Über Verfolgung & Exil – Ein Gespräch mit Thomas Walter & Peter Krauth im venezolanischen Exil.

15. Februar 2025

Im venezolanischen Hinterland treffe ich Thomas Walter und Peter Krauth. Hier sind beide seit Jahren im Exil. Sie werden beschuldigt als Mitglieder der Gruppe K.O.M.I.T.T.E im Oktober 1994 einen Anschlag auf das Kreiswehrersatzamt in Brandenburg verübt zu haben, sowie ein halbes Jahr später ein Angriff auf einen Abschiebeknast versucht zu haben. In der Folge verließen sie gemeinsam mit ihrem, 2021 verstorbenen Genossen Bernhard Heidbreder, Deutschland und tauchten unter. 2017 beantragten Walter und Krauth in Venezuela Asyl, welches 2021 erteilt wurde. Im selben Jahr wurde auch der internationale Fahndungsaufruf von Interpol gelöscht. Doch die deutschen Behörden lassen nicht locker, 2015 wäre der vorgeworfene Tatbestand „Verabredung zur Tat“ nach Paragraf 30 StGB eigentlich auch nach deutschem Recht verjährt, die Bundesanwaltschaft setzte die Frist jedoch kurz vorher auf 40 Jahre hoch, so das es 2015 zu keiner Verjährung kam. Daher werden Walter und Krauth immer noch nach deutschem Haftbefehl gesucht. Nun, 30 Jahre nach dem gescheiterten Anschlag wurde erneut Anklage durch den Generalbundesanwalt erhoben.

Bart Vanzetti


Während Thomas und Peter hingebungsvoll die Kaffeebohnen am offenen Feuer rösten, sprechen wir über die Geschichte der Region und die Bedeutung von Ejido und Gemeindeland. Darüber wie das Land den Gesellschaften geraubt wird, immer und immer wieder. Sei es durch das Handelsabkommen NAFDA in Mexiko oder durch die Zerstörung der Allmende in Deutschland.

Im Plaudern steigt die Gewissheit, dass mit den beiden auf jeden Fall zuerst das Feuer ausgeht, als die Gesprächsthemen. Doch heute soll es um Verfolgung und Exil gehen.

Bart Vanzetti:Als jemand der selber politisch geflüchtet ist, interessiere ich mich für den Grund warum ihr überhaupt fliehen musstet. Warum musstet ihr Deutschland verlassen?

Thomas Walter:  Weil wir nicht Gefängnis wollten. Das fasst eigentlich alles zusammen. Denn wären wir nicht geflohen, wären wir im Gefängnis gelandet.

Die Anschuldigungen gegen uns beinhalten ja wir hätten eine terroristische Vereinigung gegründet und diese am Laufen gehalten.

Konkret sind die Vorwürfe wir hätten ein Trainingsgebäude der Bundeswehr abgebrannt und außerdem hätten wir geplant ein Abschiebegefängnis, welches gerade gebaut wurde, in die Luft zu sprengen.

Das Abschiebegefängnis, das war ein ehemaliger DDR-Frauenknast, der nach dem Fall der Mauer in die Hände der Bundesregierung kam und zum Abschiebegefängnis umgebaut werden solle, weil die Abschiebungen nicht effizient genug liefen. Deshalb sollten mehr abgeschoben werden. Der Knast war dabei praktisch, weil er nah am Flughafen Schönefeld war und so Asylbewerber zentral festgehalten werden. Sozusagen bis man ein Flugzeug voll hat und die dann direkt abgeschoben werden können.

– Glauben wir diesen Anschuldigungen, seid ihr die einzige Gruppe, die damals spezifisch eine solche Aktion in Solidarität mit Flüchtlingen gemacht habt. Nun bringt es euch, als Deutsche Staatsbürger ja nichts, so einen Abschiebeknast zu verhindern. Die Abschiebehaft war ja für Leute, die nicht aus Deutschland stammten. Warum habt ihr trotzdem solche Aktionen gemacht?

