Der Journalist Hüseyin Doğru steht auf der EU-Sanktionsliste – als Gründer der palästinasolidarischen Medienplattform Red Media. Doğru darf nichts kaufen, seine Miete nicht bezahlen, nicht arbeiten, das Land nicht verlassen. Es ist ein neuer Repressionsmechanismus, mit dem oppositionelle Stimmen in Deutschland mithilfe von EU-Instrumenten mundtot gemacht werden sollen. Im Interview mit dem LowerClassMagazine berichtet Hüseyin Doğru, wie er auf der Sanktionsliste gelandet ist, wie die Geschehnisse im Kontext verstärkter Repressionen politisch einzuordnen sind und was man dagegen unternehmen kann. Das Interview findet ihr auf unserem Youtube-Kanal.
Was ist passiert?
Doğru hat zusammen mit anderen im Jahr 2023 Red Media gegründet, eine Plattform, die vor allem für ihre Dokumentationen und digitalen Videoformate bekannt ist. Ihr Ziel ist es, die „Stimmen unterdrückter Völker, die gegen Kapitalismus, Imperialismus und Rassismus kämpfen [und von] Aktivisten an vorderster Front im Kampf gegen Ökozid und Verteidiger der LGBTQ+-Rechte [hervorzuheben].“ Laut eigenen Angaben hat die Plattform allein in den ersten 9 Monaten des Jahres 2024 über 483 Millionen Aufrufe gehabt und ist damit eine der reichweitenstärksten und gleichzeitig radikalsten Plattformen der antiimperialistischen und palästinasolidarischen Berichterstattung. Red Media wurde aufgrund einer breit geführten Hetzkampagne verschiedener Journalist:innen und Politiker:innen im Mai 2025 von den Gründer*innen geschlossen – die Sicherheit der Redakeure konnte nicht mehr gewährleistet werden. Mehr zum Hintergrund in unserem Artikel: Die Schließung von Red Media und autoritäres Silencing.
Sanktionen als Repressionsmechanismus auf EU-Ebene
Im Rahmen des 17. Sanktionspaket gegen Russland wurden auch andere deutsche Staatsbürger*innen sanktioniert. Doğru wurde zusammen mit ihnen sanktioniert, um ihn in eine Reihe mit pro-russischen Akteuren zu stellen. Der Sanktionsbeschluss erfolgte ohne Gerichtsverfahren, ohne Anhörung und ohne dass Doğru darüber informiert wurde. Es ist ein absoluter Präzendenzfall: noch nie wurde ein EU-Bürger, der innerhalb der EU lebt, im Kontext der Russland-Sanktionspakete sanktioniert.
Doğru vermutet, dass er im Zuge der Kampagne gegen Red.Media aufgrund ihrer palästinasolidarischen Berichterstattung auf der Sanktionsliste gelandet ist. Die vermeintliche Unterstützung Russlands wird als Vorwand genutzt, um einen neuen Repressionsmechanismus gegen linke und palästinasolidarische Medien auf EU-Ebene auszutesten. Die Recherche des Europäischen Auswärtigen Dienstes, die ihm selbst vorliegt, enthält laut Doğru keine Beweise, dass Red Media von Russland finanziert wird. Stattdessen finden sich dort Social Media Posts von Red Media, Artikel vom Tagesspiegel und von der Jerusalem Post. Doch diese Recherche darf er nicht teilen. Es ist ein scheinheiliger Angriff auf palästinasolidarische Medien durch staatliche Akteure, die mit ihren menschenfeindlichen Repressionsmaßnahmen genau die autoritäre Politik an den Tag legen, die sie mit ihren Sanktionen angeblich verhindern wollen.
Alltag unter Sanktionen: Darf man als Mensch noch existieren?
Die Konsequenzen der Sanktionen sind brutal. Hüseyin Doğru darf nichts kaufen, seine Miete nicht bezahlen, nicht arbeiten, das Land nicht verlassen. Er darf keine Medizin und kein Essen für seinen Sohn kaufen. Auch Geld und Geschenke darf er nicht annehmen. Es ist unklar, ob er eine Krankenversicherung und Arbeitslosengeld erhält, denn jegliche finanzielle Zuwendung ist verboten. Illegalerweise wurde auch das Konto seiner Frau, die gerade mit einer Risikoschwangerschaft schwanger ist, gesperrt. Zudem sieht er sich mit Prozesskosten in Höhe von 50.000-150.000 Euro konfroniert, um die Sanktionen anzufechten.
