Die Aktivist:innen von La Saó bauen seit ein paar Jahren eine revolutionäre Organisation auf. Sie kämpfen von Katalonien aus für einen internationalen revolutionären Prozess, für ein Leben ohne Vorherrschaft. Dabei gehen sie davon aus, dass Organisierung für den Aufbau des revolutionären Prozesses unerlässlich ist. Wie das ideologisch und praktisch aussehen kann, erklärt ein Aktivist von La Saó in einem Interview im April 2025.
von Lilli Sauer

Die Aktivist:innen von La Saó bauen seit ein paar Jahren eine revolutionäre Organisation auf. Sie kämpfen von Katalonien aus für einen internationalen revolutionären Prozess, für ein Leben ohne Vorherrschaft. Dabei gehen sie davon aus, dass Organisierung für den Aufbau des revolutionären Prozess unerlässlich ist. Wie das ideologisch und praktisch aussehen kann, erklärt ein Aktivist von La Saó in einem Interview im April 2025.
Die Luft riecht nach Frühling und die Durchschnittstemperatur beträgt 18 Grad. Ich sitze in einem Kaffee in einer katalanischen Kleinstadt etwa 60 km nördlich von Barcelona entfernt. Die Kellnerin sieht mich neugierig an, denn ich habe meinen Kaffee auf Castillano* bestellt. Später spricht sie mich an und wir unterhalten uns ein bisschen. Hier in der kleinen Stadt wird hauptsächlich Katalanisch gesprochen. Ich rühre in meinem Cappucchino und bespreche über Messenger mit Oriol Vidal, einem Aktivist der La Saó, wie wir das Interview gestalten. Auf Grund von Entfernung und Zeit entscheiden wir uns über geschriebene und gesprochene Nachrichten auszutauschen. Die Aktivist:innen von La Saó sind an verschiedenen Orten der katalanischen Länder vertreten. Oriol Vidal sagt, sie wären vor allem im Hauptteil von Katalonien, unter anderem in Valencia, Lleida und Barcelona aktiv. Ich bin zum Zeitpunkt des Interviews in Katalonien. Leider sind die Entfernungen weit und an dem Ort wo ich bin ist ein persönliches Treffen organisatorisch während meines Aufenthalts nicht möglich.
La Saó organisiert sich in den katalanischen Ländern

Das aktuelle Katalonien, ist die autonome Region im Norden von Spanien. Seit Jahrhunderten kämpfen die Katalan:innen um ihre Unabhängigkeit. Diese wurde immer wieder von Herrschenden unterdrückt. Das geschah zuletzt unter Franco 1939 nach dem spanischen Bürgerkrieg. Der Diktator verbot das Katalanische in Kultur und Sprache in allen Bereichen des öffentlichen Lebens. Während seit den 50er Jahren die katalanische Sprache und Kultur wieder ein zentraler institutioneller Bestandteil in vielen Gegenden geworden ist, wird die Autonomie der Katalan:innen durch die Zentralregierung Spaniens bis heute nicht anerkannt. La Saó ist eine revolutionäre Organisierung der katalanischen Länder. Oriol Vidal ergänzt hierzu, sie würden immer noch nicht glauben, dass die katalanischen Länder aktuell unabhängig sind, aber sie würden daran arbeiten, dies eines Tages zu sein. Die Aktivist:innen von La Saó wollen nicht für einen Staat mit statischen Grenzen kämpfen. Sie sprechen daher von den katalanischen Ländern. Damit sind alle Gebiete gemeint, in denen Katalanisch gesprochen wird. Dies umfasst unter anderem die autonomen Regionen Aragón, Katalonien, Valencia und auf den Balearen sowie im Fürstentum Andorra, der französischen Region Roussillon.
Aktivismus an der Basis
Oriol Vidal lebt in Lleida, eine Großstadt im Westen der autonomen Region Katalonien. Dort ist er Teil des „Movimiento por la vivienda de Catalunya“* der Bewegung für bessere Wohnverhältnisse in Katalonien. Im Rahmen dieser Bewegung wurden im Jahr 2020 zwei Gebäude in der Großstadt besetzt. Diese werden seitdem als selbstorganisierte Schulen (escuelas popular) genutzt um unter anderem Sprachen zu lernen. Der Aktivist erklärt, dass an öffentlichen Schulen oft der Zugang dazu fehle. Das Angebot in den Gebäuden zu lernen, würden Anfang 2025 etwa 200 Menschen in der Woche annehmen. Oriol Vidal sagt, die Arbeit mit den Menschen würde ihm sehr gefallen Die Aktivist:innen könnten antikapitalistische, feministische und antifaschistische Ansätzen in Theorie und Praxis im direkten Kontakt mit den Menschen in Katalonien teilen. Oriol Vida und die Stadt Lleida ist nur ein Beispiel davon, was La Saó aktivistisch macht und aufbaut.
