Die Antworten der deutschen Politik gegen Islamismus sind stets dieselben: mehr Überwachung, härtere Abschiebungen, brutale Polizeigewalt. Diese Maßnahmen bekämpfen jedoch nicht die Ursachen des Islamismus, sondern verschärfen vor allem rassistische Repressionen, die längst linke und migrantische Gruppen treffen. Währenddessen laviert die Linke zwischen Unsicherheit und Anpassung: Die einen übernehmen rechte Narrative, die anderen schweigen aus Angst, die falschen Verbündeten zu stärken. Doch wer das Problem nicht versteht, kann es nicht lösen. Warum scheitert der bürgerlich-rechte Ansatz? Und wie könnte eine linke Strategie aussehen, die wirklich greift?
von Ilyas Ibn Karim
Vergangenen Monat raste ein Auto in eine Streikdemonstration der Gewerkschaft Verdi. Bei dem mutmaßlich islamistischen Anschlag kamen eine Mutter und ihr zweijähriges Kind ums Leben, über 30 weitere Menschen wurden verletzt. Solche Taten heizen die Debatte um Islamismus und Migration in Deutschland immer wieder an. Doch nicht nur Anschläge sorgen für Aufsehen. Auch provokative Demonstrationen, wie jene der Hizb ut-Tahrir – in Form von „Muslim Interaktiv“ und „Generation Islam“ – sorgen für Wirbel. So gingen letztes Jahr Bilder aus Hannover und Hamburg durch die Medien, auf denen Demonstranten lautstark die Errichtung eines Kalifats forderten.
Die Reaktion der etablierten Parteien folgt einem vertrauten Muster: Mehr polizeiliche Befugnisse, Grenzkontrollen, konsequentere Abschiebungen. Die AfD formuliert es zwar drastischer– ihr Schlagwort lautet „Remigration“ –, doch im Kern bleibt die Strategie dieselbe: Islamismus soll als importierte Gefahr behandelt und aus dem Land entfernt werden. Dabei dient diese Politik vor allem der Verschärfung einer ohnehin schon rassistischen Abschiebepraxis und staatlicher Repression. Migrantische Communities geraten dabei allgemein in das Visier zunehmender Polizeigewalt, die sich letzten Endes nicht nur gegen islamistische Strukturen wendet, sondern auch gegen linke und speziell palästinasoldarische Gruppen. Die eigentlichen Ursachen islamistischer Radikalisierung bleiben dabei unberührt.
Die politische Linke wirkt im Umgang mit Islamismus oft unsicher. Immer wieder sieht sie sich dem Vorwurf ausgesetzt, naiv oder blind gegenüber dem Phänomen zu agieren – oder gar mit ihm zu sympathisieren. Einige Teile innerhalb der deutschen Linken präsentieren sich daher als die wenigen, die das Problem ernst nehmen. Antideutsche bekennen sich widerspruchslos zur Staatsräson und neigen dazu, den Islam als Ganzes als Quelle des modernen Antisemitismus zu betrachten. Das BSW hingegen fordert offen eine Migrationswende und eine Verschärfung der Grenzpolitik. Doch all diese Ansätze laufen letztlich auf rechte Lösungen hinaus – nur vorgebracht von Kräften, die sich als „links“ verstehen. Erst ein tiefergehendes Verständnis dafür, warum bürgerliche und rechte Strategien Islamismus nicht nachhaltig eindämmen können, eröffnet die Möglichkeit, echte linke Alternativen zu entwickeln.
Was ist legalistischer Islamismus?
Zu Beginn sollten die zentralen Begriffe erläutert werden. Bezeichnungen wie „Islamismus“, „politischer Islam“, oder „legalistischer Islamismus“ werden oft unterschiedlich verstanden, was zu Verwirrung führen kann.
Der Begriff „Islamismus“ umfasst eine Vielzahl von Definitionen, die sich in der Regel auf politische Bewegungen des 19. und 20. Jahrhunderts beziehen. Ich bevorzuge eine Definition, auf die sich unter anderem der Politikwissenschaftler Armin Pfahl-Traughber stützt, wonach der Islamismus auf die Errichtung einer totalitären Staats- und Gesellschaftsordnung nach „islamischen Normen“ abzielt.
Die Bezeichnung „politischer Islam“ wird von zahlreichen Expertinnen und Experten hingegen kritisiert, da sie irreführend ist und missverständliche Implikationen hat. Politisch aktive Musliminnen und Muslime sind nicht per se gefährlich, und nicht jede politisierte Form der Religion ist automatisch gewaltbereit, totalitär oder reaktionär. Oft wird übersehen, dass auch „liberal“ ein politischer Begriff ist.
„Legalistischer Islamismus“ beschreibt islamistische Gruppierungen, die ausdrücklich auf Gewalt verzichten und innerhalb der bestehenden Rechtsordnung agieren. Sie nutzen also legale Mittel, um ihre politischen Ziele voranzutreiben. Zu diesen Gruppen zählen unter anderem Milli Görüş, verschiedene Ableger der Muslimbruderschaft sowie Hizb ut-Tahrir (Generation Islam). Diese Form des Islamismus ist wohl die verbreitetste in Deutschland.
