Die Wahl der Qual – Deutschland vor der Bundestagswahl

16. Januar 2025

In Deutschland stehen Neuwahlen bevor. Erstmals seit 20 Jahren, seit dem Ende des zweiten Schröder-Kabinetts, hat es ein Kanzler oder eine Kanzlerin nicht über die Legislaturperiode geschafft. Die sich zuspitzenden Widersprüche im multipolaren Weltsystem und ein damit einhergehender Vertrauensverlust relevanter Kapitalfraktionen sowie großer Teile der Bevölkerung lässt Olaf Scholz und die regierenden Parteien vor einem Scherbenhaufen ihrer Regentschaft stehen. Aber nicht für die herrschende Klasse, sondern für die Mehrheit der Menschen in diesem Land haben die dreieinhalb Jahre Ampelkoalition verheerende Folgen gehabt: die Inflation frisst Gehälter und Renten auf, die Preise für Grundnahrungsmittel und Heizen sind stark gestiegen, der Wohnungsmarkt ist durch ausbleibenden sozialen Wohnungsbau leergefegt und die Schere zwischen Arm und Reich hat sich immer weiter geöffnet, während die Herrschenden massiv in „Zeitenwende“ und Aufrüstung investieren.

Außenpolitische Lage


Die Jahre der Ampelkoalition waren bestimmt von einer Zunahme der innerimperialistischen Konkurrenz. Die Auseinandersetzung der imperialistischen Staaten um Märkte und Rohstoffe hat in den letzten Jahren zu einer Rekordzahl an bewaffneten Konflikten und einer dem folgenden Vertreibung von Menschen geführt. Das wiederum produziert an den Rändern des Systems zunehmend Widerstand, auch auf der nationalstaatlichen Ebene, wie wir an dem Aufschwung der BRICS-Staaten sehen können.

Diese Auseinandersetzung in der multipolaren Weltordnung bewegt sich anhand der Trennlinie zwischen zwei Lösungsmodellen für die aktuelle Akkumulationskrise des kapitalistischen Systems: Zum einen sind da die Kapitalfraktionen, welche mit einer Neuauflage des Neoliberalismus einen Green New Deal anstreben, einen neuen status quo wenn man so will, einen „Grünen Kapitalismus“ und den neokonservativen und offen reaktionären Kapitalfraktionen, welche eine rückwärtsgewandte aggressive Verteidigung der bestehenden Machtverhältnisse propagieren, einhergehend mit einem Abbau von Errungenschaften in den Bereichen Arbeit und Produktion. Zu den Ersteren gehören unter anderem große Unternehmen aus der High-Tech-Branche die von der Entwicklung neuer, „grüner“ Technologie am meisten profitieren und einen ungehinderten Fluss an Fachkräften und Wissen weltweit benötigen. Zur zweiten Fraktion gehören traditionell Chemie-, Energie- und Rüstungskonzerne, wobei wir immer stärker auch eine anarchokapitalistische Strömung mit einem Hang zu nihilistischen und faschistischen Einstellungen in der Tech-Branche, vor allem der nordamerikanischen, beobachten können.

In der Auseinandersetzung zwischen beiden und den sie vertretenden Nationalstaaten als ideelle Gesamtkapitalisten zeichnen sich die neokonservativen und reaktionären Monopole immer mehr als (vorläufige) Sieger ab und zwar im globalen Maßstab. Steigende Investitionen in Rüstung und Atomkraft, mehr Kriege, mehr fossile Energie, Abbau von Arbeitsplätzen und Beschneidung demokratischer Rechte haben zugenommen. Wir sehen wie die verschiedenen Machtblöcke ohne Rücksicht auf Verluste für die jeweiligen nationalen und internationalen Kapitale nach Investitions- und Ausbeutungsmöglichkeiten suchen, sei es in Form von Märkten, Rohstoffen oder Handelsrouten. Die Effekte auf Mensch und Umwelt sind zweitrangig, wie wir in der Ukraine, in Syrien oder in Gaza sehen können.

