Ohne Handyempfang, aber ganz schön vernetzt: Mit dem Kongress „Fast Forward 2014: Demanding the Future?“, der vom 12. bis 14. September diesen Jahres im beschaulichen Edale stattfand, hat das antiautoritäre Bündnis Plan C bewiesen, dass es von einer Organisation mit Potential zu einem ernst zu nehmenden Angebot für politisch heimatlose Kommunist*innen, Autonome, organisierte Anarchist*innen und Extrotzkist*innen in Großbritannien geworden ist. Maßgeblich dafür sind nicht nur schlaue Podien und Workshops, sondern auch praktische Projekte, wie die geplante Intervention auf der TUC-Demo im Oktober in London.
Man hatte es nicht leicht, als Linksradikale*r in Großbritannien. Auf der einen Seite beanspruchte die in Jahrzehnte alten Routinen verfahrene trotzkistische „Socialist Workers Party“ (SWP) weiterhin, alle mit proletarisch-revolutionärem Bewusstsein bei sich zu sammeln. Auf der anderen Seite zerfielen die anarchistisch-ökologischen Freund*innenkreise der Direkten Aktion (von Kraftwerkbesetzungen bis zur Tierbefreiung) immer weiter, weil es zunehmend schwerer wurde, organisatorische Kontinuität und gesamtgesellschaftliche Zusammenhänge herzustellen. Im Gegensatz zu populistischen Rechten (UKIP) schaffte es die Linke nicht den zunehmenden Legitimationsverlust der etablierten Parteien für sich zu nutzen. Zumal es auch dem größten Antifa-Netzwerk AFN nicht gelang, über den Anti-Nazi-Fokus hinaus eine politische Perspektive zu entwickeln. Mit dem skandalösen Umgang mit einer Vergewaltigung in den Reihen ihres Zentralkomitees Anfang 2013 ist die Trotzki-Partei in eine tiefe Krise geraten; die Klima- und Tierrechtsaktivist*innen leiden neben ihrer perspektivlosen Einpunktpolitik zunehmend an repressiver Gesetzgebung und verschärfter Aufmerksamkeit des Staates. Vor dem Hintergrund des desaströsen Abbaus des englischen Sozialstaats und der reaktionären Wende, machten die massiven aber kurzlebigen Studierendenproteste und Riots von 2011 die fast vollständige Abwesenheit einer emanzipatorischen Alternative um so schmerzhafter spürbar.
In der Folge starteten Abtrünnige beider Lager verschiedene Initiativen um antikapitalistisch ausgerichtete Netzwerke und Bündnisse zu organisieren. Das neu gegründete „International Socialist Network“ (ISN) wirbt offensiv von der SWP ab und startet (mal wieder) den Versuch der diesmal wirklich wahren Organisation der Arbeiter*innenklasse. Andere Initiativen bemühten sich, sowohl vom strammen Parteikonzept zermürbte Post-Trotzkist*innen als auch organisationsfreundlichere Antiautoritäre zu vereinen. Der Erfolg hält sich allerdings in Grenzen. Die einst vielversprechende „Anticapitalist Initiative“ (ACI) ist an diesem Projekt mehr oder weniger gescheitert; nach anfänglichem Hype gab es aufgrund ungeklärter Position einen dramatischen Rückgang an Beteiligung, sodass das Projekt auf der politischen Landkarte so gut wie irrelevant geworden ist.
Ein Projekt ähnlicher Herkunft hat sich landesweit 2012 unter dem Namen „Plan C“ (1) konstituiert. Die Anfangszeit über war man hauptsächlich damit beschäftigt, ein grundlegendes, gemeinsames Selbstverständnis unter desillusionierten anti-Globalisierungslinken, Klima- und Umwelt-Aktivist*innen, Studiprotestler*innen und kritischen Akademiker*innen herzustellen, zu deren Sammelbecken Plan C geworden war. Bei den großen Anti-Cuts-Demos 2012/2013 gab es dann eine erste Flyeraktion, gefolgt von Veranstaltungen zu Commons, sozialer Reproduktion und Arbeitskritik. Im vergangenen Jahr tat sich die Organisation zudem mit der Bemühung um internationale Vernetzung hervor; als Teil der antiautoritären Plattform gegen Kapitalismus „Beyond Europe“ (2) war sie u.a. beim …ums Ganze!-Kongress im Sommer 2013 in Berlin vertreten.
