Der „Megalodon-Remix“ – Straßenrap, Staatskritik und Sexismus

22. April 2025

Bissu dumm“ und das politische Spektrum des Deutschraps

Deutschrap-Posse-Tracks, Mammut-Mixes und Co. haben im deutschen HipHop eine jahrzehntelange Tradition. Und wie immer im deutschen Rap ist die politische Bedeutung dieser Kollaboprojekte sehr unterschiedlich. Während Sidos „30-11-80“ 18 Rapper versammelt, um sich selbst feiern zu lassen und Kool Savas mit „Der Beweis 2: Mammut RMX“ beweisen will, wer die 19 krassesten Rapper des Landes sind, gibt es auch Projekte, deren politisches Gewicht deutlich schwerer wiegt: 2001 veröffentlichten die Brothers Keepers als Zusammenschluss afrodeutscher Künstler aus dem HipHop-Umfeld „Adriano – Letzte Warnung“ im Gedenken an den ein Jahr zuvor von Neonazis in Dessau getöteten Alberto Adriano; in ähnlicher Tradition versammelte der Hanauer Rapper Azzi Memo 2020 auf einem Song 18 andere Musiker:innen in Reaktion auf den Anschlag vom 19. Februar.

Vor wenigen Tagen machte dann nach längerer Zeit wieder ein Posse-Track ordentlich Welle in der Szene: Bonez MC und Nate57 trommelten für den „Megalodon-Remix“ zu ihrem Track „Bissu dumm ?!“ gleich mal mehr als doppelt so viele Rapper zusammen als alle zuvor genannten Projekte: über 40 Rapper steuern ihre Parts auf dem Boom-Bap-Beat von Jugglerz bei. Überraschend dabei: Obwohl der Track keinen so klar politischen Anlass hat, wie „Adriano“ oder „Bist du wach?“ werden doch auffallend viele Rapper in ihren Parts sehr konkret politisch. Ob das nun an den sich zuspitzenden Krisen des Systems oder der Hook des Originalsongs liegt, in dem Bonez von brennenden Autos und dem Unwillen, sich von diesem Staat hinter Gitter bringen zu lassen, rappt, liegt, bleibt offen.

Dadurch dass der Song aber keinen gemeinsamen politischen Anspruch hat und auch die meisten Aushängeschilder für politischen Straßenrap (Disarstar, Nura, PTK, aber auch Ebow, Luvre47, Hanybal oder neuere Künstler:innen wie OG Lu oder Apsilon) nicht mit eigenen Parts vertreten sind, ergibt sich eine spannende Mischung, die fast die gesamte Bandbreite politischer Perspektiven im deutschen Straßenrap repräsentieren (neben den genannten linken Aushängeschildern fehlen für das gesamte Spektrum beispielsweise auch Kollegahs antisemitisch gefärbte Weltverschwörungstheorien oder der deutsche Patriot Cashmo)

Kriminelle gegen den Staat

Auf dem fast 19minütigen Song finden sich auffällig viele Passagen gegen den deutschen Staat. Vieles im Straßenrap und auch auf dem Megalodon-Remix dreht sich um den Aufstieg von aus Armut kommenden, häufig migrantischen jungen Protagonisten aus rassistischer Ausgrenzung, Ausbeutung und Perspektivlosigkeit hoch zu Reichtum, Anerkennung und Status – Teilhabe am Reichtumsversprechen des Kapitalismus, welches in unserer Gesellschaft strukturell in erster Linie der schon etablierten, zumeist weißen Mittel- und Oberschicht vorbehalten ist.

