„Münzer ließ die Predigt drucken; sein Drucker in Allstedt wurde zur Strafe vom Herzog Johann von Sachsen gezwungen, das Land zu verlassen, und ihm selbst wurde für alle seine Schriften die Zensur der herzoglichen Regierung zu Weimar auferlegt. Aber diesen Befehl achtete er nicht. Er ließ gleich darauf eine höchst aufregende Schrift in der Reichsstadt Mühlhausen drucken, worin er das Volk aufforderte, »das Loch weit zu machen, auf daß alle Welt sehen und greifen möge, wer unsre großen Hansen sind, die Gott also lästerlich zum gemalten Männlein gemacht haben«, und die er mit den Worten beschloß: »Die ganze Welt muß einen großen Stoß aushalten; es wird ein solch Spiel angehn, daß die Gottlosen vom Stuhl gestürzt, die Niedriger aber erhöhet werden.«“
– Friedrich Engels in ‚Der deutsche Bauernkrieg‘
Was bedeutet es den Kampf um die Köpfe und damit den Kampf um die Medien in dieser aktuellen Situation aufzunehmen? Welche Rolle kommt demokratische Medien in der gesellschaftlichen Phase in der Wir uns befinden zu?
Es gilt zu erkennen, dass Medien und insbesondere linke Medien kein Selbstzweck sind. Sie sind keine Selbstbespaßung. Sie sind nicht „neutral“, auch wenn sie das behaupten. Sie existieren und wirken nicht unabhängig von den äußeren Umständen. Sie können nur im Zusammenspiel mit der jeweiligen politischen Realität wirken.
Der grundlegende Gedanke der Medien, Informationen über Ereignisse weiter zu verbreiten als Augen sie sehen und Ohren sie hören können, ist ein revolutionärer. Sie erweitert die menschliche Wahrnehmung um ein weiteres soziales Sinnesorgan, dass auch den Blick in weit entfernte, physisch nur schwer oder gar nicht erreichbare Sphären ermöglicht. Von Beginn an waren Medien Teil der gesellschaftlichen Kooperation und Information. Bereits vor der Entwicklung und Verbreitung der Drucktechnik war die Informationsweitergabe über Boten, Volkslieder oder Barden ein zentrales Mittel, wie sich Menschen über die Geschehnisse in der Welt, die nicht direkt dem Zugriff der eigenen Sinnesorgane unterlagen, informiert haben.
Der Buchdruck demokratisierte die Informationsweitergabe ungemein. Keine 100 Jahre nach der Entwicklung des modernen Drucks durch Gutenberg in den 1440er Jahren, erfassten in den 1520er Jahren soziale und weltanschauliche Unruhen Deutschland wie selten zuvor. Angetrieben dabei vor allem durch die Verbindung von wandernden Predigern, aber eben auch durch zehntausendfach gedruckte und verbreitete Brand- und Wutschriften, die zum Sturz der Pfaffen und für das Ende der Unterdrückung der Bauern aufriefen. Zehntausende erhoben sich gegen Fürsten und Könige, Jahrhunderte der Ausbeutung gerechtfertigt durch religiöse Doktrin wurden in weiten Teilen Deutschlands hinweggefegt und konnten nur durch den Einsatz brutaler Gewalt und einer noch größeren Anstrengung im Zuge eines ideologischen Gegenangriffs wieder aufgerichtet werden.
Dem unkontrollierten Informationsfluss durch Drucktechnik, dem Aufrührerischen und evolutionären Potential setzten Kirchen, wie Könige ab da eine Strenge Zensur entgegen, die die Verbreitung oppositioneller Schriften aber nie absolut unterbinden konnte. Eine Entwicklung, die gerade in revolutionären Zeiten, wie der der Revolutionen in Frankreich, später der gescheiterten Revolution 1848 in Deutschland, aber auch danach noch vielfach zum Tragen kamen. Auch der Widerstand gegen den Nationalsozialismus in Deutschland stützte sich, wo es nicht um den direkten Kampf gegen die Faschisten, oder die praktische Hilfe für von ihnen Verfolgte ging, auf die Verbreitung illegaler Schriften und Flugblätter, für die dutzende wenn nicht hunderte Widerständler*innen mit ihrem Leben bezahlten.
Ein revolutionäres Werkzeug
Die Geschichte der Medien ist also untrennbar mit revolutionären Bewegungen und Entwicklungen verbunden. Denn Medien haben die Macht, aufzuzeigen was ist. Und zu sagen was ist trägt – frei nach Rosa Luxemburg – immer das Potential zum Aufstand und zur Revolution in sich. All die alltäglichen Probleme können durch Medien zu kollektiven Erfahrungen gemacht werden, die es gemeinsam zu lösen gilt. Dieser Macht haben innerhalb des letzten Jahrhunderts alle politischen Akteure, hegemonial wie marginal, herrschend oder herausfordernd für sich entdeckt. Die Entwicklung der Massenpsychologie durch Edward Bernays ab der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts also der Perfektionierung staatlicher und unternehmerischer Propaganda, besser und beschönigend als „Public Relations“ oder „PR“ bekannt, haben die Medien in eine allumfassende Waffe in den Händen von Regierungen und Konzernen verwandelt.
