Die große Schwierigkeit in der Berichterstattung zum amerikanischen Faschismus ist, sich nicht von den hunderten aberwitzigen Nebelwänden ablenken zu lassen. Ein klarer Blick auf die Situation erscheint nötiger denn je. Die diesem Text vorangestellten Beiträge sind dem Anspruch, gegen den Nebel des Krieges anzuschreiben, nur bedingt gerecht geworden: Zu verlockend war das Spektakel des Wahnsinns, zu groß die Abscheu gegenüber den Akteuren, als dass nicht der eine oder andere als Seitenhieb gedachte Satz selbst zu einer Reproduktion der Nebelwand wurde.
von Pierre Roggen
Seit Anfang Juni stehen vor allem schwarze Communities bundesweit auf und wehren sich gegen die Verschleppungen durch ICE und das Department of Homeland Security (DHS). In Los Angeles, einer Stadt mit einer gewissen Vorgeschichte von Aufständen gegen rassistische Zustände, war die Gegenwehr gegen die Menschenjäger so stark, dass ICE-Agenten sich verbarrikadieren und vom Los Angeles Police Department (LAPD) herausgeboxt werden mussten. Die aufgestaute Wut brach sich Bahn. Trump entsandte, gegen den Willen von Kaliforniens Gouverneur Newsom, 2000 Nationalgardisten in die kalifornische Metropole, weitere 2000 und 700 Marines sollen folgen, also kriegserprobte Soldaten, die eigentlich nicht im Inneren eingesetzt werden dürften. Es mehren sich Stimmen (bspw. Bernie Sanders), die auf gewaltfreie Proteste pochen, damit Trump keinen Vorwand bekäme, nun in einem letzten Streich vollständig nach der Macht zu greifen.
Doch mal Butter bei die Fische: Trump ist ein Faschist, ein Diktator im Werden, und der Umbau der USA wird bereits auf allen Ebenen vorangetrieben. Es braucht keinen Vorwand mehr. Vielmehr müssen Antifaschisten nun die Initiative ergreifen. Das wird selten so klar ausgesprochen wie in den Analysen von Crimethinc. Bedeutende liberale Faschismusforscher wie Snyder haben die USA bereits verlassen, um in Kanada eine sichere (An)Stellung zu beziehen. Der Prozess läuft bereits. Er wird beklatscht. Ein bedeutender Anteil der Amerikaner befürwortet die Veränderungen. Die Mehrheit schaut in einer sich langsam lösenden Schockstarre auf die Situation. Wenn Kontrollmechanismen, Checks and Balances und eventuell zukünftige Wahlen (Stichwort Trump 2029) nicht mehr greifen, braucht es keine Mehrheiten, es reicht eine gewisse faschistische Basis, die sich mit der Führung identifiziert. Die Zusammensetzung des Kongresses ändert sich frühestens zu den Midterms 2026. Bis dahin können die Republikaner schalten und walten. Die Macht wird bis dahin im engen Kreis um Trump gebündelt und die schrittweise Entrechtung der Schwächsten läuft in einem Worst-Case-Szenario auf die zukünftige Entrechtung jeglicher politischer Opposition hinaus. Damit verbunden ist die Kaltstellung vorgeblich unabhängiger Instanzen der bürgerlichen Demokratie, die sich jedoch ein gewisses Maß an Autonomie bewahrt haben, wie Journalismus, Wissenschaft, Parlamente, Bürokratie und Gerichte. Da Faschismus sich jedoch nicht ausschließlich über die bloße Negation der bürgerlichen Demokratie verstehen lässt, werden wir nach einer Bestandsaufnahme der Entwicklungen das kapitalistische und das nationalistische Interesse hinter der nationalen Beutegemeinschaft besehen. Doch eins nach dem anderen.
