Von Deutschland bis in den Sudan – Teil I

28. Januar 2025

Kooperation von LCM und Al-maidan

Dieser Text ist als eine Einführung von europäischen Linken für europäische Linke gedacht und soll am Anfang unserer Kooperation mit der sudanesischen Zeitung „Al-Maidan“ stehen. Diese wird von der Kommunistischen Partei des Sudan (SCP) herausgegeben. Wir sind der festen Überzeugung, dass der internationalistische Austausch mit unseren Genoss:innen weltweit die Grundlage einer globalen Perspektive bildet, ohne die wir die heutige Welt nicht mehr verstehen können. Deswegen freuen wir uns euch ankündigen zu können, dass ab Ende Februar monatlich Analysen und Zusammenfassungen der Al-Maidan-Redaktion auf unserem Blog erscheinen werden.


 
Al Maidan (Majdan, Meidan, Meydan) bedeutet auf Arabisch, Persisch, Urdu, türkisch, Ukrainisch und Indonesisch „Markt- oder Versammlungsplatz“ 



Im Sudan tobt ein blutiger Krieg, über den in Europa und besonders in Deutschland wenig zu hören oder zu lesen ist. Aktuelle Schätzungen gehen im Konflikt zwischen Armee (Sudanese Armed Forces; SAF) und Rapid Support Forces (RSF) von über 150.000 Toten aus. Die Bevölkerung hungert seit Monaten. Und die internationale Hilfe ist nicht nur finanziell unzureichend, sondern steht auch vor enormen logistischen Problemen. In der Hauptstadt sowie in den Regionalhauptstädten im Westen wurden wichtige Infrastrukturen zerstört. Die Kampfhandlungen dauern an und Bemühungen um Feuerpausen scheiterten nicht zuletzt am politischen Willen der Anführer und der mangelnden Disziplin der kämpfenden Verbände. Während es in Khartum zu gezielten Vertreibungen und Plünderungen gegen die Zivilbevölkerung kam, werden im Westen des Landes seit 2 Jahren Massaker verübt.

Allgemein besteht hierzulande wenig Wissen um das flächenmäßig drittgrößte Land Afrikas, das ca. 50 Millionen Einwohner und eine lange Geschichte von Unterdrückung, Sklaverei, Konflikten und Massakern hat. So wurde das Gebiet des heutigen Sudan von Ägypten 1821 erobert und kolonisiert. Das Ziel der Ägypter war es, vorwiegend schwarze Sudanesen unter Zwang für ihre Armee zu „rekrutieren“. Später wurde das Land von einem ägyptisch-britischen Kondominium verwaltet. Da Ägypten wegen des Baus des Suezkanals hochverschuldet und unfähig zu einer eigenen Außenpolitik war und unter dem Einfluss des British Empires stand, lag die de facto Kontrolle über den Sudan in der Hand der Briten. So stellten die Briten die Gouverneure der Provinzen, während die Ägypter die Verwaltung der Distrikte übernahmen. Zwischen 1914 und 1922 wurde Ägypten zeitweise britisches Protektorat, später beherrschte es den Sudan wieder zusammen mit den Briten unter der Verwaltung des Kondominiums. 1956 erhielt der Sudan als eines der ersten afrikanischen Länder seine Unabhängigkeit von der ägyptisch-britischen Herrschaft.
 
Wichtige urbane Zentren sind neben den regionalen Hauptstädten Nyala, Port Sudan, el Obeid, el Fashir, Kassala, Wad Madani und el Geneina die bevölkerungsreichen Städte Khartum, sowie das benachbarte Omdurman. Es lässt sich sicherlich behaupten, dass der längste Fluss der Welt, der Nil, als Lebensader für die sudanesische Landwirtschaft und den Handel eine herausragende Bedeutung einnimmt. Nicht zufällig liegt mit der Metropolregion Khartum/Omdurman das wirtschaftliche, politische und kulturelle Zentrum am Zusammenfluss des weißen und des blauen Nils.
 