Wie bei allen überregionalen Bündnissen gab es auch bei Plan C zwischenzeitlich Bedenken, ob der Laden zusammenhalten werden kann. Kritiker*innen sagten, es sei nur eine Frage der Zeit bis zum Kollaps und die englische Linke wäre um ein weiteres gescheitertes Projekt reicher. Doch das Bündnis blieb aktiv, kanalisierte unterschiedliche Interessen zu einem Fundament mit antikapitalistischer, sowie aktivistischer Ausrichtung. Zwar konnte sich Plan C konsolidieren, die anfängliche Euphorie war aber verflogen. Als Konsequenz fand im September dieses Jahres unter dem Titel „Fast Forward 2014 – demanding the future?“ der erste Plan-C Festival im Derbyshire Peak District zwischen Manchester und Sheffield statt.
Von Podien, Workshops und Untersuchungen
In Workshops und drei zentralen Podien ging es dabei um die Frage, wie zukünftig eine linksradikale Politik aussehen könnte, welche mit der Selbstghettoisierung Schluss macht und gesellschaftliche Wirkmacht organisiert, ohne Teil des Establishments zu werden.
Im Zentrum des ersten Podiums stand Angst/Unsicherheit als spezifisches Moment neoliberaler Subjektivierung. Tenor war hier, kollektive Plattformen zu organisieren, um die weit verbreiteten psychologischen Störungen der Gegenwart (Depression, Burnout usw.) als Effekte und Mittel post-fordistischer, kapitalistischer Vergesellschaftung zu politisieren. Neben den vertretenen Positionen, war dabei vor allem die Zusammensetzung des Podiums aussagekräftig: Neben dem Institute for Precarious Consciousness – das einen theoretischen Aufriss lieferte (3) – saßen eine Sprecherin der Kampagne Boycott Workfare sowie das Madness Solidarity Network aus Glasgow auf dem Podium. Sie stellten nicht nur unterschiedliche Facetten des Problems zur Debatte, was für wenig Berührungsängste spricht, sondern verankerten diese auch lebensweltlich – ein Zugang, der sich durch fast alle anderen Veranstaltungen ziehen sollte.
Das zweite Podium reflektierte explizit die Fragestellung des Festivals: das schwierige Verhältnis linksradikaler Politik, der es ums Ganze geht, zu konkreten politischen Forderungen. Brisanz gewinnt diese Frage vor allem ob der Schwäche, in der sich linksradikale Politik leider fast überall in Europa trotz der anhaltenden Krise(n) weiterhin befindet. Diskutiert wurde unter anderem mit Critisticuffs, einer wertkritischen Gruppe in London. Während diese die strukturelle Widersprüchlichkeit antikapitalistischer und antietatistischer Forderungen an den Staat oder das Kapital betonte – eine in England bisher eher isolierte Perspektive –, schlug der Plan-C-Vertreter vor, Forderungen selbst als Mittel für weitergehende Organisierungen und Mobilisierungen zu nutzen, sie also zum Element einer linksradikalen Politik und nicht zu ihrem Ziel zu machen. Die Gruppe feminist fightback beharrte zudem darauf, dass es neben dem „wie“ der Forderung auch auf das „was“ ankommt. Sie verwies auf Beispiele, in denen die Verschränkung unterschiedlicher Herrschaftsverhältnisse anhand von Forderungen sichtbar gemacht werden konnte.
