Während Lockdown auf Lockdown folgt, Ausgangssperren verhängt werden und Leute die sich im Park treffen von der Polizei gegängelt werden, gibt es einen Bereich, der von staatlichen Corona-Maßnahmen gänzlich unberührt bleibt: Der Arbeitsplatz. Marcus Schwarzbach hat sich angeschaut, wie genau dort nicht eingegriffen wird.
Der Dax schließt das Jahr 2020 mit einem Plus von 3,5 Prozent ab. „Als wäre nichts gewesen“, meldet die FAZ vom 02.01.2021 und macht damit deutlich: die Bundesregierung hat beim Umgang mit der Pandemie einen guten Job gemacht. Dabei gibt es auch „Kollateralschäden“, wie das neudeutsch heißt:
97 Arbeiter:innen sind im Corona-Jahr 2020 während der Arbeit tödlich verunglückt. Das zeigt eine Statistik der Gewerkschaft IG BAU unter Berufung auf die Berufsgenossenschaft. Im Vorjahr hat es mit 70 tödlichen Unfällen weniger Todesfälle gegeben.
Der Grund: fehlende Kontrollen. Die Kontrolleure der Berufsgenossenschaften sitzen zuhause im Homeoffice. Es sei „geradezu absurd, wenn diejenigen, die sich professionell um Infektionsschutz am Arbeitsplatz kümmern, dies nicht mehr machen dürfen und zu Hause bleiben müssen“, kritisierte der IG BAU-Vorsitzende Robert Feiger frühzeitig. „Das Schützen ist schließlich ihr Job.“. Stattdessen ging die Arbeit auf den Baustellen unvermindert weiter, Überstunden sind in vielen Betrieben an der Tagesordnung. Bereits seit Jahren wird das Personal in den Arbeitsschutzbehörden reduziert. Nach Aussage der Bundesregierung hat in den letzten ca. 15 Jahren ein Personalabbau im Bereich der Arbeitsschutzaufsicht stattgefunden. Die Überwachung im Arbeitsschutz befinde sich in einer „kritischen Gesamtsituation“, berichtet die Linkspartei.
Erfolgreich erfüllen Bundesregierung und Ministerpräsidenten ihren Auftrag. Lediglich um 5,0 % ist das Bruttoinlandsprodukt 2020 gesunken – trotz des knapp fünf Monate dauernden „Lockdowns“. Das Ziel, die Maschinen weiter laufen zu lassen, die Verwertung der Arbeit und Steigerung der Profite sicher zu stellen, wurde erreicht.
„Man muss Gesetze kompliziert machen, dann fällt es nicht so auf. Wir machen nix Illegales, wir machen Notwendiges.“ So erklärte Horst Seehofer bereits 2019. Diese Aussage scheint auch bei den bisher getroffenen Corona-Maßnahmen Leitlinien zu sein,ergänzt um den Ansatz, gar keine gesetzliche Regelung zum Schutz der Beschäftigten vor Corona zu treffen. Denn im Infektionsschutzgesetz, dem „3. Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ gibt es gar keine Vorgaben an Unternehmen zum Arbeitsschutz, die Belegschaften bleiben unerwähnt.
Vielmehr gibt es eine Reihe von Erlassen des Bundesarbeitsministeriums, bei denen es für Beschäftigte schwer wird, durchzusteigen. Es gibt den „SARS-CoV-2 Arbeitsschutzstandard“, gültig seit April 2020, und eine „SARS-CoV-2-Arbeitsschutzregel“, gültig seit August 2020.
Eine Verordnung dazu, die „SARS-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung“, besteht seit Januar 2021 – immerhin ein Jahr, nachdem die WHO Covid 19 als Gefahr erkannt hat. Die Regelungen sind schwer zu lesen, viele „Kann“- und „Soll“-Bestimmungen finden sich darin. Die Kernaussage findet sich unter 4.1 Abs. 3 der „SARS-CoV-2-Arbeitsschutzregel“: „Soweit arbeitsbedingt die Abstandsregel nicht eingehalten werden kann und technische Maßnahmen wie Abtrennungen zwischen den Arbeitsplätzen nicht umsetzbar sind, müssen die Beschäftigten mindestens MNB zum gegenseitigen Schutz tragen.“. Die Verantwortung ist klar verteilt: Nicht die Arbeitsorganisation muss geändert, nicht Betriebe geschlossen werden, die Beschäftigten in Halle oder Großraumbüro müssen sich schützen, indem sie eine Mund-Nasen-Bedeckung („MNB“) tragen.
Macht die Bundesregierung einen Fehler, greift die Industrie unterstützend ein. Die Verkündung einer „Osterruhe“ hielt die Kanzlerin einen Tag durch. Ein (!) freier Tag für die Belegschaften, bezahlt durch die Kapitaleigner:innen – das geht zu weit. Nach dem „Auto-Gipfel“, einer Kungelrunde von Politik- und Industrie-Vertreter:innen, ruderte das Kanzleramt zurück. „Einen Fehler einzuräumen, zeugt von Größe“, lobte die Präsidentin des Verbandes der Automobilindustrie (VDA), Hildegard Müller, die Einsicht Merkels. „Plötzliche Betriebsstilllegungen sind für eine international vernetzte Wirtschaft nicht darstellbar“, sagte sie laut einem Bericht des Branchenmagazins Automobilwoche. Hier zeigt sich die Humanität des hiesigen Kapitalismus. VDA-Chefin Müller gibt sich jedoch verständnisvoll: „Die Bundesregierung und die Ministerpräsidenten sind in einer ausgesprochen schwierigen Lage“.
Aus Sicht der Unternehmen bietet die Digitalisierung auch in Pandemie-Zeiten Vorteile. „Es piept, wenn sich ein Kollege nähert“ wird die Technik „Secure Distance Vest“ von Linde Material Handling beworben. Die „Wearables“ sollen dazu beitragen, dass Arbeiter:innen „sich auf ihre Tätigkeit konzentrieren können, ohne ständig abschätzen zu müssen, ob sie den vorgeschriebenen Abstand einhalten“. Wird der Abstand von 1,50 Meter nicht eingehalten, macht das Gerät Lärm: „akustisch, visuell und sensorisch“ wird die Arbeiter:in gerügt, Verstöße können dokumentiert werden. Ideal für die Unternehmen, um Verantwortung bei den Belegschaften abzuladen. Die Verwertung der Arbeitskraft geht auch in Corona-Zeiten ohne Rücksicht weiter und die Regierung tut alles dafür, dass das auch so bleibt.
# Marcus Schwarzbach ist Autor von „Work around the clock? Industrie 4.0, die Zukunft der Arbeit und die Gewerkschaften“, Papyrossa-Verlag
# Titelbild: Toennies, Zerlegung nach Coronastillstand
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