Dieser Text ist eine Übersetzung aus dem Türkischen, der letztes Jahr im Ayrım Magazin erschienen ist. Wir denken, dass er einen wichtigen Beitrag zu aktuellen Debatten der europäischen Antifa-Bewegung leistet. Gerade jetzt, wo in vielen Ländern faschistische Parteien immer präsenter in den Parlamenten sitzen und hohe Wahlergebnisse bekommen, müssen wir auch im deutschsprachigen Raum Antifaschismus neu denken.
von Foti Benlisoy im Original erschienen am 7.Oktober 2024 in der Ayrım
(Übersetzung aus dem Türkischen: Osman Oğuz)
„In der Vergangenheit war die antifaschistische Strategie gegenüber offen gewalttätigen militanten Nazigruppen klar. Man musste sie am Marschieren hindern, sie zurückdrängen, auch zur körperlichen Konfrontation bereit sein, sie gegebenenfalls an der Organisierung hindern. Heute sind die Dinge viel schwieriger. Im Falle der populistischen Bewegungen hat sich die Einstellung der Öffentlichkeit geändert, und die Gewalt, die von den Vertretern der extremen Rechten ausgeübt wird, ist nicht mehr so klar und eindeutig, was es schwieriger macht, militante antifaschistische Strategien gegen sie zu legitimieren“.
„Früher war es leicht, berüchtigte Neonazis zu diskreditieren, denn Antifaschisten konnten sich darauf verlassen, dass die breite Öffentlichkeit diskursiv und manchmal auch physisch auf ihrer Seite stand. Doch der Aufstieg von AfD und PEGIDA hat den traditionellen Antifaschismus in eine Krise gestürzt, da er nicht mehr mit einer Minderheit radikaler Gruppen konfrontiert ist, sondern mit einem weitaus größeren Teil der Gesellschaft, der sich rassistisch äußert. Militante antifaschistische Kampfmethoden funktionieren nicht mehr, wenn man es mit fünfzehntausend Menschen in Dresden zu tun hat oder mit einer Partei, die zwanzig Prozent der Stimmen bekommen hat“.
„Der Antifaschismus auf der Straße (Demonstrationen, Aufmärsche usw.) befindet sich heute in einer Sackgasse: Entweder er sieht sich politisch unbedeutenden, aber physisch gefährlichen rechtsextremen Gruppen gegenüber, oder er sieht sich politisch wichtigen Gruppen und Parteien gegenüber, die nicht nur auf der Straße präsent sind, sondern auch gut in das politische Spiel integriert sind, von den Strafverfolgungsbehörden geschützt werden und von einem großen Teil der Gesellschaft als legitim angesehen werden. Eine Folge der ‚LePenisierung der Seelen‘ ist, dass der antifaschistische Kampf sowohl in den Augen der Regierung als auch in den Augen der Gesellschaft illegitim geworden ist“.
So beschreiben antifaschistische Aktivistinnen und Aktivisten aus Dänemark, Deutschland und Frankreich die Situation, die durch das Mainstreaming des Faschismus (mit Adjektiven wie „neu“, „post“ oder „spät“) und die daraus resultierende Blockierung „traditioneller“ antifaschistischer Mittel und Kampfmethoden entstanden ist. [1] Es ist offensichtlich, dass wir uns in einer Zeit befinden, in der der Konsens, der sich am Ende des Zweiten Weltkriegs herausgebildet hatte und der den Faschismus zumindest im Prinzip als illegitime politische Tendenz betrachtete und versprach, die Korridore der Macht für ihn geschlossen zu halten, weitgehend verschwunden ist. In dieser sogenannten „post-antifaschistischen“ Ära befindet sich der traditionelle Antifaschismus in einer Krise. Es ist notwendig, den Antifaschismus unter den heutigen ungünstigen Bedingungen neu zu überdenken, d.h. unter Bedingungen, in denen aktuelle Versionen des Gespenstes des Faschismus über uns schweben und diese neuen Formen weitgehend normalisiert sind.
