Was sich vor, während und nach linken Großdemonstrationen oder Protestaktionen in der Öffentlichkeit vollzieht, lässt sich mittlerweile als eingespieltes Ritual bezeichnen. Die Vorgänge um die Räumung des Dorfes Lützerath im rheinischen Braunkohlerevier sind da keine Ausnahme. Bevor es losging, gab es erst mal von vielen Seiten unverbindliche Sympathiebekundungen für die Anliegen der Klimaschützer*innen, verbunden mit Appellen, die Räumung doch bitte friedlich über sich ergehen zu lassen. Die Polizei erklärte sinngemäß, dass es ihr furchtbar leidtäte, dass sie Lützerath räumen müsse. Sie sei aber nun mal gehalten, Recht und Gesetz Geltung zu verschaffen. Während des Einsatzes gab es dann eine überbordende Berichterstattung, Liveticker und jede Menge Videoschnipsel in den sozialen Netzwerken.
Nach der Räumung schließlich stand, wie immer, Aussage gegen Aussage. Die Aktivist*innen klagten in einer Pressekonferenz über Polizeigewalt und haufenweise Verletzte. Die Polizei wies das zurück und macht ihre eigene Bilanz von 70 verletzten Beamt*innen auf, wobei dabei bekanntlich schon leichte Kopfschmerzen oder ein eingerissener Fingernagel als Verletzung gewertet werden. Die Bild-Zeitung, die Polizeigewerkschaften und reaktionäre Politiker*innen von SPD bis Union und AfD fanden – auch wie immer -, dass die Gewalt von den Aktivist*innen ausgegangen sei und die Polizei einen guten Job gemacht habe. Damit ist das Ritual vollendet und die bürgerliche Öffentlichkeit geht zur Tagesordnung über – bis zum nächsten größeren linken Protest.
Auch wenn diese Feststellung ein wenig resigniert klingen mag, ist das nicht die Absicht. Es geht vielmehr darum, sich keinen Illusionen hinzugeben, wer in dieser Gesellschaft die Ansagen macht. Dass die öffentliche Debatte um mehr oder weniger linke Protestaktionen immer so gleich, so ritualisiert verläuft, ob nach 1.-Mai-Demonstrationen oder den Ereignissen beim G-20-Gipfel im Sommer 2017 in Hamburg, ist systembedingt. Man muss sich immer wieder in Erinnerung rufen, dass Konzernmedien und die staatstragenden öffentlichen Rundfunkanstalten die Öffentlichkeit dominieren – und die simulieren einen kritischen Diskurs nur. An den Grundpfeilern des Kapitalismus wie dem Eigentum wird nicht gerüttelt.
Auch rund um die Räumung Lützeraths hat sich wieder gezeigt, dass vor allem das Thema Gewalt immer dann medial nach vorn geschoben wird, wenn die bürgerlichen Sympathien für linken oder links erscheinenden Protest drohen, zu groß zu werden. Kein Thema eignet sich besser, um Widerstand zu diffamieren und zu delegitimieren, einen Keil in Bewegungen zu treiben. So werden Steinwürfe auf Polizeibeamt*innen skandalisiert, die Polizeigewalt erscheint dabei in der Regel als Reaktion auf die angebliche Gewalt von Aktivist*innen.
Die Polizei weiß, dass sie sich auf ihre Unterstützer*innen in Politik und Medien verlassen kann. In Lützerath war das auch daran zu erkennen, dass die Cops den Protest gegen die Räumung erbarmungslos niederknüppelten, vor allem bei der Großdemonstration am 14. Januar. Man störte sich nicht im Geringsten daran, dass sämtliche Medien der Republik vor Ort waren und überall Kameraobjektive präsent waren, um das Geschehen abzufilmen. Die Beamt*innen sprühten Pfefferspray im Strahl auf friedliche Demonstrant*innen, schlugen mit dem Schlagstock gezielt auf den Kopf oder in die Kniekehlen. Warum auch nicht, sind juristische oder personalrechtliche Konsequenzen für Polizist*innen in der BRD doch extrem selten.
Im Innenausschuss des Landtags von Nordrhein-Westfalen waren in der Woche nach dem Einsatz alle Parteien von Bündnis 90/Die Grünen bis AfD voll des Lobes über das Verhalten der Polizei.
Innenminister Herbert Reul (CDU) wollte Fehlverhalten einzelner Beamt*innen nicht ausschließen, suchte die Schuld dafür nach dem oben geschilderten Muster aber bei den Demonstrant*innen. Er machte „Linksextremisten“ aus, die aus der Demo ausgebrochen seien, und die Auseinandersetzung mit der Polizei gesucht hätten. Denen sei es ja gar nicht um Klimaschutz gegangen, so Reul, der mit diesem Auftritt exemplarisch vorführte, wie die Spaltungspolitik der bürgerlichen Parteien funktioniert.
Immerhin war dieser Einsatz dafür gut, dem einen oder der anderen die Augen zu öffnen. Er sollte auch der letzten naiven Klimaschützer*in vor Augen geführt haben, wer in diesem System das Sagen hat. Wenn es um Interessen von Konzernen wie RWE geht, wirft der Staat seine ganze Repressionsmaschine an und kennt kein Pardon. Es ist zu hoffen, dass die Räumung in Lützerath zumindest zur Radikalisierung von Aktivist*innen beigetragen hat.
#Titelbild: Libertinus