,,Das kenianische Volk lässt sich nicht einschüchtern“ – Interview mit der Revolutionary Socialist League Kenia

9. Juli 2025

Interview mit Lewis Maghanga von der Revolutionary Socialist League Kenia

In Kenia bewegt sich etwas. Seid Wochen ist es unruhig auf den Straßen in Nairobi und Mombasa. Schulen und Geschäfte haben geschlossen, Barrikaden brennen und Straßenschlachten mit miltärisch ausgeerüsteten Polizisten dominieren die Lage in dem ostafrikanischen Land.  Der Aufstand gegen den Präsidenten Ruto und sein korruptes System ist nicht neu, sondern steht in einer langen wiedeständigen Geschichte der kenianischen Bevölkerung.  

Saba Saba, der 7. Juli, hat in Kenia eine wichtige Bedeutung für die Bevölkerung. Es ist der Tag, an dem vor 35 Jahren die Bevölkerung Kenias im ganzen Land Massenproteste gegen den damaligen Präsidenten Daniel arap Moi organisierte, die schließlich dazu führten, dass zwei Jahre später demokratische Wahlen in einem Mehrparteiensystem stattfanden. Moi galt als brutaler Präsident, der die Opposition gnadenlos unterdrückte. Außerdem trug seine Regierung dazu bei, dass die Kontinuitäten kolonialer Machtstrukturen aufrechterhalten blieben.

Den damaligen Protesten wurde genauso mit Repression und Gewalt begegnet wie den heutigen. 1990 sind mindestens zwanzig Demonstranten getötet wurden, als im vergangenem Jahr bei den „Gen-Z“ Protesten gegen Ruto auf die Straße gingen, wurde bei einem Sturm auf das Parlament 60 Menschen getötet.  Als es in diesem Jahr, am Jahrestag des Massakers abermals protestiert wurde, wurden alleine am 25. Juli 19 Menschen erschossen. 

Und nun, am stolzen siebten siebten, dem Saba Saba wurden die Proteste erneut von Jugendlichen angeführt und wieder starben mindestens 10 Jugendliche durch die Sicherheitskräfte, die mit brutaler Gewalt gegen die Bevölkerung vorgehen.Die Bevölkerung Kenias und insbesondere die jungen Menschen haben eine lange und gewaltvolle Geschichte des Widerstands. Erst gegen die britische Kolonialherrschaft und später gegen korrupte Regierungen. Doch der Wille zum Widerstand wird nicht gebrochen, gleichzeitig sinkt der Rückhalt für Präsident Ruto enorm.  Wir haben uns mit einem Vertreter der Revolutionary Socialist League für ein Interview getroffen, welche an den Organisationen der Proteste beteiligt sind. 


Hallo Lewis, vielen Dank für die Gelegenheit zu diesem Interview. Stelle dich und deine Organisation gerne einmal vor.

Liebe Genossinnen und Genossen, Mein Name ist Lewis Maghanga, ich bin Organisator der Revolutionary Socialist League, einer marxistischen Partei mit Sitz in Kenia. Die RSL ist eine revolutionäre Avantgardepartei, die auf die totale Emanzipation der Arbeiterklasse in Kenia, Afrika und der ganzen Welt und den Sozialismus ausgerichtet ist. 

Welche Rolle spielt die Revolutionary Socialist League in der aktuellen politischen Landschaft Kenias?

In Kenia konzentriert sich unsere Partei auf die Arbeiterklasse, einschließlich des großen Teils der Arbeitslosen, sowie auf die Studenten und Bauern und die illegalen Bewohner in den Städten, die wir in einem langwierigen Volkswiderstand gegen den Status quo organisieren und mobilisieren, wie die anhaltenden Proteste im Land zeigen.

Kannst du die derzeitige politische und wirtschaftliche Situation in Kenia und insbesondere die der jungen Menschen beschreiben, die die treibende Kraft der Proteste waren?  Was ist der Hintergrund, die Geschichte der aktuellen Proteste und was hat sich im letzten Jahr seit den letzten großen Protesten geändert?

In Kenia läuft derzeit eine Volkskampagne gegen die Politik des derzeitigen Regimes von Präsident William Samoei Ruto, die vor allem von jungen Menschen angeführt wird. Der Hauptslogan dieser Proteste lautet „Ruto muss weg“, womit die Forderung nach dem Rücktritt des Präsidenten und seiner gesamten Regierung unterstrichen wird.

Diese Kampagne wird durch die äußerst schwierige Lage, in der sich die Menschen in Kenia befinden, notwendig. Es herrscht eine ernste Krise der Arbeitslosigkeit, von der vor allem die jungen Menschen betroffen sind. Die Preise für Grundnahrungsmittel steigen täglich, so dass sich die Mehrheit der Menschen keine Lebensmittel leisten kann, was nach unserer Verfassung jedoch das wichtigste Menschenrecht darstellt. Grundlebensmittel wie Maismehl, Speiseöl, Reis und Weizen, aber auch andere Nahrungsmittel und Gas zum Kochen sind für die einfachen Kenianer zu teuer. Dieser steile Anstieg der Preise für Lebensmittel und Grundnahrungsmittel führt für die Menschen in Kenia zu Hunger und Erschöpfung. 