Den Zusammenhang zwischen dem „Movimiento por la vivienda“ und den selbstorganisierten Schulen erläutert mir Oriol auf meine Nachfrage hin. Vor ein paar Jahren hätten sie fest gestellt, dass es gut funktioniert, über das „Movimiento por la vivienda“ viele Menschen zu organisieren. Der Wohnungsmarkt und dessen Preisanstieg ist in den Ländern Kataloniens und weltweit ein Problem. Aus diesem Grund gibt es in Katalonien seit 15 Jahren eine sehr große Bewegung die in vielen verschiedenen Städten vertreten ist.
Es beteiligen sich viele Menschen. Wenn Menschen aus verschiedenen Gründen, wie zum Beispiel einem gemeinsamen Hauskaufes oder Familiengründung nicht mehr das Wohnungsproblem haben verlassen sie oft die Organisierung. Wenn Menschen aus verschiedenen Gründen, wie zum Beispiel einem gemeinsamen Hauskauf nicht mehr selbst vom prekären Wohnungsmarkt betroffen sind, verlassen sie oft die Organisierung. Und das, obwohl sie eigentlich gerne weiterhin Teil bleiben würde. Die Aktivist:innen haben deshalb weitere Themenfelder gesucht, in denen sie Bedarf zur Veränderung sehen. Frauen, die patriarchale Gewalt erfahren haben, begannen sich zu organisieren. Es wurden selbstorganisierte Sportgruppen gegründet und wie in den genannten escuelas populares Bildung an der Basis organisiert. Unter dem „Movimiento por la vivienda“ können so Menschen in verschiedenen Kämpfen an der Basis organisiert sein.
Veränderung ist notwendig und möglich
Ausgehend davon, dass Aktivist:innen in vielen Ländern in Europa derzeit von einem Rechtsruck und einer Krisensituation sprechen, frage ich Oriol nach einer Einschätzung der Situation diesbezüglich in Katalonien. Die Mentalität der aktuellen Politik sei voller Hass und Gewalt, bekomme ich als Antwort. Gerade kleine Kollektive wären davon betroffen, beispielsweise durch Verluste von Rechten der Freiheit. Er erzählt mir, dass sie davon ausgingen, dass wir uns in einem Moment des reaktionären Wandels befinden würden. Dieser bringe einige Risiken aber auch Chancen auf eine Veränderung.
Vor allem betroffen sei die Klasse der Arbeitenden. Und genau diese könne gleichzeitig die größte Neuausrichtung der Ereignisse bringen. Dieser Moment sei ein historischer Moment der Gegenoffensive. Es gäbe eine große Verantwortung. Ich lausche den Worten von Oriol, er spricht sehr klar und ruhig. Die Aktivist: innen sehen in der Wende zwei Säulen. Die eine ist eher materiell, weil sie die materiellen Bedingungen der Menschen verändert. Sie werden prekärer und dadurch gibt es mehr Barrieren. Außerdem zeigt der Wandel, dass die Menschen durch das System den Lebenssinn verlieren.„Bei diesen existenziellen Zweifeln sehen wir Aktivist:innen von La Saó die Möglichkeit zur Veränderung“, sagt Oriol Vidal im Interview.