Deutschland als Teil des euro-atlantischen Machtblocks hat sich nach dem russischen Einmarsch in der Ukraine mehr denn je an die USA als Hegemon des kapitalistischen Weltsystems gebunden: Flüssiggas aus Nordamerika, bedingungslose Treue zur NATO und weiteren internationalen Organisationen zur Kontrolle und Durchsetzung von Herrschaft über den globalen Süden oder den Ausbau der eigene Rolle in der imperialistischen Staatenkette mit US-amerikanischen Militärbasen und der Stationierung weitreichender US-Waffen in Deutschland. Außerdem soll die deutsche Vormacht in Europa ausgebaut werden, insbesondere im militärischen Bereich. Führende deutsche Politiker:innen aus der Ampel und der Opposition fordern, dass Deutschland wieder Weltmacht werden und dafür eben auch „wehrhaft“ und „wehrfähig“ werden muss. Die staatlichen Investitionen in Rüstungskonzerne und die Wiedereinführung der (noch) freiwilligen Wehrpflicht sprechen eine deutliche Sprache.

Die Konfrontation mit den BRICS-Staaten, insbesondere mit China, wird dabei unabsehbare Folgen für die deutsche Wirtschaft und Bevölkerung haben. Die Sanktionen gegen Russland und die damit einhergehenden Teuerungen sind deutlich begrenzter als bei einem ähnlichen Konflikt mit China, insbesondere was den Export von Produkten aus den hochtechnologisierten Sektoren oder den Import von Rohstoffen und Fertigprodukten aus der Volksrepublik angeht. Nicht umsonst haben nationale Konzerne wie VW oder Bosch begonnen vor einer drohenden Eskalation im Handelskrieg mit China ihre nationalen Konzernsparten vom Mutterkonzern abzuspalten um Gegenmaßnahmen der chinesischen Regierung zuvorzukommen. Die Politik der Ampelkoalition in dieser Hinsicht bewegt sich zwischen aggressiver Zurschaustellung militärischer und wirtschaftlicher Macht und dem Versuch diejenigen nationalen Kapitale, für die China der wichtigste Markt ist, wie beispielsweise die Automobilindustrie, so lange wie möglich vor negativen Folgen einer westlichen Sanktionspolitik zu schützen.

Die deutsche Regierung verweigert es in alter Kolonialherrenmanier die Realität einer multipolaren Welt anzuerkennen, sie setzt stattdessen einerseits im Außen auf die alten Instrumente der hard und soft power im Verbund mit dem euro-antlantischen Block um ihre Interessen im globalen Süden durchzusetzen und sich Fachkräfte und Ressourcen zu sichern, im Inneren andererseits auf eine Militarisierung der Gesellschaft und ein Schüren von Rassismus und Sexismus um die eigene Machtbasis zu erhalten.

Innenpolitische Lage


Die verheerenden Folgen dieser Kanonenbootpolitik für die unterdrückte Klasse wurden oben schon kurz angerissen: Verarmung, Unsicherheit, Spaltung durch das Eindringen und die Mobilisierung reaktionärer Denkmuster, Entpolitisierung und Militarisierung.

Die Sanktionen nach dem russischen Einmarsch in der Ukraine, die damit verbundene Inflation samt Preissteigerungen im Winter 2022, die Coronafolgen, welche zu dem Zeitpunkt noch nicht ausgestanden waren, die fortschreitende Deindustrialisierung in energieintensiven Branchen samt einer Vernichtung von Arbeitsplätzen durch das (inter-)nationale Kapital wie sie seit den 1970er Jahren fast beispiellos ist und einer rigoros durchgesetzten Militarisierung der Gesellschaft samt Ausgaben für Rüstung die weit über 200 Milliarden Euro liegen, haben innenpolitisch zu einem Erstarken rechter und faschistischer Einstellungen in der Gesellschaft geführt. Um ihren Sozialkahlschlag zu kaschieren hat die vermeintlich progressive Koalition dabei oft genug auf Ressentiments in der Bevölkerung zurückgegriffen, um von eigenen Fehlern abzulenken: Kürzungen für Bürgergeldempfänger:innen, Bezahlkarte für Geflüchtete, „Abschiebeoffensive krimineller Ausländer“ und nicht zuletzt der Mythos vom importierten Antisemitismus der Geflüchteten. Die Herrschenden produzieren einfache Wahrheiten, die sie zum Konsum anbieten um über eine konstruierte nationale Schicksalsgemeinschaft Sicherheit zu versprechen und die Bevölkerung von Verarmung und sinkender Lebensqualität abzulenken. Die Amtszeit einer sozialdemokratischen Innenministerin war beispielsweise von Verschärfungen des Asylrechts wie sie sich Horst Seehofer damals gewünscht hätte samt einer Ausweitung der Repression gegen Geflüchtete, der Wiedereinführung von Grenzkontrollen an allen Grenzen oder einer Ausweitung der Befugnisse aller sogenannter Sicherheitsbehörden von Verfassungsschutz bis BKA geprägt. Ein sozialdemokratischer Kanzler ließ sich Stolz auf den Titelblättern deutscher Leitmedien mit markigen Sprüchen zu „Abschiebungen im großen Stil“ zitieren und eine selbsternannte feministische Außenministerin zählt Länder wie Israel und die Türkei zu den engsten Verbündeten, Länder die sich durch anhaltende Femizide und Genozide auszeichnen.

