Es gibt keinen Frieden mit dem Zionismus

6. Oktober 2025

Trumps ‚Friedensplan‘ als nächster Schritt in der Historie palästinensischer Unterdrückung

Während weltweit der Widerstand gegen Israels Genozid in Gaza wächst, überall der Druck auf die jeweiligen Regierungen größer wird und durch mehr oder wenige symbolische Gesten die internationale Rückendeckung für Israel schrumpft, steht nun ein „Friedensplan“ im Raum, der den seit knapp zwei Jahren andauernden Genozid zu einem Ende bringen soll. Donald Trump legt einen 20-Punkte-Plan vor, der seiner bescheidenen Einschätzung zufolge „ewigen Frieden“ für den Nahen Osten bringen wird. Netanjahu stimmte während seines Besuchs in den USA anlässlich der UN-Generaldebatte Trumps Plan zu. International sind sich liberale Medien einig: 

Der Weg für den Frieden ist geebnet, der Deal sei nicht perfekt, aber das beste, auf was Gaza hoffen könne und nun sei es die Verantwortung der Hamas, diesen Deal anzunehmen. Die Jerusalem Post fragt gar, warum es keine Massenproteste, Flotillas oder Besetzungen gebe, um die Hamas zu einer Annahme des Plans zu drängen1 und die taz stellt fest, der Plan habe zwar „Schwächen und Lücken“, er müsse aber dennoch angenommen werden2. Und tatsächlich äußerte sich die Hamas nun mit einer eingeschränkten Zusage an den Plan und ein Frieden in der Region scheint angeblich in greifbarer Nähe zu sein.

Doch um einschätzen zu können, wie ehrlich dieses „Friedensangebot“ ist, wieso es für die Hamas nur in Teilen annehmbar ist und wieso außerdem fraglich ist, wie ernstzunehmend Netanjahus Zusage an den „Friedensplan“ ist, muss man sich sowohl die konkreten Inhalte des Plans, die konkreten Ziele Israels und der Hamas und die Historie der „Friedensangebote“ zwischen Israel und den Palästinenser:innen vor und nach dem 7. Oktober 2023 genauer ansehen.

Wer ist die Hamas und was will sie?
In der Geschichte der Hamas spielt immer wieder auch zionistische Einflussnahme eine Rolle, die phasenweise von einem Interesse Israels zeugt, islamistische Kräfte als Gegengewicht zu progressiven Widerstandsgruppen aufzubauen. Da dies von Israel immer wieder geleugnet wird und die heutige Feindbeziehung zwischen Israel und der Hamas ohne Zweifel ernst zu nehmen ist, wird darauf an dieser Stelle nicht weiter eingegangen.
Die Hamas gründete sich 1987 während der ersten Intifada. Sie entstand als Ableger der Muslimbruderschaft, die eine Gesellschaft nach muslimischen Maßstäben schaffen möchte. Während sie sich gesellschaftlich und moralisch an traditionellen Werten orientieren, streben sie eine Gesellschaft an, die sich auch durch moderne weltliche Orientierung auszeichnet. Anders als andere islamistische Gruppierungen wie IS oder Al-Qaida verfolgt die Hamas nicht das Ziel eines weltweiten islamischen Gottesstaats (Kalifat), sondern versteht sich als Teil der palästinensischen Nationalbewegung und sieht ihr Ziel in einem palästinensischen Nationalstaat. Diesen strebt sie in den Grenzen des britischen Mandatsgebiets vor 1948 und damit die Vernichtung des zionistischen Staates an. Über die Jahre hat sich die Hamas allerdings auch immer wieder offen gezeigt für Lösungen, die einen palästinensischen Staat zunächst in den besetzten Gebieten (Gaza, Westjordanland und Ostjerusalem) möglich machen würden. Ihre strategische Ausrichtung richtet sich dabei auch nicht nur auf den militärischen Kampf, sondern vor allem auch auf religiöse, politische Arbeit und soziale Projekte in der Gesellschaft. 
Während die Hamas als islamistische Gruppierung zunächst deutlich weniger Einfluss in der palästinensischen Bevölkerung hatte als säkulare und progressive Widerstandsbewegungen in der PLO wie Fatah und PFLP, gewann sie im Zuge der Oslo-Abkommen zunehmend an Bedeutung. Die säkulare PLO zeigte sich bei den Oslo-Abkommen kompromissbereit, erkannte den israelischen Staat an, ohne eine Garantie eines palästinensischen Staates zu erreichen und erreichte keine Fortschritte in zentralen Fragen der palästinensischen Gesellschaft (Rückkehrrecht, Jerusalemfrage, zionistische Siedlungspolitik). Das kam für viele Palästinenser:innen einem Verrat gleich und die PLO und die im Zuge von Oslo gegründete Palästinensische Autonomiebehörde (PA) wurden vor allem als korrumpierte Akteure im zionistischen Interesse wahrgenommen. Hamas gelang es dabei vor allem durch eine kompromisslose Haltung und militante Aktionen während der zweiten Intifada, sich als stärkste und glaubwürdigste Kraft im Kampf für palästinensische Selbstverwaltung durchzusetzen.