In unseren illegalen, städtischen Siedlungen sind die negativen Auswirkungen der Ungleichheit weiterhin zu spüren. Nach Untersuchungen des African Population and Health Research Centre sind 80 % der Bewohner informeller Siedlungen von Ernährungsunsicherheit betroffen, was zum Teil die hohe Unterernährungsrate von fast 50 % bei Kindern erklärt. Die Bewohner informeller Siedlungen machen mehr als 60 % der Bevölkerung Nairobis aus. Darüber hinaus leiden laut SOFI, einer Veröffentlichung der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation, mehr als 13 Millionen Kenianer unter chronischer Nahrungsmittel- und Ernährungsunsicherheit. Ein Viertel der Kinder in Kenia ist unterernährt. Auf dem Welthunger-Index 2019 steht Kenia auf Platz 86 von 117 Ländern.

Welchen Einfluss haben imperialistische Mächte und Organisationen wie die Weltbank und der Internationale Währungsfonds (IWF) mit ihrem Einfluss? 

Trotz der äußerst schwierigen Bedingungen ist die kenianische Regierung in letzter Zeit darauf bedacht, die Situation für die Bevölkerung zu verschlechtern, nur um einer kleinen Gruppe von Menschen Vorteile zu verschaffen. Die kenianische Regierung hat in der vergangenen Woche über die Nationalversammlung das Finanzgesetz 2025 verabschiedet, das eine weitere Erhöhung der Steuern vorsieht. Es wird erwartet, dass dies zu einem Anstieg der Preise für Lebensmittel und Grunderzeugnisse führen wird. Die Menschen in Kenia haben gegen die Verabschiedung dieses Gesetzes protestiert und den Rücktritt des Präsidenten und seiner Regierung gefordert. Die Ablehnung des Finanzgesetzes 2024 war der Auslöser für die landesweiten Proteste im vergangenen Jahr.

Die vorgeschlagenen Steuererhöhungen stehen im Einklang mit den Empfehlungen des IWF, bei dem die kenianische Regierung Billionen von Schilling verschuldet ist. Die Gesamtverschuldung Kenias beläuft sich derzeit auf über 11 Billionen Schilling.

Die Pressefreiheit ist derzeit sehr eingeschränkt und behindert. Zuletzt wurde der Aktivist Albert Ojwang in Polizeigewahrsam getötet, nachdem er auf X die Korruption kritisiert hatte. Welche Rolle spielen die sozialen Medien und andere Kommunikationsmittel bei der Mobilisierung von Protestbewegungen?

In ihrem Bemühen, jede Form von Dissens zu unterdrücken, hat die kenianische Regierung die Pressefreiheit und das Recht auf freie Meinungsäußerung im Allgemeinen weiter eingeschränkt. Zahlreiche Fälle von staatlichen Entführungen, die sich vor allem gegen Aktivisten, Blogger und Journalisten richteten, haben unser Land im vergangenen Jahr geplagt. Während der landesweiten Proteste vom 25. Juni 2025 ordnete die kenianische Regierung über die Kommunikationsbehörde an, die Live-Berichterstattung über die Proteste durch die großen Medienhäuser des Landes einzustellen. Dies war ein direkter Verstoß gegen die kenianische Verfassung von 2010, die das Recht auf freie Meinungsäußerung und Pressefreiheit garantiert.

Trotz dieser Herausforderungen beweist das kenianische Volk weiterhin extreme Widerstandsfähigkeit, indem es sich nicht von dem repressiven Regime von Präsident Ruto einschüchtern lässt und den Kampf für Freiheit und Würde fortsetzt.

Die sozialen Medien sind dabei nach wie vor ein wichtiges Instrument zur Mobilisierung. Viele Kenianer nutzen Online-Plattformen, um Proteste zu organisieren und zu koordinieren sowie unsere Forderungen bekannt zu machen.

Welches sind die wichtigsten Herausforderungen für die Revolutionary Socialist League und andere fortschrittliche Bewegungen in Kenia?

Die Revolutionary Socialist League ist ihrer Verantwortung als Vorhut der Massen nachgekommen und hat weiterhin eine Schlüsselrolle in der laufenden Kampagne gegen den Status quo gespielt. Die RSL, wie auch andere fortschrittliche Organisationen in Kenia, arbeitet weiterhin unter dem Druck verschiedener Herausforderungen, wie staatlicher Repression und Mangel an materiellen Ressourcen. Nichtsdestotrotz wirkt sich unsere Organisierung weiterhin auf unsere Gesellschaft aus und schärft unseren Widerstand, und trotz der gegenwärtigen Herausforderungen sind wir siegessicher.

Welche Botschaft möchtest du der internationalen Gemeinschaft und der deutschen Leserschaft übermitteln?

Wir möchten alle Menschen in Deutschland und in der ganzen Welt dazu aufrufen, sich in diesem Moment mit den Menschen in Kenia zu solidarisieren. Ihre Solidarität kann in Form von Unterstützung jeglicher Art erfolgen. Das kenianische Volk kämpft für seine Befreiung und seine Würde, gegen Unterdrückung und Tyrannei, die vom neokolonialen Regime von Präsident William Samoei Ruto im Namen der westlichen imperialen Mächte und der globalen Finanzinstitutionen wie dem IWF ausgeübt werden. Damit ist klar, dass unsere Kämpfe mit euren Kämpfen verbunden sind, da wir einem gemeinsamen Feind gegenüberstehen.

Gemeinsam werden wir siegreich sein!

Bis zum Sieg, immer!

Vielen Dank für das Gespräch und viel Glück, Kraft und revolutionäre, herzliche Grüße!

Foros:privat