Geschichtlicher Hintergrund: von Kolonialismus und Kriegen
 
1898 wohnte Winston Churchill als kämpfender Soldat und Kriegsreporter der Schlacht um Omdurman bei. Die Briten schlugen zusammen mit den verbündeten Ägyptern eine der erfolgreichsten anti-kolonialen Widerstandsbewegungen nieder: den Mahdi-Aufstand. Die Mahdisten hatten sich gegen die ägyptische Fremdherrschaft erhoben und ab 1885 Teile des Landes erobert. Die Schlacht von Omdurman 13 Jahre später stellte jedoch einen Wendepunkt dar. Hier wurde die Schlagkräftigkeit einer neuen Generation von europäischen Waffen wie (Maschinen-)Gewehren und Artillerie erprobt. Das Töten im Kampf war längst zum industriellen Massakrieren geworden. Die britisch-ägyptischen Verluste waren mit 48 Toten und 428 Verwundeten extrem gering im Vergleich zu den 8.000 bis 10.000 getöteten Soldaten der Mahdisten bei über 15.000 Verletzten.

Während im kollektiven Gedächtnis Europas das Bild des Maschinengenwehrs als Mittel des Massenmords erst in der Erinnerung an die Stellungskriege des ersten Weltkrieg auftaucht, hatte diese Innovation des Tötens hier schon kurz vor Beginn des 20. Jahrhunderts ihren spektakulären Auftritt als Massenvernichtungswaffe. Die Briten besiegten die Mahdisten und es war klar, dass sie den riesigen Landstrich zwischen Ägypten und Uganda/Kenia auf Jahrzehnte beherrschen sollten. Maschinengewehre sind auch heute noch ein Fluch für den zivilen Sudan. Entscheidend für die britische Hegemonie waren außerdem Dampfschiffe und der Bau der Eisenbahn, denn so konnte die Logistik des Heeres und die zivile Versorgung organisiert werden.
 
Es folgten über 50 Jahre der britisch-ägyptischen Kolonialherrschaft, die ähnlich wie in anderen Teilen des Empires durch eine Strategie des „Teilen und Herrschens“ stabilisiert wurde. Stammesführer wurden mit politischer Macht und Privilegien ausgestattet. Wo die neuen Herrscher keinerlei Strukturen vorfanden, die anschlussfähig für das System der britischen „Indirect Rule“ gewesen wären, wurden diese kurzerhand künstlich erschaffen. Vereinfacht gesagt wurden unter anderem die historisch gewachsenen Unterschiede zwischen dem afrikanisch geprägten Südens und dem stärker arabisierten und islamisierten Norden gegeneinander ausgespielt. Nach der Unabhängigkeit des Sudan wuchsen sich diese kulturellen und religiösen Gegensätze zu mehreren bewaffneten Konflikten und Bürgerkriegen zwischen Nord und Süd aus.
 
Unabhängigkeit und Pan-Arabismus

Die Geschichte des jungen unabhängigen Staates war gezeichnet von politischer Instabilität, mehreren Militärputschen und Jahrzehnten der autoritären Herrschaft. Ähnlich wie in Ägypten und Syrien waren die 1970er Jahre nach einem erneuten Militärputsch von einem autoritären panarabisch-sozialistischen Ein-Parteien-System geprägt. Die politische Ideologie war jedoch eher im post-kolonialen Nationalismus als im Kommunismus zu finden, was sich auch in der Verfolgung der Kommunistischen Partei äußerte. Der starke Mann Gaafar Nimeiry verfolgte gegen Ende seiner Herrschaft eine konservative Politik und führte 1983 sogar die Scharia ein. Im Bündnis mit der Muslimbruderschaft erklärte er eine islamische Revolution bei der unter anderem abertausende Liter Alkohol in den Nil geschüttet wurden. Nachdem Nimeiry nach 16 Jahren an der Spitze dieses System gestürzt wurde, folgte von 1985-1989 eine demokratische Periode.
 
