Aus der Lostrommel ins Trommelfeuer: Deutschlands Ruf nach Wehrpflicht

16. November 2025

Einen Tag nach dem 70. ‚Jubiläum‘ der Bundeswehr kam der Knall: Die Einigung zum neuen Wehrdienst steht. Schallendes Geklapper kommt aus den Gräbern der Nazis, die nach Ende des Zweiten Weltkriegs auf Geheiß der USA die Bundeswehr aufgebaut hatten. Deutschlands zentrale Lage in Europa und der Zugang zur Nord- und Ostsee sind dabei nur die geografischen Bedingungen, welche einen Großmachtswahn schürten, der auch nach den beiden Weltkriegen nie erlosch.


Heute heißt es offen von der Bundesregierung, dass die Bundeswehr zur stärksten konventionellen Armee Europas umgebaut werden soll. Seit der Gründung der Bundeswehr am 12. November 1955 sind 70 Jahre vergangen. Der Ruf wurde aufpoliert, so wie die alten Karabiner vom Wachbatallion, die einst auf Elsass und Schlesien zielten und jetzt in den regnerischen Himmel Berlins zum großen Hurra gestreckt werden. Mittlerweile befinden sich auch zahlreiche Migrant:innen in der Truppe. Auch der regenbogenfarbene Flecktarn wirbt mittlerweile für Diversität im Schützengraben, während Anton Hofreiter von der einstigen Friedenspartei, den Grünen, die Mähne im militärischen Takt der Snaredrums schwingt.

Doch heißt es immerfort von allen Seiten, dass das Heer noch nicht bereit für den Marschbefehl sei. Heute würden, so Kriegsminister Boris Pistorius, noch rund 80.000 Soldaten für die von ihm geforderte Kriegstüchtigkeit fehlen. Bis 2029 solle das Land bereit für den Showdown a.k.a. Krieg sein. Dazu, so stellte Pistorius im vergangenen Jahr fest, müsse man „durchhaltefähig und aufwuchsfähig“ werden. Schon damals ließen diese Worte aufhorchen, waren sie doch schon der eindeutige Fingerzeig in Richtung eines neuen Wehrdienstes, der jetzt in eine vorläufige Form gegossen wurde.

Wie die Resilienz geschmiedet wurde

Nun kommt die Forderung nach einer neuen Mobilmachung nicht von ungefähr – die Worte „Kriegstüchtigkeit, Resilienz und Wehrhaftigkeit“ haben schon weit vor Beginn des Ukrainekriegs eine neue Hochkonjunktur erfahren. Gleichermaßen wurde damit die Bevölkerung häppchenweise auf den neuen Kurs der Bundesrepublik eingeschworen. Wir seien bereits jetzt Teil eines hybriden Krieges, schallt es von den Rednerpulten. Desinformation, Destabilisierende russische Aktivitäten, Drohnen über Flughäfen und der Feind hört mit, wie es in den Jahren des Zweiten Weltkriegs zur Bekämpfung des Feindes im Inneren hieß. So kommt es nicht überraschend, dass am Ende dieser Fahnenstange heute die Wiedereinführung der Wehrpflicht steht.

Die Katze ist also aus dem Sack. Nach Monaten haben sich CDU und SPD geeinigt: Ab Januar 2026 wird allen ab 2008 geborenen Jugendlichen ein Fragebogen zugeschickt. Verpflichtend ist das Ausfüllen jedoch nur für die jungen Männer. Also: Wie viel Kilo drückst du auf der Bank, welchen Schulabschluss hast du und wie sieht’s denn nun aus mit dem Wehrdienst? Bock? Nein! Das darf man ja wohl noch fragen. Die Empörung und der Protest auf den Straßen halten sich bisher in Grenzen, steht ja noch die betonte Freiwilligkeit des Wehrdienstes im Vordergrund. Von Wehrpflicht soll nämlich noch gar nicht die Rede sein, auch wenn schon klar abzusehen ist, dass das Anwachsen des aktiven Heeres um weitere 80.000 Soldat:innen auf 240.000 aller Voraussicht nach nicht mit dem Versprechen nach 2000€ Besoldung netto im Monat zu machen ist.