Das Mainstreaming des Faschismus und seine Transformation in einen legitimen und glaubwürdigen politischen Akteur ist eine Entwicklung, die in der Türkei (wie auch in Italien) schon viel früher stattgefunden hat. Die Normalisierung der MHP und der „Ülkücü-Bewegung“ und ihr Vordringen in die Mitte ist ein Prozess, der sich mit Unterbrechungen seit Mitte der 1990er Jahre intensiviert hat. Nach diesen Jahren wurde Türkeş von den Mainstream-Medien als „weiser Führer“ bezeichnet und die MHP wurde schnell zu einem anerkannten und akzeptierten politischen Akteur. Darüber hinaus wurde der „Ülkücülük“ (~“Idealismus“) populär, indem er praktisch die Mitte angriff. Man kann also davon ausgehen, dass die Entwicklungen, die den „traditionellen“ Antifaschismus in vielen Ländern in die Krise geführt haben, in unserem Land viel früher stattgefunden haben und dass in diesem Sinne die Krise des Antifaschismus in unserem Land auch „tiefer verwurzelt“ ist. Gerade deshalb ist es für uns viel notwendiger und dringlicher, über die Möglichkeiten eines Antifaschismus zu diskutieren, der den heutigen ungünstigen Bedingungen und Umständen angepasst ist.
Wie können wir den Faschismus stoppen?
In einem kürzlich erschienenen Artikel in Birikim Güncel diskutiert Tanıl Bora, wohl im Bewusstsein dieser Notwendigkeit, die Möglichkeiten eines zeitgemäßen Antifaschismus und bezieht sich dabei auf Paul Masons Buch „Wie wir den Faschismus stoppen können“ [2]. An dieser Stelle sei angemerkt: Bora ist eine Person, die auf die Gefahr der Mainstreamisierung der faschistischen Bewegung seit den 1990er Jahren hingewiesen und auf deren schwerwiegende Folgen aufmerksam gemacht hat. So definierte Bora den Diskurs der „wütenden MHP-Anhänger“, der ab der zweiten Hälfte der 1990er Jahre die Medien beherrschte und jede politische Zurückhaltung gegenüber der MHP als „Dogmatismus“ oder „Unfähigkeit, Veränderungen zu verstehen“ verurteilte, zu Recht als „Anti-Antifaschismus“: „Das ist ein Tabu, das man Anti-Antifaschismus nennen kann. Jeder Kommentar über die MHP, der nicht von der Legende ’sie hat sich verändert, sie hat sich verbessert‘ geblendet ist, wird als bigotte Anti-MHP, als dogmatische antifaschistische Tirade abgestempelt, ohne die Notwendigkeit, ihren Inhalt zu messen und abzuwägen“. [3]
Boras Ansichten über die Krise des Antifaschismus und die Aktivierung einer zeitgemäßen antifaschistischen Politik und Sensibilität sind allein schon wegen dieser Beharrlichkeit und intellektuellen Anstrengung wichtig. In seinem letzten Artikel stützt sich Bora auf das Buch von Paul Mason, das er ausdrücklich als „äußerst nützlich“ bezeichnet. Dazu eine Vorbemerkung: Paul Mason ist eine ziemlich berüchtigte Figur der radikalen/revolutionären europäischen Linken, nicht gerade die zuverlässigste, um es vorsichtig auszudrücken. Von der radikalen Linken kommend, hat sich Mason in den letzten Jahren allmählich der Mitte angenähert, wurde nach dem Krieg in der Ukraine zum „Falken“, befürwortete die vollständige Militarisierung seines Landes und Europas und versuchte bei den letzten Wahlen für die Labour Party gegen Corbyn zu kandidieren. Diese politischen „Fehltritte“ sind nicht das Ergebnis von Masons persönlichen Launen, sondern der politischen Position, die er in seinem Buch vertritt, nämlich seiner Überzeugung, dass die aufkommende faschistische Welle nur durch ein Bündnis der Linken mit dem, was Tariq Ali berühmt als „extremistische Mitte“ bezeichnet hat, besiegt werden kann.