Die reaktionäre Dynamik erfasst dabei alle Teile der Gesellschaft und dringt tief in die Arbeiter:innenklasse ein, was nicht zuletzt die starken Zustimmungswerte zur AfD zeigen. Eine Regierung, die maßgeblich mit dem Versprechen nach einer Liberalisierung der Gesellschaft im Sinne eines Green New Deal angetreten ist und dafür gewählt wurde, hat sich unter dem Eindruck der realen Entwicklungen im kapitalistischen Weltsystem radikal zu einer Koalition des Machterhalts entwickelt. Erfolglos wurden immer mehr Positionen von den Rechten übernommen in der Hoffnung die eigene Macht und Karriere im parlamentarischen System zu retten. Dabei wurde der Nährboden gedüngt auf dem seit jeher faschistische Elemente wachsen: Angst, Armut, Entpolitisierung und Brutalisierung der Gesellschaft. Die Spaltung der Arbeiter:innenklasse und die Atomisierung der Gesellschaft wurden soweit vorangetrieben, dass Reflexe gegen eine reaktionäre Staatspolitik beinahe zum Erliegen gekommen sind. Einzig die Mobilisierungen gegen die deutsche Beteiligung am Völkermord in Gaza und die Aktionen gegen den Wahnsinn des fossilen Kapitalismus brechen zumindest Teilweise mit der Passivität und dem Rückzug weiter Teile der Gesellschaft ins Private.

Das Ende der Koalition war deshalb auch kein Wunder, es sollte allerdings klar sein, dass davon vor allem die Rechten profitieren werden. Was können wir also vor diesem Hintergrund von den bevorstehenden Neuwahlen erwarten?

Zur Einordnung wollen wir deshalb im Folgenden schlaglichtartig auf die großen relevanten Parteien und ihr Spitzenpersonal schauen.

Die Linke – endgültiger Absturz?


Der für eine linke Bewegung in Deutschland wohl nach wie vor relevantesten Partei, sei es wegen Geldern, Bündnispolitik oder ihrer parlamentarischen Arbeit, Die Linke, droht mit der kommenden Wahl das endgültige Scheitern ihrer Politik in der jetzigen Form. Schon nach der letzten Wahl stark geschwächt durch einen Verlust an Relevanz in der Arbeiter:innenklasse und einem für eine tatsächliche linke Partei unwürdigen Geschacher um Posten in einem rot-rot-grünen Kabinett, welches dann nie zustande kam, haben die zahlreichen Irrflüge im Zuge des Ukraine-Krieges, des Krieges in Gaza und interne Querelen mit dem anschließenden Austritt des Wagenknecht-Flügels zu einer Erosion der Wähler:innenbasis und einer faktischen Dominanz des rechten Parteiflügels um die einflussreichen Landesverbände aus Berlin und Bremen gesorgt. Die innerlinke Opposition ist zwar existent, konnte sich aber auf dem jüngsten Parteitag in Halle (Saale) weder mit eigenen Anträgen durchsetzen noch das neue Bild der Partei entscheidend prägen.

Die Linke präsentiert sich ohnmächtig und angesichts der geopolitischen Entwicklungen unfähig eine Orientierung für die Arbeiter:innenklasse zu sein, sondern trägt die Politik der Bundesregierung im Großen und Ganzen mit. Die Einflusssphäre der Partei ist auf ein akademisches, urbanes Milieu geschrumpft und statt einen Kampf um die Lebensbedingungen im Kontext der globalen Entwicklungen aufzunehmen, also echte Opposition zu sein, zeigt sich einmal mehr die Unfähigkeit des jetzigen Personals sich von Posten und Gehältern zum Wohle der Mehrheit loszusagen.

