Ob in der Zeitung, bei Insta oder im Fernsehen, in diesen Tagen kommt man um einen Namen nicht mehr herum: Ole Nymoen. Der will nämlich nicht für Deutschland in den Krieg ziehen und eckt damit gerade richtig an.
Während die Kriegstrommeln bei Lanz und Maischberger spätestens seit der «Zeitenwende» verlässlich im Takte schwingen und wir drei Jahre lang den moralischen Melodien von Westliche-Werte-Annalena und Kriegsminister Boris lauschen durften, erleben wir plötzlich erfrischend abwechslungsreiche Töne in Deutschlands Talkshows und den Feuilletonseiten. Plötzlich hören wir eine fast trotzige Oppositionsstimme zu den olivgrünen Kriegstreiber:innen und transatlantischen Friedensaufrüster:innen/Rüstungspazifist:innen.
Da sitzt plötzlich der Ole Nymoen, den meisten wohl bekannt aus dem Podcast „Wohlstand für Alle“, und verteidigt konsequent, teilweise auch gegen das Publikum, seine Ablehnung gegenüber Wehrpflicht und Kriegstreiberei.
Ich, für Deutschland kämpfen? Never!

Vergangenen Sommer löste er damit fast schon einen kleinen Skandal aus, als er sich in der ZEIT mit einem Kommentar zu Wort meldete – inmitten der aufflammenden Debatte über die dringende Notwendigkeit einer Wehrpflicht. In Windeseile kassierte der gescholtene „Lumpenpazifist“ viel Hass und Gegenrede, sodass er es für sinnvoll erachtete, seine damalige Argumentation nun in einem Buch vertieft darzustellen.
In „Warum ich niemals für mein Land kämpfen würde“ begründet Ole Nymoen in leicht verständlicher Sprache, warum er nicht in den Krieg ziehen (und sterben) möchte – nicht im Falle einer kommenden Wehrpflicht und erst recht nicht für einen Nationalstaat wie Deutschland.
Zackbum. Da ist er nun also. Der eigentlich gar nicht mal sooo heiße Hottake. Im Moment ist er aber dann doch eben heiß diskutiert, sind doch all die Lumpenpazifist:innen und wohlstandsverwahrlosten Gen Z-Bengels ein Dorn im Auge der kriegstreibenden Klasse.
Mein Leben ist mir mehr Wert als die Freiheit, die nicht meine ist.
Doch warum hat der Ole denn so ein Problem mit der Wehrpflicht, dass er „lieber in Unfreiheit“ leben möchte „als für Freiheit zu sterben“
Nun, treffend stellt er heraus, dass es nicht „sein“ Staat ist: „Ich möchte nicht für mein Land kämpfen, denn was heißt das überhaupt: «mein Land»? Das Possessivpronomen «mein» suggeriert, ich würde eigenes Land besitzen oder hätte zumindest den Ort meiner Herkunft selbst gewählt. Nichts davon ist der Fall: Weder verfüge ich über einen einzigen Quadratmeter dieses Landes selbst noch habe ich es mir als meine Heimat ausgesucht.“ (S. 113)
Um wessen Freiheit geht’s hier eigentlich?