Nach Mason „kann der Faschismus, wenn er erst einmal auf dem Vormarsch ist, nur durch staatliches Handeln in Verbindung mit der sozialen Mobilisierung von Gruppen, die unter einem faschistischen Regime leiden könnten, besiegt werden“. [4] Der Weg, den bestehenden Staatsapparat gegen den Faschismus zu mobilisieren, besteht in der Schaffung einer neuen „Volksfront“ zwischen der Linken und den sozialen Kämpfen und der politischen Mitte (also der „extremistischen Mitte“). „Der einzige Weg, den Faschismus sowohl politisch als auch kulturell zu besiegen, ist ein politisches Bündnis zwischen der Mitte und der Linken, mit einer Basisbewegung und dem Bestreben, den Antifaschismus in allen Aspekten der Populärkultur zu verankern“. [5]
Mason plädiert für einen „Waffenstillstand“ zwischen der liberalen Mitte und den linken und sozialen Kämpfen, der einen gemeinsamen Kampf gegen den Faschismus ermöglichen würde. Er träumt von einer neuen „Volksfront“, die die sozialistische Linke und die liberale Mitte „in der Mitte“ vereint. Die liberale Mitte solle die destruktivsten Dimensionen des Neoliberalismus aufgeben, während die Linke ihren Wein verwässern und ihre radikalen politischen Bestrebungen „bis auf weiteres“ in die Tiefkühltruhe legen solle: „Damit eine moderne Volksfront funktionieren kann, müsste der Liberalismus wiederholen, was die Französische Radikale Partei 1935-36 und Roosevelt zu Beginn des New Deal getan haben: zu einer neuen Art von Wirtschaftspolitik zurückkehren, die zumindest teilweise mit den Forderungen der radikalen Sozialdemokratie übereinstimmt. In der Zwischenzeit wird die Linke etwa die Hälfte ihres Programms und die meisten ihrer Obsessionen in eine Kiste mit der Aufschrift ‘später mehr’ packen müssen“. [6]
In einer Situation, in der die rechte Mitte weitgehend die politische Agenda der extremen Rechten in Bereichen wie der Migrationsfrage und der „Anti-Gender-Ideologie“ übernommen hat, während die linke Mitte fest dem Neoliberalismus und der atlantischen Politik verhaftet ist, ist Masons Vorschlag einer neuen Volksfront zwischen der Mitte und der Linken eindeutig gegenstandslos. Wie Masons eigene politische Erfahrungen zeigen, birgt eine solche politische Haltung zudem die Gefahr, dass die Linke angesichts des Gespenstes des Faschismus weiter nach rechts rückt, ihre politische Unterscheidungskraft verliert und zum verlängerten Arm der extremistischen Mitte wird. Wie es mit einer solchen Haltung gelingen soll, die faschistische Eskalation zu stoppen, bleibt ein Rätsel. In Frankreich zum Beispiel muss man kein Hellseher sein, um vorherzusagen, dass das von Mason vorgeschlagene Bündnis der Nouvelle Front Populaire mit Macron gegen Le Pens Rassemblement National die sozialistische Linke ins Abseits führen und die sozialen Kämpfe lähmen und demoralisieren würde. Vor allem unter den Bedingungen, unter denen Macrons Liberale nach den letzten Wahlen ein De-facto-Bündnis mit dem Rassemblement National eingingen, um eine von der Nouvelle Front Populaire geführte Regierung zu blockieren… Die von Mason vorgeschlagene politische Position wird nur dazu führen, die letzten Hindernisse für den Aufstieg des Faschismus in Frankreich zu neutralisieren.
Zwischen Liberalismus und Faschismus
In diesem Artikel geht es mir nicht darum, Masons Buch und seine Hauptthesen zu kritisieren. Vielmehr möchte ich zwei Argumente diskutieren, die Masons politische Position zu untermauern scheinen und die von Tanıl Bora offenbar geteilt werden. Beide Argumente weisen auf entscheidende Problembereiche im Kampf gegen die aktualisierten Versionen des Faschismus hin. Das erste ist, dass der Liberalismus ein „natürlicher“ „Anderer“ des Faschismus sei und als solcher ein notwendiger potentieller Verbündeter der Linken gegen den Faschismus.