Das Einschwenken der neuen Parteivorsitzenden Jan van Aaken und Ines Schwerdtner auf eine oppositionelle Linie im Stile der KPÖ, samt symbolischem Verzicht auf fette Gehälter aus Berlin, bedeutet nichts anderes als die Rückkehr zu einer sozialdemokratischen Politik im eigentlichen Sinne: höhere Steuern, mehr staatliche Eingriffe, mehr Sozialausgaben.

Es bleibt abzuwarten, ob es der Partei so gelingt die am meisten unterdrückten Teile der Arbeiter:innenklasse zu erreichen und sich als echte Alternative zu verkaufen. Die Regierungserfahrungen aus Berlin oder Thüringen können dabei nur ein Klotz am Bein sein. Es scheint auf einen klassischen Wahlkampf herauszulaufen, der die Mehrheit der Arbeiter:innenklasse nicht erreichen, sprich politisches Bewusstsein schaffen kann und der infolgedessen dem Sog des rechten Kulturkampfes nur hilflose Parolen entgegenhalten wird.

BSW – echte Opposition oder Stütze des Systems?


Das Bündnis Sara Wagenknecht (BSW) hat geschafft, was seit der AfD keiner Partei mehr gelungen ist: sich gegen die etablierten Parteien durchzusetzen und relevante Teile der Bevölkerung anzusprechen. Die Partei greift dabei vor allem das Unbehagen in der Bevölkerung über die Kriegspolitik der Bundesregierung und die Bündnistreue der BRD der NATO, allen voran den USA und Israel, gegenüber auf und verwandelt dies vor allem in den östlichen Bundesländern in zweistellige Prozentsätze in fast allen Umfragen. Der Rest des Parteiprogramms ist vor allem was die Wirtschafts- und Sozialpolitik angeht vergleichsweise progressiv, allerdings schlagen in puncto Innen- und Migrationspolitik deutlich der rechte Zeitgeist und die Positionen von Sara Wagenknecht durch. Die Eintritte in verschiedene Länderregierungen wie in Brandenburg oder Thüringen lassen erhebliche Zweifel an der Ernsthaftigkeit der oppositionellen Rolle des BSW aufkommen. Sara Wagenknecht ist Selbstdarstellerin und Machtmensch, deutet immer wieder einen rechten Standortnationalismus an, der sich an der kapitalistischen Logik der Verwertung orientiert und mitnichten mit den Grundlagen des Systems brechen will. Stattdessen scheint sich das BSW eher an den Erfahrungen der sozialistischen Parteien der osteuropäischen Staaten zu orientieren, die für einen Ausgleich der Interessen von Russland und der NATO zum Wohle der jeweiligen Mehrheitsbevölkerung eintreten und Sozialprogramme über höhere Steuern finanzieren, die ansonsten aber die Bevölkerung auf einen wertkonservativen Lebensstil festlegen. Hierdurch wird das BSW weniger zum Ziel von Angriffen im Kulturkampf mit den Rechten, allerdings um den Preis, einige Positionen in Bezug auf Sicherheits- und Migrationspolitik zu übernehmen.

Die Bundestagswahl wird ein Gradmesser sein, inwieweit sich das BSW in der bundesdeutschen Parteienlandschaft etablieren kann und wie ernst es dem Führungspersonal um Sara Wagenknecht mit einer wirklichen Opposition zu den Missständen in der BRD ist.

FDP – Reserve des Kapitals


Egal wie verschwindend die Zustimmungswerte der FDP sind, die Freidemokraten und ihre Klientel sind dennoch auf Kurs. Sei es in der Ampel-Regierung oder in der Opposition, als Scharfmacher:innen was die Militarisierung der Gesellschaft angeht oder bei der Hetze gegen Migrant:innen und Bürgergerldempfänger:innen steht die FDP den rechten Parteien in nichts nach. Der alte bürgerrechtliche Flügel hat längst ausgedient, es geht gegen die Schwächsten in der Gesellschaft, eine Umverteilungspolitik der schwarzen Null von unten nach oben und die Förderung der Reichen und Superreichen stehen auf dem Programm. Dafür wird die FDP weiterhin aus dieser Klasse finanziell unterstützt, egal wie gering ihre Wahlanteile sind.