Säuberungen, Abschiebungen, Repression und Abschreckung: Die Normalisierung des Faschismus
„Es könnte jetzt jederzeit mich treffen“
Die US-Regierung versucht sich an einem autoritären Umbau des Staates, Diversitätsprogramme werden ausgesetzt, FBI-Agenten werden entlassen, unliebsame Staatsangestellte von Doge gefeuert, Richter werden eingeschüchtert, Bürgermeister festgenommen, Senatoren in Handschellen gelegt, Soldaten gegen Demonstranten eingesetzt und auf einer Militärparade zum Geburtstag des werdenden Diktators fahren Panzer durch Washington. Dem Ort, an dem seine Anhänger vor nicht allzu langer Zeit versuchten, das Kapitol zu stürmen, um kurzen Prozess mit „den Verrätern“ in der politischen Klasse zu machen. Doch diesmal ist es anders; die entfesselte Brutalität trifft die Schwächsten in der Gesellschaft zuerst und mit voller Härte. Marginalisierte Gruppen sind für den Faschismus immer schon ein lohnendes Angriffsziel gewesen. Gerade sind es die Papierlosen, die schon lange vor Trump reihenweise als billige Arbeitskräfte ausgebeutet, um ihre Löhne betrogen und (danach) abgeschoben wurden. Bald sind vielleicht die Queers, die Intellektuellen oder die Linken die Nächsten. Undokumentierte werden von ICE-Überfallkommandos in ihren Communities angegriffen, um oftmals ohne ein Gerichtsverfahren nach Mexiko, Nigeria, Mauretanien oder in die Hochsicherheitsgefängnisse El Salvadors abgeschoben zu werden. Dabei kommt es auch immer wieder zu vermeintlichen Fehlern durch die Bürokratie der Abschiebebehörden und es erfolgen Abschiebungen von Menschen, die juristisch gesehen ein Bleiberecht gehabt hätten. Ob diese Vorgänge jedoch wirklich unbeabsichtigt sind, darf bezweifelt werden.
Prominentes Beispiel ist der el-salvadorianische Staatsbürger und Familienvater aus Maryland Kilmar Abrego Garcia. Er wurde ohne juristische Grundlage in ein Gefängnis in El Salvador verschleppt, und obwohl die Regierung in öffentlichen Statements zuerst anerkannte, dass Garcias Deportation ein Fehler gewesen sei, änderte die Trump-Administration in den darauffolgenden Tagen ihren Standpunkt, und Trump selbst beleidigte Journalisten, die ihn auf den Verbleib und die Zukunft von Garcia ansprachen. Am 10. April urteilte der oberste Gerichtshof der USA, trotz republikanischer Mehrheit, einstimmig (!), dass Garcias Abschiebung juristisch unmöglich gewesen sei, und forderte die Regierung auf, Garcias Einreise zu „erleichtern und [zu] bewirken“. Dieses Urteil wurde von der Regierung unter dem Vorwand, dass Garcia zuerst von den el-salvadorianischen Behörden freigelassen werden muss, unterlaufen. Die Richterin des Supreme Court Sonia Sotomayor bemerkte, diese Argumentation bedeute letztendlich, die Regierung „könnte jede Person, einschließlich US-Bürger, ohne rechtliche Konsequenzen abschieben und [im Ausland] inhaftieren [lassen], solange sie dies tut, bevor ein Gericht eingreifen kann.“ In einer Pressekonferenz im Oval Office (!) sagte der Präsident des mittelamerikanischen Hinterhoflandes der USA, El Salvador, Bukele, er werde keinen „Terroristen in die Vereinigten Staaten schmuggeln“. In El Salvador sind 1,7 % der Bevölkerung, 108 000 Personen, in Gefängnissen inhaftiert, deren Kapazität in der Vergangenheit mit 70 000 angegeben wurde. Folter, Krankheiten und Missbrauch sind fester Bestandteil des Systems, das laut lokalen Menschenrechtsorganisationen in Bukeles „Krieg gegen die Gangs“ bereits zwischen 2022 und Ende 2024 mindestens 349 Menschenleben gefordert hat. Standardmäßig sind die Zellen überbelegt und die Gefangenen dürfen diese nur für 30 Minuten pro Tag verlassen. Es gibt Berichte, dass die Gefangenen in manchen Gefängnissen Zwangsarbeit verrichten müssen. Mittlerweile ist Garcia wieder in den USA, jedoch liegt nun eine Anklage wegen angeblichen Transports von undokumentierten Migranten gegen ihn vor und er befindet sich in Untersuchungshaft. Das Beispiel Garcia zeigt deutlich: Die Regierung kann sich noch nicht über alles hinwegsetzen. Obwohl Figuren wie Pam Bondi lange argumentierten, sie könnten Garcia nicht wieder in die Staaten holen, war es am Ende möglich. Wie der Prozess ausgeht, ist jedoch noch offen. Widerstand ist möglich und notwendig.
