Cat Calling bezeichnet das plötzliche, einseitige und unerwünschte Anhupen, Hinterherrufen, Ansprechen, Absondern von Kommentaren über weibliche Körper, sexualisierendes Auftreten (etwa Knutschgeräusche beim Vorbeilaufen), Mit- und Hinterherlaufen. Die „Kontaktaufnahme“ passiert ganz ohne eine Rücksichtnahme auf ein etwaig vorhandenes entsprechendes Interesse auf der Seite der Frau. Es findet also „aus dem Nichts“ heraus statt, so dass dementsprechend kaum Zeit ist, um sich darauf einzustellen. Es findet in der Regel auf so dominante (Hupen, Schreien, in unmittelbarer physischer Nähe, mit Kraftausdrücken) Weise statt, dass es nicht zu ignorieren ist.
So gesehen beanspruchen Männer mit dem Cat Calling ganz unmittelbar und offensiv die Aufmerksamkeit und auch den physischen Raum einer Frau. Sie machen diese Inanspruchnahme nicht vom Interesse der Frau abhängig, nehmen sich also heraus einfach über es zu verfügen. Dementsprechend sind auch die Reaktionen vieler Frauen – in der Reihenfolge: Erschrecken und Angst, Wut oder ein Gefühl der unangenehmen Überraschung. Es handelt sich – auch unabhängig davon, ob sogar noch die Zusatzleistung der Gegenwehr aufgebracht wird – um eine nervliche, emotionale und mitunter physische Belastung und potentielle Gefahr, der sich Frauen ausgesetzt sehen.
Über die Wirkungen der beim Cat Calling stattfindenden Reduzierung von Frauen auf ihren Körper, der unter verschiedenen Maßstäben der Attraktivität durchgemustert wird und des Eingreifens in ihren persönlichen Raum gibt es mittlerweile genug Erfahrungsberichte, die sich gerade Männer zu Gemüte führen sollten. Sie sollen allerdings in diesem Artikel nicht der Schwerpunkt sein, weil der Grund für diese übergriffigen Touren geklärt werden soll. Das wiederum verlangt die Konzentration auf diejenigen, von denen das Cat Calling und die damit verbundenen Einschränkungen für Frauen ausgeht.
Wie begründen Männer Cat Calling?
Auf kritische Nachfragen, warum eine Frau ungefragt und in der offensiv-bedrängenden Weise angemacht wurde oder auch auf Zurückweisungen des Cat Callings folgen gemeinhin verschiedene Antworten, die selbst Aufschluss über den zugrunde liegenden Zweck des Cat Callens geben:
„Ich fand sie heiß.“
Hier wird einfach mit dem eigenen Interesse an der Frau argumentiert. So wird das männliche Empfinden zum Berufungstitel für die Berechtigung des belästigende Agierens erklärt. Das empfundene Gefallen wird dabei so behandelt, als wär es unmittelbar und automatisch auch interessant für die Frau, als müsste es eine Bedeutung auch für sie haben – ganz als habe sie nur auf diese Sorte „Bestätigung“ gewartet. Angesichts dessen, dass es sich um eine unerwünschte Anmache handelt, heißt das, dass die Entscheidung, das Empfinden der Frau als gültige Bestimmung über die Frau zu setzen, höher gewichtet wird als der Wille der jeweiligen Frau.
„Ihr wollt doch immer angesprochen werden.“
Seid wann immer und vom wem auch immer und egal wie? Die Resultate der Anmachkultur, welche Frauen die passive und Männer die aktive Rolle bei Flirts zuweist, wird hier zum Berechtigungstitel – auch gegen den bekundeten Willen gerade nicht angemacht zu werden.
„Das war ein Kompliment und nicht böse gemeint“
Über Beachtung und Komplimente soll man sich also freuen. Dass die Art der Beachtung eine ist, die sich an sämtliche Maßstäbe von Attraktivität festmacht und so Schönheitsnormen, Rassifizierungen etc. reproduziert, ist hier nebenbei bemerkt nicht einmal einen Gedanken wert.