„Wir glauben das dies wichtig ist, da es uns ermöglicht Einfluss zu nehmen. Wir haben einen revolutionären Vorschlag, der dem Leben einen Sinn gibt. Dieser erlaubt uns die Gesellschaft zu organisieren, über Revolution zu sprechen und die Dinge zu verändern.“
Es braucht den inneren und äußeren politischen Kampf
Ideologische Grundlage für La Saó sind vier Punkte. Das Konzept des demokratischen Konförderalismus der kurdischen Bewegung, der Marxismus sowie die anarchistische und libertäre Bewegung. Außerdem orientiert sich die Bewegung an die Erfahrungen der autonomen Kämpfe der Vergangenheit in den katalanischen Ländern und auf der ganzen Welt. Die vier Grundsätze ermöglichen, dass La Saó offen für verschiedene Perspektiven sein kann. Nicht alle Menschen die mit der Organisation arbeiten, können mit Allem einverstanden sein was die ideologischen Grundlagen dieser vorschlagen. „Aber wir glauben, dass es genau diese innere Spannung ist, die in unseren Debatten hilfreich sein kann um Vorschläge zu entwickeln, die für den aktuellen Moment passend sind.“ erklärt mir Oriol Vidal.
Ein Teil der politischen Tätigkeit von La Saó ist die interne Arbeit der Organisierung. „Wir sind eine revolutionäre Organisation, wir arbeiten innerhalb dieser nur mit Menschen, die eine Verbindlichkeit eingehen.“ beschreibt Oriol Vidal. Die Aktivist:innen von La Saó brauchen neben Zeit für den politischen äußeren Kampf auch eine Bereitschaft für den Kampf zur Veränderung der Persönlichkeit.
Der andere Teil ist die gesellschaftliche Basisarbeit und kollektive Organisierung. außerhalb von La Saó. Dort findet die öffentliche Arbeit statt mit Personen, die diese Verbindlichkeit nicht eingehen. Ein Beispiel hierfür ist die Arbeit der Aktivist:innen der La Saó in der escuela popular. Die Aktivist:innen arbeiten mit drei Prinzipien, wenn sie in der öffentlichen Bewegung arbeiten. Zum einen, die Konfrontation mit dem System. Dann, der Aufbau einer Alternative. Und drittens, die Radikalisierung der Gesellschaft.
Dabei sind die Aktivist:innen selbst oft von staatlicher Unterdrückung bedroht. „Wir sind uns bewusst, dass es Repressionen geben könnte, weil wir Militante sind.“ Oriol Vidal beschreibt mit ernster Stimme die Situation. Als Revolutionär:innen müssten sich die Menschen von La Saó auf Repressionen vorbereiten und damit umgehen. Das zu schaffen, bedeute aber auch Stärke.
Antipatriarchale Kämpfe sind zentral
La Saó organisiert sich und arbeitet ausgehend davon, dass wir aktuell in einem Herrschaftssystem leben, dass die Menschen unterdrückt. Sie analysieren das Patriarchat als zentralen Bestandteil dieses Systems. Angelehnt an die kurdisAntipatriarchale Kämpfe sind zentralche Bewegung, bei der die Frauenbefreiung einer der Hauptbestandteile des demokratischen Konförderalismus ist, sehen die Aktivist:innen in dem antipatriarchale Kampf zwei Teile. Den inneren Kampf und den Äußeren. So, beschreibt Oriol Vidal, haben die Compañeros innerhalb der Organisierung ihren Kampf mit der Männlichkeit und der Persönlichkeit. Aber nicht nur die Compañeros*, sondern auch die Compañeras müssen an ihrer Persönlichkeit arbeiten. Die Aktivist:innen sehen das Patriarchat als etwas universelles. Der zweite Teil des antipatriarchalen Kampfes ist der Äußere. Dieser umfasst Basisarbeit und die Veränderung der Gesellschaft.
In einem ihrer Texte auf ihrer Homepage schreiben sie dazu: „Von La Saó aus beteiligen wir uns als revolutionäre und feministische Aktivistinnen an der begonnenen Debatte über die Ausrichtung des organisierten Feminismus in unserem Gebiet.“
Wenn sie von ihrem Gebiet sprechen, meinen sie die katalanischen Länder. Das derzeitige System ist eines der Herrschaft, dass durch Kapitalismus, Patriarchat und Kolonialismus geprägt ist. Diese Herrschaft unterdrückt, was sich für die Bevölkerung in Gewalt äußert. Die Aktivist:innen wollen ein freies Leben aufbauen. Dafür braucht es die Revolution, die dieses System der Unterdrückung verändert und eine Gesellschaft mit Werten des freien Lebens aufbaut.
