Corona-Proteste in Slowenien: Verschwörungstheorien irrelevant (IV Teil 2)

4. Oktober 2020

In Slowenien finden seit Ende April Großdemonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen der Regierung statt. Das LCM sprach mit Ramona, Anarchistin aus Ljubljana. Im ersten Teil des Interviews ging es darum, wie die Proteste entstanden sind und was die Leute auf die Straße treibt. Im zweiten Teil geht es um Verschwörungstheoretiker*innen, die gelebte Solidarität während der Aktionen und was es bedeutet über Monate hinweg an Massenprotesten beteiligt zu sein.

Die deutschen Corona-Proteste werden von Faschisten und Verschwörungstheoretikern dominiert. Spielt dies auch bei den Protesten in Slowenien eine Rolle?

Du erinnerst dich sicher noch daran, was 2013 in der Ukraine passiert ist. Mir und vielen Leuten hier sind die Worte eines Genossen in Erinnerung geblieben: „Wir waren nicht die Ersten auf dem Platz. Und weil wir später nicht zahlreich genug waren und uns nicht voll in diesem Kampf wiedererkannten, konnten andere – einschließlich der Faschisten und Nationalisten -die Oberhand gewinnen.“ Ich denke, das ist eine Lektion an die man sich erinnern sollte. Natürlich gibt es Kämpfe in denen wir uns nicht wiederfinden können, in denen die Kräfte gegen unsere Ideen einfach zu stark sind. Aber es gibt Kämpfe die wir beginnen können. Und diese Protestwelle wurde von einer Front von Antiautoritären, Anarchisten und Antifaschisten initiiert. Deswegen mussten alle anderen für einen Raum kämpfen den wir bereits mit unseren Ideen, mit unseren Botschaften, mit unseren Slogans, mit unseren Transparenten, mit unseren Leuten bewohnten. Deswegen sind sie einfach irrelevant. Denn das, was die Menschen zum Kampf gegen die autoritären Maße des Staates inspirierte, wurde von dieser Art antifaschistischer, antiautoritärer Botschaften beherrscht. All die Impfgegner und die Leute die sich mit diesen Verschwörungstheorien beschäftigen, wie z.B. das Virus sei nicht real und so weiter, hatten einfach keinen Boden auf dem sie operieren konnten. Sie wurden von Anfang an ausgegrenzt. Natürlich sind sie präsent, aber wir sprechen hier von einem so unbedeutenden Prozentsatz an Menschen, dass es sehr schwer vorstellbar wäre, dass sie entweder den öffentlichen Raum oder das öffentliche Bild der Proteste übernehmen könnten. Und dies ist eine weitere Lektion die wir lernen müssen: Manchmal kann man sich Kämpfen nicht entziehen, auch wenn sie uns nicht so wichtig sind. Also nehmen wir anderen Menschen die sonst auf die Straße gehen würden einfach die Luft zum Atmen .

Wie ging der Protest dann weiter?

Was die ersten Monate der Proteste wirklich prägte, war die Struktur die auf den Straßen geschaffen wurde und sich als wirklich produktiv erwies. Die antiautoritären und anarchistischen Initiativen schlossen sich zu einem antikapitalistischen Block zusammen. Bald schlossen sich ihnen ein Block von Kulturschaffenden und der Umweltblock an. Diese verschiedenen Blöcke unterstützten sich gegenseitig und waren in der Lage, verschiedene Themen gleichzeitig, von unten und ohne politische Parteien, anzugehen.

Das war sehr interessant und wichtig, als die Repression wirklich begann. Denn nach zwei Wochen begann die Polizei mit einer anderen Art der Repression, die wir vorher noch nicht gesehen hatten. Wir sind daran gewöhnt, dass die Robocops bei Riots da sind. Aber die Menge der Polizei die auf den Straßen anwesend war, war bei unseren Demonstrationen beispiellos. Es erinnerte uns an Gipfeltreffen; das Stadtzentrum war komplett blockiert. Besetzte Häuser wurden ständig überwacht, die Polizei versuchte zu verhindern, dass Menschen zu den Demonstrationen kommen. Sie nahmen bekannte Aktivisten ins Visier um sie daran zu hindern, sich den Protesten anzuschließen und stoppten wahllos Leute die sie für verdächtig hielten. Und nicht die gewöhnliche Polizei. Wir sprechen hier von Robocops, weit abseits der Proteste, was vorher nicht der Fall war. Eine große Anzahl von Menschen wurde von der Polizei schikaniert, angehalten und durchsucht. All das machte die Leute wütend und beunruhigte sie.

