Wenn der Merz kommt, wird’s kalt

23. Februar 2025

Es wird kalt in Deutschland. Denn wenn der Merz im Februar kommt, wird das kein Frühling werden, sondern eine neue gesellschaftliche Eiszeit. Eigentlich gilt die alte Journalistenregel „No games with names!“ – doch dieses Wortspiel drängt sich auf. Denn alles spricht dafür, dass nach dem Sieg der Unionsparteien bei der Bundestagswahl CDU-Chef Friedrich Merz Bundeskanzler werden wird. Und dann wird allen, die sich nicht zu den Bessergestellten des Landes zählen dürfen, der Wind ins Gesicht wehen, vor allem Niedriglöhnern, den über sieben Millionen Empfängern staatlicher Transferleistungen, Asylbewerbern und sicher auch der radikalen Linken. Denn der frühere deutsche Statthalter des US-Finanzgiganten Blackrock ist nur einer Seite verpflichtet: den Eliten und ihren Claqueuren – sie sollen ihre Schäfchen in Ruhe ins Trockene bringen dürfen, während der große Rest sehen kann, wo er bleibt.

Kristian Stemmler


Mit der Bundestagswahl geht ein Wahlkampf zu Ende, der die ganze Verkommenheit der bürgerlichen Politik erneut in aller Deutlichkeit vor Augen geführt hat. Alle im Bundestag vertretenen Parteien – außer Die Linke – haben dem Affen Zucker gegeben. Soll heißen: Sie haben die anti-muslimischen und rassistischen Ressentiments in der Gesellschaft, die ohnehin in den vergangenen Jahren ein besorgniserregendes Ausmaß erreicht hatten, in den zurückliegenden Tagen und Wochen nach Kräften weiter angeheizt. Vor allem Unionsparteien, AfD, FDP und BSW haben nach bewährtem Muster Geflüchtete zum Sündenbock für alle Probleme des Landes gemacht und damit – gewollt oder ungewollt – Hass und Hetze gegen alle Migranten Vorschub geleistet.

Die Weichen für diesen Verlauf des Wahlkampfs waren längst gestellt. Seit Monaten haben ja Politiker aller bürgerlichen Parteien, also auch SPD und Grünen, im Verein mit Konzernmedien und den öffentlich-rechtlichen Sendern an dem Bild gestrickt, die „illegale Migration“ sei das Problem Nummer eins. Keine Woche verging, ohne dass nicht irgendein Landrat, nicht selten von der Union, im TV lamentieren durfte, die Kommunen seien mit den vielen Asylsuchenden rettungslos überfordert. Schmutzblätter wie Springers Bild und Welt sorgen dafür, das Klischee vom kriminellen Syrer und Afghanen in den Hirnen der Leser zu verankern.

Dem CDU-Kanzlerkandidaten Merz und den Strategen im Berliner Konrad-Adenauer-Haus dürfte recht schnell aufgegangen sein, dass mit dem eigentlich intendierten Wirtschafts-Wahlkampf nicht viel zu gewinnen ist. Spätestens nach den Amokfahrten von Magdeburg und Aschaffenburg war klar, dass das verrohte Bürgertum und die aufgehetzten Teile der Arbeiterschaft mit Abschottungsfantasien und rassistischen Ausfällen gegen Geflüchtete am ehesten auf Touren zu bringen sind.

Die Fokussierung auf das Thema Migration im Wahlkampf hatte für Union & Co. den unschätzbaren Vorteil, dass über die soziale Frage kaum geredet wurde. Die Wuchermieten in deutschen Metropolen zum Beispiel, mit denen Wohnungskonzerne ihre Aktionäre mästen, waren kein Thema. Ebenso wenig das Auseinanderdriften der Gesellschaft. Praktisch auch für die CDU, dass über die Nähe von Friedrich Merz zum Finanzkapital so gut wie gar nicht gesprochen wurde. Immerhin war der Mann von 2016 bis 2020 Aufsichtsratsvorsitzender des deutschen Ablegers von Blackrock, einem gigantischen Finanzkonzern, der über zehn Billionen (!) Dollar verwaltet.

Wie der Publizist Werner Rügemer bereits im Dezember 2018 in diesem Blog konstatierte, ist Blackrock kein harmloser „Vermögensverwalter“, wie Merz und die Leitmedien es gern darstellen. Vielmehr sei der Konzern ein „Lobbyist der Superreichen, größter Insider der westlichen Wirtschaft, Verkäufer krisenverursachender Finanzprodukte, größter Organisator von Briefkastenfirmen, Lobbyist für die Privatisierung von Renten und Mietwohnungen und Finanzier von politischen Einfluss-Netzwerken“.

„Und die Kohle fällt nach oben“, sang Klaus Lage in seinem Lieder „Faust auf Faust“. Dafür ist Blackrock ein prima Beispiel. Das Wirken dieser Schweinefirma ist nur daraus ausgerichtet, die Reichen noch reicher zu machen, wie etwa die verheerenden Auswirkungen zeigen, die Blackrock auf dem deutschen Wohnungsmarkt zeitigt. Rügemer verwies in seinem Beitrag darauf, dass das Unternehmen Hauptaktionär großer privater Wohnungskonzere wie Vonovia ist und kritisierte: „So befördert Blackrock die Mietpreisexplosion in Deutschland und die Verarmung und Vertreibung vieler bisheriger Mieter und Familien.“

Dass der CDU-Chef seinem ehemaligen Arbeitgeber auch heute noch verbunden ist, bewies er im Januar diesen Jahres. Und zwar hattte Merz beim Weltwirtschaftsforum in Davos eine Rede bei einem von Blackrock ausgerichteten Abendessen gehalten. SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich warf ihm daraufhin vor, in der Außen- und Sicherheitspolitik auf „Deals“ setzen zu wollen. Denn auch Blackrock verstehe sich als „Dealmaker“. Das hätten viele Arbeitnehmer mit dem Abbau ihrer Arbeitsplätze oder der Abwicklung ihrer Firma bezahlt, so Mützenich. Der Linke-Kovorsitzende Jan van Aken wurde deutlicher. Blackrock stehe „weltweit für Druck auf Sozialstandards und Löhne“, sagte van Aken im Spiegel. Für ihn zeige sich, „dass Friedrich Merz immer noch eher das Format eines Finanzlobbyisten als das eines Staatsmannes hat“.