Denn wenn erstmal ein gewisser Teil der Bevölkerung vollends entrechtet wurde, kann sich die staatliche Willkür vermehrt an Personen mit etwas mehr Privilegien versuchen. Vorzugsweise an jenen, die es wagen, Widerstand zu leisten. Orte wie das Cecot Mega-Gefängnis Bukeles oder Guantanamo Bay spielen eine ähnliche Rolle wie die Strafkolonien des französischen Imperiums, das Gulag in der Sowjetunion oder die ersten deutschen Konzentrationslager. Als Orte der Isolation und Entrechtung, als offenes Geheimnis der staatlichen Willkür und Misshandlung. Als Drohung gegen die Restbevölkerung. Solange dieses Vorgehen nicht auf effektiven Widerstand trifft, kann die Regierung fortfahren und stückchenweise immer mehr Macht über die unbequemen Dissidenten und die unerwünschten Populationen gewinnen. Sie muss diese Menschen nur als Terroristen oder Kriminelle bezeichnen oder sie der Unterstützung von Terroristen oder kriminellen Gangs beschuldigen. Wie das in der Praxis aussehen kann, wurde schon an Aktivisten der Palästinasolidarität getestet.
Es ist der 26.03. und eine junge Doktorandin der Tufts-Universität in Massachusetts macht sich auf den Weg zu ihren Freunden, um mit ihnen gemeinsam bei Sonnenuntergang das Fasten zu brechen. Plötzlich tritt ein maskierter Mann auf sie zu und spricht sie an. Weitere maskierte Personen steigen aus unmarkierten Autos, fesseln und entführen die junge Frau. Bei den Maskierten handelt es sich um DHS-Agenten. Daraufhin wird sie ans andere Ende der USA nach Louisiana verbracht, wo sie 45 Tage in Haft verbringen wird, bis eine Richterin sie unter dem Hinweis entlässt, dass sie sie als völlig ungefährlich einstuft. Rumeysa Ozturks einziges „Verbrechen“ war, in einem Artikel auf die Unterdrückung der Palästinenser hinzuweisen. Aktuell kämpft sie juristisch gegen ihre Abschiebung.
Bereits am 8.03. wurde Mahmood Khalil, der über eine permanente Aufenthaltserlaubnis für die USA verfügte, von ICE-Agenten vor seinem Wohnsitz in New York City entführt. Diese hatten keinen Haftbefehl und agierten auf Grundlage einer Anweisung des State Departments unter Marco Rubios Kontrolle. Gegen Khalil lag keinerlei Anklage vor. Stattdessen stützte sich die Regierung auf einen Abschnitt des Immigration and Nationality Act von 1952, der vorsieht, dass Ausländer aus den USA ausgewiesen werden können, wenn der Außenminister der Ansicht ist, dass ihre Anwesenheit schwerwiegende negative Folgen für die Außenpolitik der USA haben wird. Marco Rubio darf also, im Einklang mit Trumps Vorgaben, alle unliebsamen Ausländer ausweisen. Am 11. April 2025 entschied dann auch ein zuständiges Gericht, dass Khalil abgeschoben werden darf. Dann wurde die Abschiebung Khalils jedoch ausgesetzt, während ein Bundesgericht in einem separaten Fall die Verfassungsmäßigkeit seiner Festnahme und Inhaftierung prüfte. Nachdem ein Bundesrichter feststellte, dass der Immigration and Nationality Act womöglich nicht verfassungskonform sei, änderte die Anklage ihre Strategie und beschuldigte ihn des „Immigration Fraud“, also relevante Informationen bei der Beantragung seiner Greencard nicht angegeben zu haben. Der gleiche Richter erließ die Entscheidung, ihn weiterhin gefangen zu halten. Khalil diktierte mehrere Briefe aus seiner Haft. So richtete er sich beispielsweise öffentlich an seinen Sohn, dessen Geburt er nur am Telefon verfolgen konnte, oder thematisierte am Vatertag seinen politischen Kampf.