Mason betont in seinem Buch, dass der Hauptfeind („Nemesis“) des Liberalismus nicht der Sozialismus, sondern der Faschismus sei. Damit steht er freilich nicht allein. Es ist heute allgemein anerkannt, dass der Faschismus, verstanden als „Anbetung des Staates“ (oder Totalitarismus), dem angeblich „staatsfeindlichen“ Liberalismus grundsätzlich widerspricht (obwohl es eine ganze Literatur darüber gibt, dass der staatsfeindliche Charakter des klassischen oder „Neo“-Liberalismus eigentlich staatlichen Zwang, einen autoritären Staat erfordert). Es gibt sogar Auffassungen, die den Faschismus als eine Art „Sozialismus“ betrachten (einen nationalen oder proletarier-freien Sozialismus), der jedoch aufgrund seiner antibürgerlichen und antiliberalen Haltung degeneriert und deformiert sei. Dieser Ansatz, der mehr auf das achtet, was der Faschismus sagt, als auf das, was er tut (d.h. auf den Klassencharakter und die Klassenfunktion des Faschismus), misst seinen antiplutokratischen Diskursen und seinem angeblich revolutionären Jargon zu viel Bedeutung bei und geht von einer unüberbrückbaren Kluft zwischen Faschismus und Liberalismus aus. [7] Diejenigen, die die liberale Tradition auffordern, gegen den Faschismus zu mobilisieren, und sogar der Linken wie Mason (und Bora) raten, „aufzuhören, die Liberalen als Feind Nummer eins ins Visier zu nehmen“, gehen von diesem hypothetischen Gegensatz zwischen Liberalismus und Faschismus aus.
Alberto Toscano erinnert uns jedoch daran, dass die Beziehung zwischen Faschismus und Liberalismus keineswegs ein sich gegenseitig ausschließender Gegensatz ist. „Heute, da wir mit den Nachwirkungen und Wiederholungen des Faschismus zu kämpfen haben, sollten wir uns daran erinnern, dass er vor fast hundert Jahren nicht als eine Form des ‚Totalitarismus‘ an die Macht kam, der das Politische und das Ökonomische miteinander verschmolz, sondern als ein besonders virulenter, staatlich gelenkter Antistaat. In dieser Hinsicht wurde er übrigens anfangs von vielen Liberalen, von Einaudi bis Benedetto Croce, begrüßt.“ [8] Da die heutige Faschismusforschung darauf verzichtet, den Klasseninhalt und die Funktion des Faschismus zu diskutieren, wird oft übersehen, dass der Faschismus gerade eine Bürgerkriegsmaschine ist, die mit dem Ziel ins Spiel kommt, den Liberalismus und die Marktgesellschaft von sich selbst zu befreien, insbesondere von den “Bedrohungen” (der Bedrohung durch die Massendemokratie und die Linke), die der politische Liberalismus ermöglicht. Daher werden die Kontinuitäten zwischen Faschismus und Liberalismus aus der Diskussion ausgeklammert. Der Faschismus wird auf eine Ausnahme reduziert, eine „unvergleichliche Katastrophe“ oder ein „absolutes Böse“ in den Worten von Tanıl Bora, das mit den Herrschafts- und Ausbeutungsstrukturen der Vergangenheit und damit auch der Gegenwart nichts zu tun hat.
Wie Domenico Losurdo in seiner umfassenden Studie über die Geschichte des Liberalismus gezeigt hat, ist der Liberalismus jedoch eng mit den Elementen verbunden, die den Faschismus ermöglichen, wie Antidemokratie, Elitismus, Rassismus, Sklaverei, Kolonialismus und Sozialdarwinismus. In dieser Hinsicht „ist es banal ideologisch, die Katastrophe des zwanzigsten Jahrhunderts als eine Art neue barbarische Invasion zu beschreiben, die unerwartet eine gesunde und glückliche Gesellschaft angriff und überwältigte.“ [9] In „The Massacre on Which the Sun Never Sets“ (Das Massaker, bei dem die Sonne nie untergeht) diskutiert Mike Davis, wie die liberale Doktrin im „globalen Süden“, wie es heute heißt, genozidale Konsequenzen hatte. „Millionen von Menschen starben nicht außerhalb der Grenzen des ‚modernen Weltsystems‘, sondern im Prozess ihrer erzwungenen Einbindung in seine wirtschaftlichen und politischen Strukturen. Sie wurden im goldenen Zeitalter des liberalen Kapitalismus abgeschlachtet, (…) als die ‚heiligen‘ Prinzipien von Smith, Bentham und Mill als ‚Gebot Gottes‘ verwirklicht wurden.“ [10] Enzo Traverso stellt in seiner Studie „Origins of Nazi Violence“ fest, dass die Ursprünge der Verbrechen des Nationalsozialismus im „europäischen Industriekapitalismus, im Kolonialismus und Imperialismus, in der Entwicklung der modernen Wissenschaft und Technologie, im Europa der Eugenik und des Sozialdarwinismus, kurz in der ‚langen‘ Geschichte Europas im neunzehnten Jahrhundert, die in den Schützengräben des Ersten Weltkriegs endete, zu suchen sind.“ [11]
