Blutbad in Jenin – Was passiert in Palästina?

27. Januar 2023

Am 26 Januar 2023 ermordeten israelische Spezialeinheiten der „Mista’aravim“ (auf Deutsch Arabisierte) neun Palästinenser*innen im Flüchtlingslager von Jenin in der Westbank. Deren Modus Operandi besteht darin, sich als Araber*innen zu verkleiden, um effektiver in der Westbank operieren zu können. Bei einer Militärrazzia in genau diesem Flüchtlingscamp ermordeten Soldat*innen der israelischen Armee am 11. Mai 2022 die berühmte Journalistin Shireen Abu Akleh. Das wurde zunächst bestritten, seit September wird es auch von israelischer Seite zugegeben. Bei der gestrigen Aktion wurden zudem 20 weitere Menschen verletzt, einige schwer. Unter den Opfern sind auch zwei Teenager und eine alte Frau. Auch in Jerusalem erschossen Soldat*innen einen Palästinenser. Die insgesamt 13 Morde von gestern reihen sich ein in einen Monat, der als „tödlichster Januar seit 20 Jahren“ betitelt wird. Als Reaktion auf die Ereignisse hat die korrupte Palästinensische Autonomiebehörde (PA) erklärt, die Sicherheitskoordination mit Israel aufzukündigen. Das hatte sie in der Vergangenheit schon gemacht, der Austausch von nachrichtendienstlichen Informationen fand aber trotzdem statt.

Deutsche Propaganda

Wie gewohnt berichten deutsche Massenmedien über die Vorgänge einstimmig und mit denselben Vokabeln – so umschreibt die Süddeutsche Zeitung das Massaker mit dem Wort „Konfrontation“, Tagesschau.de verwendet „Militäreinsatz“; die NZZ formuliert sogar „der verfehlte Einsatz“, quasi ein Unfall, für den niemand etwas kann. Es folgt die ebenfalls bekannte Erklärung, dass das israelische Militär auf irgendeine drohende Gefahr reagiert habe. Auf Raketen aus Gaza folgen Luftschläge auf „Militärbasen“. Danach gebetsmühlenartig Warnungen vor einer möglichen „Eskalation“. Doch für die Palästinenser*innen gibt es diese „drohende“ Eskalation nicht, sie ist permanent Realität. Ihr Alltag ist seit über 75 Jahren geprägt von Militärbesatzung, Zerstörung, Tötung, Angst und Willkür. Mit dieser gezielten Verschleierung werden die zionistischen Verbrechen in Palästina aktiv aus Deutschland unterstützt.

Verstärkter Widerstand in der Westbank

Die Verbrechen von gestern finden nicht im luftleeren Raum statt. Seit einigen Monaten nehmen militante Aktionen gegen die Besatzungsmacht zu, vor allem die Jugend, die nur die Heuchlerei um Oslo, den Verrat durch die eigene Administration (PA) und die ausweglose Situation kennt, kämpft an der Front. Verschiedene neue Gruppen, so z.B. die berüchtigte „Höhle der Löwen“ aus Nablus, kooperieren über Partei- und Fraktionsgrenzen hinweg. Der verstärkte bewaffnete Widerstand geht einher mit einer zunehmenden gemeinsamen Identifikation von Palästinenser*innen im gesamten Palästina, das heißt derjenigen in Gaza, in der Westbank und im „48“ genannten Teil Palästinas, der heute offizielles israelisches Staatsgebiet ist. Seit im April und Mai 2021 Palästinenser*innen in 48 und Gaza für Sheikh Jarrah (in der Nähe von Jerusalem) demonstrierten und überall im Land populärer Widerstand organisiert wurde, nannte man die Welle von Protestaktionen in Palästina „Aufstand der Einheit“.

Faschist*innen an der Macht

Gleichzeitig hat im Kernland mit der Bildung des 73. Kabinetts die Faschisierung der Regierung und politischen Landschaft eine neue Stufe erreicht. Zwar ist allseits bekannt, dass die Siedler*innen-Bevölkerung seit Jahren immer rechter, rassistischer und einflussreicher wird, das zeigen nicht nur die erhöhte Anzahl an Siedler*innen-Angriffen gegen Palästinenser*innen in der Westbank. Und natürlich sind weder Benjamin Netanyahu noch Naftali Bennet Linke oder auch nur Moderate. In der aktuellen Regierungskoalition sind jedoch nun sechs Parteien vereinigt, die nationalistischer, konservativer, ultra-religiöser und rechtsradikaler kaum sein könnten. Eine der Parteien mit dem Namen “Otzma Yehudit” steht in der Tradition von Meir Kahane, einem US-amerikanischer Rabbiner dessen Lehren in Israel verboten wurden, nachdem sein Schüler, Baruch Goldstein 29 betenden Palästinenser*innen in einer Moschee in Hebron erschoss. Mehrere designierte Minister sind vorbestraft. In Bezug auf das zu lösende Problem real existierender Palästinenser*innen in dem Land, das man für sich beansprucht, sind nahezu alle Parteien der Meinung, ein palästinensischer Staat dürfe aus Sicherheitsgründen nicht existieren. Auch soll der Siedlungsbau weiter vorangetrieben werden. Mitglieder von der „Religious Zionist Party“ und „Otzma Yehudit“ wollen die gesamte Westbank annektieren und die Apartheid und Siedlerkolonialismus auf dem gesamten Gebiet zwischen Jordan und Mittelmeer endlich offen ausüben. Die israelischen Proteste gegen die Regierung, über die auch hier berichtet wird, richten sich nicht gegen diese verbrecherischen Positionen, sondern in erster Linie gegen die Korruption von Netanjahu und sein Vorhaben, ein Gesetz zu verabschieden, dass den obersten Gerichtshof entmachten würde.

Quo Vadis?

Die Zukunft ist offen, doch die Situation ist brandgefährlich. Man kann sich nur fürchten vor dem, was eine faschistische Regierung im Stande ist anzurichten, in einem bis an die Zähne bewaffneten Land, gestärkt durch eine Siedler*innengesellschaft, in der Rassismus und Entmenschlichung der Kolonisierten bereits in der Schule geübt wird und bei der nahezu alle Siedler*innen militärisch ausgebildet sind. Die Palästinenser*innen haben längst bewiesen, dass sie nicht aufgeben werden und immer Widerstand leisten werden. Das gilt besonders vor dem Hintergrund verschärfter Repression und noch mehr Gewalt durch die Besatzungsarmee und Siedler*innen.

Was bedeutet das für uns, die wir hier kämpfen? Deutschland, das beinhaltet Politiker*innen, Journalist*innen und ganz normale Staatsbürger*innen, ist ideologisch und materiell, politisch und ökonomisch mitschuldig an den Verbrechen, die bis heute in Palästina verübt worden sind. Wir können nur dafür kämpfen, dass das nicht auch für zukünftige Verbrechen gilt. Dazu müssen wir die Lügen der bürgerlichen Medien, Parteien und Verbände demaskieren und die Wahrheit sagen.

#Titelbild: IDF-Soldat*innen 2017 in Jerusalem.

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