Ausländische Studierende und Dozierende werden außerdem durch die Entziehung ihrer Visa unter Druck gesetzt. Dies geschieht, wie im Fall von Rumeysa Ozturk, ohne dass Universitäten von den Behörden informiert werden. So fand beispielsweise die University of Washington Anfang April heraus, dass 5 ihrer Studierenden und Alumni das Visum entzogen wurde, als sie deren Daten im Student & Exchange Visitor Information System (SEVIS) überprüfte. Wer als Uniangehöriger in diesem System nicht als Person mit Visa auftaucht, kann bei zufälligen Kontrollen wie bspw. einer Geschwindigkeitsüberschreitung von den Behörden inhaftiert und abgeschoben werden. Hinzu kommt aktive Denunziationsarbeit, die von Websites wie „Canarymission“ geleistet wird. Ein Blick auf die Seite der selbsternannten Kämpfer gegen Antisemitismus offenbart: Es reicht schon, eine Petition gegen den israelischen Krieg gegen Gaza unterschrieben zu haben, um mit Foto und Lebenslauf als Antisemit digital an den Pranger gestellt zu werden. Sicherlich finden sich auch Aussagen von Menschen, welche die Hamas glorifizieren, aber auch das, jenseits von meiner fehlenden persönlicher Sympathie für die Hamas, sollte von dem Recht auf Meinungsfreiheit in den USA gedeckt sein. Nun werden die Behörden wohl unter anderem durch diese Seiten auf einzelne Aktivist*innen und Universitätsangehörige aufmerksam. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Regierung und ihre willfährigen Helfer versuchen, unter politisch aktiven ausländischen Akademiker*innen eine Stimmung von Verunsicherung und Willkür zu etablieren. Demgegenüber organisieren NGOs und Jurist*innen „Know your Rights“-Events, um Aktivist*innen auf eine mögliche Konfrontation mit den Behörden vorzubereiten. Eine befreundete Person mit akademischem Hintergrund, die sich gerade in den USA aufhält, beschreibt die Stimmung an der Hochschule so: „Es ist dieses klassische faschistische Moment, in dem Personen denken, es könnte jetzt jederzeit mich treffen, denn alles ist so random.“
Doch damit ist der Angriff auf die Unabhängigkeit der Wissenschaft noch lange nicht vorbei. Im Gefolge eines Erlasses, welcher die Verwendung von mittlerweile über 350 Worten auf Webseiten und Dokumenten der Regierung verbietet, wird es nun erschwert bis verunmöglicht, Anträge auf Forschungsgelder zu bestimmten Forschungsfeldern zu stellen. Die Liste der verbotenen Wörter beinhaltet Begriffe wie „abortion“, „activism“, „carbon footprint“, „gay“, „inclusion“, „non binary“, „safe drinking water“ und „women“(!). Wer nun also zu Themen wie Frauengesundheit, Klimawandel oder sicherem Trinkwasser in den USA forschen will, kann keine Finanzierung durch die Regierung mehr erwarten.
