Die Kontinuitäten des Französischen Kolonialismus und der antikoloniale Kampf in Gwada, Kanaky und Madinina

12. Februar 2025

Frankreich ist eines der Länder, welches einige seiner kolonialen Besitztümer bis heute unter verschiedenen administrativen Modellen verwaltet. Die andauernde Kontrolle über diese Gebiete verdeutlicht sehr bildhaft, wie koloniale Machtverhältnisse auf subtile und manifeste Weise in die Gegenwart hineinreichen.


Die meisten von euch haben sicher die Aufstände in Neukaledonien, eigentlich Kanaky, 2024 mitverfolgt. Selbst in Deutschland ist ab und zu die Flagge der Front de libération nationale kanak et socialiste (FLNKS) zu sehen. Der Präsident der FLNKS, Christian Tein, sitzt seit September 2024 in Untersuchungshaft in Mulhouse. Dort gab es immer wieder Solidaritätsdemonstrationen, die vor allem durch die Diaspora organisiert werden. Die französische Regierung wird in Redebeiträgen als Kolonialmacht, die Methoden der Verschleppung von mehreren Aktivist:innen durch die Polizei auf das Französische Festland als koloniale Praxis bezeichnet.

Frankreich klammert sich an seinen kolonialen Besitz

Die Geschichte des Kolonialismus ist eine der prägendsten und folgenreichsten Episoden der Weltgeschichte. Er bedeutete nicht nur territoriale Kontrolle, sondern auch systematische Ausbeutung von Menschen und Rohstoffen, die Etablierung rassistischer Hierarchien und die gewaltsame Unterdrückung indigener Kulturen. Die Herausbildung kapitalistischer Wirtschaftsstrukturen in Europa nach der Industrialisierung und die Herausbildung der herrschenden Klasse wurden maßgeblich durch die Ausbeutung des globalen Südens manifestiert.

Der französische Staat begann seine kolonialen Bestrebungen im 17. Jahrhundert und formte ein globales Imperium, das unter anderem die Karibik, Westafrika, Indochina und Teile Ozeaniens umfasste. Nach den anti-kolonialen Unabhängigkeitsbewegungen des 20. Jahrhunderts behielt Frankreich bestimmte Gebiete in seinem Besitz, die heute als sogenannte Départements et Régions d’Outre-Mer oder Collectivités d’Outre-Mer klassifiziert sind. Diese Überseegebiete sind formal Teil des französischen Staates, unterscheiden sich jedoch durch unterschiedliche Autonomierechte.

Martinique (Madinina) und Guadeloupe (Gwada) beispielsweise sind vollständig integrierte Départements und Regionen Frankreichs. Sie gelten als Teil der Europäischen Union und unterliegen vollständig französischem Recht, allerdings mit spezifischen Anpassungen an lokale Gegebenheiten. Neukaledonien (Kanaky) hingegen besitzt mit dem Abkommen von Nouméa von 1998 einen Sonderstatus mit „weitgehender Autonomie“. Dazu später mehr. Die Französisch-Polynesischen Inseln und die Süd- und Antarktisgebiete verkörpern Frankreichs geopolitische und strategische Interessen, indem sie eine Kontrolle über weite Seegebiete und wertvolle natürliche Ressourcen sicherstellen.

Der antikoloniale Widerstand geht weiter

Die französischen Überseegebiete sind von einer Geschichte des Widerstands gegen koloniale Unterdrückung geprägt, die bis heute anhält. Besonders Madinina, Gwada und Kanaky stehen exemplarisch für diese Kämpfe.

Auf Madinina und Gwada, wo die Kolonialisierung eng mit der Sklaverei und dem Zuckerhandel verbunden war, prägen die sozialen und wirtschaftlichen Ungleichheiten aus der Kolonialzeit ebenfalls die Gegenwart. Die Nachfahren der versklavten und kolonisierten Menschen sind heute immer noch diejenigen, die wirtschaftlich am stärksten benachteiligt und politisch marginalisiert sind. Der Reichtum liegt nach wie vor bei der weißen Siedlerbevölkerung. Im letzten Jahr eskalierten Proteste gegen die hohe Inflation auf den Inseln. Die Lebenserhaltungskosten sind 3 bis 4 mal so hoch wie auf dem französischen Festland. In Madinina und Gwada gibt es eine sehr starke Arbeiter:innenbewegung. Die Proteste und Streiks der letzten Jahre wurden auch maßgeblich durch Gewerkschaften mitgetragen. Die französische Regierung hatte wie so oft mit Repression reagiert und Bereitschaftspolizei auf die Inseln entsandt.