Die Frau wird dargestellt als eine, deren Selbstwert auf die Bestätigung durch Männer ausgerichtet ist, wenn Komplimentebekommen als etwas angesehen wird, worüber sich Frauen doch in jedem Fall freuen müssten.
Angesichts dieser „Freude“, die Männer da freihaus verschenken, wollen sie dann auch nicht verstehen können, warum es überhaupt zu Kritik oder Zurückweisung kommt – denn Bestätigung ist ja nicht „böse gemeint“. Den bedrohlichen und Angriffscharakter von lauten Hupen, Hinterrufen, Anschreien aus einer Gruppe heraus oder Hinterher- und Mitlaufen leugnen sie nebenbei ganz geflissentlich – weil das ihnen halt ein ganz normales und gewohntes Verhalten ist. Weil sie ja was so „nettes“ und – in sexistischer Logik – dem weiblichen Willen Entsprechendes tun, verdient ihr Verhalten einfach keine Zurückweisung. Und wenn es doch eine Abfuhr erfährt, nehmen sie das als etwas „Böses“, Ungerechtes eben, was ihnen da widerfährt – ganz als hätten sie nämlich „was Böses“ getan. Wie ungerecht! Kritik kennen sie nebenbei bemerkt anscheinend auch nur ganz bürgerlich und kindlich als moralische. Jedenfalls setzt sich die Frau ins Unrecht, wenn ihr die Anmache etc. nicht passt.
„Das ist doch nicht schlimm.“
Weil es nur wahnsinnig nett gemeinte Beachtung war, auf die noch jede Frau immerzu scharf ist, ist es auch nicht schlimm – in den Augen des Täters.
Wenn Kritik und abweisende Reaktionen dann damit begegnet werden, dass Frauen gesagt bekommen – „Als wenn ich was von dir wollen würde, so toll bist du auch nicht, sondern *setze eine Abwertung entlang weiblicher Attraktivitätsnormen ein*, sei also dankbar, du Schlampe!“ – dann bringt das die Stellung der Männer zu ihrem Tun auf den Punkt: Sie betrachten das nämlich als ihr Recht, das respektiert gehört.
Wer das nicht respektiert, hat die „Zuwendung“ nicht verdient, ist ihrer eigentlich gar nicht würdig, weswegen die betroffene Frau eigentlich recht besehen froh über sie sein sollte. Und wenn sie das nicht ist, die Anmache also nicht würdigt, würdigt sie auch nicht den Cat Caller. Womit sie dessen männliche Ehre verletzt und sich den Titel „arrogante Schlampe“ verdient.
Kritik und Forderungen nach Unterlassung erfahren weiter die Vorwürfe entweder „überempfindlich“, „arrogant“ oder „aggressiv“ zu sein. In jedem Fall liegt also das Problem nicht beim Kritisierten und seinem Verhalten, sondern in der Frau, die sich zur Wehr setzt. Auf diese Weise wird die Kritik oder Aufforderung zur Verhaltensänderung zurückgewiesen. Die zugewiesenen Attribute selbst verweisen dabei auf die Subsumtion der konkreten Frau unter das Geschlechterbild, nach dem Frauen sich zurückhalten und irgendwie immerzu lieb und zugewandt sein, also sich generell nach den Bedürfnissen und Anliegen anderer (v.a. Männer) richten sollen. Deswegen ist ein geäußertes Missfallen oder ein anderslautender Wille dann auch keiner, der irgendwie respektiert gehört, sondern eine fatale Übertreibung und männlich gesehen eine Frage von Unrespekt und Verletzung. So wird die Abwehr vom männlichen Übergriff in einen Angriff verwandelt und die Sache vollends auf den Kopf gestellt.
