Jeden Tag erreichen uns neue Bilder aus Gaza. Neue Bilder vom Genozid. Wir sehen das Leid der Palästinenser:innen, den Widerstand der Bevölkerung und die grausamen Verbrechen des israelischen Regimes. Wir stellen uns die Frage der praktischen Solidarität, die Frage: Was können wir hier, in den Städten, in denen wir aktiv sind, tun?
Die Gruppe Handala aus Leipzig organisiert seit Jahren Demonstrationen sowie kulturelle und politische Veranstaltungen für die palästinensische Diaspora und die deutsche Öffentlichkeit. Ende August planen sie mit dem Bündnis March to Airport eine ihrer größten Aktionen. Wir haben mit einer Genossin von Handala über den geplanten Marsch gesprochen.
Magst du Handala einmal vorstellen?
Handala ist die Palästina-Gruppe von Leipzig. Wir haben uns im Mai 2021, während der Proteste von Sheikh Jarrah, als linke, palästinensische Selbstorganisation gegründet. Wir organisieren Demonstrationen sowie kulturelle und politische Veranstaltungen für die palästinensische Diaspora und die deutsche Öffentlichkeit. Für uns bedeutet die Befreiung Palästinas ein vollständiges Ende der Apartheid und des Siedlerkolonialismus in Palästina. Wir sehen es als unsere Aufgabe, hier im Herzen der Bestie die Unterstützung der Kolonisierung Palästinas zu verhindern. Dabei sehen wir auch in Mitgliedern von Gewerkschaften und der Linkspartei notwendige Bündnisgenoss:innen – auch gegen die jeweilige Bürokratie gerichtet.
Nun steht der MarchtoAirport an. Was ist der Plan?
Die Kampagne @marchtoairport.leipzig richtet sich gegen Waffenlieferungen an den Staat Israel über den Flughafen Leipzig/Halle. Wir haben in den vergangenen Monaten die inspirierenden Berichte über erfolgreiche Blockaden gegen Waffenlieferungen von Arbeiter:innen und örtlicher Bevölkerung in Häfen, zum Beispiel in Schweden, Frankreich, Italien oder Marokko, verfolgt.
Wir sehen in dieser Aktionsform einen Ansatzpunkt für Solidarität mit Palästina in Staaten wie Deutschland, die als Waffenlieferanten am Genozid beteiligt sind.Das Durchsetzen eines Endes von Waffenlieferungen wäre dabei ein symbolischer Schritt.
Ein weiterer Schritt, nach den vielen Demonstrationen, wie wir sie auch in Leipzig und Deutschland seit Monaten sehen. Wir haben viele Menschen auf die Straße gebracht, das bleibt auch weiterhin wichtig, doch jetzt geht es um die materielle Konkretisierung unserer Solidarität, so wie in Genua oder Marseille.
Einen Hafen hat Leipzig nicht. Aber Leipzig hat einen Frachtflughafen. Und wir haben uns deshalb entschlossen, dass wir nicht länger akzeptieren werden, dass Waffenlieferungen aus Leipzig über unsere Köpfe hinweg erfolgen.
An diesem Wochenende findet als erster Höhepunkt der Kampagne ein Protestmarsch von der Leipziger Innenstadt zum Flughafen statt. Wir werden ein Camp in der Nähe des Flughafens aufschlagen, wo es Vorträge, Workshops, Kulturbeiträge und eine KüFA geben wird. Zudem sollen die weiteren Schritte der Kampagne geplant werden.
Eine Teilnahme an den Aktionen des Wochenendes ist auch noch spontan möglich. Wir freuen uns über jede Unterstützung!
Am Samstagmittag starten wir den Marsch vom Leipziger Hauptbahnhof zum Flughafen Leipzig/Halle und bauen dann dort gegen Abend unser Camp auf der Aussichtsplattform in Schkeuditz in der Nähe des Flughafens auf. Sonntag geht’s dann mit einer Demonstration zum DHL-HUB.
Welche Bedeutung hat der Flughafen Leipzig/Halle denn für den Genozid in Gaza?
Der Flughafen Leipzig/Halle ist kein unbedeutender Regionalflughafen – die relativ geringen Passagierzahlen täuschen –, sondern der zweitgrößte Frachtflughafen Deutschlands und europaweit auf Platz vier. In Wahrheit ist Leipzig/Halle also ein zentraler Knoten für Militärlogistik im Allgemeinen und für Waffenlieferungen an den Staat Israel im Besonderen: In einem aktuell laufenden Spionageprozess vor dem Oberlandesgericht Dresden wurde dies von der Bundesanwaltschaft bestätigt. Laut Anklageschrift der Bundesanwaltschaft werden Militärfahrzeuge, Drohnen und Kriegsgerät über Leipzig/Halle nach Tel Aviv verfrachtet. Auch Israels größter Luftfahrtkonzern, Israel Aerospace Industries, nutzt den Flughafen. Und diese Transporte gehen auch aktuell weiter, den heuchlerischen Ankündigungen von Merz zum Trotz. Erst diese Woche hat ein Flug stattgefunden. Die Informationen zu diesen Flügen und zu dem, was transportiert wird, unterliegen normalerweise der Geheimhaltung, denn man will sich natürlich nicht in die Karten gucken lassen.