Die Diktatur von Al Bashir und der Völkermord von Darfur

1986 wurden freie Wahlen abgehalten. Doch wirtschaftliche Probleme und der andauernde Bürgerkrieg im Süden des Landes ermöglichten den Militärputsch von Omar al-Bashir. Es folgten bleierne Jahre islamistisch-militaristischer Terrorherrschaft. Al-Bashir weitete die Scharia als rechtliche Grundlage für das ganze Land aus und verschärfte die Regelungen. Die Opposition wurde brutal unterdrückt und die Rechte der Frauen beschnitten. Um weiterhin die zentralistische Autorität Khartums über den Rest des Landes auszuüben, schuf al-Baschir mit den „Janjaweed“-Milizen eine völkermörderische Truppe, die auf sein Geheiß Sezessionsbestrebungen mit einer Politik der verbrannten Erde bekämpfte. Diese Form der „billigen Aufstandsbekämpfung“ beinhaltete Sippenhaft, Folter, Plünderungen und Brandschatzen sowie Vergewaltigung und Massaker. Diese Strategie spitzte sich zwischen 2003 und 2005 im Westen des Landes im Genozid von Darfur zu. Oftmals wird von den Massakern in Darfur als erstem Genozid des 21. Jahrhunderts gesprochen. Die Täter von Darfur, die Janjaweed, wurden in der Folge stärker in die Armee eingegliedert und in Rapid Support Forces umbenannt. Trotz der Integrationsbemühungen blieben die RSF mit ihrem Anführer Dagolo, auch als Hemedti bekannt, ein Staat im Staat. Im Kontext des sogenannten Khartum-Prozesses 2015 erhielt die RSF dann sogar Ausbildung und Gelder aus der EU, um die illegalisierte Migration nach Europa effektiver einzudämmen.
 
Doch auch schon vor dem Genozid in Darfur wurde 1992 ein mörderischer Dschihad gegen die Nuba im Süden des Landes ausgerufen. Nach einem langen und brutalen Krieg wurde jedoch klar, dass die Truppen des Nordens die Nuba Berge und die Guerilla der SPLA (Sudan Peoples Liberation Army) nicht bezwingen konnten. 2013 fand der militärische Konflikt eine politische Lösung und der Süd-Sudan wurde unabhängig. Jedoch wurde der jüngster Staat der Welt direkt im Anschluss von einem 5jährigen Bürger- und Bruderkrieg erschüttert. Hier kämpften ehemalige Waffenbrüder entlang politischen und ethnischer Linien gegeneinander, wieder einmal ging es um Macht und Pfründe.
 

Sudanesische Kommunistische Partei
 

Sudanese-Professionals-Association
 
Kommunisten, Gewerkschafter und die Revolution von 2018-19

Doch der Sudan besitzt auch eine stolze sozialistische Tradition, die sich unter anderem aus dem Bewusstsein der Eisenbahnarbeiter entwickelte; zeitweise gab es hier die größte und einflussreichste kommunistische Partei Afrikas. Diese gestaltete zu Beginn die Politik des damals noch jungen sudanesischen Staats aktiv mit. Jedoch wurde sie vom Militär lange verfolgt und 1971 von Nimeiry verboten. In der Folge musste sie lange aus dem Untergrund agieren. Doch Impulse von unten kamen nicht nur von der Partei. Lehrer, Ärzte, Journalisten, Universitätsmitarbeiter, Ingenieure, Pharmazeutiker und viele weitere qualifizierte Arbeiter organisierten sich in Komitees und Gewerkschaften. 2016 schlossen sie sich offiziell zur „Sudanese Professionals Assoziation“ (SPA) zusammen und spielten zusammen mit den Vernetzungen und Komitees der Nachbarschaften bei den Protesten gegen die Diktatur al-Baschirs eine tragende Rolle.
Denn Ende 2018 und das ganze Jahr 2019 kam es zu einer Serie von Demonstrationen und Aufständen, an denen sich weite Teile der Bevölkerung beteiligten. Al-Baschirs Herrschaft war vorbei, als sich das Militär im April temporär auf die Seite der Demonstranten stellte. Spätestens im Juni wurde jedoch klar, dass das Militär nicht zugunsten einer demokratischen Führung auf die Macht verzichten würde. Am 3.06.2019 ermordeten Armee und Rapid Support Force während des „Massakers von Khartum“ über 120 Menschen und verletzten über 650. Es wurde sogar von mindestens 70 Vergewaltigungen berichtet.