Der Faschismus ist also weder beispiellos noch unvergleichbar, d.h. er ist kein „absolutes“ Phänomen ohne Vorläufer oder Nachwirkungen. Anstatt den Faschismus zu entpolitisieren, indem man das Gegenteil behauptet, ist es wichtig, den Faschismus und seine Verbrechen zu historisieren und zu kontextualisieren. Anstatt den Faschismus als Ausnahme zu betrachten, ist es notwendig, seine Verbindungen zu seinen Vorläufern zu betonen, wie zum Beispiel zu den siedlerkolonialistischen Regimen, die während des goldenen Zeitalters des Liberalismus herrschten und die Michael Mann als „völkermörderische Demokratien“ und Domenico Losurdo als „Demokratien höherer Ethnien“ bezeichnete. Nur wenn wir auf solche Zusammenhänge hinweisen, können wir verhindern, dass die Verbrechen des Faschismus, wie der Holocaust/Shoah, heute dazu benutzt werden, um z.B. die palästinensische Befreiungsbewegung zu kriminalisieren, d.h. die Instrumentalisierung der berüchtigten Erinnerung an den Faschismus zur Verteidigung des Status quo.
Wie Ishay Landa betont, „war der Faschismus kein Außenseiter der liberalen ‚offenen Gesellschaft‘; er war vielmehr ein Insider dieser nicht so offenen Gesellschaft. Weit davon entfernt, die Antithese des Faschismus zu sein, sein absolutes Gegenteil, trug die liberale Ordnung wesentlich zum Faschismus bei und ließ viele seiner weitreichenden Manifestationen vorausahnen“. Viele der bösartigen und extremen Aspekte des Faschismus, die scheinbar im Gegensatz zum Liberalismus stehen (Ablehnung der Demokratie, Diktatur, chauvinistischer Nationalismus, imperialistischer Krieg und Rassismus), sind historisch mit dem Liberalismus verbunden. „Der Faschismus war weitgehend (d.h. nicht vollständig) ein organisches Produkt der Entwicklungen innerhalb der liberalen Gesellschaft und Ideologie. Er war ein extremer Versuch, die Krise des Liberalismus zu lösen, ihn aus der Sackgasse zu befreien, in die er geraten war, und die Bourgeoisie vor sich selbst zu retten.“ [12]
Natürlich geht es nicht nur um eine Diskussion über die historischen Ursprünge. Wenn der Faschismus nicht als historischer Unfall, als Ausnahme betrachtet wird, sondern als ein Potential, das in den Herrschafts- und Ausbeutungsstrukturen der kapitalistischen Moderne wurzelt, wird es möglich, seine Wiederkehr zu erklären. Natürlich handelt es sich nicht um wiederkehrende Ereignisse, sondern um Tendenzen, die durch dieselben historischen Strukturen hervorgerufen werden. Wenn nach den Kontinuitäten zwischen dem (alten) Liberalismus und dem Faschismus gefragt wird, der eine entscheidende Rolle bei der Aufrechterhaltung dieser Herrschafts- und Ausbeutungsstrukturen gespielt hat, wird es auch möglich, über die Verbindungen und Kontinuitäten zwischen dem heutigen neuen Liberalismus und den entstandenen Post-, Spät- oder Neofaschismen nachzudenken. Die aktuellen Versionen des historischen Faschismus sind eine Form der Politisierung, die für die späte Ära des Neoliberalismus spezifisch ist, in der die Arbeiterklasse zersplittert und atomisiert ist und in der vor allem die „trickle-down“, also Durchsickerwirtschaft, jeden Anspruch verloren hat. Der Neoliberalismus schafft eine Gesellschaft, in der die Unterlegenen zugrunde gehen, während der Faschismus diese soziale Situation durch eine Politik vertieft, die einigen der Unterlegenen selbst das Leben nimmt. In diesem Sinne besteht der „Extremismus“ der extremen Rechten darin, die autoritären Tendenzen und den Hass auf Gleichheit, die dem Neoliberalismus innewohnen, auf die Spitze zu treiben, bis zu ihrem logischen Ende. Ein „Antifaschismus“, der dies nicht berücksichtigt, wird unweigerlich zu einem obskuren und wirkungslosen Anhängsel der extremistischen Mitte.
