zweitens kämpfen wir für palästinensischen soziale und politische Rechte für Palästinenser:innen im Libanon. Leider vernachlässigen einige palästinensische Fraktionen dies und konzentrieren sich nur auf humanitäre Fragen, obwohl der Kern des palästinensischen Kampfes ein politischer ist, insbesondere der Kampf für das Rückkehrrecht aller palästinensischen Flüchtlinge in ihre Heimat. Wir lehnen auch jegliche Versuche ab, Palästinenser:innen in den Lagern zu entwaffnen, da diese Waffen direkt mit dem palästinensischen Kampf für das Rückkehrrecht verbunden sind. Die Entwaffnung der Palästinenser:innen bedeutet, ihnen ihre Rechte zu nehmen. Wir stehen hierbei seit langem im Widerspruch zur libanesischen Regierung, die Palästinenser:innen in den Lagern ausschliesslich als Sicherheitsproblem betrachtet – anstatt der politischen Dimensionen anzuerkennen.

Frage: Mahmoud Abbas hat den Libanon Ende Mai besucht um mit der Regierung über die Entwaffnung der Lager zu diskutieren. Wie sieht die Entwaffnung in der Praxis aus? Findet diese statt und wie organisiert sich der Widerstand dagegen?

Antwort: Die eigentliche Gefahr hinter diesem Besuch bestand darin, dass er darauf abzielte, interne palästinensische Konflikte innerhalb der Lager zu schüren. Abbas kam in den Libanon, ohne die palästinensischen Fraktionen hier zu konsultieren. Er weiss sehr genau, dass die Entwaffnung der Palästinenser:innen in den Lagern ein äusserst kompliziertes Thema ist. Selbst die libanesische Regierung ist auf so einen Schritt nicht vorbereitet – besonders nach den Erfahrungen mit dem Flüchtlingslager Nahr al-Bared (Anm.: Nahr al-Bared wurde 2007 zerstört, nachdem es dort eine über 100-tägige bewaffente Auseinandersetzungen zwischen salafistischen Gruppen im Lager und der libanesischen Armee kam. Das Lager wurde geschlossen und über 30 000 Palästinenser:innen in ein anderes Camo umgesiedelt. Infolgedessen beschlossen die libanesische Armee und Regierung, keine Lager im Libanon mehr zu betreten). Abbas weiss das genau. Die in der Öffentlichkeit geführte Debatte um die Entwaffnung der Camps hat das Ziel künstlich eine Stimmung in der libanesischen Gesellschaft zu kreieren und so eine Krise herbeizuführen.

Frage: Du hast erwähnt, dass die PDP neben dem Kampf und der Organisierung in verschiedenen gesellschaftlichen Sektoren – Teil des bewaffneten Widerstandes gegen das zionistische Regime ist. Welche strategische Bedeutung misst die PDP dem militärischen Kampf zu?

Antwort: Es ist notwendig und natürlich, dass wir Teil des bewaffneten Widerstands sind, wenn unser Heimatland vom zionistischen Feind angegriffen wird. Revolutionär:innen und progressive Parteien dürfen sich nicht nur mit sozialen Fragen befassen. Wir sehen eine dialektische Beziehung zwischen sozialen Kämpfen im Land und nationaler Befreiung – besonders im Globalen Süden. Man kann keine repressiven Regime oder das imperialistische System bekämpfen, ohne sich direkt mit den Herrschenden und Imperialisten auseinanderzusetzen. Deshalb beteiligen wir uns am nationalen Befreiungskampf auf Grundlage einer Klassenanalyse – und am Klassenkampf auf Grundlage eines nationalen Bewusstseins. Unabhängig von der konkreten Bedrohung gilt: Jede Gefahr für das Heimatland und das Volk bedeutet, dass wir uns an dessen Verteidigung beteiligen müssen. Selbstverständlich berücksichtigen wir dabei die spezifischen Bedingungen und damit verbundenen Prioritäten jeder historischen Phase. Wir handeln nicht auf Grundlage politischer Glücksspielerei, sondern auf Grundlage von Verantwortung.

Frage: Seit den 1990er-Jahren beobachten wir einen weltweiten Niedergang der revolutionären Linken. Im Nahen Osten ist dieser Niedergang verbunden mit dem Aufstieg von islamischen Widerstandskräften. Ihr kämpft als Kommunist:innen im Libanon in einer gemeinsamen Front mit islamischen Widerstandskräften. Wie analysiert ihr als kommunistische Partei diese Entwicklung und welche Herausforderungen stellen sich dabei?