Zudem sieht sich die Bevölkerung mit den schrecklichen Folgen des Einsatzes von Chlordecon, eines hochgiftigen Pestizids, konfrontiert. Frankreich hat dieses Pestizid bis 1993 legal auf Bananenplantagen eingesetzt, obwohl es beispielsweise in den USA bereits in den 70ern verboten wurde. Studien zufolge sind 90% aller Menschen aus Gwada und Madinina mit dem Gift kontaminiert, genauso wie das Grundwasser, Flüsse, Seen und Nutztiere. Bis zu 700 Jahre soll es dauern, bis das Gift vollständig aus den Böden verschwunden ist. Immer wieder gibt es Kundgebungen, die eine Entschädigung fordern, erst 2023 wurde eine Klage zur Aufklärung des Gesundheitsskandals von der Justiz in Paris abgelehnt.

In Kanaky oder „Neukaledonien“ kämpfen die indigenen Kanaken schon lange einen blutigen Kampf um ihre Unabhängigkeit, insbesondere in den 1980er Jahren. Der antikoloniale Kampf der Bevölkerung hält bis heute an. Das Abkommen von Nouméa brachte 1998 zunächst eine Deeskalation, versprach eine schrittweise Übertragung von Kompetenzen und mehrere Unabhängigkeitsreferenda. Das letzte Referendum im Jahr 2021 entschied jedoch für den Verbleib bei Frankreich – ein Ergebnis, das von den Kanaken boykottiert wurde, da sie Frankreich Manipulation vorwarfen. Der Termin des Referendums wurde nicht mit der Einwilligung der Unabhängigkeitsbewegung getroffen. Die Enthaltung in der Provinz Nord lag bei über 60 %.

Auch in Kanaky gab es im letzten Jahr erneut eine Eskalation. Die Unruhen wurden durch ein umstrittenes Gesetz ausgelöst, dass den Kreis der Wahlberechtigten für die Provinzwahlen erweitern sollte. Diese Reform würde es neu zugezogenen Einwohnern ermöglichen, nach zehn Jahren Aufenthalt an Wahlen teilzunehmen. Dies hätte zur Folge, dass weiße Siedler:innen noch mehr Einfluss erhalten und jedes erneute Referendum für die Unabhängigkeit wieder zugunsten der Kolonialmacht Frankreich ausfallen würde. Schon in der Vergangenheit mussten Aktivist:innen der Unabhängigkeitsbewegung, darunter Mitglieder FLNKS, harte Repressionen erdulden. 2024 wurden neben Christian Tein mindestens sechs Mitglieder der Cellule de Coordination des actions de terrains (CCAT) von der französischen Polizei aus Kanaky nach Frankreich verschleppt, wo ihnen der Prozess gemacht werden soll. Die Proteste in Kanaky und die militanten Angriffe auf die Infrastruktur der Kolonialmacht hatten sich auch gegen den Nickel-Abbau gerichtet. Der antikoloniale Kampf ist wie so oft auch hier ein Kampf gegen die Ausbeutung der Natur und die Zerstörung des Lebensraums der indigen Bevölkerung. Kanaky verfügt über ein Viertel der weltweiten Nickelreserven, die im Tagebau abgebaut werden, um drei pyrometallurgische Verarbeitungsanlagen zu versorgen. Durch die natürlichen Ressourcen der Region hat Kanaky große wirtschaftliche Bedeutung für Frankreich und dies wird nicht zuletzt eine der Hauptgründe sein, warum Frankreich durch kein Referendum eine Unabhängigkeit zulassen wird.

Frankreichs Überseegebiete und wirtschaftlichen Einflussbereiche sind ein lebendiger Beweis dafür, wie tief koloniale Strukturen in die Gegenwart hineinwirken. Die Kämpfe um soziale Gerechtigkeit, politische Autonomie und die Anerkennung kolonialer Vergehen sind Ausdruck eines fortwährenden Widerstands gegen ein System, das Ungleichheit und Abhängigkeit bewahrt. Die Proteste auf Madinina, Gwada und Kanaky sind nicht nur lokale Phänomene, sondern auch ein globaler Aufruf zur Reflexion über die koloniale Vergangenheit und ihre fortdauernden Konsequenzen. Sie stehen in einem Kontext der Kämpfe von Unterdrückten weltweit. Sei es in Abya Yala, Kurdistan oder Palästina, die Antwort auf die Frage der Freiheit ist und war immer antikolonial.

Foto: Colonial empire of France, 1931 by William Longyear, via wikimedia commons

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