Kriminelle Vereinigungen gibt es hierzulande zuhauf. Da wären zum Beispiel VW, DFB, ADAC und Wirecard, um nur einige wenige zu nennen, die zuletzt mit mafiösen Machenschaften aufgefallen sind. Hier und da wird sogar gegen die Verantwortlichen ermittelt, aber dass etwa beim früheren VW-Boss Martin Winterkorn SEK-Polizisten mit Maschinenpistolen im Anschlag die Tür eingetreten haben, ist bisher nicht bekannt geworden. Wer dagegen die Welt, die offenbar von derartigen Verbrecherorganisationen beherrscht wird, verändern will, der bekommt frühmorgens Besuch von schwer bewaffneten Kommandos – wie Aktivist*innen der Gruppe Roter Aufbau Hamburg am 31. August.
Tatsächlich sind die Razzien gegen 22 Beschuldigte nach Informationen des Lower Class Magazine von der Staatsanwaltschaft Hamburg mit dem Paragraphen 129 begründet worden, also dem Vorwurf der „Bildung einer kriminellen Vereinigung“, und nicht dem 129a, der sich gegen die „Bildung einer terroristischen Vereinigung“ richtet. Der erste Absatz des Paragraphen 129 lautet: „Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer eine Vereinigung gründet oder sich an einer Vereinigung als Mitglied beteiligt, deren Zweck oder Tätigkeit auf die Begehung von Straftaten gerichtet ist, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren bedroht sind.“
Um diesen Vorwurf zu untermauern bezieht sich die Staatsanwaltschaft in den Beschlüssen für die Durchsuchungen auf angebliche Straftaten der 22 Aktivist*innen. Dabei geht es einmal um den Brandanschlag auf zwei Privatfahrzeuge des Hamburger Polizeidirektors Enno Treumann am 23. September 2016 vor dessen Haus im Norden der Stadt. Zum zweiten wird einem Teil der 22 Beschuldigten vorgeworfen, bei der Demonstration im Industriegebiet Rondenbarg am ersten Tag des G-20-Gipfels am 7. Juli 2017 dabei gewesen zu sein. Über 80 Teilnehmer*innen des Aufzugs sollen demnächst für das Mitlaufen bei der Demo vor Gericht gestellt werden. Darüber hinaus sollen Aktivist*innen bei Demonstrationen zu Gewalt aufgerufen haben. Auch Aktionen gegen Faschist*innen sind den Ermittler*innen offenbar ein Dorn im Auge.
Ob das Material, welches die Staatsanwaltschaft gesammelt hat, für eine Anklage nach dem Paragraphen 129 StGB überhaupt reichen wird, ist dem Vernehmen nach noch völlig unklar. Das hängt offenbar auch davon ab, was die Staatsanwaltschaft noch an Informationen in der Hinterhand hat. Polizei und Justiz gehen in diesem Fall wie so oft nach der Devise vor: Erstmal gucken, was wir bei den Razzien finden und dann sehen wir mal, was daraus gebastelt wird. Der Paragraph 129 resp. der 129a des Strafgesetzbuches gilt nicht umsonst als Schnüffelparagraph.
Im dritten Absatz des Paragraphen 129 heißt es, dass der oben zitierte Absatz 1 nicht anzuwenden ist, „wenn die Begehung von Straftaten nur ein Zweck oder eine Tätigkeit von untergeordneter Bedeutung ist“. Das ist beim Roten Aufbau erkennbar der Fall. Selbst wenn die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft sich bewahrheiten würden, wäre die Gruppe immer noch keine Vereinigung, deren Zweck auf die Begehung von Straftaten ausgerichtet ist. Sondern die betreffenden Taten wären Mittel zum Zweck, der beim Roten Aufbau tatsächlich im Zentrum steht: die Überwindung eines menschenverachtenden Systems, das über Leichen geht. Abgesehen davon wären militante Aktionen, vorausgesetzt es hat solche gegeben, nur ein vermutlich kleiner Teil der Aktivitäten des Roten Aufbau. Viel mehr Raum nimmt die politische Bildungsarbeit ein, Verbreitung von Erklärungen und Öffentlichkeitsarbeit, Demonstrationen et cetera pp. Im Kulturladen der Gruppe „Lüttje Lüüd“ (plattdeutsch für „kleine Leute“) macht man offene Stadtteilarbeit, veranstaltet Vorträge und mehr. All dies ist nicht strafbar – oder eben doch, wenn die Überschrift dieser Aktivitäten ist, dass man eine gerechte Gesellschaftsordnung anstrebt.
Es ist offensichtlich: Die Razzien und das Ermittlungsverfahren dienen den Repressionsbehörden vor allem dazu, eine Gruppe, die seit über zehn Jahren eine gute Aufbauarbeit leistet und in der sich hauptsächlich junge Menschen für eine andere Welt einsetzen, zu stigmatisieren und unter Druck zu setzen. In der Öffentlichkeit soll der Rote Aufbau als klandestine Truppe vermummter „Chaoten“ hingestellt werden, um potentielle Anhänger der Gruppe abzuschrecken.
Damit wird auch die gesamte radikale Linke unter Generalverdacht gestellt.
Eine kraftvolle Antwort ist nötig! Am morgigen Sonnabend ist die Gelegenheit dazu, wenn der Rote Aufbau zu einer Demonstration unter der Überschrift „Standhalten gegen Repressionswelle & Klassenjustiz – gegen § 129/a/b“ mobilisiert, um 18 Uhr auf der Reeperbahn.
Im Aufruf zur Demo heißt es: „Der Wunsch nach einer anderen Welt treibt uns an und wird immer stärker sein als ihre Repression, wenn wir als linke Bewegung es schaffen trotz all unserer Differenzen zu verstehen, dass aktuell nicht nur eine Gruppe im Fokus steht, sondern die gesamte linke Praxis und weite Teile der Bewegung. Es ist Zeit aus seiner spezifischen linken Blase auszubrechen und zu verstehen, dass wir die ersten sind, aber wenn wir uns nicht zusammen dagegen wehren, wohl nicht die Letzten sein werden, die sie mit solchen Vorwürfen kriminalisieren. Unsere Solidarität wird ihrer Repressionswelle standhalten.“