Thomas Walter: Jetzt mal dahingestellt, ob wir es gemacht haben oder nicht, ist es ja so: Wir als Bewohner und damit Teil von Deutschland sind ja mitverantwortlich für die Politik, die Deutschland macht. Die machen sie ja in unserem Namen. Und wenn die Leute, die nach Deutschland kommen, weil sie Schutz suchen, wieder abgeschoben werden sollen, dann ist es für uns ein Problem. Ein ganz persönliches Problem, weil ich bin der Meinung, dass diese Leute haben ein Recht auf Schutz und sollten bei uns geschützt werden. Und im schlimmsten Fall, wenn Deutschland sagt: Ich kann euch nicht schützen, ihr seid nach meinen Kriterien nicht „flüchtlingswürdig“, selbst dann gäb es auf keinen Fall Grund diese Leute einzusperren. Also Leute einzusperren ist sowieso Scheiße. Knast bringt ja nichts, oder hat der Knast schon mal jemals jemanden verbessert? Und Leute einzusperren, die beileibe gar nichts verbrochen haben, ist wirklich pervers. Du kannst die Leute vielleicht noch einsperren, wenn sie eine Gefahr für andere sind. Sexualstraftäter oder was weiß ich. Da kann man es noch besser nachvollziehen, aber Leute einsperren, die aus einem anderen Land geflohen sind? Indem sie verfolgt wurden? Was ist die Logik dabei? Es ist einfach pervers, es ist krank.

Übrigens, ich möchte noch eine Sache ein bisschen gerade stellen. Wir waren nicht die einzige Gruppe. Es gab 1995 von der Roten Zora, einen Ableger der Revolutionären Zellen, noch einen Anschlag auf ein Rüstungsunternehmen. Irgendwo im nordischen Fischkoppbereich [Lemwerder bei Bremen, Anm. d. Red.]. Das war bezüglich Kurdistan, also von der Motivation ähnlich. Die Sachen, die uns vorgeworfen werden, waren ja auch mit der Kurdistan Solidarität motiviert. In der Zeit wurde die PKK in Deutschland verboten und so behandelt, als wäre sie in Deutschland eine terroristische Organisation. Kurdische Leute wurden massiv verfolgt, weil sie angeblich der PKK angehörten. Ähnlich wie es heute in der Türkei ist. Na ja oder eigentlich auch immer noch in Deutschland heute, das hat ja nicht aufgehört.

Sprechen wir über internationale Solidarität, müssen wir auch über die heutige deutsche Linke sprechen. Nach dem Gaza-Krieg sehen wir noch deutlicher als zuvor in einem Großteil der deutschen Linken eine Solidarität mit dem Staat Israel. Damit wird sich in die Linie mit dem deutschen Staat gestellt und die Staatsraison Deutschlands übernommen. Dann lesen wir auf der Fassade von der Roten Flora in Hamburg: „Solidarität mit Israel“. Also mit dem Staat, der als Apartheidregime immerhin International wegen des Genozids angeklagt wurde. Da fragt man sich ja schon wie kommt es, das deutsche Linke sowas machen? Sich mit dem Staat Israel zu solidarisieren bedeutet ja auch eine Entsolidarisierung mit den Bevölkerungen und Realitäten aus dem Mittleren Osten. Woher kommt diese Verwirrung?

Thomas Walter: Ich glaube da wird ganz wild alles möglichen durcheinander geworfen. Die ganze Debatte darüber ist für mich völlig aus dem Ruder gelaufen und überhaupt nicht konkret. Als deutsche und gerade als deutsche Linke haben wir natürlich eine hohe Verantwortung gegenüber jüdischen Menschen. Und der Anspruch von jüdischen Menschen geschützt zu werden, den sehen wir natürlich auch. Nach Jahrhunderten Jahren an Pogromen und Verfolgung, natürlich speziell dem Holocaust. Das ist wichtig.
Nur die Frage, die man sich stellen muss, ist: Ist Israel wirklich dieser Platz, in dem die jüdischen Menschen geschützt werden?
Ich glaube, wenn man sich jetzt gerade in letzten Wochen und Monaten die Zeitungen anschaut, dann ist es eher der Platz, an dem jüdische Menschenleben am gefährdetsten sind auf der Welt. Jüdische Menschen leben viel sicherer in Teheran, dass von den Mullahs in einer klerikal faschistischen Diktatur regiert wird. Dort gibt es eine riesengroße jüdische Community und da gibt es weniger Gewaltverbrechen gegen Juden als in Israel. In New York, wo es die größte jüdische außer-israelische Community gibt, leben Juden viel sicherer als in Israel. Israel ist auf den besten Weg diesen angeblichen Schutzraum völlig in den Wind zu schießen. Die Israelis sind total gefährdet, also so gesehen ist die ganze Argumentation völlig falsch. Was die in Israel gerade treiben, ist Rassismus und  es ist ethnische Säuberung. Außerdem provoziert die Israelische Regierung den Hass von den Überlebenden von diesen ganzen Massakern. Dieser Hass wird auf Jahrzehnte und vielleicht auf Jahrhunderte immer stärker werden, da tun Sie sich nichts Gutes mit.