Minimaler Antifaschismus?
Tanıl Bora befürwortet den Vorschlag von Mason, der den Antifaschismus als Kompromiss zwischen Liberalismus und Sozialismus definiert und die radikale/revolutionäre Linke auffordert, ihren Erwartungshorizont zu begrenzen. Dies geht so weit, dass er bereit ist, die Messlatte so niedrig anzusetzen, dass er eine „Regression der Extremisten in Richtung Populismus“ und sogar eine „Regression in Richtung Rassismus, Nationalismus, Sexismus“ als Gewinn betrachtet. Er definiert den Antifaschismus als „wirklichen und lebenswichtigen Grund für ein Minimum an Gemeinsamkeiten“ und fordert den Aufbau eines „antifaschistischen Minimums“ (in Anlehnung an den Begriff „faschistisches Minimum“, der die Suche nach einem „Idealtypus“ zur Definition des Faschismus in den Sozialwissenschaften bezeichnet).
Doch wie Mason selbst zwischen den Zeilen seines Buches einräumt, waren die hellsten Seiten in der Geschichte des Antifaschismus im letzten Jahrhundert nicht das Ergebnis seiner Verengung (auf ein Minimum) des Horizonts politischer Erwartungen, sondern seiner Erweiterung. Es ist kein Zufall, dass aus dem spanischen Antifaschismus eine Revolution hervorging und aus dem französischen Antifaschismus die größte proletarische Besatzungsbewegung, die es in Europa je gegeben hat. Weder die italienischen noch die griechischen noch die jugoslawischen Partisanen kämpften gegen den Faschismus, um zu einer konstitutionellen Monarchie zurückzukehren. Der Kampf gegen den Faschismus konnte nicht geführt werden, um die alte Ordnung zu verteidigen, aus der die faschistische Barbarei hervorgegangen war, oder um zu dieser unheilvollen alten Normalität zurückzukehren. In Das Zeitalter der Extreme fasst Hobsbawm diese Situation als „die nach links gewendete Logik des antifaschistischen Krieges“ [13] zusammen.
„Es gibt zahlreiche Belege für die Radikalisierung der einfachen Leute, die in ganz Europa unter der Naziherrschaft lebten“, schreibt der Historiker Mark Mazower zum selben Thema: „Ein junger holländischer Anwalt schrieb 1942 in einer Untergrundbotschaft: ‚Das Letzte, was wir wollen, ist eine Rückkehr zu den sozialen Verhältnissen von 1939 mit ihrem wirtschaftlichen Chaos, ihren sozialen Ungleichheiten, ihrer geistigen Laxheit und ihren Klassenvorurteilen. Ungeachtet der Unterschiede zwischen den antifaschistischen Widerstandsbewegungen ist die Radikalisierung nach links in den sozialen und politischen Bestrebungen der Widerstandskämpfer offensichtlich. „Das Ziel einer gerechteren und ‚vergesellschafteten‘ Wirtschaft, sei es im Sinne einer Verstaatlichung der wichtigsten Industrien und Banken, einer staatlichen Planung mit Preis- und Produktionskontrolle oder in vagen und mehrdeutigen Begriffen einer ’sozialen Gerechtigkeit‘, wurde von der großen Mehrheit der Widerstandskämpfer geteilt.“ [14]
In seinem Buch verwendet Mason selbst Beispiele, um dies anzuerkennen, nämlich die radikalisierende (maximale) und nicht die „durchschnittliche“ (minimale) Dynamik antifaschistischer Politik. So zitiert er eine Aktivistin der Sozialdemokratischen Partei, die nach der Machtergreifung der Nazis in Deutschland in den Untergrund ging und gegen das neue Regime kämpfte: „Hier herrscht eine einzige Idee: Macht kann nur durch Macht gebrochen werden. Und das jetzige Regime zu stürzen, um den demokratischen Staat der Vergangenheit wiederherzustellen, dafür ist in Deutschland absolut niemand bereit, auch nur einen Finger zu rühren“. [15]