Zentrale Punkte des Plans

Der 20-Punkte Plan umfasst mehrere zentrale Punkte, die dafür entscheidend sind, inwiefern Israel und die Hamas diesem mit Blick auf ihre politischen Zielsetzungen zustimmen können. Entscheidend ist dabei für die Hamas, anders als oft dargestellt, nicht einfach die Selbsterhaltung als Organisation an der Macht, sondern vor allem die Frage nach einer Perspektive für palästinensische Selbstbestimmung jenseits israelischer Besatzung. Dass die Hamas durchaus bereit ist, die Verwaltung Gazas zugunsten einer palästinensischen Institution abzutreten, belegen zahlreiche Angebote der Organisation aus den vergangenen Monaten. Für die israelische Seite ist vor allem entscheidend, dass jede Perspektive für einen militanten Antizionismus ausgeschlossen wird und eben gerade kein souveräner palästinensischer Staat entstehen kann. Für Teile der zionistischen Politik dürfte außerdem bereits jedes Abweichen vom Anspruch eines ‚Großisraels‘, inklusive der aktuell besetzten palästinensischen Gebiete, ein Problem darstellen.

Ein Punkt in dem Plan, der nun als einer der zentralen medial aufgegriffen wird, ist der Austausch der verbliebenen Geiseln gegen einen Teil der von Israel gefangenen Palästinenser:innen (im Plan geht es vor allem um Frauen und Kinder). Bei der Abwägung über die Zustimmung durch die Hamas dürfte der mit die kleinste Rolle gespielt haben, zeigte sie sich doch seit Beginn des Genozids bereit, im Gegenzug für annehmbare Bedingungen eines Friedens, die Geiseln freizugeben. Die wesentlichen Knackpunkte sind andere:

Eine komplette Zustimmung der Hamas zu dem Plan würde zum einen bedeuten, dass sie ihre Machtposition in Gaza aufgeben würde, wozu sie sich nun bereit erklärt hat und was sie zuvor schon mehrmals in Aussicht gestellt hatte, zum anderen aber auch, dass sie die Zukunft des palästinensischen Volkes komplett aus palästinensischen Händen in die des zionistischen Projekts und des US-Imperiums geben würden, was mit dem Ziel palästinensischer Selbstverwaltung nur mit massivem Vertrauen in die Verhandlungspartner vereinbar wäre. Wieso dieses in keinster Weise begründet wäre, zeigt der historische Überblick in diesem Artikel und auch das Wissen über die grundsätzliche zionistische Ablehnung gegen einen palästinensischen Staat. 