Mit der Veröffentlichung der internen Papiere vor dem Bruch der Ampelkoalition, Stichwort „D-Day“, wurde offen gelegt wie berechnend und taktisch die FDP mit politischen Richtungsentscheidungen, die breite Teile der Gesellschaft betreffen, umgeht. Das dürfte bei anderen Parteien nicht anders sein, dumm nur, dass es bei der FDP durchgestochen wurde. Ein paar Köpfe hat das ganze gekostet, Parteichef Christian Lindner als Advokat des Kapitals sitzt jedoch weiter fest im Sattel, 10% der Stimmen sollen es bei den Neuwahlen sein.

Die FDP bleibt Stichwortgeberin einer rigorosen Sparpolitik, Verbündete des transnationalen Kapitals und erklärte Gegnerin von Arbeiter:innenrechten. Vor diesem Hintergrund sind die Ergebnisse der nächsten Wahl beinahe unerheblich, die Eigenschaften der FDP werden sich nicht ändern, sie bleibt eine bei Bedarf aktivierbare Reserve des Kapitals, Mehrheitsbeschafferin für alle Schweinereien zugunsten der Reichen, ob in einer CDU-geführten Regierung oder wie zuletzt in der Ampel.

CDU – auf dem Weg zu alter Stärke


2021 noch krachend am internen Kandidatenquiz und dem lahmen Wahlkampf eines Armin Laschet gescheitert ist die CDU heute wieder stärkste Kraft in allen Umfragen. Der Vorsitzende Friedrich Merz hat in den letzten Jahren hart daran gearbeitet die CDU nach seinen Vorstellungen umzugestalten. Im Vergleich zu den eher moderaten Jahren unter Angela Merkel hat sich die CDU wieder ihren Kernthemen zugewandt: innere Sicherheit, außenpolitischer Expansionskurs, kapitalnahe Wirtschaftspolitik und rechte Agitation im Kulturkampf gegen den „grünen Mainstream“.

Mit Generalsekretär Carsten Linnemann hat Merz einen engen Vertrauten in eine mächtige Position innerhalb der Partei gebracht, der sich vor allem in der Auseinandersetzung mit Russland und beim Umgang mit Geflüchteten als Scharfmacher präsentiert. Mit dem Grundsatzpapier zur deutschen Leitkultur kehrt die CDU zu ihren Wurzeln zurück und unterstreicht ihre chauvinistische Politik in allen Bereichen. Frauen und Queers sollen sich in patriarchale Rollenbilder fügen, verschärfte Polizei- und Migrationsgesetze für Ruhe an der Heimatfront sorgen. Nebenbei wird die Wiedereinführung der Wehrpflicht gefordert, die Erhöhung der Personalstärke der Bundeswehr auf bis zu 460.000 Soldat:innen gefeiert und Geschenke ans einheimische Kapital verteilt.

Die CDU macht sich selbstbewusst auf nach knapp vier Jahren Opposition wieder als stärkste Kraft eine Regierung zu führen, am liebsten mit der FDP als Juniorpartner. Der Ex-Banker Friedrich Merz an der Spitze vereint die Eigenschaften die das Klientel der CDU schätzt: männlich, wirtschaftsnah und chauvinistisch.

Die Stärke der CDU resultiert dabei nur zu einem Teil aus der Schwäche der gesellschaftlichen Linken. Die Bundes-CDU wie die Landesverbände haben es geschickt geschafft die Themen der AfD zu übernehmen und sie authentisch zu verkörpern, dabei haben die Jahre in der Opposition wie eine Verjüngungskur gewirkt. Man könnte meinen die Altlasten der Merkel-Ära wären längst Geschichte so selbstbewusst tritt das Spitzenpersonal in der Öffentlichkeit auf. Es ist eine erfolgreiche Strategie einerseits mit den Themen und Schlagworten der AfD gesellschaftliche Ressentiments und Ängste zu stimulieren und sich andererseits als die seriöse weil christlich-bürgerliche Kraft zu inszenieren die Deutschland vor den Extremisten von Rechts und Links bewahren kann. Das wird in der Zukunft zu einer noch stärkeren Annährung an die AfD führen. Sollte die CDU die nächsten vier Jahre regieren wollen ist sie darauf angewiesen die Forderungen der oppositionellen AfD aufzunehmen sollen die Wähler:innen nicht auf die Idee kommen bei den nächsten Wahlen doch für das Original zu stimmen. Längst gibt es in der Kommunalpolitik eine Zusammenarbeit mit der AfD. Mit dem Mantra von der demokratischen Legitimation durch die Wähler:innen hält sich die CDU eine Zusammenarbeit auf Landes- und Bundesebene in Zukunft offen, einzelne Vorstöße in diese Richtung genießen allerdings (noch) nicht die Unterstützung breiterer Teile des Parteiapparats.