Im Abschlusspodium – dem internationalsten des Wochenendes – plädierte eine Vertreterin vom „Observatorio Metropolitano“ (4) aus Madrid dafür, trotz der derzeitigen Stärke sozialer Bewegungen in Spanien aus pragmatischen Gründen den Weg in die bestehenden Institutionen nicht zu vermeiden. Den Staat wolle man dann von innen auflösen. Die laut dem Observatorio dafür bisher fehlenden und wiederholt eingeforderten „Instrumente“ klangen, wurde es konkreter, dann häufig doch ein wenig nach der Piratenpartei; angesichts des stark basisdemokratischen sowie zurecht parteikritischen Geistes der spanischen M15-Bewegung auf der einen, sowie der Trägheit und Logik, der nationalstaatliche, gar europäischen Institutionen eben unterworfen sind, auf der anderen Seite, bleibt das Ganze in jedem Fall ein kühnes Unterfangen. Ein Repräsentant des kommunistischen Bündnis „…ums Ganze!“ aus Deutschland und Österreich sprach sich dagegen dafür aus, durch Plattformen wie „Beyond Europe“ antiautoritäre Kämpfe und konkrete Initiativen antikapitalistischer Selbstorganisation international zu vernetzen und gesellschaftliche Transformationsperspektiven so zu stärken; hierfür müssen effektive Formen der konkreten Solidarität entwickelt sowie reaktionären Antworten auf die Krise durch die Etablierung progressiver Lebensentwürfe der (argumentative und reale) Boden entzogen werden. Dass es sich bei dieser Verstetigung internationaler Kontakte diesseits von Gipfelevents auch um eine Konsolidierung aus eigener Schwäche heraus handelt, soll dabei nicht unterschlagen werden. Klar wurde in jedem Fall – der wilde Flurfunk zur möglichen Unabhängigkeit Schottlands bestätigte das –, dass internationaler Antinationalismus auch in England derzeit vor allem ein Schlagwort ist. Dessen Reichweite fällt, wenn überhaupt, zudem einigermaßen eurozentrisch aus. Jedoch scheint angesichts der kaum bestehenden internationalen Zusammenarbeit linksradikaler Organisationen eine europäische Vernetzung als ein notwendiger erster Schritt.
Organisatorische Intelligenz und klare Ansagen
Einen zentralen Stellenwert im Programm beanspruchten auch sechs sogenannte „Inquiries“ (Untersuchungen), die den Charakter von Werkstätten hatten. In ihnen wurde, in oft experimenteller Weise, die Fragestellung des Kongresses aus unterschiedlichen Perspektiven – etwa zu Migration und Grenzen oder der Frage der Reproduktion – untersucht. Dabei erlaubten Verfahren des mappings und der Visualisierung unterschiedliche Erfahrungen und Hintergründe der Teilnehmer*innen zusammenzuführen. Es spricht für die Ernsthaftigkeit des Unterfangens von Plan C, dass die Ergebnisse der Inquiries nicht nur dokumentiert und archiviert, sondern in den kommenden Monaten durch zusätzlichen Inputs der Teilnehmer*innen erweitert und weiterentwickelt werden sollen.
Mit 170 Teilnehmer*innen aus dem In- und Ausland sowie zahlreichen weiteren Anmeldungen hat Fast Forward 2014 gezeigt, dass Plan C in Großbritannien zu einem ernstzunehmenden Organisationsansatz für antiautoritäre Linke verschiedenster politischer Backgrounds geworden ist. Verantwortlich dafür ist nicht nur das theoretische Niveau sondern auch die organisatorische Intelligenz, wie sie sich in der konzeptionellen Offenheit ohne Kompromisse bei der politischen Linie zeigte. In der Feedback-Runde war dann auch viel von „Generosity“ (Freigiebigkeit) die Rede und davon Vertrautheit ohne Cliquentum oder Szene-Codes herzustellen. Die Selbstverständlichkeit, mit der eine umfassende dreitägige Betreuung für die etwa 20 anwesenden Kinder gewährleistet wurde, gehört sicher ebenfalls dazu. Dass in den Hügeln um Edale kein Handynetz verfügbar war und dadurch zumindest eine Ablenkung entfiel, mag da nur ein glücklicher Zufall gewesen sein. Während das deutschen Feuilleton – angesichts der anhaltenden Krise dezent kapitalismuskritisch gestimmt – derzeit das (ebenfalls englische) Accelerationism-Manifest verhandelt, nachdem der kommende Aufstand ausgefallen ist und sich die Facebook-Revolutionen in blutige Schlachtfelder verwandelt haben, und damit sowohl die Provokationslust als auch das eigene Gewissen befriedigt, wurde bei „Fast Forward“ in aller Bescheidenheit der Versuch unternommen, die Herausforderungen, die das Manifest skizziert, in ein politisches Projekt zu verwandeln (5); dass die Diskussionen um einen progressiven Umgang mit Technologie („Fast Forward:…), gesellschaftliche Gestaltungsmacht (Demanding…) und die Wiederherstellung eines emanzipatorischen Horizonts (the Future?“), zwischen Kühen und Schafen stattfanden – so viel Widerspruch gilt es bei aller Kritik an Lokalismus und Autarkie-Phantasien, die das Manifest zu recht formuliert, wohl auszuhalten. Zum Versuch gehörte auch der Umgang mit Sprache: Wendungen wie „Community of Reference“ oder „Mobility Commons“ flogen genauso oft durch den Raum, wie ihre Erläuterung vehement eingefordert wurde.