So sieht Trumps Plan zunächst den Ausschluss bestehender palästinensischer Organisationen von der politischen Verwaltung Palästinas vor. Der PA wird in Aussicht gestellt nach einem umgreifenden Reformprozess die Kontrolle über Gaza zu übernehmen. Bei diesen Reformen wird auf Trumps 2020 vorgeschlagene Pläne für Palästina verwiesen, die unter anderem vorsahen, jegliche Anerkennung der israelischen Schuld an der Nakba aus der Schulbildung auszuschließen und zionistische Narrative über die palästinensische Widerstandsgeschichte zu übernehmen. Faktisch würde damit Kritik an Israel so gut wie ausgeschlossen, was im Angesicht eines aktiven Genozides eine weitere brutale Forderung des Oberhaupts der westlichen Zivilisation darstellt. Auch dass die PA ohnehin schon wenig Glaubwürdigkeit in der palästinensischen Bevölkerung genießt und als zionistische Scheinregierung wahrgenommen wird, scheint noch zu propalästinensisch für einen Frieden nach Trumps Vorstellung zu sein.

Solange keine bereits bestehende palästinensische Organisation handzahm genug reformiert wurde, soll die Kontrolle über den Gazastreifen bei einem „technokratischen, unpolitischen palästinensischen Komitee“ liegen. Dieses Komitee soll dabei dem sogenannten „Board of Peace“ unterstehen. Vorsitzender dieses Board of Peace soll Donald Trump höchstpersönlich sein und weitere Mitglieder sollen andere Staatschefs sein. Neben Trump wird namentlich auch der ehemalige britische Premierminister Tony Blair genannt, der nicht nur für seine tatkräftige Unterstützung von Bushs Irakkrieg bekannt ist, sondern seitdem auch immer wieder als enger Freund Israels aufgetreten ist, den die Interessen des palästinensischen Volkes herzlich wenig interessieren. 

Gleichzeitig verspricht Trump einen ökonomischen Entwicklungsplan, der Gaza „neue Energie“ bringen soll. Das ist also Trumps ökonomische Perspektive für das ,schönste Gebiet im Nahen Osten‘, das die Israelis den Gazawis 2006 einfach geschenkt hätten, wie er es in seiner Pressekonferenz mit Netanjahu darstellt. Dieses Zugeständnis habe er als Immobilienmakler ja schon damals als Fehler benannt. Mithilfe der ‚Experten‘, die schon für die „blühenden Wunderstädte des Nahen Ostens“ verantwortlich gewesen seien, will Trump seine Pläne umsetzen. (weitere Ausführungen darüber wie diese kapitalistische Dystopie für Gaza aussehen soll, finden sich auch im GREAT Trust Plan, den Trump Ende August vorstellte) Dass die Regierungen der UAE, von Saudi Arabien, Ägypten, Jordanien, der Türkei, Indonesien, Pakistan und Katar Trumps Pläne in einem gemeinsamen Statement begrüßten, dürfte deutlich machen, dass Trump mit diesen ‚Experten‘ auch die islamischen Staaten, die weiter als Verbündete des US-Imperiums existieren wollen, auf seiner Seite hat. Damit verstärkt er wie schon 2020 erneut die Isolation der palästinensischen Widerstandsbewegung von den arabischen Staaten.

Trumps Friedensplan stellt dem palästinensischen Volk also nach über 100 Jahren westlichem Imperialismus, 78 Jahren zionistischer Besatzung und nach zwei Jahren Genozid vor allem eins in Aussicht: Noch mehr Unterdrückung und Fremdherrschaft. Dass das für viele trotzdem als Verbesserung der jetzigen Lage erscheint, ist höchstens Ausdruck für das Ausmaß des aktuellen Grauens, ganz sicher nicht für eine Anerkennung dieses Grauens durch Trump und sein Imperium.

Aber auch für die israelische Seite ist nicht klar, wie sehr der Plan tatsächlich vollumfänglich ihren Interessen entspricht. Die schwammige Aussicht auf eine Zukunft für palästinensische Staatlichkeit dürfte für die israelische Rechte bereits eine Zumutung darstellen, wie Netanjahus kompromisslose Kommunikation zu dem Punkt auch während der Bekanntgabe des Plans und kurz danach klar macht. Inwiefern es sich bei Netanjahus Zustimmung also um eine ernstgemeinte handelt, oder ob er mit der, angesichts der Bedingungen wahrscheinlichen Absage der Hamas auf eine Legitimation für das Vollenden des Genozids gehofft hatte, ist unklar. 