Doch gerade deshalb ist eine wichtige Forderung des Bündnisses die demokratische Öffentlichkeit und Freigabe aller Informationen zu den Transporten.
Damit könnten Belegschaften und Bevölkerung entscheiden. Unsere bisherigen Erkenntnisse zur Bedeutung des Flughafens stehen auch auf unserem Instagram-Account zur Verfügung. Auch rufen wir Whistleblower aus den Belegschaften auf, mit uns in Kontakt zu treten.
Wer steht hinter der Kampagne?
Die Kampagne wird von einem Leipziger Palästina-Solidaritätsbündnis unterschiedlicher politischer Gruppen getragen, die sich bei allen sonstigen Unterschieden im Ziel eines Endes der Waffenlieferung nach Israel einig sind.
Dabei sind wir als Handala.Leipzig, die Palästina-AG der Partei Die Linke Leipzig, Mera25, Ende Gelände Leipzig, Fridays for Future Leipzig, Arbeiter:innenmacht sowie viele Einzelpersonen.
Wir werben aktiv um weitere Bündnispartner.
Wie soll es nach dem Marsch weitergehen?
Die Solidarität mit Palästina in Deutschland braucht konkrete, mobilisierungsfähige Ziele. Wir haben uns, wie bereits ausgeführt, im Rahmen des übergeordneten Kampfziels eines Stopps aller Waffenlieferungen aus Deutschland auf ein konkretes örtliches Ziel unserer Bündnisarbeit verständigt: Über den Flughafen Leipzig/Halle sollen keine Flüge nach Israel mehr abgewickelt werden! Und wir würden uns freuen, wenn diese Orientierung an regionalen Angriffspunkten auch in anderen Regionen aufgegriffen wird: Es gibt ja bereits einige ähnliche Initiativen, am Bekanntesten ist vielleicht die Kampagne „Rheinmetall Entwaffnen“.
Aber auch in anderen Regionen könnten örtliche Hersteller von Munition oder Waffen, die deutschen Seehäfen oder andere Teile der Logistik wie Güterbahnhöfe ins Visier der Solidaritätsarbeit mit Palästina genommen werden. Lasst es uns angehen und uns vernetzen!
Wir sind überzeugt, dass es Zähigkeit und Ausdauer erfordert, aber ein Stopp der Waffenlieferung erreichbar ist. Das zeigen die genannten Beispiele aus anderen Staaten. Natürlich stehen wir in Deutschland vor besonderen ideologischen Herausforderungen und sind mit Repression konfrontiert, aber was möglich ist und wie es gehen könnte, werden wir nur in der Aktion austesten können und unsere ersten Erfahrungen sind positiv: Um die Einstellung aller Rüstungsflüge vom LEJ durchzusetzen, setzen wir auf die Kombination des Aufbaus einer breiten Stimmung gegen die Flüge in der örtlichen Bevölkerung sowie die praktische Verweigerung der Kolleginnen und Kollegen am Flughafen. Wir haben deshalb in den letzten Wochen Flugblätter an Kolleg:innen vom Flughafen und dem dortigen DHL-Hub verteilt, viele Gespräche geführt und dabei erste Kontakte in die Belegschaften hinein hergestellt. Wir waren ehrlich gesagt überrascht, wie viel positive Resonanz wir erfahren haben. Es gibt einen großen Riss zwischen der prozionistischen Haltung der Eliten in Deutschland sowie der Staatsräson und der Stimmung in der breiten Bevölkerung – das macht Mut!
Auf dem Camp geben wir deshalb zudem das Startsignal für eine Unterschriftensammlung. Damit wollen wir in den kommenden Wochen in die Stadtteile von Leipzig und Halle gehen, an Infoständen über die Vorgänge am Flughafen und ihren Zusammenhang zum Genozid in Gaza aufklären und Unterstützung für unsere Kampagne gewinnen. Umfragen zufolge lehnen etwa 70–80 % der Bevölkerung Waffenlieferungen an Israel ab. Diese gerechte Stimmung in der Bevölkerung gilt es, politisch zu organisieren. Und auch unsere Arbeit unter den Kolleginnen und Kollegen am Flughafen, bei DHL und in ver.di werden wir fortsetzen und intensivieren. Dabei stoßen wir zunehmend auf Widerstände seitens der Unternehmensleitungen und der örtlichen Gewerkschaftsführung. So warnte eine Betriebsrätin in einer Rundmail vor uns, und bei DHL bekamen wir es mit dem Werkschutz zu tun.
Aber diese Widerstände zeigen uns nur: Unsere Initiative wirkt, sie sorgt für Unruhe – und das ist gut so.