Ein gelungenes Festival reicht natürlich nicht. Die Organisation wird sich nun wohl mit Neuzugängen, interessierten Gruppen und Bündnisoptionen auseinandersetzen. Um ein Wachstum ohne größere Verwerfungen zu bewerkstelligen, muss das Plan-C-Profil noch weiter geschärft werden, sowohl in Theorie, Organisation als auch Praxis. Dass es hierbei noch Leerstellen und faule Kompromisse gibt, hat das Festival gezeigt, aber auch selbstkritisch adressiert: Dazu gehören sicherlich die Staats- und Nationenkritik sowie daran orientierte Interventionsstrategien. Keinen Masterplan in der Hinterhand zu haben, mag sich allerdings als Trumpfkarte erwiesen haben. Schließlich beginnt nach der ersten, konstituierenden Phase nun das verflixte dritte Jahr, wo es einiges zu verlieren gibt – aber auch zu gewinnen.
Eine erste Gelegenheit dazu bietet eine große Gewerkschaftsdemonstration am 18. Oktober in London. Unter dem Motto „Britain Needs a Payrise“ (England braucht eine Gehaltserhöhung) ruft hierzu der Trade Union Congress auf, also genau jene Dachorganisation, die erst vor kurzem unbezahlte Traineeships von bis zu fünf Monaten erneut abgesegnet hat. Konsequent ruft Plan C zu einer Intervention in die Demo auf, die all jenen einen Anlaufpunkt bieten sollen, die von der TUC nicht nur nicht repräsentiert, sondern von ihrer Politik aktiv marginalisiert und unsichtbar gemacht werden. Von Bedeutung sind auch die Diskussionsrunden, die im Vorfeld von allen bestehenden Ortsgruppen – London, Leeds, Manchester und Thames Valley – ausgerichtet werden: We need to talk about work! Vor dem Hintergrund ihrer dezidierten Arbeitskritik und Aufmerksamkeit für die Transformationen von Lohn- und Reproduktionsarbeit, eine klare Ansage.
Text: H. Mohseni, K. v. Dach
Photos: Amy
Anmerkungen:
(1) Plan C hat derzeit Gruppen in Leeds, London, Manchester und Thames-Valley (http://www.weareplanc.org/)
(2) Beyond Europe. Antiauthoritarian Platform against Capitalism besteht als feste Plattform seit 2013 und besteht derzeit aus den Gruppen AK (Griechenland), Drasi (Griechenland), Plan C (UK), Syspirosi Atakton (Cypern) und …ums Ganze (Deutschland, Österreich) http://beyondeurope.net/#
(3) Grundlage der Diskussion war der vom Institute verfasste und von Plan C auf ihrer Homepage verbreitete Text „We are all very anxious“. Eine stark gekürzte deutsche Übertragung samt kleiner Einführung hat die Gruppe TOP B3rlin unter dem Titel „Eine Maschine zur Bekämpfung der Unsicherheit“ vor kurzem in Analyse und Kritik veröffentlicht.
(4) Das Observatorio Metropolitano ist ein interdisziplinäres Kollektiv, welches sich der Erforschung und Wissensproduktion zu Methoden und praktischen Mitteln sozialer Bewegungen und sozaler Kämpfe widmet. http://www.observatoriometropolitano.org/
(5) In der Veranstaltungsreihe Conversations about the Future setzte sich Plan C auch explizit mit dem Manifest auseinander, u.a. in einem Podiumsgespräch mit einem seiner Autoren, Nick Srnicek, und der Grünen Politikerin Natalie Bennett. Ein Podcast der Veranstaltung findet sich unter http://www.weareplanc.org/a-future-that-doesnt-work-podcast/#.VB7faPl_uAU