Unehrlichkeiten rund um den „Friedensplan“ 

Schon rund um die Verkündung des großartigen Friedensplans gibt es genug Anzeichen, die dafür sprechen, dass es sich hier um vieles, aber nicht um ein ehrliches und wahrscheinliches Ende für den israelischen Genozid in Gaza handelt.

So behauptete Trump zwar, die Führung der Hamas sei im Vorfeld darüber informiert worden, dass und in welcher Form dieser Plan vorgelegt werden würde. Im Widerspruch dazu stehen allerdings unterschiedliche Aussagen führender Mitglieder der Hamas, die kurz nach der Veröffentlichung mitteilten, erst aus den Medien von den Plänen erfahren zu haben.

Auch das Bild von den USA als vermeintlich ‚dritten‘ Akteur, dessen Vorschlag Netanjahu zustimmt, ist mehr als zynisch. Wie sehr der vorgeschlagene Plan aus einer ’neutralen‘ Perspektive kommt, machen sowohl Trump als auch Netanjahu bei dessen Verkündung deutlich, bei der sie beide betonen, dass Trump „der größte Freund, den Israel je im Weißen Haus hatte“ sei. 

Und während Netanjahu zwar zunächst seinen großen Willen zum Frieden präsentierte und dem vorgelegten Plan öffentlich zustimmte, erklärte er bereits wenig später, dass er ganz und gar nicht davon ausgehe, mit diesem Plan einen Schritt hin zu einem palästinensischen Staat zu machen, den er weiterhin kategorisch ausschließt. Das erscheint insbesondere mit Blick auf den 19. Punkt des Plans aussagekräftig, in dem in Aussicht gestellt wird, dass, sollten alle palästinensischen Beteiligten dem Plan entsprechend handeln, möglicherweise in Zukunft die Grundlage dafür gelegt sei, über eine Lösung für palästinensische Selbstbestimmung und Staatlichkeit zu sprechen. Welche Hoffnung die Palästinenser:innen in diese mehr als schwammige Zusage stecken können, macht Netanjahu also schnell deutlich. Und auch Trumps Versicherung, Israel dabei zu unterstützen „zu tun, was sie tun müssen“, in Netanjahus Worten den „Job zu Ende zu bringen“, sollte Hamas dem Plan nicht zustimmen, ließ die Vermutung aufkommen, dass es bei diesem Plan um etwas anderes als Frieden geht. Und zwar vielmehr darum, öffentlich ein Bild zu erzeugen, in dem Israel als die friedensbereite Partei dasteht und das Narrativ von Hamas als Aggressor wieder gestärkt wird, das seit dem 7. Oktober 2023 mittlerweile stark an Glaubwürdigkeit verloren hat. 

In Anbetracht dieser Punkte ist klar, dass es sich bei Trumps Plan keineswegs um eine historische neue Perspektive für Frieden im Nahen Osten handelt, sondern viel mehr um den nächsten Schritt in einer langen Geschichte, in der ‚Frieden‘ nie wirklich auf dem Tisch war:

„‚Palästina Frieden zu bringen‘ hat bis heute immer bedeutet, ein ausschließlich zwischen den USA und Israel erarbeitetes Konzept zu verfolgen, ohne dass es ernsthafte Konsultationen mit, geschweige denn Rücksicht auf die Palästinenser gegeben hätte“

– Ilan Pappe –


Historie des ‚Friedensprozess‘

UN-Teilungsplan bis Sechsttagekrieg

Die Geschichte von ‚Angeboten‘ an die Palästinenser:innen, deren Ablehnung als Legitimation für weitere Gewalt gegen sie herangezogen wird, geht dabei weit zurück. 