Nach Phase 1, dem verpflichtenden Fragebogen, setzt ab dem 1. Juli 2027 Phase 2 ein. Von da an wird nämlich ein ganzer Jahrgang verpflichtend gemustert. Auf Herz und Nieren sollen die circa 300.000 Unglücklichen überprüft werden, ob sie den Anforderungen des kalten russischen Winters gewachsen sind. Schließlich sollen sie ja nicht im Schnee stecken bleiben, wie einst die Unternehmung Barbarossa, die 1941 vor Moskau von den Soviet-Armeen aufgerieben wurde. 

Ob du richtig stehst, siehst du wenn das Licht angeht.

Wie es von der Bundesregierung heißt, bleibt der freiwillige Wehrdienst als „besonderes staatsbürgerliches Engagement“ eben bis zu dem Punkt erhalten, wo die „besondere staatsbürgerliche Pflicht“, nämlich der verpflichtende Wehrdienst, greift. 

Der sogenannte Spannungsfall geistert nun auch schon seit einigen Monaten durch den politischen Sprachgebrauch. Einmal eingetreten würde er automatisch zum Einzug aller jungen Männer einer Generation führen. Der Spannungsfall stellt dabei die Vorstufe des Verteidigungsfalls dar, und muss mit einer 2/3- Mehrheit im Parlament beschlossen werden. Gemeint ist mit Spannungsfall eine „schwere außenpolitische Konfliktsituation“, die weder Frieden noch Krieg darstellen soll und erst einmal eine vollumfängliche Mobilisierung ermöglicht. Dabei geht es nicht nur um den Gang zur Waffe, sondern auch um das zwangweise Einsetzen von medizinischem Personal im militärischen Bereich, die Entscheidung, dass leicht verletzte Soldaten vor zivilen medizinischen Notfällen zu behandeln werden, oder auch die verpflichtende Herstellung von Rüstungsgüter durch zivile Unternehmen.

Nun aber nochmal ein paar Schritte zurück. Bis zum sogenannten Spannungsfall – und jetzt kommt wieder die Salami ins Spiel, die uns „eins nach dem anderen“ sagt, – behält sich Boris das Recht vor, die Lostrommel aus der Feldtasche zu holen. Falls die geplanten Zahlen der freiwilligen Beitritte ab 2027 nicht reichen sollten, werden die Glücklichen per Zufall bestimmt werden, die für 2000€ im Monat unter dem Trommelfeuer des Russen doch eigentlich einen Freudentanz darüber aufführen sollten, einen verhältnismäßig zukunftssicheren Job zugewiesen bekommen zu haben. Für die freiwilligen Heranwachsenden, die sich für die Bundeswehr entscheiden sollten, winkt gar schon jetzt der Gratis-Führerschein. Brauchen wird es aber auch mehr als gute Fahrkünste, wenn ein Eigeninteresse daran besteht, nicht schon auf dem Weg zur Front von dutzenden FPV-Drohnen pulverisiert zu werden.

Auch wenn der Wehrdienst laut dem Grundgesetz nur für Männer gilt, spielen Frauen eine entscheidende Rolle in der Rechnung. Frauen können ebenso im Spannungs- und Verteidigungsfall durch Zwang für die Arbeit hinter den Frontlinien, beispielsweise in Sanitätseinrichtungen, verpflichtet werden. Die Rolle als Geburtenmaschinen für zukünftige Generationen ist der Kriegslogik ebenso immanent wie die Gewissheit, dass nunmal nicht alle unversehrt von der Front zurückkommen werden und Krieg ganze Generationen Jugendlicher vernichtet.

Was tun Herr General?