Der „schwarze Block“ – der, wie wir in den USA und anderswo gesehen haben als „Antifa“ bezeichnet wurde, wurde sehr schnell zum Staatsfeind erklärt. In der fünften Woche der Proteste gab es einen Konflikt zwischen dem schwarzen Block und der Polizei. Interessant war zu diesem Zeitpunkt, dass als dieser Konflikt ausbrach, andere Leute nicht zurückwichen. Denn zu diesem Zeitpunkt war klar, dass es die Anarchisten waren, dass es die Antifaschisten und Antiautoritäre waren, die von Anfang an dabei waren. Die Menschen kannten ihre Agenda und ihre Propaganda und kannten sie auch aus früheren Kämpfen. Sie wurden also nicht als das fremde Element der Proteste gesehen, wie wir es sonst oft in dieser Debatte „Gewalt gegen keine Gewalt“ sehen. Die Menschen schützten Menschen, die Schwarz trugen. Es ging so weit, und das ist wegen der drei Blöcke die ich vorhin erwähnt habe relevant, dass bei der nächsten Demonstration alle drei Blöcke erklärten, dass der Dresscode der Demonstration schwarz ist. Die Menschen haben sich also massiv schwarz gekleidet, um ihre Solidarität mit dem schwarzen Block zu bekunden, der zu dieser Zeit nicht nur von der Polizei, sondern auch von der rechtsextremen Presse und der Regierung auf Twitter usw. angegriffen wurde.

Dann fing langsam der Sommer an. Und es wurde klar, dass die Regierung zunächst einmal darin versagt hatte, uns zu unterdrücken. Denn je mehr die Polizei in die Proteste eingriff, desto wütender wurden die Menschen und desto mehr Menschen kamen. Und dann gelang es ihnen nicht, uns zu spalten, denn die alte Trennung zwischen den guten, friedlichen Demonstranten und den schlechten, ungezogenen und gewalttätigen Demonstranten scheiterte ebenfalls. Dann begannen sie mit der dritten Option: Sie mobilisierten eine kleine Anzahl organisierter Neonazi-Gruppen von Blood&Honour und anderen, die – und das wurde in der Vergangenheit nachgewiesen – eine Verbindung zu der Partei haben, die gerade an der Regierung ist. Und wieder sind sie gescheitert. Weil sie durch die schiere Zahl der Menschen und auch durch die antifaschistische Haltung der Leute vertrieben wurden. Als all diese also Dinge scheiterten, hat die Regierung glaube ich einfach damit begonnen darauf zu warten, dass die Menschen müde werden.

Werdet ihr müde?

Wir müssen uns daran gewöhnen, dass wir als der aktivere Teil der sozialen Bewegung herausfinden müssen, wie wir unsere Widerstandskraft sowohl gegenüber Repression als auch gegenüber Erschöpfung erhöhen können. Wir müssen uns überlegen, wie wir ständig mobilisiert sein können. Als soziale Bewegung müssen wir uns der Herausforderung stellen. Wir haben erkannt, dass wir andere Wege finden müssen, um sowohl füreinander zu sorgen als auch gemeinsam gefährlich zu sein. Denn die Regierungen, der Kapitalismus und andere Systeme der Unterdrückung werden einfach nicht aufhören. Und wir nähern uns mehr oder weniger der Tatsache, dass der historische Kompromiss mit der Arbeiterklasse, der zumindest in Europa zu einem Wohlfahrtsstaat geführt hat, vorbei ist. Und dass die einzige Option für die Fortsetzung eines Wohlfahrtsstaates in der Illusion besteht, dass dies nur noch für eine kleine, abgeschottete Gemeinschaft meist weißer, gebildeter und privilegierter Menschen im Westen auf Kosten aller, die sich außerhalb der europäischen Grenzen aufhalten, möglich ist.