So war eine Legitimation für die Nakba die Ablehnung des UN-Teilungsplans für Palästina von arabischer Seite. Um die Frage zu klären, was nach dem britischen Abzug aus Palästina mit dem Gebiet geschehen sollte, legte die UN 1947 einen Plan für die Schaffung eines palästinensischen und eines israelischen Staates vor. Von vornherein lehnten die Araber:innen eine solche Teilung ab, die den größtenteils erst kurz zuvor aus Europa gekommenen jüdischen Siedlern zugunsten eine Teilung des zu zwei Dritteln arabisch bewohnten Gebiets vorsah. Auch weil sie sich deshalb nicht an den Gesprächen über die konkreten Bedingungen einer solchen Teilung beteiligten, sah der vorgelegte Plan dann vor, den größten Teil des Landes einem jüdischen Staat zuzusprechen. Und das obwohl die jüdische Minderheit nur etwa ein Drittel der Bevölkerung Palästinas ausmachten und gerade mal sechs Prozent der Landfläche bewohnten. Wie zu erwarten, lehnten die Palästinenser:innen und die arabischen Staaten diesen Plan ab, was die zionistische Bewegung vermeintlich dazu legitimierte, den Staat Israel zu gründen und mit Gewalt gegen die Palästinenser:innen vorzugehen. Der Krieg gegen die arabischen Staaten und die Vertreibung unzähliger Palästinenser:innen wurden daraufhin als Konsequenz der arabischen Ablehnung des Teilungsplans dargestellt. 

Doch auch schon im Bezug auf den UN Teilungsplan ist zweifelhaft, wie ernstzunehmend die zionistische Annahme dessen war. So stellte der vorgeschlagene Grenzverlauf eigentlich noch keine Situation dar, die dem zionistischen Anspruch eines möglichst großen Gebiets mit möglichst wenig nicht-jüdischen Menschen gerecht wurde. Bei der zionistischen Annahme des Plans ging es also vor allem darum, international die Anerkennung für einen jüdischen Staat festzuhalten, während die konkrete Ziehung der Grenzen und die Frage der großen arabischen Bevölkerung selbst bei einer arabischen Annahme nur mit Gewalt zu klären gewesen wäre. Dass die israelischen Grenzen sich nach der Vertreibung der Palästinenser:innen weit über die im Teilungsplan festgelegten Gebiete erstreckten, ist eine Konsequenz dieser Differenz zwischen zionistischem Anspruch und proklamierter Realität des Teilungsplans.

Diese Dynamik prägte die gesamte Geschichte israelisch-palästinensischer ‚Friedensprozesse‘ bis heute. Der nächste größere Schritt in dieser Historie waren Verhandlungen nach dem ‚Sechstagekrieg‘ im Juni 1967, bei denen Israel mit amerikanischer Unterstützung vor allem mit Jordanien und Ägypten über den Umgang mit den besetzten Gebieten verhandelte. Erst durch den Ausbruch der ersten Intifada traten die Palästinenser:innen selbst wieder als Akteur in den Kampf um die Zukunft Gazas und des Westjordanlands ein. 


Oslo bis 2006

Mit dem Beginn der Oslo-Verhandlungen ging die erste Intifada 1993 zu Ende. Diese Verhandlungen stellen einen zentralen Wendepunkt dar, um die heutige Situation in Gaza und der Westbank zu verstehen. Erneut waren die Grundlage der Gespräche Vorschläge von israelischer Seite, die zentrale Themen für die palästinensische Gesellschaft ausklammerten. Die Anerkennung der Nakba und das Rückkehrrecht für die 1948 Vertriebenen standen nicht zur Verhandlung. Erneut wurde den Palästinenser:innen die Perspektive auf einen eigenen Staat präsentiert, diesmal in noch kleinerer und zerstückelter Form als zuvor. Anders als 1947 stimmten die palästinensischen Vertreter von Yassir Arafats PLO diesen Vorschlägen jedoch zu. Der zugesagte Rückzug der israelischen Besatzung fand nicht statt. Im Gegenteil wuchsen die illegalen israelischen Siedlungen im Westjordanland sogar noch stärker an als je zuvor. Während die Osloabkommen zunächst große Hoffnung auf eine friedliche Zukunft brachte, bestätigt die Geschichte doch Edward Saids Einschätzung, der in seinem Text „The Morning After“ (in Anbetracht der Euphorie über die heutige Aussicht auf ‚Frieden‘ eine mehr als aktuelle Leseempfehlung) im Nachgang des ersten Abkommens 1993 forderte, die Ergebnisse als das zu bezeichnen, was sie seien „Ein Instrument palästinensischer Kapitulation, ein palästinensisches Versailles„. Der groß inszenierte Fortschritt mit US-Präsident Clinton als Schlichter und dem Handschlag von Israels Premierminister Yitzhak Rabbin und Yasser Arafat, stellte sich als nächste Niederlage für die Palästinenser:innen, insbesondere für Arafat und die PLO selbst heraus. 