„Wir leben jetzt in einem Land, in dem die Regierung beschlossen hat, dass eine breite Palette von alltäglichen Begriffen in Regierungsbehörden, auf Websites oder sogar in wissenschaftlichen Forschungsanträgen gelöscht und verboten werden soll. Diese Sprachverbote sind absolut abschreckend und behindern die Bemühungen, reale Probleme zu erforschen und das menschliche Wissen voranzubringen.“
-Jonathan Friedman, Sy Syms managing director of U.S. Free Expression Programs
Auch andere Gruppen und Identitäten stehen unter Druck. Trump unterzeichnete schon im Januar mehrere Erlasse, deren Inhalte sich gegen die queere Community richteten. So wurde etwa in der „Executive Order 14168″ festgelegt, dass es in den USA nur zwei Geschlechter geben dürfe. Die Kritik von Judith Butler daran ist durchaus lesenswert und fasst vieles eloquenter als es hier geschehen kann. Kurz gesagt ist die Executive Order ein Frontalangriff auf die Existenz aller nichtbinären Menschen unter dem Vorwand, etwas für den Schutz von Frauen zu tun. J. K. Rowlings hat sich bestimmt gefreut. „Gender-affirming Care“, also medizinische, chirurgische und psychologische Unterstützung für Menschen unter 19 Jahren, welche eine Geschlechtsanpassung vornehmen lassen wollen, wird nicht mehr finanziert. Die Aussetzung der Diversitätsprogramme, das Streichen jeglicher Bundesmittel für Aufklärungsarbeit an Schulen und der Ausschluss von trans Frauen von sportlichen Wettbewerben bzw. Die Sanktionierung von Institutionen, die dieser Selektion nicht folgen, ist ein Versuch, die Community zu diskreditieren, und muss als Angriff auf deren bloße Existenz verstanden werden. Das Vorgehen gegen die LGBTIQ-Gemeinschaft ist ein billiger, patriarchaler Move, den Diktaturen weltweit verwenden, um die Reihen der bigotten Religiösen hinter sich zu schließen. Doch das ist nicht die einzige Front, an der versucht wird, eine patriarchale Realität herzustellen, in der alles nicht Binäre als Anomalie und Frauen als Gebärmaschinen gelten.

Hier sehen wir eine Karte der USA, auf der der Status quo in Bezug auf Reproduktive Gerechtigkeit abgebildet ist:
Schwarz: Illegal bis auf wenige Ausnahmen wie Inzest oder Vergewaltigung
Grau: Legal, aber keine durchführenden Arztpraxen/Kliniken
Dunkelrot: Legal vor Herz-Zellen-Aktivität
Rosa: Legal bis 12. Woche
Lila: Legal bis 18. Woche
Dunkelblau: Legal bis 22. Woche
Hellblau: Legal bis Fötus viability
Türkis: Legal bis 24. Woche
Grün: Legal bis 2. Trimester
Hellgrün: Legal
Erinnert euch: Bis 2022 Roe vs. Wade abgeschafft wurde, war diese Karte durchgehend hellblau. Dass Roe vs. Wade abgeschafft wurde, geht auch indirekt auf Trumps Politik zurück, so ernannte er einige der obersten Richter, welche dieses Urteil im Rahmen des Endspiels einer auf Dekaden angelegten republikanischen Kampagne trafen. Klar ist, diese Karte stellt aber nicht das Ende der Kampagne dar, vielmehr ist dies nun der Status quo, der von rechts weiter angegriffen wird. Wenn wir uns erinnern, forderte Trump während seiner Kampagne 2016 gar eine Bestrafung von Frauen, welche Abtreibungen vornehmen lassen. Auch hier ist noch Potential für eine weitere Faschisierung vorhanden.