Repression im Kontext des Aufstiegs des deutschen Imperialismus
Der Sanktionierung Doğrus ist einzuordnen in die massive Welle an Repression seit dem 7. Oktober gegen alle, die sich mit dem palästinensischen Volk und der Befreiungsbewegung solidarisch erklärt haben. Diese Repressionen stehen laut Doğru im Kontext des Bestrebens des deutschen Imperialismus – vor allem seit dem Ukrainekrieg – auf der Weltbühne wieder eine größere Rolle zu spielen. Sparmaßnahmen, Investitionen ins Militär und Kürzungen im Sozialbereich sind die Voraussetzungen, um eine aggressivere Kriegspolitik Deutschlands in der Außenpolitik vorzubereiten. Der Angriff auf Oppositionelle, die diese Entwicklung innerhalb des Landes kritisieren, ist eine logische Konsequenz davon. Wenn sich Journalist*innen, Akademiker*innen und Aktivist*innen nicht bereits selbst zensieren, kann man in Deutschland eine große Welle an Zensur in verschiedenen Bereichen der Gesellschaft beobachten.
Der Fall von Hüseyin Doğru und Red Media ist der Versuch, diese Repression auch über die europäische Ebene auszuüben. Wenn sie damit durchkommen, ist das laut Doğru ein Zeichen für die Politik, dass das Verfahren breit angewendet werden kann. Angriffe auf Palästinenser*innen, Muslim*innen, Aktivist*innen und der Angriff auf Doğru – das wird in der Zukunft retrospektiv als der Beginn eines Angriffs auf uns alle zu erkennen sein.
Solidarität und Gegenwehr in den deutschen linken Medien
Laut Doğru braucht es für die Gegenwehr deutscher linker Medien gegen diese Repression Zusammenarbeit und Solidarität: „Der Imperalismus ist brutal. Und wir müssen uns organisieren. Wenn wir uns als Linke organisieren, müssen wir das auch als Journalist*innen, als Aktivist*innen, als Medienschaffende, als Influencer*innen.“ (Doğru)
Es braucht inhaltliche Zusammenarbeit, die Erstellung gemeinsamer Plattformen oder das Aufbauen eigener Netzwerke, das Zusammenlegen von Reichweite. Nicht zuletzt braucht es auch Solidarität zum richtigen Zeitpunkt. Laut Doğru war es vielen Journalist*innen aufgrund des „Russland-Labels“ zu heiß über Red Media zu schreiben. Jetzt, wo sich abzeichnet, dass es keine Beweise dafür gibt, ist es zu spät: Journalismus ist etwas, was eine gewisse Solidarität erfordert […] Etwas, was Menschen aufklären muss, nicht nachdem ein Genozid passiert, sondern bevor ein Genozid passiert.“ (Doğru)
Was kann man tun?
Hüseyin Doğru selbst darf als Sanktionierter keine Spendenkampagne für die Prozesskosten starten – Spendenaktionen von solidarischen Akteuren dürfen aber legal unterstützt werden. Gewinnt Doğru den Prozess, wird das Geld an widerständige politische und humanitäre Projekte gespendet. Im September startet zudem eine internationale Kampagne, eine Petition, die von internationalen Politiker*innen, Journalist*innen, Akademiker*innen und Aktivist*innen unterstützt wird. Die Petition fordert erstens, dass die Sanktion aufgehoben wird. Zweitens will sie aufzeigen, welchen Repressionsmechanismus die EU gerade geschaffen hat und was das für freie Meinungsäußerung bedeutet.
Um das zu unterstützen, braucht es keine vollkommene Zustimmung zu den Inhalten von Red Media. Es braucht das Bewusstsein, dass die Möglichkeit sich frei zu äußern, existenziell von unserer gegenseitigen Solidarität abhängig ist.
„Man muss Red Media nicht mögen. Man muss Redfish nicht gemocht haben. Man hat es vielleicht gehasst, auch gut. Aber es geht fundamental nicht um uns, es geht um eure Rechte gerade – denn mit uns fangen sie an.“ (Hüseyin Doğru)