2000 und 2001 gab es Versuche, an die Osloverhandlungen anzuknüpfen. Die Vorschläge wurden dabei in Teilen noch unvorteilhafter für die palästinensische Seite als 1993 und 1995. So sollte Israel nachdem es unter Beweis gestellt hatte, wie wenig sich die Palästinenser:innen auf Zusagen der Zionist:innen verlassen konnten, statt fünf Jahren zwanzig Jahre zugesprochen bekommen, um sich endgültig aus den besetzten Gebieten zurückzuziehen. Die Gespräche scheiterten durch Regierungswechsel in Israel endgültig.
Die Enttäuschung über die als Kapitulation wahrgenommenen Zugeständnisse der PLO an Israel, die präsente Rolle der Hamas in der zweiten Intifada und die israelischen Ermordung des Hamasgründers Shaykh Yassin trugen dazu bei, dass die Hamas aus den Wahlen 2006 als stärkste Kraft hervorging und von da an die primäre Repräsentanz der palästinensischen Befreiungsbewegung darstellte. 

Verhandlungen zwischen Israel und der Hamas 

Schon kurz nach dem Wahlsieg 2006 richtete sich Hamasführer Ismael Haniyeh an die Öffentlichkeit und betonte Hamas‘ Offenheit für eine Lösung des Konflikts mit friedlichen Mitteln, vorausgesetzt, Israelis und Palästinenser:innen würden als gleichwertig behandelt. 2008 kam es so zu einem Abkommen zwischen Israel und der Hamas, dass kurzfristig zu einer Beruhigung führte. Obwohl Israel seine Blockade Gazas anders als in dem Abkommen festgelegt, nicht lockerte, hielt der Waffenstillstand von Juni bis November 2008. Dann drangen israelische Soldaten jedoch in den Gazastreifen ein, töteten 6 Palästinenser:innen und beendeten die kurzzeitige Waffenruhe damit. Eine militärische Eskalation folgte, unterbrochen von zwischenzeitlichen Waffenstillständen. Als 2012 erneut ein Abkommen verhandelt wurde, dem Hamas zustimmend gegenüber stand, kam es zur Ermordung des Hamasoberhaupts Ahmed Jabari, angeblich nur Stunden nachdem dieser einen Vorschlag für ein dauerhaftes Friedensabkommen durch den israelischen Friedensaktivisten Gershon Baskin erhalten hatte. Damit war auch dieser Frieden wieder vom Tisch. 
Als die Hamas 2017 einen weiteren Vorschlag für die Schaffung eines Friedens und eines palästinensischen Staates vorlegte, wurde dies von Netanjahus Regierung als „Versuch, die Welt zu täuschen“ zurückgewiesen. 

Mit den Abraham Abkommen 2020 kehrten Trump und Israel dazu zurück, Entscheidungen über das Schicksal Palästinas lieber ohne die Beteiligung der Palästinenser:innen zu treffen. Mit der im Zuge der Abkommen ebenfalls stattfindenden Anerkennung Israels durch Bahrain und die Vereinigten Arabischen Emirate wurde die palästinensische Isolation weiter gefestigt. Schon zu Beginn des Jahres 2020 hatte Trump seinen Plan für einen Frieden für Israel und Palästina vorgelegt, der erneut eine amerikanisch-israelische Zusammenarbeit darstellte, die Annexionen von Teilen des Westjordanlands ermöglichte und namentlich zwar einen ‚Staat‘ Palästina ermöglichen sollte, allerdings unter quasi vollkommener Kontrolle Israels. Noch stärker als vorherige Abkommen stellte dieser Plan die vollkommene Übernahme der israelischen Position zu allen entscheidenden Themen dar. Die zunehmend aussichtslosere Position, in der sich der palästinensische Kampf um Befreiung damit befand, ist einer der wichtigsten Faktoren, um zu verstehen, wieso es zum Angriff auf Israel am 07. Oktober 2023 kam und wieso die Reaktionen auf die Bilder der an diesem Tag stattfindenden Aktionen weltweit so ambivalente Reaktionen, zwischen Schock über die stattfindende Brutalität und Freude über ein Ausbrechen aus der völligen Isolation der Palästinenser:innen (sowohl politisch als auch physisch im Freiluftgefängnis Gaza), hervorriefen. 