Den Faschismus zu bekämpfen, um die alte Welt wiederzubeleben, war in der klassischen Ära des Antifaschismus nie eine populäre Idee. Einer der besten Vertreter dieser Idee ist H.G. Wells. In „Alle an Bord, Nach Ararat!“, das während des Zweiten Weltkriegs veröffentlicht wurde und sein letztes Lebenswerk darstellt, begibt sich Gott auf die Suche nach einem neuen Noah, um dem allgemeinen Zustand des Krieges und des Gemetzels, in dem sich die Menschheit befindet, ein Ende zu bereiten. Er entscheidet sich schließlich für Noah Lammock und führt ein langes Gespräch mit ihm, in dem dieser den Auftrag annimmt, eine neue Arche zu bauen. Als Noah Lammock mit Gott darüber diskutiert, der neue Noah zu werden, stellt er immer wieder die gleiche Frage: „Wollen wir die alte Welt, die bis zum Hals in Sünde und Verderben versunken ist, erlösen und erneuern, oder wollen wir diese schreckliche Feuersbrunst des Krieges, der verzehrenden Staaten und der überholten Traditionen hinter uns lassen und eine völlig neue Welt aufbauen?“ [16] Für den neuen Noah hat der Bau einer Arche inmitten der Apokalypse nur einen Sinn: die Verheißung einer neuen Welt. Er ruft Gott zu: „Wir wollen doch nicht die alte Welt retten, die mit erschreckender Geschwindigkeit in einer Flut von Krieg, Hass und Brutalität untergeht? Mit dieser Welt haben wir nichts mehr zu tun“. [17]
Dies ist in unserer Zeit, in der sich der politische Erwartungshorizont bereits verengt hat, durchaus der Fall. Ist das Wiederaufleben des Faschismus, wenn auch in verschiedenen Formen, nicht gerade ein Produkt des „kapitalistischen Realismus“, um den berühmten Ausdruck von Mark Fisher zu verwenden, in dem die Erwartung einer Zukunft, die sich qualitativ von der Gegenwart unterscheidet, fast vollständig aufgegeben wurde, in dem es unmöglich geworden ist, sich eine kohärente und schlüssige Alternative zum Kapitalismus vorzustellen? Der kapitalistische Realismus macht radikale Veränderungen und natürlich auch Revolutionen undenkbar und verstärkt die Überzeugung, dass von nun an nichts Neues mehr geschehen wird. Diese „historische Unfruchtbarkeit“, d.h. die Leugnung der Fähigkeit menschlicher Gesellschaften, sich radikal zu erneuern, führt unweigerlich zu massiven sozialen Regressionen.
In den Worten von Ugo Palheta: „Das Aufkommen einer Art Klassenfatalismus (eine wachsende Skepsis gegenüber der Möglichkeit, ein Machtgleichgewicht gegenüber den Eigentümern und dem Kapital herzustellen) seit den 1980er Jahren“ [18] bildet genau den politischen Nährboden, auf dem der Faschismus gedeiht. William Buchanon weist auf diesen Klassenfatalismus hin, wenn er den Aufstieg von Le Pens Rassemblement National diskutiert: „Die Partei weigert sich, mehr Sozialwohnungen zu bauen, fordert aber die Abschiebung von Migranten, damit mehr Franzosen davon profitieren können. Rassismus beiseite, die wachsende Popularität solcher Thesen hängt direkt mit der Kapitulation der Franzosen in einer Frage zusammen: Was auch immer wir tun, die liberalen Reformen werden am Ende durchgesetzt werden“. [19]
Was Mason als unabdingbare Voraussetzung für einen erfolgreichen zeitgenössischen Antifaschismus beschreibt, nämlich die Verengung des politischen Erwartungshorizonts, die Selbstbeschränkung und Entradikalisierung der Linken und der sozialen Kämpfe, führt das politische Feld nur in eine Sackgasse, in der die Rechte gegen die Rechte und das Übel gegen das kleinere Übel kämpft. Es ist diese Sackgasse, die den politischen Raum noch weiter verengt, die die „extreme Rechte“ dazu bringt, ihre Segel zu blähen. Das sollten diejenigen unter uns wissen, die seit vielen Jahren immer wieder das Elend des „tatava yapma bas geç“ (“Quatsch’ nicht viel, wähl’ einfach”) und des „strategischen Wählens“ erlebt haben.