Schonmal vorweg: Das Verhältnis von Revolutionär:innen zur Armee kann kein statisches sein, sondern muss reelle Chancen zur Kenntnis nehmen und bei bestehenden Widersprüchen ansetzen. Doch was heißt das konkret? Solange die Armee noch den Charakter einer professionalisierten Berufsarmee besitzt, deren Angehörige ideologisch getrimmt sind, ist die kollektive Wehrdienstverweigerung das Gebot der Stunde. Wer aus „Gewissensgründen den Kriegsdienst mit der Waffe verweigert“, der könne auch einen Ersatzdienst ableisten, steht im Grundgesetz geschrieben. Innerhalb einer reinen Berufsarmee, wie es noch bei der Bundeswehr der Fall ist, sind nämlich die politischen Möglichkeiten begrenzt. Nicht umsonst gehört es zu den Kernaufgaben des Militärische Abschirmdienstes (MAD), im Vorfeld zwischen tauglichen Gehorsamen und unzuverlässigen Elementen, sprich Linken und anderen Subversiven, zu unterscheiden und die Spreu vom Weizen zu trennen.

Nichtsdestotrotz muss sich ein taktisches Verhältnis zur Armee entwickeln, welches nicht nur von blauäugigem Pazifismus gezeichnet ist und mehr kann als ein „Stell dir vor es ist Krieg und keiner geht hin“. Auch wenn sicherlich die Überzeugungen, auf deren Grundlage wir unsere Taktiken und Strategien definieren, einen zutiefst humanistischen Charakter haben, müssen wir dort sein, wo Reibung besteht und wo es zu Widersprüchen kommt. Nicht ohne Grund war für die Kommunistischen Parteien in der 3. Internationalen die Devise, Zellen in den jeweiligen Armeen zu gründen, zu Agitieren und dadurch für ein rasches Ende des Kriegs zu arbeiten. Entsprechend der Erfahrungen der Oktoberrevolution in Russland waren es diejenigen, welche das Elend des Krieges unmittelbar vor dem eigenen Auge hatten, bei denen der Ruf nach einem proletarischen Internationalismus auf furchtbaren Boden fiel.

So zogen zum Ende des 1. Weltkriegs Agitatoren mit dem Wort des Kommunismus auf den Lippen durch die Schützengräben und Kolonnen von Soldaten strömten von der Front mit roten Fahnen in Ihre Heimatstädte und fanden sich in Arbeiter- und Soldatenräten zusammen. Auch in Deutschland wurde der Auslaufbefehl von den Kieler Matrosen verweigert und leitete die Novemberrevolution in ein, in deren Folge die Soldaten eine maßgebliche Rolle bei der Ausrufung und Verteidigung der Räterepubliken spielten. Die Waffen, einmal in den Händen des Proletariats, wurden nicht etwa weggeworfen, sondern mit einem neuen Selbstbewusstsein gegen die eigenen Herren gekehrt.

Auch wenn sich die Geschichte sicherlich nicht in genau der selben Form wiederholen wird, so bleiben doch die dem Krieg zugrunde liegenden Widersprüche die selben. Die Parole der Arbeiter:innenbewegung vor dem zweiten Weltkrieg „Krieg ist für die Reichen, die Armen werden Leichen“ hat nichts an Aktualität eingebüßt. Und so werden es auch bei den kommenden Kriegen die Ausgebeuteten, die Prolet:innen und die Marginalisierten sein, die weiterhin auf dem Boden die Grenzen für Kapitalinteressen abstecken müssen, welche nicht die ihren sind. Braucht es aber überhaupt erst einen Krieg, um zu erkennen, dass die eigentlichen Feinde der Klasse nicht auf der anderen Seite im Schützengraben liegen? Oder kommt es nicht gar im Krieg, wie es in der Ukraine und Russland der Fall ist, ohne eine wirkungsmächtige revolutionäre Organisation, statt zu einem proletarischen Internationalismus zu einem schwellenden Nationalismus, auf dessen Boden die Zärtlichkeit der Völker so bald keine Blüten mehr tragen wird.