„Wer vom Kapitalismus nicht reden will sollte auch vom Faschismus schweigen“
– Max Horkheimer
Die USA bewegen sich in eine Richtung, in der jeglicher demokratischer, ökologischer oder linker Widerstand gegen den Staatsumbau und die Praktiken von Unternehmen im Keim erstickt werden könnte. Bereits während der Regierung Trump 1 wurde der Einfluss und die Rechte von Gewerkschaften beschnitten, Überstundenlöhne effektiv reduziert und Maßnahmen zur Gewährleistung der Arbeitssicherheit eingeschränkt. Außerdem wurden kapitalnahe Entscheidungsträger in Schlüsselpositionen im National Board of Labour Regulations gehievt (NBLR). Seit Anfang 2025 wurden abermals die Möglichkeiten der kollektiven Lohnverhandlungen von Staatsangestellten angegriffen, es werden die Rechte der undokumentierten und dokumentierten Arbeiterschaft mit Füßen getreten, es erfolgen großflächige Angriffe auf Diversity-and-Equity-Inclusion-Regelungen (DIE) und Umweltregulierungen werden abermals aufgeweicht, wenn nicht direkt abgeschafft. Und wer hätte es gedacht: Das NBLR findet sich seit Anfang des Jahres wieder in der Hand von Kaplan, der schon in der ersten Regierung Trump gegen die Rechte der Arbeiterschaft aktiv wurde. Das alles ist natürlich für einige Kapitalfraktionen hinter MAGA, wie die fossilen Interessen, die Plattformkapitalisten, die Rüstungsindustrie und die Israellobby, ein erstrebenswertes Projekt: „Nieder mit dem Widerstand, lang lebe die Unterdrückung und Ausbeutung von Arbeit und Natur!“ Es geht um nicht weniger als die Aktualisierung des fossilen Akkumulationsregimes unter autoritären Vorzeichen. Und um eine Verschiebung der politischen Hegemonie, die perfekt geeignet erscheint, um die neopharaonischen Projekte der Longtermisten und Bilderbuchbösewichte wie Peter Thiel voranzutreiben. Dessen Firma Palantir baut gerade mit den gewaltigen Datensätzen der Einwanderungs-, Steuer- und Gesundheitsbehörde, des Militärs sowie Geheimdiensten, welche sie vom DOGE erhalten hat, an einer Datenbank, die es ermöglichen soll, durch die Nutzung einer Software namens „Foundry“, die außerdem weitere Daten abfragen kann, die Bewegungen und Aufenthaltsorte nahezu aller Menschen in den USA zu bestimmen. Es ist erklärter Plan der Trump-Regierung, so die täglichen Festnahmen von Papierlosen auf 3000 zu steigern. „Und natürlich ließe sich so ein Werkzeug auch später noch benutzen, um Dissidenten und unliebsame Menschen zu lokalisieren.“
Es stehen also große Veränderungen ins Haus. Nicht nur bei der Zickzack-Zollpolitik. Dass dabei nicht immer alles reibungslos vonstattengeht und einige der gutbetuchten Trump-Unterstützer auch einiges an Verlusten einstecken mussten, ist auch ein klares Indiz dafür, dass Staaten und Nationalwirtschaften sich nicht wie ein Privatunternehmen führen lassen. Auch wenn Neoliberale das gerne behaupten und Trump seine familiären und wirtschaftlichen Angelegenheiten zusehends mit der Staatsführung vermischt. Seine Politik läuft nicht immer rund. Aufgrund seiner realitätsfernen Zollpolitik haben eine Handvoll von Trumps Milliardär-Homies 209 Milliarden USD verloren. Doch er scheint auch Konfrontationen mit diesen Akteuren, siehe Musk, politisch bisher gut wegzustecken. Und auch wenn es wirtschaftlich nicht gerade gut läuft, kann Trump sich immer noch auf seine Basis verlassen. Denn seine Kampfansage an „den Sumpf“, also das korrupte Establishment, war nie eine Kritik an kapitalistischer Vergesellschaftung. Es war immer schon ein Ausdruck der Ablehnung des amerikanischen Liberalismus von Wissenschaft, Diversität und kritischer Öffentlichkeit. Es ging nie um eine Umverteilung des Wohlstandes, es ging immer um die Umverteilung von Gewalt.