Verhandlungen seit dem 07. Oktober 2023

Während dem darauffolgenden Horror des Genozids kam es nach ca. sechs Wochen zu einem kurzen Waffenstillstand mit gegenseitigem Gefangenenaustausch, Israel ließ aber auch währenddessen keinen Zweifel daran, mit der Zerstörung Gazas noch lange nicht fertig zu sein. Nach etwa acht Monaten kam es erneut kurz zu Hoffnungen auf Frieden, als Ismael Haniyeh bekannt gab, die Hamas habe ein Friedensangebot angenommen. Die ausbrechende Freude in Gaza war von sehr kurzer Dauer, da Israel kurz darauf seine Bodenoffensive in Rafah begann. Erst im Januar 2025 kam es dann erneut zu einem Waffenstillstand, der in drei Phasen ein Ende der Kriegshandlungen in Gaza und einen Rückzug der israelischen Armee regeln sollte. Während Israel der Hamas vorwarf, das Abkommen zu brechen, da einzelne Vorgänge bei der Freilassung von Geiseln ‚zu lange‘ dauerten, tötete Israel so gut wie täglich weitere Zivilist:innen. Als die erste Phase des Deals zu einem Ende kam und die zweite Phase beginnen sollte, forderte Israel von der Hamas auf einmal eine Ausdehnung der ersten Phase. Als die Hamas weiter auf den Beginn der zweiten Phase und damit eine weitere Öffnung der Blockade und einen weiteren Rückzug der israelischen Armee bestand, begann Israel stattdessen schrittweise, die Blockade von humanitärer Hilfe und Elektrizität wieder zu verschärfen und begann wenig später, während dem Ramadan, mit erneuten Luftschlägen auf Gaza.

Dabei gab es über die vergangenen Monate immer wieder Berichte darüber, dass Hamas durchaus die Bereitschaft kommuniziert habe, sich entwaffnen zu lassen und die Verwaltung Gazas einer „technokratischen“ palästinensischen Institution zu überlassen, sollte das für eine Lösung des Konflikts notwendig sein3. Während die Frage der Entwaffnung dabei in unterschiedlichen Äußerungen von Hamas-Offiziellen nicht immer einheitlich beantwortet wurde, ist die Haltung der Hamas jedoch schon länger klar, dass es ihnen nicht um die eigene ‚Macht über Gaza‘ geht und dass sie bereit sind, die Verwaltung Gazas anderen palästinensischen (!) Organisationen zu überlassen4. Bisher war Israel auf solche Angebote allerdings nicht eingegangen, was viele in der Analyse bestärkt, dass es beim Genozid in Gaza nie um die Entmachtung der Hamas, sondern primär um die Vernichtung und Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung als Vorbedingung für eine Annexion ging.

Die Teile aus Trumps Friedensplan, die die Hamas nun teilweise angenommen hat, sind dabei also vor allem Punkte, die sie selbst schon seit Monaten als Angebote unterbreitet hat.