Das Kapital wird in den nächsten Wahlen voll auf die CDU setzen, die Linie des Green New Deal um die grüne Partei ist zu sehr in Verruf geraten als dass sie nochmal zum Zugpferd werden könnte.

Es ist unzweifelhaft, dass es eine Transformation der Schlüsselindustrien bedarf, das wird allerdings vor allem durch eine Liberalisierung von Arbeiter:innenrechten, Entlassungen und Subventionen geschehen. Die Automobilindustrie und andere energieintensive Branchen erwarten die Deckung ihrer Transformationskosten durch den Staat, eine nachhaltigere Wirtschaftsform ist nicht in Sicht. Deshalb werden u.a. Atomenergie und Rüstungsindustrie als nachhaltig und „grün“ umettiketiert um dementsprechend Förderungen mit EU-Geldern zu kassieren.

Die Grünen – neues Image, neuer Erfolg?


Der Lack ist ab bei den Grünen. Die Partei musste in den Jahren in der Ampelkoalition einsehen, dass ihre Linie des Green New Deal von den realpolitischen Entwicklungen überholt wurde und auch die zweite Regierungsbeteiligung nach der Zeit in den Kabinetten Schröder endet mit einer Bruchlandung. Der Übergang in Regierungsverantwortung hat den Realo-Flügel an sein Ziel gebracht, welches er seit den 90ern verfolgt hatte. Die Themen Klimaschutz und Nachhaltigkeit waren der Schlüssel zum Erfolg, wurden sie doch in den Jahren vor 2021 breit gesellschaftlich diskutiert und fanden in der grünen Partei eine (scheinbar) authentische Entsprechung. Mit Eintritt in die Machtsphäre wurde deutlich, dass das grüne Spitzenpersonal wieder einmal sehr opportunistisch mit dem Wähler:innenwillen umgeht: Klimaziele werden Aufrüstung geopfert, Bauchschmerzen ersetzen Opposition bei Waffenlieferungen und eine bedingungslose Unterstützung der NATO ersetzt Friedenspolitik. Das Spitzenpersonal um Robert Habeck und Annalena Baerbock versucht deutlich den Malus des rechten Kulturkampfes als die Verbots- und Umerziehungspartei loszuwerden. Sie sehen sich konsequent an der Seite des Militärs und der Großkonzerne. Nicht umsonst bieten sie sich der CDU, wie in Person der Parteivorsitzenden Franziska Brantner, als Juniorpartnerin an.

Vergessen sind längst auch die Forderungen und Versprechen aus verschiedenen Wahlkämpfen zu Asyl- und Menschenrechten. Annalena Baerbock ließ sich vor einiger Zeit mit der Forderung nach der Entwaffnung der Selbstverteidigungseinheiten in Nord- und Ostsyrien zitieren, ungeachtet der Massaker der Türkei und ihrer dschihadistischen Verbündeten.

Die Grüne Partei hat sich endgültig auf Machtpolitik und Mehrheitsbeschaffung festgelegt und auch die naivsten Wähler:innen müssen einsehen, dass die Partei längst für eine Politik der Abschottung und Aufrüstung steht. Abgesehen von Parolen und Schlagworten wie „Humanismus“ und „Solidarität“ haben die Grünen dem Aufstieg der extremen Rechten nichts entgegen zu setzen.

Die Übernahme rechter Positionen hat zumindest in einigen Jugendverbänden zu starken Absatzbewegungen um bekannte Gesichter wie Sarah-Lee Hinrichs geführt. Es bleibt abzuwarten was aus einem zu gründenden linken Jugendverband letztendlich wird.

Die Ernennung von Robert Habeck zum Spitzenkandidaten ist der endgültige Triumph des Realo-Flügels der für Westintegration und Krieg steht und ein Signal nach außen, dass die Partei sich von allen progressiven Ideen verabschiedet hat.