Von der Gewalt
Trumps Versprechen hat nie ökonomische Verbesserungen für die Abgehängten im Fokus. Vielmehr versprach er eine Radikalisierung in der Art und Weise, wie die Gewalt in Amerika verteilt wird. Die Abgehängten und Frustrierten wollen Blut sehen. Und das bekommen sie nun als Spektakel serviert. Crimethinc hat in einer schlauen Analyse unter Rückgriff auf den Ethnologen Girard und seine Überlegungen zu Gewaltmanagement als konstituierendes Merkmal von Gesellschaft herausgestellt, wie der Staat in den USA zur Gewalt gegen Sündenböcke aufruft und diese unterstützt, während er Gewalt gegen die Mächtigen und Reichen gnadenlos sanktioniert. Vergleichen wir in diesem Kontext einmal die Morde an den Obdachlosen Jordan Neely und Christopher Junkin mit der Situation um Luigi Mangione, der den United-Healthcare-CEO Brian Thompson ermordete. Während für Mangione aktuell die Todesstrafe gefordert wird, wurde Daniel Penny, der Mörder von Neely, nicht nur nicht juristisch belangt, sondern sogar von Trump im Dezember zu einem Boxkampf eingeladen, und der Bulle Fladland, der Junkin tötete, geht ebenfalls straffrei aus. Sündenböcke zeichnen sich als (politisch) machtlose Akteure dadurch aus, dass sie keine Verantwortung für die Situation tragen. Sie werden ausgewählt, weil sie sich nicht wehren können und ein Gewaltausbruch gegen sie keine Konsequenzen mit sich bringt. Durch die Entladung des Gewaltpotentials wird der soziale Frieden partiell wiederhergestellt und die soziale Hierarchie bestätigt. Die Unzufriedenheit der Bevölkerung und das Unbehagen innerhalb der Gesellschaft werden so in, für Staat und Kapital, ungefährliche Bahnen gelenkt. Gleichzeitig werden die Herrschenden, also jene mit Handlungs- und Gestaltungsmacht, welche einen realen Beitrag zur gesellschaftlichen Misere in den USA leisten, aus der wortwörtlichen Schussbahn genommen, während oppositionelle Milieus und marginalisierte Populationen eingeschüchtert werden sollen und dem geifernden, blutrünstigen Mob ein paar symbolische Opfer gebracht werden.
Dieser Doppelcharakter der Staatsgewalt findet sich auch in der Abschiebungskampagne wieder. Während vielleicht manche US-Amerikaner wirklich glauben, dass sich dadurch der Wohnungsmarkt entspannt oder sich bessere Jobangebote auftun, ergötzen sich die meisten Unterstützer der Regierung einfach an dieser stellvertretenden chauvinistischen Gewalt. Bald kommt die Welle der Gewalt wohl auch zu den Antifaschisten, bevor sie dann auch Liberale und wirklich alle, die nicht weiß, christlich und wohlhabend sind, umspült. Doch Los Angeles hat gezeigt: Die Schlächter des Faschismus haben die Rechnung ohne die Sündenböcke und ihre Communitys gemacht. Während die gemäßigte Linke wie gewohnt zur Mäßigung aufruft, sieht das anarchistische Kollektiv ehemaliger Arbeiter „Crimethinc“ die Möglichkeit, sich nun mit ganzer Kraft und taktischer Diversität zu wehren. Und zwar bevor die Reihen der Repressionsorgane, deren Säuberung ja bereits im Gang ist, geschlossen sind. Bevor Thiels Maschinerie zur Menschenjagd vollständig errichtet wurde. Noch wäre Zeit, den Geschehnissen eine andere Richtung zu geben.
Das ist die frohe Kunde der letzten Wochen: Es gibt noch ein Fenster der Handlungsfähigkeit. ICE ist nicht unangreifbar. Palantir und Thiel sowie Musk und Tesla sind es sicherlich auch nicht. Der Faschismus ist noch keine beschlossene Sache. Immerhin sollen am letzten Wochenende 5 Millionen Menschen bei den No-Kings-Demonstrationen auf der Straße gewesen sein. Es besteht also immer noch die Möglichkeit, durch die Macht der Straße den Dämonen im Weißen Haus Einhalt zu gebieten. Aber es wird kein leichter Kampf.