Und warum glaubst du dass jemand, der in Deutschland aufgewachsen ist, dir ins Gesicht guckt und ganz überzeugt sagt: Weil meine Großeltern die Juden umgebracht haben, muss ich jetzt den Staat Israel unterstützen?

Thomas Walter: Es ist verlogen. Die Deutschen wollen sich in erster Linie selber reinwaschen, sie wollen nicht mehr schuldig sein. In zweiter Linie wollen Sie Teil des geostrategischen Westens sein und da ist Israel halt ein wichtiger Teil in dem Gesamtgefüge der westlichen Macht, in dem was sie „die westlichen Werte“ nennen. In diesen NATO Gebilde wissen die Deutschen sehr genau, was ihnen guttut und was für sie wichtig ist. Und die NATO und die Unterstützung der USA und damit auch Israel ist für sie einfach sehr gut und zwar auch ökonomisch. Das ist eine ganz klare Interessenentscheidung wenn Deutsche sagen: Ich stelle mich auf der Seite Israels und damit der USA. Es ist eine Entscheidung, sich auf die Seite des bewaffneten Wohlstands zu stellen.

Ich weiß du liest auch gern deutsche Zeitungen. Dort konnte man jetzt lesen, dass die Aktien von Rheinmetall so gestiegen ist wie noch nie zuvor. Meinst du das dass auch damit zusammenhängt?

Thomas Walter: Es ist immer einfach sich einzelne Haupttäter hinaus zu suchen und nur darauf zu schauen. Das ist für mich nicht das größte Problem. Der Vorstand von Rheinmetall etwa, natürlich sind das egoistische Arschlöcher, die Geld verdienen wollen und denen Menschenleben komplett egal sind. Das große Problem ist aber, dass es in Deutschland, und zwar auch in Deutschlands Linken, sehr viele Menschen gibt, die das gut finden. Die meinen dann tatsächlich sie sind bedroht durch Russland und Deutschland müsste massiv aufrüsten. Die meinen das Rheinmetall ihre Interessen als Deutsche vertritt. Und das ist für mich die große Problematik.
Wenn Tadzio Müller, ein Denker und Kopf der Klimabewegung, zu Rheinmetall Entwaffnen sagt: Leute ihr müsst doch auch sehen, die USA sind strategisch geschwächt und wir brauchen nun mal die Rüstungsfirmen, dann bist du ideologisch und theoretisch am Ende. So. Dann hast du dich sozusagen mit deinem Gegner den du eigentlich bekämpfst, zusammen getan. Das Klima geht kaputt wegen dem Kapitalismus. Das führende Land des Kapitalismus ist die USA, Deutschland macht natürlich fleißig mit, aber führend ist unangefochten die USA. Ohne Zerstörung oder zumindest Begrenzung des Kapitalismus kann es kein Ende des Klimawandels geben. Wenn also ein Klimawandelgegner hingeht und sagt wir brauchen Rheinmetall, um uns zu verteidigen vor den bösen Russen, dann hat er sich ins eigene Knie geschossen. Das ist einfach nur dumm.

Zurück zu der Gruppe um die es hier geht. Die Gruppe hat ja auch Flugblätter und Erklärungen geschrieben, in der Regel war die Gruppe also öffentlich zugänglich und man konnte sie auch kontaktieren. Wie sahen dahingehend die Diskussionen aus, wer hat diskutiert was in den Erklärungen und Kommuniqués drinsteht, wie war die Struktur, war es basisdemokratisch oder gab es ein Zentralkomitee?

Thomas Walter: Aber grundsätzlich waren die Bewegungen aus der Zeit horizontal aufgebaut. Die Leute, die sich zusammengefunden haben, um Sachen zu machen haben gemeinsam diskutiert und dann wurde sich geeinigt. Dann gab es einen Konsens und keine Chefs, die etwas vorgegeben haben oder so. Aber grundsätzlich gibt es das Problem bei abgeschotteten Gruppen, die sich ja abschotten müssen, weil Sie Sachen machen, die vom Staat verfolgt werden, dass Sie schlecht diskutieren können mit Leuten, die nicht ein Teil davon sind. Dann ist dieser Austausch immer einseitig. So eine Gruppe kann zwar ein Flugblatt schreiben, kann Texte schreiben und die dann veröffentlichen, aber es wirklich lesen oder gar antworten, tun die Leute in den seltensten Fällen. Und ein wirkliches Gespräch gibt es wahrscheinlich nie. Das war ja auch eines der größten Probleme von der RAF. Die haben sich im Laufe der Jahre so dermaßen vom Rest der Bewegung und der Linken in Deutschland abgekapselt, dass sie sich nicht mehr verständigen konnten. Das waren wie zwei verschiedene Welten.

– Nun werdet ihr ja seit 30 Jahren vom Deutschen Staat verfolgt und lebt im Exil. Juristisch gesehen, ist im Grunde keine besonders Schwerwiegende Sache passiert. Es wurde niemand getötet & wahrscheinlich auch niemand verletzt. Warum lässt die deutsche Regierung eure Verfolgung nicht los? 

Peter Kraus: Ich denke da kommen zwei Sachen zusammen. Erstens die Thematik. Da es sich bei den Angriffen auf direkte Angriffe auf Repressions-Anstalten des Staates handelt, ist es für den Staat sehr heikel. Denn der Staat braucht diese Anstalten um zu existieren, ohne Repression gibt es keinen Staat. Und zweitens: Der deutsche Staat ist nun von seiner Grundformation sehr auf Effizienz und auf theoretisch sauberes Argumentieren angelegt. Also die können es sich nicht leisten zu sagen: „Ja, damals haben wir es so gesehen, doch heute sehen wir es anders“ – das geht nicht. Die Deutschen haben eine Meinung und die bleibt 1.000 Jahre lang bestehen. Das hat jetzt nichts mit dem tausendjährigen Reich zu tun, auch wenn es da natürlich Parallelen gibt. Wenn die Deutschen jetzt aber gesagt haben jemand ist Straftäter, dann würden Sie sich lächerlich machen, wenn sie irgendwann sagen würden: „Okay ist ja nix passiert, das können wir auch mal wegpacken.“ Vor sich selber und auch dem Rest der Welt. Nein, das können sie nicht. Sie sind einfach Bürokraten, sie müssen sich an ihr Regelwerk halten und müssen diese Verfolgung, bis ins letzte Glied aufrechterhalten. Wenn es notwendig ist, dann werden Sie wahrscheinlich noch mal die Gesetze ändern. In unserem Fall wurden zwar nicht die Gesetze verändert, aber so ungebogen, dass man aus 20 Jahren Verjährungsfrist 40 Jahre machen konnte. Wenn man sich da mal in die Begründung reinließt ist es total absurd, dann kann man nur den Kopf schütteln. Das hat mit Rechtswesen nichts mehr zu tun, das ist nicht logisch. Und dennoch bin ich mir sicher: Wenn ihnen irgendetwas einfällt, um nochmal aus 40 Jahren 80 Jahren zu machen, dann werden sie auch das tun. Einfach um Recht zu behalten, damit niemand auf die Idee kommt zu sagen: Der Staat ist angreifbar. Er ist irgendwie menschlich und macht Fehler. Der Staat soll nicht menschlich sein, der Staat ist eine Intuition und ist unangreifbar. Das ist ein Prinzip und gerade für die Deutschen ist es heilig. In allen anderen Ländern der Welt, durch die wir gekommen sind, hat es stets nur Unverständnis ausgelöst. Die Leute verstehen das nicht, die sagen, es ist doch lange her und es ist nichts passiert, warum ist jetzt nicht vorbei. In Kolumbien wird nach 10 Jahren niemand mehr drüber reden, Sie sagen: Okay, es ist vorbei, es ist nichts passiert. In Venezuela ist es genauso, 8 Jahre und dann ist es vergessen. Deutschland ist da anders, ganz speziell. Vielleicht ist auch England, Frankreich und Italien auch so. Die ganzen zentralen europäischen Mächte scheinen so zu funktionieren.

Thomas Walter: Ich kann mir auch noch eine andere Begründung vorstellen die dazukommt. Die ganze Geschichte damals, die war nicht besonders professionell. Das war ein bisschen tollpatschig alles, es wurden viele Fehler gemacht. Die Bullen haben sich irgendwie einen gelacht und dachten sich das sind solche Deppen, die haben wir in 2 Jahren. Dass sie diese dann in 20,30 Jahren nicht gekriegt haben, hat sie ja ganz persönlich als Bullen, als Staatsanwälte gewurmt. Dann zu sagen: „Okay, ihr habt gewonnen“ ist einfach noch mal eine schwere Übung für so Persönlichkeiten, die einfach gewohnt sind immer recht zu haben und immer alles schaffen, was sie sich vornehmen und ja eigentlich auch alle Mittel dafür haben. Also das könnte auch eine Rolle spielen oder ein Faktor sein.

– Ihr seid hier jetzt ja in ein Land gekommen, welches angeblich eine Revolution hinter sich hat und auch eine Linke Regierung hat. Das war bestimmt auch mit Hoffnungen verbunden. 2017 seid ihr an die Öffentlichkeit gegangen und habt offiziell Asylanträge gestellt. Als die angenommen wurden, wart ihr damit wahrscheinlich die ersten Deutschen die offen als politische Flüchtlinge anerkannt worden sind. Kam das für euch überraschend oder eher nicht?

Thomas Walter: Also in anderen Ländern soll es so welche Vorfälle ja vorher schon gegeben haben. Margit Schiller [ehm. Mitglied der RAF, Anm. d. Red.], ist zum Beispiel in Kuba untergekommen. Aber sie hatte kein Strafverfahren. Sie ist abgehauen, weil sie befürchten musste, dass sie eingesperrt wird und eine Sicherungsverwahrung bekommt. Aber Sie hatte eben keinen aktuellen Haftbefehl. Das ist schon was anderes in unserem Fall, da gibt es einen deutschen und europäischen Haftbefehl. Und, trotz des Haftbefehls hat die Regierung hier uns beschützt, das ist schon ziemlich besonders. Da kannst du von der Regierung halten, was du willst aber das die das gemacht haben, ist schon ziemlich mutig und einmalig. Uns hat das auch gewundert. Wir hätten jetzt eher gedacht die schleimen sich bei den Deutschen ein. Aber dass sie sich in dem Fall einfach ans Gesetz halten, hätten wir so nicht gedacht. Denn juristisch war es ja eindeutig und die Sachen waren hier verjährt und konnten nicht verfolgt werden. Doch Sie haben sich einfach ans Gesetz gehalten und dafür in Kauf genommen, von den Deutschen schräg angeguckt zu werden. Obwohl sie doch ökonomisch gesehen die Deutschen eigentlich brauchen. Die Turbinen von dem größten Wasserkraftwerk in Venezuela werden von Siemens geliefert und niemand anderes kann die bauen, also da sind sie eigentlich auf den „Good Will“ von der deutschen Regierung angewiesen. Daher war das schon ein bisschen erstaunlich was die gemacht haben.

Aber sie haben euch trotz des Haftbefehles aufgenommen und euch Asyl gegeben. Wie ist es als politischer Flüchtling in Venezuela?

Walter: Die Regierung hat uns zwar diesen Titel gegeben „politische Flüchtlinge“ aber darüber hinaus haben sie uns überhaupt nichts gegeben. Wir kriegen gar nix. Also keine Ausstellung eines Personalausweises oder Reisepasses. Der hiesige Vertreter der Flüchtlingskommission hat keinen Finger gerührt um uns einen UN-Pass als Staatenlose oder als Flüchtlinge zu besorgen. Wir konnten kein Bankkonto aufmachen und so weiter. Also sie haben nichts getan, sie lassen es einfach still, sie bemühen sich dann nicht weiter.

Wie ist es bei anderen politischen Flüchtlingen aus anderen Ländern?

Thomas Walter: Es gibt viele Kolumbianer, da ist es anders. Einfach, weil die kolumbianische Botschaft da viel humaner als die Deutschen sind. Die Deutschen sagen: Ne, die sind gesucht von der Polizei, die kriegen keine Pässe. Beziehungsweise sie geben uns einen Pass, weil das deutsche Recht sagt, das jeder Bürger einen Anspruch hat auf ein Passdokument und dem müssen sie nachgehen. Aber sie geben uns einen Pass, der nur einem Monat gültig ist und die Flüchtlingsbehörde beziehungsweise das Einwohnermeldeamt hier weigern sich uns mit diesem Zettel Personalausweise auszustellen.

Meinst du, das hat mit der allgemeinen Art der Bürokratie zu tun und ist eine politische Entscheidung oder denkst du, das ist die Faulheit einzelner Beamten?

Thomas Walter: Ne, es ist keine politische Entscheidung, es ist eine politische Nicht-Entscheidung. In dieser Gesellschaftsordnung läuft alles so, dass niemand irgendwas tut in dem Verwaltungsapparat, ohne einen Befehl dafür bekommen zu haben. Also die Gesetze werden nicht angewandt, solange nicht ein Anruf aus Caracas kommt, von dem zuständigen Ministerium und jemand dann sagt: übe oder führe das Gesetz aus. Sonst wird lieber nichts gemacht, dann kannst du ja auch nichts Falsches machen. Das ist nicht unbedingt Böswilligkeit, sondern es ist fehlende Gutwilligkeit.
Bei einem baskischen Kollegen von uns zum Beispiel, der hat eine ähnliche Situation und dem haben wir auch zum Teil unsere Anerkennung zu verdanken. Der hat richtig kämpfen müssen für seine Sache. Der Kollege hat also seine Anerkennung als Flüchtling bekommen, aber hatte dann auch die Situation und bekam keinen Ausweis, keine Papiere. Dann ist er vor die Ministerien gezogen und hat dort einen Hungerstreik gemacht. Erst hat er einen Hungerstreik vor der spanischen Botschaft gemacht, damit die einen Pass ausstellen, die haben sie sich geweigert, weil sie die Basken hassen und dann hat er sich vors Innenministerium gestellt und hat dort wochenlang kampiert und da auf jeden Fall richtig Druck gemacht. Und nach langem Nerven haben, hat der Chef der Einwohnermeldebehörde dann gesagt: Komm, mache ich dir halt jetzt einen Ausweis. Ohne jeglichen Papierkram und ohne Gebühren. Bei dir machen wir ne Ausnahme, du hast so lang genervt, da kriegst du halt mal dein Ausweis. Ist zwar nur ein Jahr gültig, also muss er sich nach einem Jahr wieder hinstellen und Hungerstreiken oder was weiß ich was. Also es geht grundsätzlich schon, wenn sich jemand irgendwie aufständisch ist. Wir haben jetzt halt beide keine Lust gehabt irgendwelche Hungerstreiks zu machen oder uns an Brücken zu ketten oder so. Auch wenn es mit Papieren schon schöner ist, es geht auch ohne. Es gibt hier so viel Leute die einen unterstützen, man kann Bankkonten nutzen von Freunden und Freundinnen. Man kann ohne Führerschein Auto fahren, wenn man kontrolliert wird bezahlt man halt nen paar Dollar, es geht alles Mögliche. Also die Lebensqualität an sich wird nicht wesentlich eingeschränkt, wenn man keine Papiere hat. Das ist ein ziemlich flexibles Land im Grunde, alles wird auf der Straße geregelt, in persönlichen Verhandlungen meistens.

Peter Krauth: Also um noch mal zu unterstützen, was Walter grade gesagt hat: Als ich verhaftet wurde am Flughafen waren es zum Beispiel selbst die Interpol-Bullen, die erst mal beim Innenministerium anrufen mussten. Dort kam dann der direkte Befehl, also es hat nicht ein kleiner Beamter gesagt: Den nehmen wir jetzt fest. Sondern das ging mit dem Telefon bis zum Innenminister. Die Entscheidungen kommen von oben, weil unten eine totale Angst herrscht etwas falsch zu machen.
Also deshalb mussten wir zum Beispiel auch 3 Jahre warten bis unser Asylantrag entschieden wurde. Weil niemand das entscheiden wollte. Keine Ahnung, wie sie es im Endeffekt gemacht haben aber wahrscheinlich hing das auch mit dem Hungerstreik von dem baskischen Kollegen zusammen.

– Es gibt ja viele, die denken, weil die Regierung ja schon großzügig ist, sei es besser erst mal die Füße stillzuhalten und es ruhig anzugehen. Bei dem, was ihr erzählt, klingt es eher so, dass es besser wäre den Weg in die Öffentlichkeit zu gehen?

Peter Krauth: logisch, du musst immer, egal um was es geht, etwas fordern. Also jetzt hier oder in Deutschland oder egal wo. Solange in unserem Fall zum Beispiel nicht darüber geredet wird, kümmert sich auch niemand drum. Also unser Versuch ist ja auch Öffentlichkeit zu schaffen, wir machen Zeitungsinterviews, Filme und Interviews über unseren Fall und um da drüber aufmerksam zu machen, wie Hanebüchen die Geschichte eigentlich ist. Dass es eigentlich um einen Fall geht, der völlig jenseits von Gut und Böse ist. Der einfach überhaupt keinen Sinn mehr macht, 30–35 Jahre her und nix ist passiert. Aber die Verfolgung läuft genauso wie immer.

– Vielen Dank euch beiden für das Interview. Ich wünsche euch alles Gute und dass die deutschen Behörden ihren Repressionsdrang euch gegenüber beendet.

Foto: Bart Vanzetti privat

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