Europaweit finden zurzeit Hungerstreik-Aktionen in verschiedenen Städten in Solidarität mit dem Hungerstreik der Föderation Sozialistischer Jugendvereine in der Türkei und dem Hungerstreik von Maja T. statt.
Anfang des Jahres hatte in der Türkei eine Razzia gegen die Sozialistische Partei der Unterdrückten (ESP), die Sozialistischen Frauenräte (SKM) und die Föderation Sozialistischer Jugendvereine (SGDF) stattgefunden, bei der 40 Menschen festgenommen wurden. Einige von ihnen wurden später in sogenannte „Brunnen-Typ“-Gefängnisse gebracht. Diese Zellen sind, wie der Name vermuten lässt, wie Brunnen gestaltet und ihr Zweck ist es einzig und allein die Gefangenen durch Isolation zu brechen. Als Protest gegen die schlechten Haftbedingungen haben die Inhaftierten in der Türkei einen unbefristeten Hungerstreik gestartet.
Circa 2000 Kilometer weit weg, in Budapest, hat auch die:der Antifaschist:in Maja am 5. Juni einen unbefristeten Hungerstreik begonnen. Maja ist ein:e nonbinäre:r Antifaschist:in, die:der in Budapest seit 15 Monaten in Isolationshaft sitzt. Illegal ausgeliefert von Deutschland, wird seit über einem Jahr vergeblich eine Rücküberstellung gefordert. Selbst das Verfassungsgericht in Deutschland hatte festgestellt, dass Maja als nonbinäre Person im queerfeindlichen Ungarn zweifelhafte Haftbedingungen erwarten könnten. Die Haftbedingungen in Ungarn gelten international als besonders schlecht. Maja berichtet über Ungeziefer, mangelnde Essensversorgung und Misshandlung anderer Gefangener durch Wärter. Maja berichtet außerdem darüber, „In Isolationshaft lebendig begraben“ zu sein und sieht den Hungerstreik nun als letzte Möglichkeit.
Neben zahlreichen Solidaritätsaktionen haben nun auch in Deutschland mehrere Organisationen zu einem Solidaritäts-Hungerstreik aufgerufen. Wir haben uns mit einigen Aktivist:innen von Young Struggle getroffen und ihnen Fragen gestellt.
Könnt ihr euch vorstellen? Was macht ihr, wie sieht eure Aktion aus?
Wir sind von Young Struggle. Vom 12. bis zum 14. Juni treten wir hier in Leipzig in den Hungerstreik in Solidarität mit den Genoss:Innen der SGDF in der Türkei und Maja in Ungarn. Dazu veranstalten wir Mahnwachen, einen Vortag, schreiben Briefe an politische Gefangene und zum Abschluss werden wir uns an der Demo in Jena mit dem Motto „Antifa bleibt Notwendig“ beteiligen. Wir sind aber nicht die Ersten, die zu dem Thema in den Hungerstreik gehen und werden auch nicht die Letzten sein. Es haben schon ähnliche Aktionen in Frankfurt, Köln und Paris stattgefunden und in Berlin, Hamburg, Brüssel, Basel und London werden in den nächsten Tagen und Wochen weitere Hungerstreiks folgen.
Warum geht ihr in den Hungerstreik?
So wie in der Türkei, Ungarn aber auch in Deutschland die Repressionen steigen, müssen wir unsere Antworten darauf entsprechend anpassen. Unsere Genoss:Innen in der Türkei befinden sich in Lebensgefahr, Maja drohen 24 Jahre Gefängnis unter lebensunwürdigen Bedingungen, da reichen die gewohnten Mittel des Protests nicht aus. Wir solidarisieren uns mit ihrem Widerstand auch hier in Deutschland. Die Entscheidung in den Hungerstreik zu gehen treffen weder Maja noch die Genoss:Innen der SGDF nur für sich. Sie machen klar, dass die Repressionen uns alle betreffen, eine ganze Bewegung angreifen, mit dem Ziel sie zu brechen. So fordert z. B. Maja zusätzlich zu der eigenen Überstellung zurück nach Deutschland auch, dass keine weiteren Antifaschist:Innen ausgeliefert werden. Darauf wollen wir mit unserem Hungerstreik aufmerksam machen.