Erst saß der Kanake in ’nem 3er
Danach saß der Kanake in ’nem Benz
Der Bulle guckt schief, weil er weiß, er war nie Abiturient
Und platzt, weil er heute einen Lamborghini lenkt“

– Eno

Von der Straße kommend ist der schnellste (und oft einzige) Weg zum Stück vom Kuchen die Kriminalität. Dass spätestens dabei früher oder später Jede:r in Konfrontation mit der Polizei und Justiz als Vertreterinnen der bürgerlichen Staatsmacht und Eigentumsordnung kommt, ist nicht schwer vorauszusehen. Und hier liegt dann vermutlich auch der Grund dafür, dass ein Song, initiiert von Gangsterrapper Bonez, so viele staatskritische Parts inspiriert hat.

Schließlich ist es genau dieser Staat, der ihren Versuchen, mit kriminellem Business das kapitalistische Glücksversprechen für sich wahrzumachen, welches ihnen sonst vorenthalten wird, nur zu gerne im Knast enden lässt. Und nicht nur als Gegenspieler fürs Geldmachen kommen die Straßenrapper in Konflikt mit dem Staat: auch als Repräsentanten verschiedener Subkulturen, ob der Graffiti-Szene, auf die Frauenarzt und Laas verweisen oder als Fußballultra wie der Frankfurter Vega ist der Staat, insbesondere die Polizei, zurecht Feindbild Nr 1. Dass die staatliche Gewalt sich aber nicht nur auf repressive Bullen beschränkt, wird auch bei Vega und Juju deutlich, wenn sie über ihre Erfahrungen mit dem vermeintlich fürsorglichen Sozialstaat rappen:

Kein Vadder, kein Staat, Mama war alleinerzieh’nd

– Vega

Ganz zu schweigen von dem scheiß deutschen Staat oder mei’m Vater
Meine Lehrer war’n besoffen, die vom Jugendamt ’ne Fotze

– Juju

Das ist zwar alles noch keine revolutionäre Kritik am Staat, aber zumindest die Erkenntnis, dass der Staat den eigenen individuellen Interessen entgegensteht. Mit dieser Einsicht sind die ach so bildungsfernen Assis von der Straße immerhin großen Teilen der radikal-linksliberalen Szene um ein paar Schritte voraus.

Verschwörungstheorien

Die richtige Erkenntnis, dass es in diesem System keineswegs darum geht, ein gutes Leben für uns zu erreichen, führt bei so manchem Rapper ebenso wie bei dem ein oder anderen Kumpel, den sicher jeder kennt, zu eher simplen Erklärungen. Anstatt Kritik am kapitalistischen System zu üben (an dessen Grundlagen wollen viele dann doch nicht zu sehr rütteln, schließlich ist ein individualistisches Konkurrenzsystem doch genau das, in dem sie als einzelne Macher eigentlich profitieren sollten), werden Schuldige gesucht, um die Allgegenwärtigkeit des Scheiterns, das den Alltag auf der Straße prägt, zu erklären. Und wer Schuldige sucht, braucht in einem Staat mit Kanzlern wie Scholz und Merz nicht weit zu suchen. Selbst von Staat und Gesellschaft als Kriminelle verurteilt zu werden, während es bei einem Bundeskanzler zu reichen scheint, sich „nicht zu erinnern“, um davon zu kommen, macht die Ungleichheit in diesem System einfach zu plakativ spürbar.

Dementsprechend dreht die Kritik sich bei vielen darum, dass Politiker Drogen nehmen, in den Puff gehen oder pädophil sind. Aus sozialistischer Perspektive reicht eine solche personelle Systemkritik natürlich nicht aus, um das alltägliche Leid zu erklären. Aber wo Antideutsche nun die antisemitische Verschwörungstheorie wittern, bringt uns alle der erhobene akademische Zeigefinger nicht weiter. Selbstverständlich sollten wir Freunde und Rapper mit verkürzter Systemkritik überzeugen, dass die Wurzeln der angeprangerten Probleme nicht im Fehlverhalten Einzelner begründet sind, aber dass die Herrschenden mit ihren Taten, egal wie widerwärtig, durchkommen und dabei mit und ohne Skandale gegen die Straße und uns als Klasse gerichtet sind, ist nun mal auch Realität:

Wir sind hier unten, wir hör’n nicht auf die da oben
Weil die meinten, es wird besser, doch die hab’n wieder gelogen

– makko

New Wave gegen AfD

Mit dem eben zitierten makko und Ski Aggu sind auf dem Track auch Vertreter einer neuen Welle an Rappern vertreten, die in den letzten Jahren immer relevanter geworden sind. Und beide bringen in ihren Parts Vorzeigebeispiele für die politische Dimension dieser neuen Generation an Cool-Kids. Da gehört ein bisschen Antifaschismus und die ein oder andere Line gegen die AfD einfach zum guten Ton. Wenn ein bisschen Antifa sein zum Coolsein dazu gehört, ist das natürlich gerade angesichts des massiven Zuwachses an jugendlichen Neonazis sehr zu begrüßen. Ob es nun aber wirklich sein muss, dass jede zweite politische Line als Pointe für einen mittelmäßigen Wortwitz über den eigenen Drogenkonsum herhält, überlassen wir mal den Aggu-Fans in hippen Berliner Clubs:

Dieser Hund soll nicht auf Kanzler machen
Mein G gibt mir das K und sagt, ich kann’s leer machen (Danke)

– Ski Aggu

Stabile Straßenpolitik

Neben diesen Aspekten, die für sich alleine schon eine positive Entwicklung in Richtung Systemkritik im Rap darstellen, gibt es auf „Bissu dumm“ aber auch einige wirklich überraschend starke politische Statements. Besonders sticht dabei beispielsweise der frühere Battlerapper Finch hervor, der in letzter Zeit schon Schritt für Schritt weiter von seiner bisherigen ambivalent gehaltenen politischen Haltung gegangen ist. Als er mit dem ironischen „Wenn du dumm bist“ versuchte, sich klarer zu positionieren, nahmen seine rechteren Fans gerade den Song zum Anlass, um sich über Linke lustig zu machen. Dass Finch darauf mit einer Kampagne mit Monchi, dem Sänger der antideutschen Band Feine Sahne Fischfilet, antwortete, ließ erstmal nichts Gutes vermuten. Hier spricht er nun aber nicht nur das Morden an Gazas Kindern unter deutscher Beteiligung an, sondern liefert hier sowas wie klassenpolitische Parlamentarismus-Kritik:

Doch „Du schaffst es ganz nach oben“ ist nur ’ne dumme Illusion
Damit die Reichen reicher werden, ackert die Unterschicht sich tot, ah
Wer jahrelang die Leute tritt
Muss sich nicht wundern, wenn bei Wahl’n das Volk die Scheiße nicht vergisst, nein
Mit deinem Kreuz bewegst du nix (Egal, für wen)
Du wählst nur, welcher Schwanz dich fickt

– Finch

Auch sonst finden sich an einigen Stellen Zeilen gegen Unterdrückung, Rassismus, AfD, Weidel, Merz, Nazis und die herrschende Politik im Allgemeinen. Insbesondere der Frankfurter HipHop-GOAT Azad kommt hier mit einem mehr als nur oberflächlichen politischen Statement. Mit Verweisen auf Public Enemy betont Azad die politischen Wurzeln des Straßenraps. Und mit dem Statement

P.E. und Antifa, wir sind im Herz vereint
Nehm’n alles auseinander, so als wär der erste Mai, fight the power, Dicka

betont Azad die Notwendigkeit eines gemeinsamen Kampfes von linker Szene mit den Teilen der Straßenkultur, die sich gegen dieses System richten. Wenn es gelingen sollte, die Gräben zwischen bürgerlich geprägter linker Bewegung und der Straße endlich zu überwinden, könnten wir Nate57s Zitat mit guten Gewissen aus dem Kontext der organisierten Kriminalität reißen, in dem er eigentlich steht:

Denn dass wir uns einmal zusamm’ntun, hätten die nicht gedacht
So wie Kolja Goldstein sagt: „Wir sind mächtiger als Staat““

Nate57

Dafür müsste die studentisch geprägte Linke aber lernen, politische Meinungsäußerungen auch dann ernst zu nehmen, wenn ihnen nicht aus jeder Pore sechs Semester Politikwissenschaftsstudium und Antidiskriminierungs-Lesekreis trieft. Und die Rapszene hat noch einen Weg vor sich, um sich von patriarchalen und reaktionären Charakteren, wie sie die Szenegrößen leider zu oft noch sind, zu emanzipieren.