Der Politikwissenschaftler Thomas Schmidinger betont, dass die von solchen Gruppen ausgehende Bedrohung nicht in terroristischen Akten oder einem offenen Umsturz liegt. Vielmehr üben sie Druck auf Mitglieder migrantischer und muslimischer Gemeinschaften aus, um bestimmte moralische Vorstellungen, Ressentiments und politische Ansichten durchzusetzen. Dies kann insbesondere für Menschen gefährlich werden, die aus unterschiedlichen Gründen als Abweichler betrachtet werden.
Im Fall von Organisationen wie Milli Görüş oder dem Dachverband DITIB kommt eine enge Verbindung zum türkischen Staat hinzu, der insbesondere türkische Dissidentinnen und Dissidenten sowie kurdische Menschen gefährdet. Ein Beispiel hierfür ist der DITIB-Spionageskandal von 2016: Nach dem gescheiterten Putschversuch in der Türkei gaben DITIB-Imame Informationen über in Deutschland lebende Gegner Erdogans weiter. Eine Zusammenarbeit der DITIB mit dem türkischen Geheimdienst MIT ist allerdings bereits seit den 1990er-Jahren bekannt.
Rechte Lösungsansätze
Welche Strategien verfolgt die deutsche Politik, um dem legalistischen Islamismus entgegenzuwirken? Rechte und konservative Parteien – allen voran die CDU – präsentieren sich gerne als entschlossene Kraft im Kampf gegen islamistische Strömungen, einschließlich legalistischer Gruppierungen wie Milli Görüş. 2023 veröffentlichte die CDU auf ihrer Website die Grundzüge ihrer Strategie gegen den Islamismus. Darin wird den „Feinden der freiheitlichen demokratischen Grundordnung“ mit allen Mitteln des Staates der Kampf angesagt:
„Eine schlagkräftige Polizei, funktionsfähige Gerichte und starke Nachrichtendienste, die ihre Aufgaben wirkungsvoll umsetzen können. Für den Schutz der Demokratie ist jedoch nicht allein der Staat verantwortlich. Vielmehr sind alle Bürgerinnen und Bürger gefordert, wenn es darum geht, ein Leben in Sicherheit und Freiheit zu verteidigen.“
Die Vorstellung, dass islamistische Kräfte – gleich welcher Prägung – auch nur annähernd in der Lage wären, die deutsche Demokratie zu stürzen und einen islamistischen Staat zu errichten, entbehrt jeder realen Grundlage. Solche Szenarien befördern lediglich rechte und rassistische Ängste vor einer vermeintlich drohenden „Islamisierung“ Europas. Zwar vertreten die besagten Gruppen zweifellos antidemokratische und reaktionäre Positionen, doch aufgrund ihrer geringen Reichweite und limitierten Handlungsmöglichkeiten stellen sie keine unmittelbare Gefahr für die Bundesrepublik dar. Allerdings bedrohen sie sehr wohl muslimische „Abweichler“ sowie andere marginalisierte Gruppen innerhalb ihrer eigenen Gemeinschaften.
Die CDU räumt in ihrem Strategiepapier zwar ein, dass „die Betroffenen von politischem Islamismus an erster Stelle Muslime“ sind, doch der Fokus liegt klar auf dem „Schutz der Demokratie“ und dem Kampf gegen „die Feinde des Staates“. Wie konkret „liberale“ oder gut integrierte Muslime geschützt werden sollen, bleibt hingegen vage. Die implizite Annahme scheint zu sein, dass auch sie von einem stärkeren Sicherheitsapparat profitieren würden.
Im vergangenen Jahr brachte die Unionsfraktion im Bundestag einen Antrag „zur Bekämpfung des politischen Islams“ ein. Darin forderte sie unter anderem, Aufrufe zur Errichtung eines „islamischen Gottesstaates“ unter Strafe zu stellen und Verstöße mit Ausweisung oder – im Fall von Doppelstaatlern – dem Entzug der deutschen Staatsbürgerschaft zu ahnden. Die Strategie folgt einem simplen Prinzip: Islamismus soll wortwörtlich aus dem Land entfernt werden – getreu dem Motto „aus den Augen, aus dem Sinn“. Muslime erscheinen in diesem Narrativ weiterhin als potenziell fremder, nicht wirklich zugehöriger Bestandteil der Gesellschaft – eine Gruppe, die im Fall einer „Inkompatibilität“ schlicht aussortiert werden kann.
Auffällig ist, dass Islamismus als Argument für Abschiebungen dient, jedoch nie gegen sie. Seit Januar 2024 gilt kein Abschiebestopp in den Iran mehr, und kurdische Aktivisten sowie türkische Dissidenten werden zunehmend in Erdogans Einflussbereich zurückgeführt. Die Ampel-Koalition hat bereits Abschiebungen nach Afghanistan erleichtert, wo die Taliban herrschen, und auch nach Syrien sollen Rückführungen wieder möglich sein – trotz der islamistischen Kontrolle durch Hay’at Tahrir al-Sham (HTS).