Wie ist die Situation in der Türkei?
In der Türkei wurden im Januar 40 Revolutionär:innen der SGDF, ESP und SKM verhaftet und befinden sich seitdem in Isolationshaft. Die Prozesse der SGDF sind beispielhaft für die Tradition gezielter Angriffe auf die revolutionäre Bewegung, die sich durch die komplette Geschichte des türkischen Staates ziehen. Die Verhaftungen hatten primär das Ziel die Mobilisierung sozialistischer Kräfte in der Phase vom 8. März bis zum 1. Mai zu schwächen. Danach haben sich noch weitere Angriffe auf die bürgerliche Opposition, die mit der Inhaftierung des amtierenden Bürgermeisters Istanbuls und Konkurrenten Erdogans Ekrem İmamoğlus stattgefunden hat und ein Versuch, die revolutionäre Bewegung zu isolieren, da eingereiht. Die Repression dient dazu, jede Opposition in der Türkei mundtot zu machen. Ob die Organisationen, um die es sich handelt tatsächlich verboten sind oder nicht, tut nicht viel zur Sache: ihre Anklage stützt sich im wesentlichen auf die Teilnahme an legalen Aktivitäten, wie dem SGDF Kongress, auf dem eine Aufnahme des in Rojava gefallenen Revolutionärs Özgür Namoglu gezeigt wurde, oder an der 30 Jahresfeier der sozialistischen Zeitschrift Atillim. Teile der Verhafteten der SGDF sind am 22. April in den Hungerstreik getreten. Die SGDF ist die Föderation sozialistischer Jugendverbände, eine sozialistische Jugendorganisation in Türkei/Kurdistan. Sie ist immer wieder solchen großen Verhaftungsangriffen ausgesetzt. Auch kurz vor dem 1.Mai gab es erneut große Verhaftungswellen. Sie waren außerdem die Betroffenen des Suruç-Massaker, wobei 33 sozialistische Jugendliche der SGDF durch einen IS-Attentäter ermordet wurden. Der türkische Staat ist auch hierbei Komplize gewesen und verhinderte noch nach dem Attentat die Notversorgung durch Sanitäter. Ihr Einsatz für dessen Aufklärung wird immer wieder kriminalisiert. Der Hungerstreik richtet sich gegen die Isolationshaft und eine neue Form von Gefängnissen, sog. Y- und S-Typ Anstalten. Mittlerweile sitzen über 400.000 Menschen in der Türkei in Haft. Die Gefängnisse haben dabei wohlgemerkt nur Kapazitäten für 300.000. Dabei hat der türkische Staat auch gezielte Taktiken, mit denen er versucht Revolutionär:innen, Antifaschist:innen, sogar Demokrat:innen psychisch zu zermürben. Eine davon ist unter anderem, dass politische Gefangene immer wieder inhaftiert, eine gewisse Zeit lang isoliert werden und anschließend für wenige Tage bis Wochen wieder frei gelassen werden. Das Ganze wiederholt sich dann oftmals, was eine enorme Belastung für die menschliche Psyche darstellt. Dadurch, dass man immer wieder Hoffnung auf Freiheit erlangt und kurz darauf aufs Neue aus seiner gewohnten Umgebung, von seinen Freund:innen, der Familie und seinen Genoss:innen gerissen wird, wollen die Herrschenden bezwecken, dass man die Moral verliert und einfach gesagt aufgibt.
Könnt ihr etwas zu den Isolationsgefängnissen in der Türkei sagen? Wie sehen diese aus?
Die Isolationshaft wird seit den 90er Jahren systematisch vom türkischen Staat gegen die revolutionäre Bewegung eingesetzt. Ursprünglich sollte sie nur für Gefangene mit lebenslänglichen Strafen eingesetzt werden aber das ist seitdem extrem ausgeweitet worden.
Die Isolationshaft ist eine Form der Folter. Im Übrigen hat sich der türkische Staat hier direkt am Umgang des deutschen Staates mit der RAF orientiert.