„Der Staat ist also kein nützlicher Diener des Volkes, sondern umgekehrt: Das Volk ist dem Staat und seinen Zielen ausgeliefert.“ (S. 62)
Für Ole Nymoen ist also klar, dass es nicht seine Interessen sind, die mit einer Wehrpflicht verteidigt werden sollten. Denn „Staaten sind […] Herrschaftskonstrukte, deren Existenz für die Untertanen alles andere als funktional ist. Der Staat ist kein Dienstleister am Volk, der gnädigerweise Sicherheit und andere Wohltaten gewährt, sondern spannt umgekehrt seine Bürger für die eigenen Zwecke ein, von denen sie oftmals wenig haben.“ Hier sieht es Ole Nymoen wie Karl Marx:“Staatsbürger zu sein, ist kein Glück, sondern ein Pech.“ (S. 59)
Damit macht er natürlich einen guten, richtigen und wichtigen Punkt, der immer wieder hochgeholt wird, wenn das nationale „Wir-Gefühl“ der demokratischen Gemeinschaft gepusht werden soll. „Wir sind Papst; Wir sind Weltmeister; Wir sind sogar Exportweltmeister.“ Bei dem beschworenen „Wir“, welches nun ein „Wir müssen uns verteidigen“ ist, geht es niemals um eine solidarische, humanistische Gesellschaft. Es geht immer nur um die Legitimierung einer Politik, die eigentlich nicht im Interesse der Gesellschaft ist. Wir sollen verdammt nochmal den Gürtel enger schnallen, damit sich „unsere deutschen Kriegskassen“ füllen. Und beim Duschen gefälligst sparen, um als „einer von 80 Millionen für den Energiewechsel“ zu sorgen. Wir sollen teurere Lebensmittel akzeptieren und zum Freiheitsdienst antreten, damit „unsere Freiheit“ beschützt wird. Cleverer Schachzug, um die Verantwortung von Vater Staat auf die Gesellschaft zu projizieren.
Unser Krieg ist doch kein Krieg!
Ole Nymoen geht auch auf die verzerrte Darstellung und die Debatte darüber ein, welche Rolle Deutschland im Kriegsgeschehen eigentlich einnimmt. Denn selbstverständlich will in Deutschland niemand Krieg, gottbewahre ! Sowieso wird Krieg in der Regel nicht als Angriff, sondern vielmehr als ein notwendiger Akt der Verteidigung benannt, da „es sich um ein reines Defensivmanöver handele, das ihm [dem Staat] vom Rest der Staatenwelt aufgezwungen wurde.“ (S. 35)
Die Logik ist bekannt. 2022 begann Russland keinen Angriffskrieg, sondern eine „militärische Spezialoperation“; türkische Bombardements gegen Kurden in Nordsyrien sind immer nur „Terrorabwehr“, und die USA als „Weltpolizei“ waren ja sowieso immer wieder gezwungen, in aller Welt militärisch „zu intervenieren“. Deutschland hat die „Freiheit am Hindukusch verteidigt“ und auch jetzt geht es Baerbock und Konsorten sowie nur um die „Verteidigung westlicher Werte“ – nur jetzt halt auch mit Wehrpflicht und Waffenlieferung. Aber bloß nicht mit Kriegsbeteiligung.
Dass der aktuelle Aufrüstungskurs sehr wohl in einer aktiven Kriegsbeteiligung aufgeht, ist in verschiedenen Publikationen und Planspiele staatstreuer Thinkthanks sichtbar: Während 2013 schon von „Neuer Macht und neuer Verantwortung“ in der deutschen Außenpolitik gesprochen wurde, wurde im „Grünbuch ZMZ 4.0“ die Rolle als logistische Drehscheibe Anfang des Jahres exakt berechnet und durchgespielt.
Sind wir nicht alle ein wenig Schwarz-Rot-Gold?
Für die notwendige Rückendeckung an der Heimatfront braucht es eben eine andere Erzählung: „Wenn die Rede davon ist, dass der Staat Y «sich selbst» verteidige, wird genau diese Unterscheidung zwischen Volk und Führung verwischt“ (S. 42) und der Gesellschaft der jeweiligen Staaten wird suggeriert, die Verteidigung von Nationalstaat und Bürger:in sei das selbe: ,,Dass jeder Staat seine eigene Klassengesellschaft verwaltet, wird gern kaschiert in nationalistischen Formulierungen von «unserem Wohlstand», « unseren Steuergeldern» oder «unseren Grenzen». Das nationale «Wir», das heraufbeschworen wird, ist eine verlogene Fiktion: Erweckt werden soll der Eindruck, dass der Nationalstaat ein gemeinsames Projekt sei, das nur zum Nutzen der Bürger ins Leben gerufen wurde – auch wenn das Gegenteil der Fall ist. “ (S. 82)
Die Peitsche für diese entlarvende Argumentation holte er sich bei einem Late-Night-Auftritt, so treffend wie ehrlich, von der deutsch-ukrainischen Maria Weisband (natürlich ist sie eine Grüne) :
,,Das, was mich an deiner Argumentation stört, Ole, ist, dass du keinerlei Ownership an der Gesellschaft zu haben scheinst. Ich hab das Gefühl, du bist Anarchist und das finde ich absolut sympathisch, da viben wir, aber ich glaube, gerade aus so einer Perspektive heraus habe ich eine Ownership. Der Staat ist nicht etwas Externes, der nur dabei ist, mich zu unterdrücken, sondern diese Gesellschaft ist grundsätzlich etwas, das ich mitgestalte.“ Als wollte die Grünen-Politikerin alles untersteichen,was Ole sagt.