Aussagen wie „der politische Islamismus gehört nicht zu Deutschland“ scheinen wörtlich auf Territorialität abzuzielen: Islamismus soll nicht in diesem Land existieren und kann demnach wie ein fremder Eindringling einfach abgeschoben werden. Was jedoch außerhalb der deutschen Grenzen geschieht, bleibt irrelevant. Dass Radikalisierung jeglicher islamistischer Strömung vorwiegend innerhalb Deutschlands stattfindet, wird dabei verkannt – und die eigentlichen Ursachen des Problems bleiben unangetastet.
Hinzu kommt die Frage, inwiefern die vorgeschlagenen Maßnahmen überhaupt gegen legalistische Gruppen greifen können, die sich bewusst innerhalb der gesetzlichen Rahmenbedingungen bewegen. Ein Beispiel für diese Ambivalenz zeigt sich in Nordrhein-Westfalen: Trotz des DITIB-Spionageskandals nahm die CDU-geführte Landesregierung 2021 die Zusammenarbeit mit dem Verband wieder auf. Auch die Beobachtung von Milli Görüş wurde in einigen Bundesländern inzwischen eingestellt. Gerade türkeinahe Organisationen verstehen es, sich geschickt an den bürgerlichen Staat anzupassen und so jeglicher effektiven Kontrolle zu entziehen.
Folgen und neue Ansätze
Islamismus wird von der bürgerlichen Politik vor allem als eine Bedrohung von außen betrachtet. Eine Gefahr der Fremde, die sich politisch instrumentalisieren lässt, um Ausnahmezustände heraufzubeschwören und staatliche Repressionen zu legitimieren. Im Kern lässt sich die etablierte Strategie auf zwei wesentliche Elemente reduzieren: Abschiebungen und Schlagstöcke.
Die Folgen dieser Politik reichen weit über den Kampf gegen Islamismus hinaus. So beobachten wir eine zunehmende Eskalation von Polizeigewalt, insbesondere auf palästinasolidarischen und linken Demonstrationen – zuletzt beim feministischen Kampftag am 8. März. Gerade Frauen, die ideologisch kaum weiter von einem patriarchalen Islamismus entfernt sein könnten, waren hier Hauptziel staatlicher Gewalt. Erweiterte staatliche Gewalt trifft damit nicht nur Islamisten. Das ist alles andere als verwunderlich, wird der Kampf gegen Islamismus in Symbiose mit der sog. „Staatsräson“ gesehen. Nicht umsonst nahm auch die Union in ihrem Antrag Bezug auf den 7. Oktober.
Gegen die reale Gefahr, die von Islamismus ausgeht – sei es legalistisch oder gewaltbereit – helfen diese Maßnahmen jedoch kaum. Islamistische Radikalisierung findet überwiegend innerhalb Deutschlands statt. Dieses Problem lässt sich nicht einfach abschieben oder mit dem Schlagstock aus der Gesellschaft prügeln. Polizeigewalt und staatliche Repression – begleitet von Racial Profiling – können im schlimmsten Fall sogar von islamistischen Gruppen propagandistisch ausgeschlachtet werden. Diskriminierungserfahrungen sind ein zentraler Faktor für Radikalisierung und können diese Ideologien ungewollt stärken.
Hanna Baron, Islamwissenschaftlerin mit Schwerpunkt Prävention, plädiert daher für frühzeitige Jugend- und Kulturarbeit. Dazu gehört nicht nur die Vermittlung „demokratischer Werte“ oder eine kritische Medienkompetenz zur Entlarvung islamistischer Propaganda. Sondern auch, die realen Missstände und Diskriminierungserfahrungen junger Muslime ernst zu nehmen und ihnen Raum für Gesellschaftskritik zu geben. Der Politikwissenschaftler Thomas Schmidinger hebt zudem die Notwendigkeit von Unterstützungsangeboten für AussteigerInnen hervor – für Menschen, die sich von islamistischen Strukturen lösen wollen.
Doch stellt sich die Frage, ob der Staat für diese Lösungswege überhaupt notwendig ist. Der bürgerliche Staat ist in erster Linie um seine eigene Selbsterhaltung und den Erhalt seines Gewaltmonopols bemüht – seine gängigen „Lösungsansätze“ spiegeln das deutlich wider. Islamismus wird primär als fremde, staatsgefährdende Ideologie bekämpft, nicht als heimisches Problem, das speziell auch MigrantInnen bedroht.
Gerade deshalb können linke Strukturen oft bessere Alternativen zu staatlichen oder liberal-bürgerlichen Ansätzen bieten. Während der Staat Muslime in erster Linie zu „guten, gehorsamen BürgerInnen“ erziehen will, sollte es letztlich darum gehen, echte Antworten auf ihre Lebensrealitäten zu finden. Das bedeutet, Diskriminierungserfahrungen anzuerkennen und Alternativen zu den reaktionären Ideologien von Gruppen wie „Generation Islam“ oder „Milli Görüş“ aufzuzeigen – Perspektiven, die nicht auf simple Anpassung abzielen.
Foto: Head office of the Islamic Community Milli Görüş in Köln by Icmg1453 by CC BY-SA 4.0, via wikicommon