Y- und S-Typ-Gefängnisse werden auch Brunnengefängnisse genannt, weil kaum Licht und Luft in die Zellen kommt, da die Zellen über keine Freiluftflächen verfügen. Einmal am Tag kommen die Gefangenen in einen engen Bereich mit hohen Mauern, der oben mit Drahtgittern abgedeckt ist und wie ein Brunnen aussieht. Daher kommt der Name. Das sind Haftanstalten, die die Gefangenen vollständig isolieren und somit in ihrem grundlegenden Aufbau nichts weiter als körperliche und psychische Folter bedeuten. Gerade politische Gefangene sind davon oft betroffen. Die Gefangene in diesen Gefängnissen sind in Einzelzellen untergebracht. Nach Ermessen werden die Gefangenen täglich für 1 bis 1.5 Stunden in den Bereich der wie ein Brunnen von Mauern umgeben ist in den „Freigang“ gebracht, aber auch das ist eine Qual, da sie während dieser Zeit keine Möglichkeiten haben auf Toilette zu gehen oder auch sich vor Regen oder Sonne zu schützen. Die Zellen werden die ganze Zeit von Kameras überwacht – pausenlos. Kontakt zu anderen Gefangenen gibt es gar nicht. Das Ziel ist, Menschen über längere Zeiträume so zu brechen, dass sie psychisch zermürbt werden.
Wie hängt die Repression in der Türkei mit der Repression in Ungarn und Deutschland zusammen?
In beiden Fällen agiert der deutsche Staat als Mitstreiter im Kampf gegen Antifaschist:Innen und Sozialist:Innen in der Türkei und Ungarn. Für die Türkei verfolgen deutsche Behörden politische Gegner, Widerstandskämpfer:Innen und sogar Künstler:Innen. Die revolutionäre türkische Organisation „Devrimci Halk Kurtuluş Partisi-Cephesi“ (DHKP-C) (Deutsch: „Volksbefreiungspartei/-front“) ist in Deutschland etwa verboten. Im Mai 2022 wurden drei türkische Antifaschist:innen, Özgül Emre, İhsan Cibelik und Serkan Küpeli, infolgedessen nach §129b in Deutschland verhaftet, im Februar verfolgte die Verhaftung von Hasan Unutan.
Um die antifaschistische Bewegung einzuschüchtern bricht der deutsche Staat auch gut und gerne seine eigenen Gesetze, um Maja in einer Nacht und Nebel Aktion nach Ungarn zu verschleppen, mit Sack über dem Kopf und angekettet. So kann Aktivist:Innen hier nun mit extrem hohen Haftstrafen in Ungarn gedroht werden, während sich Deutschland in Europa weiterhin mit dem Verteidigen der sog. Menschenrechte schmücken kann.
Außerdem sind wir als Sozialist:innen auch Internationalist:innen und sehen unsere Kämpfe nicht isoliert. Der Widerstand gegen den Faschismus ist eine Grenzübergreifende Aufgabe. Wir stehen alle dem gleichen System gegenüber, was wir nur gemeinsam zu Fall bringen können. Ob hier in Deutschland, der Türkei oder Ungarn, stehen wir Seite an Seite mit allen Sozialist:Innen und Antifaschist:Innen.
Wie können euch Leute unterstützen?
Wir möchten mit dem Hungerstreik ein Zeichen setzen. Der Solidaritäts-Hungerstreik hat das Ziel, Aufmerksamkeit auf die Situationen der Genoss:innen zu lenken. Also beteiligt euch an den Aktionen in der nächstgelegenen Stadt oder führt selber Aktionen zu den Hungerstreiks von Maja und der SGDF durch. Nach dem dreitägigen Hungerstreik in Leipzig folgen Genoss:innen in Hamburg und Brüssel vom 15.-17. Juni. Der Kampf um Befreiung endet aber nicht mit den Hungerstreiks und auch nicht mit der Freilassung Majas oder den Revolutionär:Innen in der Türkei. Solange dieses unterdrückerische System steht, müssen wir Widerstand leisten, bis wir alle frei sind. Der beste Weg dahin ist es sich zu organisieren, im Kampf gegen Faschismus und Unterdrückung, für eine bessere Welt.
Vielen Dank für das Interview und viel Erfolg bei eurem Kampf!