Zwischen Blut und Bomben, während Propagandamedien auf beiden Seiten – ob israelisch oder islamistisch – nur von Krieg und Zerstörung sprechen, erhebt sich im Iran eine dritte Stimme: die der Zivilgesellschaft. Trotz Repression und Raketen positioniert sie sich klar gegen Krieg und Diktatur. Die Hoffnung auf „Jin, Jiyan, Azadî“ lebt weiter – selbst unter den Trümmern.
A. Masoudi
Von Anfang an war klar: Ein auf Repression, Ungleichheit und Korruption gegründetes System hat kein
dauerhaftes Fundament. Über vier Jahrzehnte nach der Gründung der Islamischen Republik ist das
Regime in Teheran innerlich verfault, politisch bankrott und unfähig, die elementaren Bedürfnisse der
Bevölkerung zu erfüllen.
Diese tiefgreifende Legitimationskrise trifft auf eine sich rasant wandelnde Weltordnung: Die globale
Konfrontation zwischen den USA und China spitzt sich zu – und der Nahe Osten rückt als
geopolitischer Brennpunkt ins Zentrum. Israel spricht offen von einer Neuordnung der Region – und
setzt diese mit militärischer Gewalt und Kriegsverbrechen durch. Saudi-Arabien, gestützt von
westlichem Kapital, soll zum regionalen Zentrum einer neuen, US-geführten Wirtschaftsordnung
werden. Für ein unabhängiges, selbstbestimmtes Iran ist in diesem Kalkül kein Platz. Europa, die G7
und weitere Machtzentren senden inzwischen deutliche Signale: Die Ära der Islamischen Republik soll
enden.
Israel hat den Krieg begonnen – das Volk zahlt den Preis
Israel hat bereits mit dem Krieg begonnen: Mit gezielten Bombardierungen auf Infrastrukturen, mit
Drohungen gegen Teheran und mit Sabotageakten im Innern eskaliert Tel Aviv die Lage – nicht primär
gegen das Regime, sondern gegen das ganze Land.
Weder Regierung noch Bevölkerung sind auf einen Krieg vorbereitet. Es gibt keine Luftschutzräume,
keine Notfallpläne, keine gesicherte Versorgung mit Lebensmitteln oder Energie. Selbst in
Friedenszeiten versagt die Islamische Republik – in der aktuellen Krise konzentriert sie sich
ausschließlich auf Repression: Verhaftungen, Hinrichtungen, Internetabschaltungen.
Die Wahrheit ist bitter: Für dieses Regime hat das Leben der Menschen keinen Wert. Allein der
Machterhalt zählt.
Gleichzeitig demonstriert Israel offen seine Missachtung jeglichen menschlichen Lebens. Die
systematische Zerstörung lebenswichtiger Infrastruktur – ob in Gaza, Beirut oder nun in Teheran – folgt
einer Logik der vollständigen Auslöschung. Nicht nur das Regime, auch das Land selbst soll ins Visier
genommen werden.
Die Angriffe auf Raffinerien, Wohngebiete und Kommunikationszentren sprechen eine deutliche
Sprache.
Erste Zeichen des Widerstands – die Zivilgesellschaft steht auf
Bereits zwei Tage nach Beginn der Angriffe auf iranisches Territorium formierte sich die iranische
Zivilgesellschaft – gegen die Kriegsverbrechen Israels wie gegen die Eskalationsstrategie des Regimes.
Zu den ersten Stimmen gehörten prominente Aktivistinnen und Künstlerinnen wie die
Friedensnobelpreisträgerinnen Narges Mohammadi und Shirin Ebadi, die Frauenrechtlerin Sedighe
Vasmaghi, der Anwalt Abdolfattah Soltani, die Menschenrechtsaktivistin Shahnaz Akmali (Madaran-e
Dadkhah), sowie die international ausgezeichneten Regisseure Jafar Panahi und Mohammad Rasoulof.
Wichtige Organisationen wie die Lehrerinnengewerkschaft Anjoman-e Senfi-ye Moalleman, der
traditionsreiche Schriftstellerverband Kanun-e Nevisandegan-e Iran, das Busfahrerinnen-Syndikat ,
die Frauenkollektiv aus Balutschistan, die Gewerkschaft der Haft-Tapeh-Arbeiter schlossen sich an.
Auch Einzelpersonen wie der Soziologe Mostafa Mehraeen (kurz nach seiner Stellungnahme
verhaftet), Fußballstar Ali Daei, die Aktivistin Parastou Forouhar oder der politische Gefangene
Mostafa Tajzadeh meldeten sich zu Wort.
Ihr gemeinsames Signal: Dieser Krieg dient weder der Demokratie noch der Freiheit oder
Gerechtigkeit. Israel begeht Kriegsverbrechen, das iranische Regime opfert die eigene Bevölkerung –
beide Seiten gefährden die Zukunft des Landes. Die Zivilgesellschaft fordert einen sofortigen
Waffenstillstand und eine demokratische Lösung aus dem Inneren Irans.
Während sich sogenannte „Reformer“ hinter das Regime stellen und exilierte Monarchistinnen in Kalifornien offen Israels Krieg unterstützen, versucht die Zivilgesellschaft, einen dritten Weg aufzuzeigen: Widerstand gegen Repression und Krieg – aus emanzipatorischer, iranischer Perspektive. Klassenfrage im Schatten des Krieges Die soziale Ungleichheit im Iran wird im Krieg noch sichtbarer: Während wohlhabende Familien aus den reichen Vierteln Teherans über Mittel und Kontakte verfügen, um zu fliehen, bleiben Arbeiterfamilien in den Vororten schutzlos zurück – ohne Geld, ohne Transportmittel, ohne medizinische Versorgung. Klassenzugehörigkeit entscheidet im Ernstfall über Leben und Tod. Auch in der Diaspora zeigen sich tiefe Gräben: Während reiche Monarchistinnen in Kalifornien lautstark Netanyahu unterstützen, stellen sich iranische Studierende, Arbeiterinnen und große Teile der Mittelschicht weltweit klar gegen den Krieg. Noch vor wenigen Wochen gingen LKW-Fahrerinnen im ganzen Land in einen der größten Streiks der letzten Jahre. Der Krieg droht, diese sozialen Kämpfe auszulöschen – zum Vorteil reaktionärer Kräfte und korrupter Oligarchien innerhalb des Systems.
„Jin, Jiyan, Azadi“ lebt – trotz Bomben und Gewalt
Die Bewegung „Frau, Leben, Freiheit“ ist nicht vorbei – und nicht vergessen. Frauen, Kurdinnen,
Belutschinnen, queere Menschen, Arbeiter*innen, die Mittelschicht und vor allem die junge Generation
sehen in ihr weiterhin die historische Chance für ein freies, gerechtes und demokratisches Iran.
Doch dieser Krieg bedroht alles, was in den letzten Jahren mühsam aufgebaut wurde.
Foto: By Darafsh – Own work, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=123177340