SPD Blick nach Rechts


Wie nicht anders zu erwarten war haben die erfolglosen Jahre der Ampelkoalition auch der Kanzlerpartei SPD mehr geschadet als genützt, wird sie doch neben den Grünen als „linke“ Partei für die Missstände in Deutschland verantwortlich gemacht. Was an der SPD links sein soll bleibt wie immer ein Geheimnis der Rechten, ist Scholz‘ Kanzlerschaft doch geprägt von Sozialabbau und Militarisierung. In seine Amtszeit fällt das Sondervermögen der Zeitenwende samt Wiedereinführung der (noch freiwilligen) Wehrpflicht, eine Sozialpolitik der schwarzen Null samt Kürzungen in allen relevanten Bereichen, eine Rekordinflation durch transatlantische Bündnistreue und Abschiebungen in „großem Stil“.

Ungeachtet dessen hat Olaf Scholz im aktuellen Wahlkampf seine soziale Ader wiederentdeckt und wirbt in alter sozialdemokratischer Manier mit Bekenntnissen zu höherem Mindestlohn, mehr sozialem Wohnungsbau, Frieden und einer Reform der Schuldenbremse. Das alles soll die SPD wieder nach vorne bringen und sie von der Union als dem großen Rivalen unterscheiden. Die rechten Töne in der Innen- und Migrationspolitik behält die Partei selbstverständlich bei, sind sie doch die bestimmenden Themen in der aktuellen Situation.

Die Auseinandersetzung im Vorfeld der Nominierung des Kanzlerkandidaten innerhalb der Partei verweist auf die Dissonanzen im Apparat und es bleibt abzuwarten ob sich einige Wähler:innen nach der Niederlage des beliebten Boris Pistorius‘ nun doch der CDU zuwenden.

Die SPD orientiert auf eine Koalition mit Olaf Scholz als dem starken Mann was angesichts von Umfragewerten um die 16% mitunter illusorisch anmutet. Eine Neuauflage der Großen Koalition mit der SPD als Juniorpartner erscheint angesichts der aktuellen Kräfteverhältnisse wahrscheinlicher und dürfte der SPD am Ende wieder so schlecht tun wie beim letzten Mal, da die Rechtsentwicklung in den letzten Jahren deutlich an Fahrt aufgenommen und die SPD dem nichts entgegenzusetzen hat.

AfD – bald am Ziel?


Ein Blick nach Österreich ist vielleicht auch für die BRD lohnenswert. Dort ist die FPÖ am Ziel und stellt erstmals den Kanzler. Dass auch die AfD darauf seit Jahren (erfolgreich) hinarbeitet ist offensichtlich. Unter dem Mantel demokratischer Legitimation durch Wahlen bereitet sich die AfD auf die Machtübertragung auf Bundesebene vor. Das dafür ein paar zu vulgär auftretende Faschisten öffentlich fallengelassen werden müssen oder sich ein „neuer“ Jugendverband konstituiert ist Kosmetik. Die AfD als zumindest in Teilen faschistische verkörpert nicht trotz sondern grade deswegen authentisch die Stimmungen in den reaktionärsten Teilen der Gesellschaft und vertritt konsequent die Interessen relevanter Kapitalfraktionen. Dass es bisher nicht zu Bündnissen auf Länder- oder Bundesebene kommt liegt zum einen daran, dass die regierenden Parteien bereitwillig weite Teile des Programms der AfD selbst umsetzt und zum einen, dass nach wie vor große Teile des Kapitals den wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Positionen der Partei mit Blick auf das eigene Akkumulationsregime skeptisch gegenüber treten.

Das Spitzenpersonal um Parteichefin Alice Weidel setzt weiterhin auf die Vorreiterrolle der AfD im Kulturkampf um die eigene Wirksamkeit zu zeigen. In der Wählergruppe unter 35 Jahren war die AfD bei den Europawahlen stärkste Kraft. Nebenbei wird das Netz an Thinktanks und Verbündeten national und international ausgebaut, wie verschiedene Treffen wie in Potsdam oder die neue Fraktion im EU-Parlament zeigen. Es bleibt abzuwarten, ob es die AfD wie in Teilen Ostdeutschlands, schaffen wird eine faschistische Bewegung auf die Straße zu bringen, die der Partei langfristig als eine eigene Machtbasis und Rekrutierungsbecken außerhalb des Staatsapparats dienen kann. Die Unterstützung von popkulturellen Faschisten wie Elon Musk wird dabei sicherlich hilfreich sein.