Vor dem Hintergrund dieser Geschichte müssen wir nicht nur die heutige Medienlandschaft betrachten, sondern auch unsere Aufgaben als sozialistische und demokratische Medien begreifen und Abstecken. Unseren Maßstab sollten wir nicht nur daran legen wie viele der eigenen Leute wir erreichen, wie gut wir davon leben können oder wie sie in unser eigenes ästhetisches Empfinden passen, sondern ob unsere Medien und Inhalte am Ende tatsächlich einen Einfluss auf das Bewusstsein der Gesellschaft, das gesellschaftliche Handeln und damit die Entwicklung der Geschichte haben.
Wenn wir dies zu unserer Messlatte machen und nicht mehr die eigenen Vorlieben, die eigenen Sprachgewohnheiten, die eigenen persönlichen Interessen, werden wir zum Schluss kommen, dass wir uns nicht weiter im eigenen Saft bewegen können, sondern einen Schritt aus den eigenen Gewohnheiten der sogenannten linken Szene – die auch viele derer ergreift, die sich gar nicht selbst als Teil dieser Szene sehen – zu machen und sie hinter uns zu lassen. Die Klientelpolitik für die eigene Gruppe war schon immer ein Strick für politische Ambitionen, doch wird er in Zeiten der relativen, wenn auch falschen Ruhe nicht so sichtbar, wie wenn er sich in den Zeiten der Unruhe, der Krisen und Neuordnung zuzieht.
Mit der Gewohnheit brechen
„Die Macht der Gewohnheit von Millionen und aber Millionen ist die fürchterlichste Macht.“ Was Lenin mit diesem Satz ausdrücken wollte war vielleicht nicht direkt auf Medien bezogen, trotzdem gilt es für diese genauso. Während kleine propagandistische Zeitungen weiter zum linken Alltag gehören und auf Demos die Taschen aller verstopfen, die die Verteiler*innen nicht energisch genug abwimmeln können, werden diese kaum noch gelesen, weder von den Menschen in, geschweige denn von Menschen außerhalb der genannten Szene – warum also daran festhalten? Während sich die politische Kommunikation von der Zeitung ins Internet und vom Internet in digitale Medien verlagert hat, sind Form und Ansatz der Linken in diesem Bereich fast gleich geblieben.
Erreicht wird damit nur noch das eigene politische Klientel, das sich nach der guten alten Zeit der Zines und noch weiter zu den Zeitungsschreier zurücksehnt, weil die eigene politische Bewegung da noch relevanter war. Entsprechend der Form entwickelt sich damit auch kaum der Inhalt weiter. Vielleicht werden hier und da auch tagesaktuelle Themen besprochen, doch der Tonfall, die verwendeten Wörter bleiben entweder gleich oder biedern sich dem linksliberalen Spektrum an, weil man auch das aus weiten Teilen der Medien gewohnt ist, die von der Linken konsumiert werden. Verglichen werden kann diese Dynamik mit dem Phänomen der sogenannten Ameisenmühle. Wanderameisen folgen zur Orientierung den Duftspuren ihrer Artgenossen und finden so zum Beispiel den Weg zu einer Nahrungsquelle, die bereits von vielen anderen Ameisen genutzt wird. Ein durchaus sinnvolles System, doch kann es dazu führen, dass sich die Duftspuren so überlagern, dass sie einen geschlossenen Kreis bilden, laufen immer mehr Ameisen diese Strecke verstärkt sich die Duftspur dort so stark, dass sich immer mehr Ameisen daran beteiligen, und keinen Weg mehr aus dem Strudel herausfinden. Die Ameisen verenden nach Stunden des im Kreis Rennens an Erschöpfung.
Unsere Aufgabe muss es also sein, aus dem Strudel, in dem sich linke Medien in weiten Teilen befinden, auszubrechen. Das bedeutet vor allem, den Strudel zu verlassen, in dem die Duftspuren einem vorgaukeln, mit Sicherheit etwas ganz großem, der nächsten großen Nahrungsquelle, dem nächsten großen politischen Erfolg näher zu kommen. Den Strudel zu verlassen, bedeutet konkret sich der Sprache zu ermächtigen und Themen all jener anzueignen, die bis jetzt nicht erreicht werden. Konkret in einer gesellschaftlich verständlichen Sprache über Sorgen und Probleme zu sprechen. Der Gesellschaft aus dem Herzen zu sprechen und dies in Formaten zu verpacken die die Menschen auch erreichen. Erst dann wird es möglich sein, auch andere Themen, die noch nicht im Bewusstsein der Gesellschaft existieren, in dieser zu verbreiten und ein gesellschaftliches Bewusstsein darüber aufzubauen.