Antwort: Die Linke steckt in einer tiefen Krise – nicht nur im Libanon, sondern in der gesamten Region und weltweit. Die wichtigsten Ursachen hierfür liegen im Zusammenbruch der Sowjetunion und in den Normalisierungsabkommen zwischen arabischen Regimen und der zionistischen Besatzungsmacht. Auch die militärische Präsenz der USA in der Region nach dem Golfkrieg und der Invasion des Irak spielt eine zentrale Rolle. Die meisten europäischen Linken haben sich von revolutionären Positionen hin zur Sozialdemokratie bewegt. Wir haben Moskau verloren – und wegen dem Reformismus zudem auch viele revolutionäre Linke in Europa. Der Zusammenbruch der Linken und die anhaltende Aggression durch Zionisten und Imperialisten haben ein Vakuum geschaffen, welches islamische Widerstandsbewegungen gefüllt haben. Sie haben sich der zionistischen Besatzung entgegengestellt. Leider hat das die traditionelle Linke nicht ausreichend motiviert, ihre Rolle im Widerstand wieder einzunehmen. Unsere Partei hat zahlreiche Initiativen für eine Vereinigung der libanesischen Linken gestartet, doch leider waren diese bisher nicht erfolgreich. Einige linke Parteien im Libanon und in der arabischen Welt sind nicht wirklich Teil einer antiimperialistischen Front. Manche stellen sogar Israel und den Iran auf dieselbe Stufe – als angeblich gleich gefährliche Projekte –, was eine effektive Konfrontation schwächt. Die Krise der Linken ist zudem auch theoretischer Natur: Der Verzicht auf wissenschaftliche, materialistische Konfliktanalysen hat den Imperialisten Tür und Tor geöffnet – etwa durch die NGO-Industrie. Linke Parteien und Massenorganisationen wurden zu NGOs, welche von imperialistischen Regierungen finanziert werden und damit die Linke unterwandern. Leider sind zahlreiche Organisationen in diese Falle getappt.

Frage: Seit dem 7. Oktober beobachten wir starken Widerstand in Palästina und wachsende Solidarität weltweit – besonders in Europa. Hat das Einfluss darauf, wie die Linke hier wahrgenommen wird? Sehen Sie eine Chance für den Wiederaufbau einer revolutionären Linken im Libanon und in der Region?

Antwort: Es ist vielleicht etwas ironisch, aber die revolutionäre Linke in Europa und den USA hat die Gelegenheit des 7. Oktober stärker ergriffen als die traditionelle Linke in unserer Region. Einige Linken Organisationen in der Region betrachten den 7. Oktobervon als Wendepunkt, während andere daran zweifeln, ob dieser Tag die Lage wirklich verändern konnte. Die islamischen Widerstandsbewegungen sehen den 7. Oktober zu Recht als grossen Erfolg. Trotz Meinungsverschiedenheiten gibt es mit der islamischen Widerstandsbewegung auf dem Schlachtfeld keinen Widerspruch. Wir alle wollen Palästina befreien. Leider hat der 7. Oktober die traditionelle Linke hierzulande nicht einmal einen Zentimeter vorangebracht. Wir glauben, dass die Konfrontation mit Imperialismus und Zionismus neue Werkzeuge, Kräfte und Führungspersönlichkeiten hervorbringen wird. Wie wir es in Europa sehen, wo neue radikale linke Gruppen entstanden sind, beobachten wir ähnliche Bewegungen auch im Libanon und in der arabischen Welt seit dem 7. Oktober.

Frage: Wie reagiert Ihre Partei auf diese neuen Entwicklungen und Gruppen? Gibt es praktische Zusammenarbeit?

Antwort: Seit unserer Gründung im Jahr 1972 ist die Einheit der kommunistischen Bewegung einer unserer zentralen Slogans. Derzeit bereiten wir die Vereinigung unserer Partei mit der Arabischen Sozialistischen Partei im Libanon vor. Wir haben gemeinsame Erklärungen veröffentlicht und bewegen uns auf Einheit zu, während andere leider in Richtung Spaltung gehen. Wir führen einen Dialog und koordinieren uns mit neuen Gruppen. Das führt nicht immer zu vollständiger Einheit – aber zumindest bauen wir Dialogstrukturen auf. Mit manchen Gruppen arbeiten wir an einzelnen Themen zusammen, mit anderen an mehreren. Die Nationale Initiative zur Georges Abdallah ist ein Beispiel dafür.

Frage: Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und dem Aufstieg der Sozialdemokratie in Europa hat die Linke einen wichtigen Anker verloren. Gleichzeitig bringt der palästinensische Befreiungskampf neue Energie in die globale Linke. Wie bewertest du den neuen Internationalismus und die Rolle der westlichen Linken im Kampf um Palästina und die Region?

Antwort: Der Aufstieg der Solidaritätsbewegung mit Palästina nach dem 7. Oktober ist nicht ausschließlich auf die traditionelle Linke zurückzuführen, sondern vielmehr Ausdruck einer neuen Kraft. Die palästinensische Sache hat die Menschen auch dazu inspiriert, sich um ihre eigenen lokalen Kämpfe zu organisieren. Dieses Umfeld kann helfen, eine breitere Bewegung aufzubauen und den Kampf auf eine neue Stufe zu heben. Der Kapitalismus hat es erfolgreich geschafft, die Menschen von der Politik zu entfremden – doch nun sehen wir, wie sie über direkte Konfrontationen mit den hegemonialen Mächten wieder zur Politik zurückfinden. Die revolutionäre Linke in Europa spielt dabei eine wichtige Rolle, indem sie die palästinensische Sache in ihren natürlichen Kontext einbettet – als Teil des Kampfes gegen Kolonialismus und Imperialismus. Weltweit beobachten wir außerdem eine neue Welle im Kampf gegen den Faschismus. Leider sind diese Dynamiken in unserer Region noch nicht voll angekommen. Wir glauben, dass die Kämpfe in Palästina, im Libanon und in der gesamten Region Teil der Neuordnung des globalen Systems sind – und wir sind aktiv daran beteiligt. Wer sich diesem Kampf entzieht, steht ausserhalb der Geschichte.