Doch der bennnt sehr gut, dass es nicht, wie so häufig es auch konstruiert wird, das gleiche ist, seine Familie auf der Straße gegen einen direkten Angriff oder einen Nationalstaat an einer anderen Landesgrenze zu verteidigen: „Während bei einer Gewalttat zwischen Privatpersonen die angegriffene Seite tatsächlich sich selbst verteidigt, also mit eigener Gewalt das eigene Leben schützt, ist es beim Staat anders. Wo dieser angegriffen wird, verteidigen sich die Staatschefs bekanntlich nicht selbst, sondern entsenden Dritte zum Schutz der eigenen Souveränität“(S. 41)
Ein Denkansatz ohne Lösungsperspektive
Im letzten Kapitel geht Ole Nymoen noch auf einzelne Kommentare ein und damit auch auf den Vorwurf, dass seine Argumentation eine Ich-zentrierte ist. Dem entgegnet er überraschend: „menschliches Wir, soziales Miteinander [ist] für mich die wohl stärkste Triebfeder meiner publizistischen Arbeit“. (S. 127)
Diese Motivation soll ihm auch nicht abgesprochen werden. Doch es ist tatsächlich schade, dass es Ole Nymoen dabei bestehen lässt, keine Perspektive für einen gesellschaftlichen Umgang mit der zunehmenden Militarisierung darzustellen und lediglich einen theoretichen Denkansatz zu bieten: „Dieses Buch liefert keine politischen Lösungen“ (S. 22). Seine Argumentation zur Ablehnung der Wehrpflicht und seiner Antikriegshaltung basiert vor allem auf der materialistischen Haltung heraus, er sei nicht bereit, für den Staat zu sterben: ,,Ich will nicht in Schützengräben liegen, in ständiger Furcht, von Bomben oder Granaten zerfetzt zu werden.“(S. 114)
Zwar macht er klar, dass er nicht einfach nur ein hippiesker Pazifist ist und es daher ,,eine Menge [gibt], wofür [er] zu kämpfen bereit wäre“ (S. 130). Doch dieser Teil bleibt nur vier Seiten lang und liest sich wie die Beschreibung einer fernen, gar unrealistischen Utopie eines „modernen Sozialismus“. Es ist alles in allem aber doch sehr unkonkret.
Damit erfüllt er nicht nur das Klischee des „Anti-Alles-Linken“. Er verpasst auch die Gelegenheit zu argumentieren, warum es kollektive Gründe der Arbeiterklasse und der gesamten Gesellschaft gibt, nicht für die Nationalstaaten als Kanonenfutter sterben zu wollen und somit den Krieg zu verraten.
Ole Nymoen will keine Verantwortung für den Staat übernehmen, verständlich. Doch es scheint so, als wolle er dies auch nicht für die Gesellschaft tun.
Wofür wollen wir denn kämpfen ?