Es wird immer mehr Spaltungen in der Gesellschaft geben, wir sind mit dem globalen Trend zur extremen Rechten konfrontiert. Und das alles sind Herausforderungen, die unsere Aufmerksamkeit und unsere Organisierung erfordern. Wir können also nicht einfach von ein paar Wochen oder ein paar Monaten des Protests müde werden, wir müssen neue Wege finden, um die politischen Konflikte zu erhalten. Denn es besteht die Gefahr, dass jeder Protest der lange andauert, zum Ritual wird, dass er sich wiederholt und es an politischem Konflikt mangelt. Es ist schwierig, Konflikte so lange zu führen, besonders in kleineren Ecken wie Ljubljana wo immerdie gleichen Leute gegen die gleichen Polizisten protestieren. Das sind alles sehr realistische Herausforderungen, mit denen wir uns auseinandersetzen müssen. Aber als Anarchisten ist es wichtig, dass wir Teil dieser Versuche ,zu zeigen was es bedeutet zu kämpfen, sind. Denn die Situation mit Covid wird nicht verschwinden, und je mehr wir mit ihr konfrontiert werden, desto entbehrlicher wird unser Leben. Denn das Kapital wird sich einen weiteren Lockdown nicht mehr leisten können, was bedeutet, dass wir sterben werden. Und in Momenten wie diesem ist es umso wichtiger, neue Verbindungen auf der Straße zu knüpfen; neue Verbindungen zwischen Bewegungen, neue Verbindungen zwischen Initiativen. Und zu versuchen, eine verlässliche, selbstorganisierte Struktur gegenseitiger Hilfe zu schaffen und gleichzeitig dafür zu sorgen, dass die Staaten in Schach gehalten werden, mit dem was sie unter dem Vorwand dieser Covid-Krise tun.

Versucht ihr mehr Menschen zu organisieren? Oder passiert es schon, dass sich Menschen bestehenden Organisationen anschliessen?

Mit jedem Augenblick werden neue Menschen mobilisiert. Es ist der beste Weg, Menschen in Strukturen zu mobilisieren, aber natürlich müssen diese Strukturen auch vorhanden sein. In Ljubljana sind wir sehr privilegiert, da wir zwei Squats haben die Orte der Organisation radikalen Denkens und radikaler Praxis sind, nicht nur jetzt, sondern generell. Ich denke, es ist wichtig, diese Strukturen zu erhalten und viel mehr autoritäre Strukturen wie z.B. politische Parteien aus diesen Protesten herauszuhalten. Natürlich haben sie einen großen Appetit, die Früchte unserer Arbeit zu ernten. Aber wir haben es geschafft, dass dies Proteste keine Sachefür politische Parteien sind.t

Davon abgesehen zeigen wir in der Praxis, wie wir uns eine andere Art von Kollektivität vorstellen können. Was bedeutet es eine selbstorganisierte Nahrungsmittelversorgung und -produktion zu haben, was bedeutet es ein Zuhause zu haben, für das man keine Miete zahlen muss, was bedeutet es andere Strukturen zu haben, um unsere emotionalen Bedürfnisse zu befriedigen, die normalerweise etwas sind, bei dem sich die Menschen entweder auf den Staat oder das Kapital oder die patriarchale Institution Familie verlassen, um sie zu befriedigen. Das sind Herausforderungen mit denen wir alle fertig werden müssen.

Und sie werden in Zeiten der Mobilisierung oft vergessen. Denn während einer Mobilisierung liegt der Fokus auf den Straßen. Aber wir müssen lernen, dasswenn wir Squats verlieren, wenn wir in der Bewegung Orte verlieren, bei denen es sich anfühlt, als sei ihre Aufrechterhaltung eine Zeitverschwendung oder eine sehr konfliktfreie oder nicht radikale Art, Politik zu machen; wenn es also zu einer Situation kommt, wie wir sie jetzt gerade haben, dann wird einem erst klar wie wichtig diese Strukturen sind. Und ich spreche über alles, von besetzen Häusern über öffentliche Küchen bis hin zu unabhängigen Medien. All das. Denn mit dieser Infrastruktur können wir den Menschen tatsächlich zeigen, was es bedeutet sich anders zu organisieren, so dass sie sich inspirieren lassen und es selbst tun oder sich bestehenden Strukturen anschließen können. Ohne diese Strukturen wäre es jetzt kompliziert oder unmöglich, das Tempo und die Intensität beizubehalten, die wir gerade erleben. Um ehrlich zu sein, es wäre unmöglich. Es ist also klar, warum der Staat manchmal ein viel größeres Interesse daran hat uns aufzuhalten und unsere Projekte und unsere Infrastruktur zu zerstören, als dass wir Interesse haben sie aufrecht zu erhalten und pflegen. Aber in Zeiten, in denen wir nicht über eine so hohe Mobilisierung verfügen, ist es wichtig an der Erhaltung und Öffnung neuer Strukturen zu arbeiten, denn siespielen eine wichtige Rolle, wenn es heiß wird.

# Titelbild: Črt Piksi, Demo in Ljubljana

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