Ziel ist der revolutionärer Prozess unabhängig von Staat und Nation
Die Strategie von La Saó ist eine demokratische Nation der katalanischen Länder zu erreichen. Die Katalan:innen kämpfen seit Jahrhunderten für ihre Autonomie. Diese Erfahrungen wollen die Aktivist:innen mit in das Vorgehen ein beziehen. Was das für Aktivist:innen bedeutet, führt Oriol Vidal näher aus. „Wir gehen davon aus, dass die demokratische Nation eine Form ist um eine unabhängige Gesellschaft zu organisieren. Dabei ist die Gesellschaft unabhängig von einem Staat oder einer Nation. Um von dem Stand heute etwas aufzubauen, müssen wir aber erst mal von diesem ausgehend anfangen.“ Das Ziel ist also nicht, einen Nationalstaat aufzubauen, sondern von den jetzigen Möglichkeiten ausgehend einen revolutionären Prozess zu beginnen.
Dieser Kampf soll mit Menschen mit ideologischen, strategischen und organisatorischen Unterschieden geführt werden. Denn durch verschiedene Bevölkerungsgruppen kann der revolutionäre Prozess gemeinsam bestimmt werden.
„Wir wollen keinen Dogmatismus, wir wollen viel lernen durch diese Erfahrungen des Kampfes. Um das in den aktuellen Moment zu übersetzen.“ Auf der Homepage der Organisierung beschreiben sie, dass sie den revolutionären Prozess als langfristigen historischen Prozess sehen würden, der es ermöglichen müsse, die materiellen und symbolischen Grundlagen der Gesellschaft radikal zu verändern.
„Im Moment sind die Meisten von uns im Hauptteil von Katalonien, aber wir haben Kontakt mit dem Rest der katalanischen Länder und den Leuten, die in anderen Teilen des Landes arbeiten. Und wir sind immer noch in Kontakt mit dem Rest der Welt.“ ergänzt Oriol Vidal. Die Aktivist:innen gehen von einer lokalen öffentlichen Bewegung aus, die sich in eine revolutionäre Bewegung wandeln kann. Sie betonen in ihren Texten auf der Internetseite sowie auch im Interview, die Relevanz von der internationalistischen Perspektive.
Die Revolution muss internationalistisch sein
La Saó war als Organisierung im Februar 2025 auf der „Peoples‘ Platform Europe“ in Wien anzutreffen. Die Plattform wurde von Menschen der kurdischen Bewegung mit organisiert. Es haben sich mehr als 800 Delegierte, die 160 Organisationen, Gruppen, Bewegungen Netzwerke und Verbände aus mehr als 30 europäischen Ländern und verschiedenen Gemeinschaften vertraten, getroffen. Sie haben sich getroffen um die Kämpfe, Perspektiven und Fähigkeiten zu vereinen und das freie Leben aufbauen.
Ich möchte von dem Aktivist wissen, wie die internationalistische Vernetzung der Organisierung sonst aussieht. Er antwortet mir: „Wie ich bereits gesagt habe, die Revolution muss internationalistisch sein oder es ist keine.“ Deshalb waren sie im Februar 2025 auch auf der Peoples‘ Platform Europe. Die Unterdrückung durch das Herrschaftssystem ist weltweit und die Revolution muss es auch sein. Auf der Plattform wäre artikulieren über den neuen Weg, einen Kampf gegen die weltweite Unterdrückung möglich. Eine internationale revolutionäre Bewegung gäbe es noch nicht, aber die Aktivist:innen hätten Hoffnung auf diese.
„Willst du noch etwas hinzufügen?“ frage ich. Oriol erwidert: „Ich denke unsere ideologischen Vorschläge und unsere Organisation ist viel breiter als dies was ich dir sende. Es gibt viel mehr Töne darin, als ich dir gerade mitteilen kann. Es gibt auch noch mehr zu zum Beispiel was Feminismus betrifft.“ Und bevor er die Sprachnachricht beendet, betont er: „Was es auch ist, sag‘ mir Bescheid. Vielen Dank für dein Interesse, wir bleiben in Kontakt!“
Anmerkungen:
- Castillano* : andere Bezeichnung für die spanische Sprache
- Companera/-o/-x: Spanisch für Freund:in / Gefährt:in/ Genoss:in
- „Movimiento por la vivienda“: Übersetzt auf Deutsch: Bewegung für das bessere Wohnen. Der organisierte Wohnungskampf in Katalonien.
Fotos: zur Verfürung gestellt von La Saó