Der Krieg …

Die folgende Zeit war bestimmt von einem Ringen um die politische Macht, bei dem die demokratischen Akteure immer weiter marginalisiert wurden, bis 2023 der offene Krieg zwischen den beiden militärisch-hegemonialen Fraktionen ausbrach. Auf der einen Seite steht die Armee des Sudan, die Sudan Armed Forces (SAF) unter dem Kommando von Abdel Fattah al-Burhan, auf der anderen Seite die Rapid Support Forces (RSF) unter Führung von Mohammed Hamdan Dagolo, genannt Hemedti. Unsere Freunde von Al-Maidan beschreiben die Kriegsperiode so: „Man kann sagen, dass das Beharren der beiden Kriegsparteien auf der Fortsetzung des Krieges auf der Fortentwicklung ihrer Interessen beruht und der Krieg als Instrument zur Ausweitung ihres finanziellen und wirtschaftlichen Einflusses genutzt wird, ungeachtet der Tötung und Vertreibung von Millionen von Bürgern“. (Al-Maidan 28.11.2024)
 

…die Kultur …

Nichtsdestotrotz wurde die Revolution von einer kulturelle Hochzeit begleitet. Die erkämpfte Meinungsfreiheit wurde von der Bevölkerung gefeiert und die zivile Übergangsregierung unter Abdallah Hamdok versuchte demokratische Reformen durchzuführen. Die Armee behielt durch den „souveränen Rat“ jedoch großen Einfluss und stürzte 2021 die Regierung Hamdok, bevor diese ihre demokratischen Visionen umsetzen konnte. Wer sich für Kunst und Literatur interessiert, dem sei das gotteslästerliche Werk „Der Jesus von Darfur“ von Abdulaziz Baraka Sakin, die Geschichten der südsudanesischen Ausnahmeschriftstellerin Stella Gaitano („Endlose Tage am Point Zero“) und die Bilder Hussein Merghanis, sowie die Murals von Galal Yusif empfohlen. Doch leider geht es in diesem Artikel nicht um die schönen Künste, sondern um den schrecklichen Krieg.
 
…und die aktuelle Lage

Die Interessengegensätze zwischen SAF und RSF, sowie der Machthunger der beiden Seiten, kulmunierte während des Ramadan 2023 nach großangelegten Angriffen der RSF auf die Armee in einen Krieg, der seitdem wie ein mörderischer Schatten über dem Land liegt und die Hoffnungen auf Demokratie und Emanzipation unter sich begraben hält. Wie so oft handelt es sich auch um eine militärische Auseinandersetzung zwischen politischen Bündnissen und Räubergemeinschaften, verkörpert in den mehr oder weniger disziplinierten Milizen bzw. Armeeeinheiten. Es ist ein Kampf um die Macht und somit die Pfründe der Nation, der mit einer beispiellosen Brutalität geführt wird. 

Fotos: upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/7/7d/Sudan._LOC_2008622182.jpg

Sudanese Communist Party flag by wikimedia

ar.wikipedia.org/wiki/ملف:Sudanese-Professionals-Association-Logo.jpg

cedejsudan.hypotheses.org/3895

Schreibe einen Kommentar Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert