Unterstützen wir die Linkspartei? Bauen wir ein eigenes Wahlbündnis auf? Ignorieren wir das Parlament einfach? Wie bekämpfen wir effektiv den real im Parlament stattfindenden Rechtsruck und aufsteigenden Faschismus? Wie ist das Verhältnis von parlamentarischer zu außerparlamentarischer Politik in einer revolutionären Gesamtstrategie?
Als LowerClassMagazine begreifen wir unsere Aufgabe und die Rolle dieses Mediums auch darin, Debatten über Strategie- und Organisierungsfragen der (revolutionären) Linken eine Plattform zu bieten und diese mit anzustoßen.
Anlässlich der Bundestagswahlen am 23. Februar haben wir verschiedene Gruppen und Organisationen gebeten, ihre politische Strategie bezüglich des Themenkomplexes Wahlen und parlamentarische Parteipolitik darzulegen, mit dem Ziel durch produktive Diskussion eine Verständigung und gemeinsame Stoßrichtung der revolutionären Linken für die Zukunft zu stärken.
Eine Strategiediskussion der gesellschaftlichen und revolutionären Linken ist nötig, da das Problem des faschistischen Raumgewinns in Staat und Parlament nicht wegzuwünschen ist, wir uns jedoch gleichzeitig natürlich auch nicht den Illusionen und Fallstricken des Parlamentarismus hingeben sollten. Somit sollten wir uns die Frage nach der Rolle parlamentarischer Politik in unserer antifaschistischen und sozialistischen Gesamtstrategie für die nächsten Jahre und Jahrzehnte in Deutschland stellen.
Wir freuen uns, wenn sich aufeinander bezogen, zugestimmt, kritisiert, widersprochen, Gedanken weiter entwickelt und kontrovers diskutiert wird!
Heute folgt ein Beitrag von der Kommunistischen Partei
Keine Stimme für die Parteien des Kapitals!
Am 23. Februar wird in Deutschland der Bundestag gewählt. Wieder einmal sprechen die bürgerlichen Medien von einer „Schicksalswahl“. Es gehe um nichts Geringeres als die Rettung der „Demokratie“. Das Schreckgespenst einer starken AfD wird genutzt, um uns zu erpressen, unsere Stimme den anderen Parteien des kapitalistischen Systems als vermeintlich kleineres Übel zu geben. Auf der anderen Seite steht die verlogene Demagogie der AfD, die uns weismachen will, mit ihr stünde eine „Alternative“ zur Wahl, die sich endlich einmal um die Sorgen der „kleinen Leute“ kümmert.
Doch die Wahrheit ist: Keine der zur Wahl stehenden Parteien vertritt die Interessen der Arbeiterklasse.
Die Bundestagswahl fällt in eine Zeit der schweren Krise des deutschen Kapitalismus. Eine Reihe großer Autokonzerne und auch viele Unternehmen anderer Branchen bauen Stellen ab und greifen die erkämpften Errungenschaften ihrer Belegschaften an, die Wirtschaftsleistung sinkt und die Arbeitslosigkeit steigt wieder an (auf derzeit etwa 6 Prozent). Hintergrund dieser Entwicklungen ist die Verschärfung der Konkurrenz innerhalb des imperialistischen Systems, in der das deutsche Kapital eine Verschlechterung seiner Position hinnehmen muss. Trotz dieser Tendenzen bleibt die Vorherrschaft des deutschen Kapitals in der EU allerdings bisher relativ unangetastet.Der deutsche Imperialismus rüstet sich zum Krieg und will die ganze Gesellschaft erklärtermaßen „kriegstüchtig“ machen.
Während kapitalistischer Krisen geben die Parteien unterschiedliche Antworten darauf, wie das System in dieser Zeit verwaltet werden sollte. Manche Kräfte wollen den Zusammenbruch der Binnennachfrage verhindern, andere legen den Schwerpunkt auf die Verbilligung der Arbeitskraft und die ungehemmte Enteignung der breiten Massen. Doch allen ist gemein, dass sie die Krise überwinden wollen, indem sie die Kapitalakkumulation wieder in Gang bringen und die Ausbeutung der Arbeiterklasse effizienter gestalten.
CDU/CSU: Generalangriff auf die Interessen der Arbeiterklasse und breiten Massen
Die Christdemokraten fordern eine strenge Einhaltung der „Schuldenbremse“, die den Bundesländern vorschreibt, keine neuen Schulden zu machen, während sie die Neuverschuldung des Bundes jährlich auf maximal 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts begrenzt. In den letzten Jahren lag die Neuverschuldung stets zwischen zwei und drei Prozent, es werden also tiefgreifende Kürzungen bei den Staatsausgaben gefordert. Gleichzeitig soll das Kapital steuerlich deutlich entlastet werden. Auch bei der Grunderwerbssteuer und bei der Erbschaftssteuer sollen Freibeträge erhöht werden, wovon vor allem die Reichen profitieren werden. Das soll durch massive Einschnitte bei Sozialleistungen und stärkere Belastungen der arbeitenden Massen finanziert werden: Eine „Neue Grundsicherung“ soll den Zwang zur Annahme jeder Arbeit und damit den Terror gegen Arbeitssuchende erhöhen und außerdem weniger Geld an Bedürftige auszahlen. CDU und CSU stehen für eine beschleunigte Vorbereitung auf große Kriege: Die extremen Erhöhungen der Rüstungsausgaben sollen fortgesetzt werden. Da diese Politik Widerstand hervorrufen wird, bereiten CDU/CSU den Ausbau des Polizeistaats und die weitere Verschärfung der autoritären Entwicklung vor.
SPD: Lügen, Heuchelei und Politik für das Kapital
Die Sozialdemokraten stellen sich im Gegensatz zum offen volksfeindlichen Programm von CDU/CSU wieder als „Arbeitnehmerpartei“ dar, die „Soziales“ mehr in den Mittelpunkt rücken will. Davon abgesehen steht die SPD im gleichen Maße wie CDU/CSU für krasse Aufrüstung und Kriegsvorbereitungen. Die Regierung hat unter der Führung der SPD in den letzten Jahren die Repression und rassistische Diskriminierung von Muslimen und Migranten generell in beispiellosem Maße eskaliert und fordert auch in ihrem Wahlprogramm wieder „rasche und konsequente Abschiebungen“.
Die Grünen: Weltkrieg, Völkermord, Elektromobilität
Die Grünen begünstigen mit ihrer Steuerpolitik reiche und extrem reiche Erben. Für das Kapital sollen „gute Wettbewerbsbedingungen“ geschaffen werden, beispielsweise durch „Investitionsprämien“, mit denen Kapitalisten Geld dafür geschenkt wird, dass sie investieren, um Profite zu machen. Auch für Klimaschutz stehen die Grünen, im Gegensatz zu ihrer Selbstdarstellung, keineswegs. Bisher wurde die Umwelt auch unter der grünen Regierungsbeteiligung ungebremst weiter verschmutzt. Ein Ausbau des öffentlichen Verkehrs wurde nie umgesetzt.. Der Klimaschutz soll weiter über den Emissionshandel laufen, sodass große Industriemonopole weiterhin Schadstoffe ausstoßen dürfen.
Vor allem aber sind die Grünen die vielleicht vehementeste Stimme für mehr Rüstung und Krieg. Ihr Kanzlerkandidat Robert Habeck fordert gar eine Erhöhung der Rüstungsausgaben auf 3,5 Prozent des Bruttoinlandprodukts. Und schließlich wollen auch die Grünen einen Ausbau des autoritären Staates durch Überwachung, Vereinsverbote und Berufsverbote gegen „Extremist*innen“ sowie „konsequente“ Abschiebungen. Ausgeschmückt wird dieses zutiefst reaktionäre Programm mit Schlagworten wie „Feminismus“ oder „Antirassismus“ und mit Gendersternchen, also Dingen, die Weltoffenheit und „Fortschritt“ ausdrücken sollen und gleichzeitig das Kapital nichts kosten – doch die Grünen sind eine Partei des Kapitals und des Kriegs, eine Partei gegen die Arbeiterklasse.
Die AfD: Verherrlichung des Faschismus und Politik für das Kapital
Die „Alternative für Deutschland“ wird oft als Gegenstück zu den „demokratischen“ Parteien dargestellt – in Wirklichkeit ist sie Fleisch vom Fleische desselben Systems. Natürlich stimmt es, dass die AfD, anders als ihre Rivalen, immer wieder offen positive Bezüge auf den deutschen Faschismus geäußert hat und offene Faschisten und Nazis in dieser Partei nicht nur toleriert sind, sondern auch eine führende Rolle spielen. Mit einer AfD-Regierung würden die Rechte der Migrantinnen und Migranten massiv weiter eingeschränkt, Repressionen gegen jeden Widerstand würden verschärft und militante Neonazis könnten ihre Verbrechen vermutlich noch häufiger straffrei verüben.
In vielen Punkten muss man die Unterschiede zu den anderen Parteien jedoch mit der Lupe suchen. Denn die AfD ist nicht nur eine rechtsradikale Partei, sondern zuallererst eine Partei des deutschen Kapitals. Auch sie fordert die strikte Einhaltung der Schuldenbremse bei gleichzeitiger Senkung der Unternehmenssteuern und Entlastung der höchsten Einkommen, die auch hier vor allem einen Großangriff auf die Einkommen der Arbeiterklasse bedeuten wird. Gleichzeitig sollen drastische Kürzungen bei den ärmsten Teilen der Arbeiterklasse vorgenommen werden, etwa beim Bürgergeld oder längerer Arbeit für Rentner. In besonderem Maße werden die Rechte der Frauen angegriffen: Abtreibung soll weitestgehend verboten werden und Frauen sollen zurück an den Herd. Mit dem Gerede über einen „Trans-Gender-Hype“ und angebliche Frühsexualisierung will die AfD Hass gegen transgeschlechtliche Menschen schüren und sexuelle Aufklärung, die reaktionären Vorstellungen widerspricht, verhindern. Die Position der AfD zum Krieg in der Ukraine sollte nicht mit einer Antikriegsposition verwechselt werden: Dahinter steht die Vorstellung eines eigenständigeren, von NATO und EU unabhängigeren deutschen Imperialismus. Auch wenn ein Ende der deutschen Waffenlieferungen an die Ukraine natürlich zu begrüßen wäre, bedeutet eine geostrategische Umorientierung des deutschen Kapitals keinen Frieden, sondern neue Konflikte entlang neuer Achsen.
Die FDP: Mehr Geld für Milliardäre und mehr Krieg
Aufgrund der aktuell schwindenden Relevanz der FDP soll hier nur kurz genannt werden, dass im Mittelpunkt des FDP-Wahlkampfes die Ablehnung von Neuverschuldungen, sowie eine besonders starke Senkung der Besteuerung von Unternehmern und Reichen steht.
Die Linke: Sozialdemokratischer Sand in die Augen der Massen
Versprechungen der Linkspartei von einem „sicherem Einkommen“, „friedliche Konfliktlösungen“, einen bundesweiten Mietendeckel, die Abschaffung der Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel, höhere Renten, ein „Recht auf Asyl“ bewegen viele links denkende Menschen in Deutschland immer noch dazu, ihr Kreuz bei der „Linken“ zu machen, zumindest als geringeres Übel.
Das größere Bild zeigt: Der „demokratische Sozialismus“ will den Kapitalismus nicht abschaffen, sondern menschenfreundlicher gestalten, was unmöglich ist – er ist also kein Sozialismus, sondern Reformismus. Überall, wo die Linkspartei bisher an Landesregierungen beteiligt war, hat sie die volksfeindliche Politik des Kapitals mit umgesetzt und vorangetrieben. Sie setzte Stellenstreichungen im öffentlichen Dienst und Privatisierungen des sozialen Wohnungsbaus durch, führte Massenabschiebungen, die Beobachtung linker Gruppen durch den Geheimdienst und andere Angriffe auf die Arbeiterklasse durch. Auch die Linkspartei ist trotz ihrer Friedensrhetorik Teil der imperialistischen Kriegspolitik: Zwar lehnt sie dem Wort nach Waffenlieferungen in die Ukraine ab, betont aber das „Selbstverteidigungsrecht der Ukraine“, womit selbstverständlich nicht das ukrainische Volk gemeint ist, sondern das von Selenskyj geführte Regime, und spricht sich für Sanktionen gegen Russland aus. Die Position der Partei zu Gaza ist an Opportunismus kaum zu überbieten: Sie weigert sich, von einem Völkermord zu sprechen, setzt den palästinensischen Widerstand mit der genozidalen Besatzungsmacht gleich und hat die extremen Repressionen gegen die palästinasolidarische Bewegung im Wesentlichen mitgetragen. Die Linkspartei steht nicht gegen den Rechtsruck, sie ist der moderate Flügel des Rechtsrucks.
BSW: Die Illusion des friedlichen und sozialen Kapitalismus
Auch das „Bündnis Sahra Wagenknecht“, eine Abspaltung von der Linkspartei, verspricht in einigen Punkten Verbesserungen für die Arbeiterklasse: Die Stärkung der Tarifbindung, Erhöhungen der Rente und eine Abschaffung der sogenannten „Zwei-Klassen-Medizin“. Außerdem lehnt die Partei Waffenlieferungen an die Ukraine und nach Israel, und Auslandseinsätze der Bundeswehr ab.
Andere Forderungen sind hingegen ein direkter Angriff auf die Arbeiterklasse. Das mit den Hartz-Gesetzen eingeführte Sanktionsregime gegen Arbeitslose, die zur Annahme fast jeder Arbeit gezwungen werden sollen, befürwortet das BSW. Bei der Erbschaftssteuer vertritt es vor allem die Interessen von großen Erben. Die „Lösung“ des Klimawandels soll im Wesentlichen einfach durch neue Technologien erfolgen – das alte verlogene Versprechen des Kapitalismus, das bisher nur zu immer katastrophaleren Umweltzerstörungen geführt hat.
Sein Standpunkt ist der des mittelgroßen Kapitals. Deshalb fordert das BSW staatliche Ausgaben zur Förderung der Industrie und die Besteuerung der größten Kapitalisten – nicht aber die kleineren und mittleren Unternehmen. Die Friedensrhetorik des BSW stellt nicht die imperialistische Weltordnung infrage, und auch die Mitgliedschaft Deutschlands in der EU und NATO werden grundsätzlich befürwortet, verbunden mit der illusionären Forderung nach einer „Friedensmacht“ EU, was den Charakter der EU als imperialistischer Konstruktion des Kapitals unterschlägt und dazu beiträgt, die Friedensbewegung ideologisch zu entwaffnen und in systemkonforme Bahnen zu lenken.
Überhaupt ist das BSW nicht gegen einen repressiven bürgerlichen Staat: Es will „unkontrollierte Migration stoppen“, so als wäre das Migrationsregime aktuell „unkontrolliert“ und nicht vielmehr hochgradig vom Staat reguliert und repressiv durchgesetzt. Das BSW bringt in rassistischer und sachlich falscher Weise die Migration mit „einem weit überproportionalen Anstieg von Messerkriminalität, Sexualdelikten und religiös motiviertem Terrorismus“ in Verbindung und schürt damit gezielt die rassistische Spaltung der Arbeiterklasse.
Das BSW ist ebenso wie „Die Linke“ eine bürgerliche Partei, die auf Mitregieren im Kapitalismus aus ist und muss als politischer Gegner bekämpft, sein Einfluss auf die Arbeiterklasse gebrochen werden.
Alle zusammen gegen die AfD?
Dass die AfD bei diesen Wahlen nun die große Gefahr sei und es vor allem darauf ankomme, ihre Stärkung zu verhindern, ist ein Mantra, das uns nicht nur von linken Gruppen, sondern auch von den herrschenden Parteien und ihnen nahestehenden Medien ständig weisgemacht wird. Das Muster ist aus anderen Ländern bekannt: Macron wählen, um Le Pen zu verhindern; Harris wählen, um Trump zu verhindern; oder, aus der deutschen Geschichte, Hindenburg wählen, um Hitler zu verhindern – mit dem Ergebnis, dass Hindenburg die Wahl gewann und Hitler zum Reichskanzler ernannte.
Diese Logik des vermeintlich „kleineren Übels“ ist grundsätzlich falsch. Denn sie vergisst, dass das Gesamtübel der Kapitalismus ist, der all die kleinen und großen Einzel-Übel zwangsläufig und unabhängig von der Farbe der Regierungspartei ständig hervorbringt. Sie vergisst, dass das kapitalistische politische System die verschiedenen Schattierungen und die vermeintliche „demokratische Vielfalt“ braucht, um zu funktionieren, und dass auch die „linken“ Parteien, solange sie nicht das System als solches bekämpfen, zu seiner Stabilität beitragen. Diese Logik vergisst auch, dass die Zusammenarbeit mit den „demokratischen“ bürgerlichen Parteien und das gemeinsame Auftreten mit ihnen gegen die AfD einen wirklichen klassenkämpferischen Widerstand gegen die AfD gerade behindert – indem es die Kommunisten als Teil des „Establishments“ erscheinen lässt und es der AfD weiterhin erlaubt, sich als einzige Opposition zu inszenieren.
Verschenken wir unsere Stimme, wenn wir aufs Wählen verzichten?
Wir können als Kommunistische Partei bei diesen Bundestagswahlen – den ersten bundesweiten Wahlen nach unserer Gründung – noch nicht teilnehmen. Leider wird auf dem Wahlzettel auch keine andere Partei stehen, die konsequent die Interessen unserer Klasse vertritt. Deshalb bleibt uns nur die Losung: Keine Stimme den Parteien des Kapitals! Wir wählen dieses Mal ungültig – in dem Wissen, dass die Herrschenden den Wahlboykott nicht fürchten, dass er keine Waffe unsererseits ist, sondern nur dem Fehlen von Alternativen geschuldet.
Dabei ist uns bewusst: Die neue Gesellschaft, der Sozialismus, wird nicht durch Wahlen erkämpft, sondern nur durch den revolutionären Bruch mit dem Kapitalismus. Viel wichtiger sind heute die Stärkung der Gewerkschaften, das Ringen um einen klassenkämpferischen Kurs in ihnen sowie die Kämpfe für bessere Löhne, für die Einheit und Solidarität der Arbeiterklasse, gegen Kriegseinsätze, gegen die Militarisierung der Gesellschaft und letztlich für das Leben, das wir verdienen, aber im Kapitalismus nie bekommen werden.
Foto: 2020-02-13 Deutscher Bundestag IMG 3438 by Steffen Prößdorf, Creative Commons Attribution-Share Alike 4.0 International via wikimedia