Flexibel in der Form – hart in den Prinzipien
Grundsätzlich können wir dabei auch nicht davon ausgehen, dass wir allen gesellschaftlichen Gruppen mit dem gleichen Rezept begegnen können. Wir brauchen für die demokratisch-liberale Öffentlichkeit die bislang vom Öffentlich Rechtlichen Rundfunk an politische Parteien gebunden werden, die Bürgerrechte eindampfen wie seit Jahrzehnten nicht, ein anderes Vorgehen, als für die Marginalisierten und spürbar Ausgebeuteten, die in der Tendenz eher von der BILD an ihren eigenen gelben Henker oder dessen blaue Alternative gekettet werden. Auf beide Gruppen muss mit unterschiedlichen Formaten, unterschiedlicher Sprache, unterschiedlichen Themen zugegangen werden. Das ist kein Widerspruch oder ein Verrat an den eigenen Prinzipien, sondern schlicht und ergreifend politische Notwendigkeit.
Dabei gilt es ein Feingefühl dafür zu entwickeln, wen ich als Lesende, Zuhörende oder Zuschauende vor mir habe. Wir müssen lernen unser politische Kommunikation auszufeilen und auf bestimmte Zielgruppen zuzuschneiden. Es gilt ein Gefühl dafür zu entwickeln an welcher Stelle sich der gesellschaftliche Diskurs befinden und mit welchen alltäglichen Annahmen die Menschen auf die Welt blicken, um an diesen ansetzen zu können. Das kann an bestimmten Punkten bedeuten, nicht immer die gesamte Welt und was sie im Innersten zusammenhält zu erklären, sondern sich auf bestimmte Aspekte zu konzentrieren und damit Schritt für Schritt und Nachricht für Nachricht das Bewusstsein der Menschen die wir erreichen zu entwickeln. Das bricht uns keinen Zacken aus der Krone, sondern ist in einer medial aufs äußerste überreizten Gesellschaft dringend notwendig. Das Spannungsfeld zwischen gesellschaftlich vorherrschenden, durch staatliche Medien und Konzerne geformte Meinungen und Einstellungen und einem gesellschaftlichen Bewusstsein über die existierenden Misstände muss dabei immer das Spielfeld sein auf dem sich unsere Medien bewegen. Es kann nicht ignoriert werden wo das gesellschaftliche Bewusstsein steht, es kann aber auch nicht einfach hingenommen werden, wo es sich an diesem Punkt aktuell befindet. Das Ziel der Entwicklung des gesellschaftlichen Bewusstseins darf dabei bei aller medialer Realpolitik nie aus dem Blick verloren werden.
Das Ziel, das wir erreichen müssen, ist nicht weniger als ein klares Problembewusstsein innerhalb der Gesellschaft zu entwickeln. Ein klares Bewusstsein darüber, dass es sich als Gesellschaft lohnt, für die eigenen Interessen und Rechte einzustehen und diese einzufordern. Und dass es Menschen gibt, die dafür verantwortlich sind, dass Armut geschaffen, Rechte eingestampft und falsche Feindschaften gesät werden. Und dass dies aber nicht von Gott gegeben ist, sondern verändert werden kann und muss.
Lasst uns beginnen
Haben wir einen fertigen Plan wie wir diesen Weg gehen wollen? Nein. Werden wir dieses Problem mit dem Neustart des LowerClassMagazine ein für alle Mal aus der Welt schaffen? Nein. Auch wir werden Fehler machen und nicht alles von jetzt auf gleich umsetzen können, aber wir sind davon überzeugt, dass eine Wende in die eben beschriebene Richtung notwendig ist, um tatsächlich der Messlatte der gesellschaftlichen Relevanz zu entsprechen. Dabei sind wir uns hier auch bewusst, wen wir hier mit dem LCM ansprechen. Daher appellieren wir dafür, diesen Ort als einen Ort des Austausches und der Bewusstseinsbildung zu verstehen. Es ist mehr als notwendig, dass wir über das LCM hinaus viele weitere Projekte schaffen, die wirklich tauglich sind in die breite Gesellschaft zu wirken – weit mehr als es das LCM in seiner spezifischen Rolle kann. Dabei ist es notwendig, auch wenn es manchmal schmerzen mag, die eigenen Prinzipien nicht mit einer notwendigen Kommunikationsstrategie zu vermischen.
Wie heißt es so schön? Wir müssen flexibel in unseren Methoden und Strategien werden, aber klar in unseren Prinzipien. Dies bedeutet, die eigenen Prinzipien nicht immer mit den gleichen Parolen auszudrücken, sondern sie zwischen den Zeilen zu verpacken und mit der Anwendung auf die jeweiligen Verhältnisse zum Ausdruck zu bringen.
Das können wir aber auch nicht alleine machen. Für diese Wende und den langen Weg, der vor uns liegt, werden wir Verbündete brauchen, werden wir diskutieren und ausprobieren müssen. Uns gegenseitig vor Vereinnahmung schützen und weiter unabhängig machen.
Auf diesen Weg laden wir all jene ein, die gewillt sind ihn gemeinsam mit uns zu bestreiten.
Auf ein Neues
Eure LowerClassMagazine-Redaktion
Bild: Group reading newspapers with news of death of Woodrow Wilson, Harris & Ewing, CC0, via Wikimedia