Faschismus ist eine vorherrschende Tendenz und ein potentielles Merkmal des neoliberalen „Zeitalters der Katastrophe“. Um diese Tendenz zu bekämpfen, ist es vor allem notwendig, ein „defensives“ Verständnis von Antifaschismus zu vermeiden (das antifaschistische Minimum, um mit Bora zu sprechen), d.h. eine Tendenz, die ihre politischen Ziele hauptsächlich darauf beschränkt, die faschistische Bedrohung zu stoppen und zu diesem Zweck auf die Mitte zurückgreift. Der heutige Antifaschismus muss eine explizit antineoliberale Linie verfolgen, die darauf abzielt, die Dominanz des „kapitalistischen Realismus“ zu brechen, der den Faschismus nährt und zu einer konkreten Möglichkeit macht.
Quellenverzeichnis:
[1] zt. n. Mark Bray, Antifa The Anti-Fascist Handbook, Melville House, 2017, s. 77- 96.
[2] Tanıl Bora, „Anti-faşist minimum“, https://birikimdergisi.com/haftalik/11807/anti-fasist-minimum
[3] Tanıl Bora, „Neo-Faşizmin Yükselişi… Anti-Faşizmin Krizi… MHP Tartışmaları“, https://birikimdergisi.com/dergiler/birikim/1/sayi-138-ekim-2000/2330/neo-fasizmin-yukselisi-anti-fasizmin-krizi-mhp-tartismalari/2524
[4] Paul Mason, How to Stop Fascism History, Ideology, Resistance, Allen Lane, 2022, s. 200.
[5] Mason, age, s. 220.
[6] Mason, age, s. 232.
[7] Für eine Kritik dieser Ansichten siehe: David Renton, Fascism Theory and Practice, Pluto Press, 1999.
[8] Alberto Toscano, Late Fascism: Race, Capitalism and the Politics of Crisis, Verso, 2023, s. 61.
[9] Domenico Losurdo, Liberalism A Counter-History, Verso, 2011, s. 340.
[10] Mike Davis, Üzerinde Güneş Batmayan Katliam El Nino Kıtlıkları ve Üçüncü Dünyanın Açlıkla İnşası, çev. Umut Haskan, Yordam, 2009, s. 22.
[11] Enzo Traverso, Oi Rizes tis Nazistikis Vias, 21os Parallilos, 2013, s. 29.
[12] Ishay Landa, The Apprentice’s Sorcerer Liberal Tradition and Fascism, Brill, 2010, s. 9.
[13] Eric J. Hobsbawm, Kısa 20. Yüzyıl 1914-1991 Aşırılıklar Çağı, çev. Yavuz Alogan, Sarmal, 1996, s. 194.
[14] Mark Mazower, Karanlık Kıta Avrupa’nın 20. Yüzyılı, çev. Mehmet Moralı, Alfa, 2015, s. 259-60.
[15] zt. n. Mason, age, s. 211.
[16] H.G. Wells, Ağrı Dağı Yolcusu Kalmasın, çev. Mert Moralı, İthaki, 2019, s. 47.
[17] Wells, age, s. 42.
[18] “Umut Cephesini İnşa Etmek: Ugo Palheta ile Fransa Hakkında Söyleşi”, https://www.ayrim.org/ceviri/umut-cephesini-insa-etmek-ugo-palheta-ile-fransa-hakkinda-soylesi/
[19] William Bouchardon, “Fransa’da Aşırı Sağın Patronlarla Uyum Arayışı, İktidara Gelişin Fragmanı mı?”, çev. Hakan Özbilen, https://birikimdergisi.com/guncel/11772/fransada-asiri-sagin-patronlarla-uyum-arayisi-iktidara-gelisin-fragmani-mi
Foto: Antifa Altona Ost by Hinnerk11, Creative Commons Attribution-Share Alike 4.0 International via wikimedia.org