Die kontinuierliche Arbeit der Partei auf allen Ebenen hat 2024 zur Übernahme einiger Rathäuser auf Kommunalebene geführt und wird damit nicht zu Ende sein. Ziel ist die Beteiligung an Landes- und Bundesregierungen, auch wenn das 2025 noch nicht der Fall sein sollte.

Inhaltlich vertritt die AfD die aggressivste chauvinistische Politik welche die Errungenschaften der Arbeiter:innenklasse der letzten Jahrzehnte rückgängig machen und die Gesellschaft in bisher unbekannter Weise für die Ausbeutung durch das Kapital öffnen wird. Die AfD treibt die Brutalisierung der Gesellschaft auf die Spitze und ist eine Gefahr für alle Menschen die nicht in das reaktionäre Weltbild der Partei passen. Ein Kampf gegen die AfD schließt zwangsläufig einen Kampf gegen die ausbeuterischen und menschenfeindlichen Verhältnisse des Kapitalismus mit ein.

Fazit


Angesichts der Hegemonie rechter Positionen und Strukturen und der Krise des kapitalistischen Welt-Systems stellt sich mehr denn je die Frage „Wie weiter?“. Wie weiter mit der rechten Formierung der Gesellschaft, mit dem Abbau sozialer Errungenschaften, der Abschaffung des Asylrechts, der Kriegstreiberei und der Repression?

Wie schaffen wir es als revolutionäre Linke der Unzufriedenheit der Arbeiter:innenklasse einen Ausdruck zu verleihen? Wir denken dass dazu eine gemeinsame Diskussion über den jetzigen Wahlkampf hinaus, egal welche Koalition am Ende zustande kommt, notwendig ist.

Nichts liegt uns ferner als eine Wahlempfehlung in der aktuellen Situation abzugeben. Es sollte klar sein, dass die nächste Koalition die reaktionärste sein wird, die es in Deutschland seit Jahren gegeben hat. Auf die Schwierigkeiten, die das für die Arbeiterinnen:klasse und eine radikale Linke mit sich bringt gilt es sich entsprechend vorzubereiten. Die Probleme unsere Zeit kann derweil nur eine starke weil organisierte und entschlossene weil proletarische revolutionäre Bewegung lösen. Auf die Errungenschaft des Wahlrechts zu verzichten erscheint trotz dessen kurzsichtig, gilt es doch das Parlament so gut es geht wenn schon nicht als Bühne des Klassenkampfs so doch als Geld- und Informationsquelle zu nutzen.

Mit Blick auf die Wahl fragen wir uns wie umgehen mit der Partei Die Linke in Zukunft, gerade wenn sie absehbar nicht mehr im Bundestag vertreten sein wird? Hat sie für unsere Bewegung aktuell noch einen Nutzen? Wie kann eine Zusammenarbeit aussehen?

Diese und noch weitere Fragen wollen und müssen wir gemeinsam diskutieren.

Fotos:

Pääministeri Petteri Orpo ja Saksan liittokansleri Olaf Scholz tapasivat Berliinissä perjantaina 14. heinäkuuta,Bernhard Ludewig, CC-BY SA 3.0, via flickr

Christian Lindner im Wahlkampf 2021, Michael Lucan, CC-BY_SA 3.0 de, via Wikimedia

Friedrich Merz (2024) ID-1808, Michael Lucan,Michael Lucan, CC-BY_SA 3.0 de, via Wikimedia

2024-05-29 Event, Konferenz, re-publica STP 5625 by Stepro,CC BY-SA 4.0, Steffen Prößdorf, via Wikimedia

2020-10-28 Trauerfeier Thomas Oppermann, Olaf Kosinsky, CC BY-SA 3.0.-de, via Wikimedia

Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine in Weimar – 51402380297, Martin Heinlein, CC Attribution 2.0 Generic, via Wikimedia

Hallescher Parteitag – Die Vorsitzenden 03, Ferran Cornellà, CC Attribution-Share Alike 4.0 International, via Wikimedia

Bellini-Vitra-chairs in German-Bundestag, Times, CC Attribution-Share Alike 3.0 Unported, 2.5 Generic, 2.0 Generic and 1.0 Generic, via Wikimedia

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