Die gesamte Geschichte des zionistischen Umgangs mit Friedensverhandlungen zeigt, dass sich die Grundposition, einen möglichst großen israelischen Staat mit einer verschwindet geringen Zahl nicht-jüdischer Bewohner:innen und ohne einen palästinensischen Nachbar- und Konkurrenzstaat anzustreben, nicht verändert hat. Die palästinensischen Bedürfnisse und Interessen wurden dabei kontinuierlich zurückgedrängt und auch der jetzige Vorstoß stellt wohl eher den nächsten Schritt in diese Richtung dar als einen Schritt in Richtung tatsächlicher palästinensischer Befreiung. ​​​​​​​

Die Bedeutung der eingeschränkten Zusage der Hamas

Medien und Politik weltweit zeigen sich mehr oder weniger überrascht über die Zusagen der Hamas. Dass die Hamas die beiden Punkte (Rückzug von der Machtposition in Gaza, Freilassung der Geiseln), denen sie jetzt zugestimmt hat, schon zuvor selbst zum Teil von Friedensverhandlungen gemacht hatte, zeigt die verschobene Wahrnehmung in der westlichen Welt, in der die Hamas als das personifizierte Böse kaum in der Lage erschien, solche Verhandlungen auch nur in Betracht zu ziehen. Dass die Hamas selbst in den letzten Monaten davon gesprochen hatte, die Macht in Gaza an eine technokratische palästinensische Verwaltung zu übergeben, dürfte dabei aber keineswegs gleichbedeutend mit Trumps Idee einer Marionettenverwaltung unter seiner und Tony Blair’s Kontrolle sein. Die Betonung, dass die weiteren Schritte mit einer gemeinsamen palästinensischen Perspektive diskutiert werden müssten, ist konsequent aus der befreiungsnationalistischen Haltung der Hamas hinaus, entspricht den Ideen von Trumps Plan aber ganz und gar nicht.

Überraschend ist vielmehr, dass Trump und sogar Netanjahu sich offen für diese eingeschränkte Zustimmung zeigen und diese nicht sofort als Legitimation für eine noch aggressivere Fortsetzung des Genozids nutzen. 

Wie weitreichend diese Offenheit für die Bedenken der Palästinenser:innen ist, dürfte sich in den kommenden Tagen herausstellen, wenn Vertreter der Hamas in Ägypten mit Trumps Sohn und Nahost-‚Experten‘ Jared Kushner und der israelischen Regierung die weiteren Modalitäten eines Austauschs der letzten Geiseln und der weiteren Schritte hin zu einem Frieden diskutieren.

Das medial verkündete Aufatmen und der allseits beschworene ‚vorsichtige Optimismus‘ dürfen auf keinen Fall zu einem Abreißen der internationalen Solidaritätsbemühungen führen. Israel hat seine Aggressionen nach ausdrücklicher Aufforderung Trumps zwar zurückgefahren, noch immer werden aber Menschen in Gaza durch die israelische Armee getötet und die anhaltende Gewalt im Westjordanland wird in der ganzen Diskussion um einen angeblichen ‚Frieden‘ so gut wie gar nicht adressiert. Auch der Umgang mit der Global Sumud Flotilla und deren Aktivist:innen zeigt Israel ganz und gar nicht friedenswillig und geläutert.

In Anbetracht der bisherigen Erfahrungen mit der Friedensbereitschaft der Zionist:innen ist keineswegs ausgeschlossen, dass die aktuelle Phase der Annäherung genutzt wird, um die verbliebenen Geiseln frei zu bekommen und so auch die innenpolitische Stimmung gegen den Krieg und Netanjahu in Israel wieder einzufangen, nur um dann einen Grund zu finden, der Hamas einen Vertragsbruch vorzuwerfen und erneut mit voller Gewalt auf die palästinensische Bevölkerung loszugehen, deren großes Verbrechen, nicht ins zionistische Staatsideal zu passen, kein Friedensvertrag der Welt auflösen können wird. 

So viel ist bei aller aktuellen Unsicherheit aber klar: die Geschichte zeigt, dass blindes Vertrauen auf den guten Willen des zionistischen Staats nie im Interesse der Palästinenser:innen war. 

  1.  https://www.jpost.com/american-politics/article-869233 ↩︎
  2.  https://taz.de/Donald-Trumps-Gaza-Plan/!6112859/ ↩︎
  3. https://www.aljazeera.com/news/2025/6/8/clearly-an-excuse-does-netanyahu-really-want-hamas-gone ↩︎
  4.  https://www.nbcnews.com/news/world/hamas-ready-cede-control-gaza-official-says-rcna194042 ↩︎

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