Frauenhass? Kein Problem

Neben den politischen Parts gibt es auf dem Song nämlich auch mehr als genug Repräsentanz für das, was man von einem Track eigentlich erwartet, für den 187 Straßenbande-Kopf Bonez verantwortlich ist, der vor einigen Jahren mit ekligen Tipps für Frauen, wie sie sich endlich „sexy“ machen sollten auf sich aufmerksam machte oder damit, sich über die Freundin seines Kollegen GZUZ und ihre Vorwürfe häuslicher Gewalt lustig zu machen. Rapper wie Samra, der sein „gecancelt“ werden im Zuge von Deutschrap-MeToo ganz gut verkraftet zu haben scheint, sind ebenso vertreten wie ein Olexesh, der davon erzählt, wie viel wichtiger ihm Geld als „billige Schl*mpen“ ist oder Deutschraps Kalenderspruch-Christian-Lindner Kontra K mit seinen bekannten Verbindungen in die rechte Biker-Szene.

Über dieses prominente Aufgebot an problematischen Männern kann auch der traurige Fakt nicht hinwegtäuschen, dass der Track mit Die P und Juju ganze zwei Frauen als Beteiligte mitbringt, obwohl Deutschrap doch mittlerweile echt einige stabile Rapperinnen vorzuweisen hat. Damit sind es aber immer noch doppelt so viele wie bei „Bist du wach?“ mit einem Part der Sängerin Rola oder bei „Der Beweis 2 – Mammut RMX“, bei dem Savas‘ damalige Freundin Mel wenigstens den Beat beisteuern durfte. Unklar ist (Stand 21.04.25), warum die Berliner Rapperin Wa22ermann, welche zuvor noch in den Snippets auf Social Media und auch im Video mit eigenem Part auftauchte und sowohl mit Palästina-Zeile, als auch -Trikot ein solides Statement setzte, final nun doch nicht auf dem Megalodon-Remix gelandet ist. Angesichts des teils zweifelhaften männlich-dominierten Line-Ups, hat dies einen negativen Beigeschmack, auch wenn die Gründe bis jetzt für die Öffentlichkeit unbekannt sind.

Fazit

Musikalisch ein Brett und deutschraptechnisch ein Meilenstein – keine Frage! Aber die Kritik bleibt häufig passiv. Trotz vieler politischer Parts bleibt die Chance eines gemeinsamen Handlungsaufrufs ungenutzt. Auf der anderen Seite muss man ehrlich und realistisch betrachten, dass Rapper wie Bonez und viele andere auf dem Track einfach nicht sonderlich politisch sind und das Endergebnis auch im Kontext seiner Urheber bewerten. Somit bleibt ein raptechnisch starker, erfreulich oft politischer Deutschrap-Meilenstein, der seine Bedeutung auch durch die Vereinigung mehrerer Generationen, Regionen/Städte und Subgenres des Deutschrap bekommt, jedoch (wie leider zu erwarten) die patriarchale Hegemonie in der Szene nicht durchbricht. Den gemischten Charakter des Remix aus HipHop-Kultur, Kriminalität und politischer Message spiegelt OTWs Part zusammenfassend gut wieder:

Wurd ich von den Toten geweckt? Im legendären Remix geb‘ ich mein’n Senf
Wie Gregor Gysi im deutschen Parlament, zeigt mir Respekt
War lange Insasse, doch bleib‘ ein Rebell
Ge-geh’n gerade (Outlaw), Antifa-Rap“

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