Cat Caller verlangen also für ihre Anmache eine (positive) Gegenreaktion. Das zeigt sich auch daran, dass zu penetranten Mitteln gegriffen, die Aufmerksamkeit also erzwungen wird: Anhupen, solange Hinterherrufen bis eine Reaktion kommt, Hinterherlaufen, Anfassen. Es ist mehr als die (ebenso) ungebetene Sexualisierung der vorbeilaufenden Frau in der männlichen Phantasie. Der Umstand, dass die Attraktion mitgeteilt und so lange schreiend oder wie auch immer wiederholt wird bis ihr Beachtung geschenkt wird, zeigt dass der Cat Caller darauf aus ist, dass ihm für die Anmache Beachtung geschenkt wird. Die Frau soll mitbekommen, dass er sie geil findet. Und das überlässt er nicht dem Interesse der jeweiligen Frau, sondern erzwingt es: Er verschafft sich die Aufmerksamkeit, nimmt sich – in seiner Vorstellung – also die Bestätigung.
In den Genuss der Aufmerksamkeit, die ihm zuteil wird, kann außerdem hineinspielen, sich als mächtig zu erleben, dann nämlich, wenn es der Cat Caller gerade auf die Verunsicherung der Frau abgesehen hat: ihm also die mit dem Cat Calling vorgenommene Platzanweisung „Du bist für mich da und ich kann über dich verfügen, wenn ich will“ gefällt.
Wieso gilt Cat Callern ihr eigenes Interesse an Frauen als ein Recht, das sie ihnen gegenüber haben? Wieso sehen sie sich beleidigt und zur Beleidigung oder Gewalt berechtigt, wenn dem nicht entsprochen wird?
Die Beantwortung der Fragen verlangt ein kurzes Ausholen zum verbreiteten willentlichen Bezug auf Sexualität und der bürgerlichen Unsitte des Selbstbewusstseins.
Der Stellenwert sexueller Befriedigung als Recht und die Einlösung männlicher Ehre
In der Welt von Marktwirtschaft und Demokratie soll jede*r ihres*seines Glückes Schmied*in sein – im eigenen Willen statt in den Mitteln, über die man verfügt und deshalb in der Konkurrenz um Schulnoten, Arbeitsplätze, Wohnungen oder Partnerschaften (etc.) zur Anwendung bringen kann, soll das persönliche Abschneiden in der allseitig stattfindenden Konkurrenz begründet sein. Obwohl sowohl Anzahl der Gewinnerpositionen (etwa Anzahl der Ausbildungsplätze oder zu besetzender Posten) als auch die Kriterien, nach denen über Erfolg oder Misserfolg entschieden wird, getrennt von den Konkurrent*innen feststehen, wird üblicherweise Gewinnen oder Verlieren der individuellen Leistung der miteinander Verglichenen und auseinander Sortierten zugeschrieben. Diese Leistung übersetzen sich viele in eine Art Leistungsvermögen, das sie hätten und das sich an Erfolg oder Misserfolg zirkulär zeige. An Erfolg und Misserfolg wird dann der eigene Selbstwert genossen oder in Zweifel gezogen oder für nicht ausreichend gewürdigt betrachtet.
In der Konkurrenz im Ausbildungs- und Berufsleben und all den davon abgeleiteten Lebensbereichen (etwa Wohnen, gesellschaftliches Ansehen etc.) bleibt es nicht aus, dass der Großteil der Bevölkerung die dauerhafte Erfahrung von Misserfolgen oder zumindest nur sich sehr bescheiden ausnehmenden Erfolgen (einen Job, der viel verlangt und wenig einbringt, eine Wohnung) macht.