Was auf dieses Land mit einem Kanzler Merz zukommt, hat der Politikwissenschaftler Christoph Butterwegge dankenswerterweise in einem Beitrag für die Tageszeitung junge Welt im Februar zusammengefasst, der die treffende Überschrift „Wirtschaftspolitik: Neoliberal, unsozial, scheißegal“ trägt. Für seinen Text hat Butterwegge die sicher nicht angenehme Aufgabe auf sich genommen, ein 2008 erschienenes Buch von Merz durchzuackern. Es trägt den grotesken Titel „Mehr Kapitalismus wagen: Wege zu einer gerechten Gesellschaft“ und enthält so etwas wie das Glaubensbekenntnis des Kanzlerkandidaten der Union.

Das Buch macht eines in aller Klarheit deutlich: Die Marginalisierten des Landes haben von einem Kanzler Merz nichts zu erwarten. Der Mann ist nicht nur ein Rassist, er ist vor allem ein Sozialdarwinist. Für die Verlierer der Wettbewerbsgesellschaft – er spricht von „Unterschichten“ – hat er nur Verachtung übrig. Sie achteten nicht genug auf ihre Gesundheit, was häufiger Adipositas oder Diabetes zur Folge habe, so Merz. Deshalb steige ihr Risiko für Schlaganfälle, Bluthochdruck, Herzerkrankungen, Gicht und andere Krankheiten drastisch und es sei „ein weiterer Abstieg der Unterschichten aus gesundheitlichen Gründen vorprogrammiert, wenn nicht einschneidende Maßnahmen ergriffen werden“.

Angesichts solcher Äußerungen überrascht es nicht, dass Merz sich daran stört, „dass in der politischen Auseinandersetzung unserer Zeit nahezu nur noch von Verteilungsgerechtigkeit die Rede ist und darunter ein an die Bürger verteilender Staat verstanden wird“. Sein politisches Glaubensbekenntnis besagt, „dass freier Kapital- und Warenverkehr, Wettbewerb, offene Märkte und individuelle Freiheit auch und gerade in den Sozialsystemen für den Wohlstand eines Landes und für jeden einzelnen weitaus mehr leisten können als jede noch so gut gemeinte, aber undifferenzierte oder unbezahlbare Forderung nach immer mehr ›sozialer Gerechtigkeit‹“.

„Friedrich Merz denkt nicht sozial“, schlussfolgert Butterwegge zutreffend. Im Wohlfahrtsstaat sehe er nur ein Wirtschaftsunternehmen, das „ein stärkeres Fundament aus Eigenkapital und Kapitalmarktorientierung“ benötige, weshalb eine „große Sozialstaatsreform“ nötig sei. Der „alles umsorgende Wohlfahrtsstaat alter Prägung“ sei nicht mehr länger bezahlbar. Der moderne Sozialstaat sei „paternalistisch“, weil er „zur umfassenden Regulierung des gesamten Lebensalltags der Gesellschaft“ tendiere, was mit einem „massiven Griff in die Taschen der Bürger und insbesondere der sogenannten Besserverdienenden“ einhergehe.

Merz schwebe als politisches Ziel kein moderner Sozialstaat vor, sondern nur ein neoliberaler Minimalstaat, schreibt Butterwegge. Niemand sollte von ihm erwarten, dass er als Bundeskanzler die Armut in Deutschland abschaffen werde. Natürlich sind dem heutigen CDU-Chef die Transferleistungen, die er als „Übertreibungen unseres Sozialstaats“ abqualifiziert, viel zu hoch. Sozialpolitik, die „zur reinen Gefälligkeitspolitik degeneriert“ sei, habe „wenig Platz in seinem kapitalfreundlichen und finanzmarktaffinen Entwurf“, so Butterwegge.

Umverteilung von unten nach oben sei der Kern von Merz‘ Politikkonzept, konstatiert der Politikwissenschaftler. Und genauso dürfte es kommen, wenn der Finanzlobbyist und frühere Blackrock-Statthalter ans Ruder kommen. Die 30 bis 40 Milliarden Euro, die Merz mehr in die Rüstung stecken will, werden zu Lasten von Bürgergeld-Empfängern, Asylsuchenden und anderen Empfängern von Transferleistungen gehen. Dafür dürften sich die Konzerne über ideale Bedingungen und die Bessergestellten über Steuerentlastungen freuen.

Widerstand gegen diese Politik wird eine unionsgeführte Bundesregierung mit verschärfter Repression begegnen. Weitere Einschränkungen der Versammlungsfreiheit sind zu erwarten. Polizei und Geheimdienste werden sicher nicht nur mit zusätzlichen Mitteln, sondern auch mit noch weiterreichenden Kompetenzen ausgestattet. Wenn es um Repression und Überwachung geht, gilt für den CDU-Chef das Credo vom schlanken Staat natürlich nicht.

Foto: Aufstand der Anständigen 02. Februar 2025 Berlin 08 by Stephan Sprinz,Creative Commons Attribution 4.0 International licens via wikicommon

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