Natürlich bietet das Buch eine authentische Perspektive, indem es den Reflex aufgreift, die eigene Wehrbereitschaft“ zu hinterfragen. Wer kennt den Gedanken „Ich will nicht sterben“ nicht oder hat die Frage „Wofür bin ich bereit zu kämpfen?“ nicht schon mal gestellt? Das ist sicherlich auch ein Grund, warum sich das Buch in kürzester Zeit gut verkaufte und zum Spiegel-Bestseller wurde. Doch gerade in einer Zeit, in der es der linken Bewegung oftmals an Orientierung fehlt, sollte die Frage, wie wir den Krieg gemeinsam verraten oder gar verhindern können, tiefer diskutiert werden. Dass dies nicht nur die Aufgabe von Podcaster:innen oder Autor:innen ist, sollte klar sein. Doch für Ole scheint es ebenso absolut zu sein, dass der Krieg kommen wird und nicht verhinderbar ist, also auch, dass er sich aus dem Staub machen wird.
Dennoch schafft es Ole Nymoen mit dem Werk nicht ausreichend, eine Perspektive für eine zeitgemäße und junge Friedensbewegung, die über ein inidviduelles Desertieren hinausgeht, zu schaffen. Dass es hierfür das Potential gibt, zeigen die zunehmenden Diskusionen über Wehrpflicht und Krieg in der Bahn oder auf den Schulhöfen. Über die Notwendigkeit einer widerständigen Gesellschaft gegen die Kriegstreiberei müssen wir an dieser Stelle gar nicht erst sprechen.
Im ersten Teil des Buches „Über den Sinn des Krieges“ versucht sich Ole Nymoen an einer niedrigschwelligen Erläuterung des imperialistischen Charakters des Nationalstaates, ackert sich dabei an Lenins Imperialismustheorie ab und bleibt dennoch uneindeutig. Der Versuch, linke Imperialismustheorie in den Mainstream zu bringen, ist lobenswert, doch hier besticht das Buch weniger durch eine treffende Imperialismusanalyse, sondern vielmehr durch verständliche Sprache.
Auch in der Unterscheidung zwischen konventionellen und Vernichtungskriegen erscheint die Argumentation zeitweise schwammig. So argumentiert Nymoen, dass im Falle eines „Vernichtungskriegs die Auslöschung der Staatsmacht und die des Volkes zusammenschmelzen und so militärische Gegenwehr notwendig ist.“ (S.93) Wann dies zutrifft und was es für Konsequenzen hätte, benennt er aber nicht.
Ein Buch, das den Zeitgeist trifft
Im Grunde ist es ein Buch, mit dem man nicht überrascht wird. Es ist das drinnen, was drauf steht. Nun ist es zugegebenermaßen auch nicht leicht, in 144 Seiten ein ideologisches Manifest zu schreiben. Das kleine tarnfarbende Buch ist auch wirklich nicht zu einem geworden. Es ist kein Buch für den nächsten Lesekreis der Kritischen-Hochschul-Theoretiker oder das nächste Imperialismus-Podium.
Es ist vielmehr ein Buch, bei dem man nur hoffen kann, dass es den vielen Jugendlichen in der Schule in die Hände fällt, bevor der Jugendoffizier den Geounterricht übernimmt. Ein Buch für den kleinen Bruder, der die Idee, bei der Bundeswehr Mechatroniker zu werden, eigentlich ganz cool findet. Ein Buch für den schwierigen Onkel, mit dem du dich schon zweimal über die Wehrpflicht gestritten hast, ohne auch nur ein Argument auszutauschen.
Es ist ein Buch, das mit all den Lücken trotzdem seinen Zweck erfüllt und die Chance hergibt, den so notwendigen gesellschaftlichen Diskurs über die Militarisierung der Bevölkerung und die Debatte über Wehrpflicht, Wehrdienst und Freiwilligenjahr zu beeinflussen. Und es ist offensichtlich ein Buch, das im Moment ausreicht, um die ganzen Panzer-Pazifisten und NATO-Stiefellecker à la Bosetti und Schröder mal auf die Palme zu bringen und das nebenbei Schlagwörter wie Imperialismus, Nationalstaat und Klassenwiderspruch im breiteren Diskurs salonfähig macht.
Dafür kann man Germanys Next Putintroll Ole Nymoen auch einfach mal danken.
„Warum ich niemals für mein Land kämpfen würde – Gegen die Kriegstüchtigkeit“ von Ole Nymoen ist am 11.03.2025 bei rowohlt erschienen.