Hat man nun aber die Erlaubnis zur Betätigung in der Konkurrenz, also die bloße „Chance“ zum „Glück“, als so etwas wie ein Erfolgsversprechen genommen, stellen sich notwendig Enttäuschungen ein. Viele nehmen diese Erfahrungen nicht zum Anlass, sich ihre objektive Lage zu erklären, in der ihre Interessen nur mäßig bedient werden oder ganz auf der Strecke bleiben, sondern richten sich an ein anderes Feld – nämlich an ihr Privatleben und hier insbesondere das Liebesleben – den Anspruch, stattdessen für „Glück“ und Selbstbestätigung zu sorgen. Im Grunde wird hier ein Anspruch auf Kompensation erhoben, der keine der im „Restleben“ stattfindenden Beschränkungen abschafft oder irgendwie ungeschehen machen oder ausgleichen kann. Das Privatleben im Allgemeinen und das Beziehungsleben im Besonderen wird mit dem kaum zu erfüllenden Anspruch belegt, für die Kosten des marktwirtschaftlichen Alltags zu entschädigen. Insbesondere der Sex ist zum eigenen Feld des Glücks avanciert, soll also für etwas durchaus anderes herhalten als die gemeinsame Lust an und miteinander. Ihn zu „haben“, gilt als Erfolg und wird damit dann auch zu einer Frage, an der sich bürgerliche Menschen – getrennt von allen wirklich in der Welt von kapitalistischer Wirtschaft und demokratischer Politik vorhanden Machtpositionen – ihre Leistungs- oder Erfolgsfähigkeit beweisen. Insofern (nicht einfach allgemein) geht es beim „Sex haben“ um die Bestätigung der Person, um ihren Selbstwert. Sex gilt – wie im übrigen auch andere Felder – als Möglichkeit das eigene Bild von sich als würdiger Person, der Erfolge doch irgendwie zustehen müssten gegen die Negativ-Erfahrungen des Alltags zu behaupten.
Wo Sex diesen Stellenwert als Selbstbewusstseinsaufpäppelung hat, nimmt es kein Wunder das die Art und Häufigkeit des Sex zu einem eigenen Feld des Angebens werden. Sex wird als Verkörperung von Glück, auf das man sich ein Anrecht einbildet, zum Anspruch und ihn zu haben als Ausdruck der eigener Erfolgstüchtigkeit – für Männer heißt das, dass sie Sex regelmäßig zum Prüfstein und Beweis ihrer eigenen Männlichkeit erklären. Wo das eingebildete Recht und das Selbstbild eines zum Erfolg befähigten Männer zusammen kommen, ist der Übergang zum Übergriff angelegt: Sich gegen den Willen der Frau die Bestätigung des eigenen Selbstbildes verschaffen und darin genießen, dass man einer ist, der sich nimmt, worauf er sich einen Anspruch einbildet. Verbreiteter noch als der tätliche Übergriff selbst ist die Kultur der Übergriffigkeit, in der Männer mit Blicken, Anmachen, Hinterherrufen usw. ggb. beliebigen Frauen ihr Selbstbewusstsein demonstrieren, ein zum Erfolg befähigter zu sein.
Cat callenden Männern geht es also um sich: Sie wollen sich als welche darstellen, die sich Frauen verschaffen können – und das betrachten sie als ihr Recht. Wer das Cat Callen zurückweist, durchkreuzt die Selbstdarstellung von Männern, die sich am Material von Frauen gerade als Männer zeigen wollen, die sich nehmen können, was sie wollen und worauf sie meinen ein Anspruch zu haben: Die sexuelle Befriedigung und Bestätigung durch Frauen. Diese Selbstdarstellung als potenter Mann lässt sich insbesondere auch noch einmal in einer Gemeinschaft von (gleichgesinnten) Männern genießen, vor denen man sich so beweist. Deswegen betrachten sie die Zurückweisung ihres eingebildeten Rechts auf die Frau als eine Ehrverletzung, durch die sie sich zu Beleidigungen oder Gewalttaten berechtigt sehen.
Insofern verweist die Kritik männlicher Übergriffigkeit auf eine Sorte Anspruchsdenken, die sich dem bürgerlichen Ansinnen verdankt, sich selbst und anderen die eigene Erfolgstüchtigkeit zu beweisen, sich also als ein würdiges Konkurrenzsubjekt darzustellen. Die Kritik des eingebildeten männlichen Anrechts auf Frauen verweist auf die Kritik des Mannes, der sich als bürgerliches Konkurrenzsubjekt aufführt, dass die Zwänge der Bewährung in der Konkurrenz in eine Herausforderung an sich und eine Frage seines Selbstwerts verkehrt. Insofern sind Macker ganz in den marktwirtschaftlichen Alltag eingepasste und zu ihm passende Ekel.
# Titelbild: C. Suthorn, CC BY-SA4.0, wikimedia commons
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