Kobanê war wie Stalingrad – Interview mit einem YPG-Kommandanten der Schlacht um Kobanê

18. Januar 2025

„Wenn ich jetzt an das Erlebte denke, dann kommt es mir vor als wenn ich mich einen Film erinnere. Ich frag mich manchmal ob das alles wirklich so passiert ist“.

Sicherlich hört ihr diese Worte nicht zum ersten Mal. Sie begegnen einem immer wieder, in Büchern mit erdachten Helden oder in Filmen, in welchen Fiktion und Fantasie alles möglich erscheinen lassen. Sind sie aber Abbild der Realität, bekommen sie, wenn man kurz innehält und darüber nachdenkt, eine bleiern schwere Bedeutung.

Heval Rubar ist als kleiner Junge mit seiner Mutter Ende der 80er Jahre aus Nordkurdistan nach Deutschland gekommen. Sein Vater hatte hier zuvor Arbeit gefunden. 25 Jahre später führt Rubars Weg zurück nach Kurdistan. Der IS ist auf dem Vormarsch. Den Kochlöffel tauscht er gegen die BKC. Serviert werden nun 7,62 mm.


LowerClassMagazine: Kobanê ist das Symbol des Widerstands gegen den IS schlechthin. Als die Offensive des IS gegen die kleine Stadt begann, die einer der Ausgangspunkte der Rojava Revolution 2012 war, berichtete auf einmal die ganze Welt über den Kampf der Kurdinnen und Kurden. Wie hast du die damalige Situation wahrgenommen?

Heval Rubar: Zu dieser Zeit habe ich in einem Restaurant in Deutschland gearbeitet. Die Gräueltaten des IS habe ich dann im Fernsehen gesehen. Ich habe gesehen, dass der IS immer mehr Städte eingenommen hat und nach Shengal gegangen ist. Tausende Menschen wurden dort getötet und Frauen die Köpfe abgeschnitten. Das habe ich im Internet gesehen und das hat mir weh getan. Daraufhin habe ich überlegt und mir gesagt, dass wir irgendwann alle sterben, für etwas Schönes zu sterben, das könne jedoch nicht jeder. Meine Entscheidung stand damit fest, nach Shengal gehen zu wollen und gegen diese Bedrohung für die ganze Menschheit zu kämpfen. Die Freunde, denen ich meinen Wunsch mitgeteilt habe, zu gehen und zu kämpfen, wollten mich eigentlich in die Berge schicken. Später sollte ich dann politische Arbeiten in Deutschland führen. Für mich stand aber fest, dass ich kämpfen wollte. Meinem damaligen Chef habe ich gesagt, dass ich mir Urlaub nehme. Die Tage, die mir bis zur Abreise geblieben sind, hab ich in dem Dorf verbracht, wo meine Eltern und ich lange gelebt haben. Dort habe ich noch einmal ihre Gräber auf dem Friedhof besucht. Vier Tage später war ich schon in der Stadt Urfa. Ein paar Tage musste ich in Nordkurdistan, in Urfa, warten, bis ein Weg nach Kobanê offen war. Wir waren zu siebt, zwei aus Deutschland, drei aus Frankreich. Von diesen sieben Freunden sind drei im Kampf gefallen und drei sind zurück nach Europa gegangen. Eigentlich sind wir nur zum Helfen gekommen und wollten danach wieder zurück.

Wie war das Gefühl als du in Kobanê angekommen bist? Wie können wir uns die damalige Situation dort vor Ort vorstellen?

Bevor wir an die Front gegangen sind, haben wir erst einmal 40 Tage lang militärische Ausbildung gesehen. Zu dem Zeitpunkt war kein Weg nach Shengal offen. Die Ausbildung war noch nicht ganz fertig, als der Angriff des IS auf Kobanê begonnen hat. Das erste, was ich mir dann in Kobane gedacht habe, war ‚Oh Gott sind wir arm‘. Die dort erlebte Freundschaft hat mich aber direkt von Herzen berührt.

Zunächst sind wir zur Front in das Dorf Şêxler gegangen. Hinter der Frontlinie haben wir immer direkt zwei Dörfer geräumt, damit sich das, was in Shengal passiert ist, nicht noch einmal wiederholt. Ich selbst war BKC-Schütze in einem ‚Haraketli Tabur‘, eine bewegliche Einheit. Wir wurden immer dorthin geschickt, wo es zu Gefechten gekommen ist. Şehîd Arîn Mîrkan war in derselben Einheit.

Mahmud Berxwedan (Binefs) war zu dieser Zeit der verantwortliche Kommandant in Kobanê. Nachdem wir uns zurückgezogen hatten, hat er zu uns gesagt, dass wir uns etwas ausruhen sollen. An der Front hatten wir ja keine Möglichkeit uns zu rasieren, keine Dusche und kein richtiges Essen. Wir haben unsere Kleidung gewaschen und uns circa eine Stunde ausgeruht. Unsere Kleider waren immer noch nass, als Mahmud Berxwedan wieder zu uns gekommen ist. Wir müssen sollten uns schnell bereit machen, da der IS nach dem Freitagsgebet einen Angriff plane. Wie befürchtet kam es am Freitag zu einem großen Angriff. Es waren wirklich ganz viele. Wie Ameisen haben sie ausgesehen. Sie sind auf uns zu gerannt und haben “Tekbir Allahu Ekber” geschrien. Wir waren zu dritt, ich, ein RPG Schütze und ein weiterer Freund. Wir hatten an der ersten Linie unser Mewzî, unsere Stellung. Zwischen mir und dem Mewzî, in dem der Freund mit dem Raketenwerfer lag, war ein Abstand von 50 Metern. Nachts wollte der IS vorstoßen. Mit mir war ein Junge, der augenscheinlich etwas Angst gehabt hat. Er meinte, er gehe mal kurz schauen, wo denn der Feind bleibe. Dann war er weg.

Gerade an diesem Tag hatte ich meine Kalaschnikow und meine Rext, die Weste mit Magazinen, nicht dabei gehabt. Die Freunde meinten nämlich, dass ich so beweglicher wäre und schneller rennen könne. Insgesamt waren wir nicht gut ausgestattet. Unsere Pistolen waren alt, wie hatten keine Kugeln und wir mussten von den getöteten Feinden die Waffen nehmen. An diesem Tag hatte ich nur noch eine Granate dabei.

Mein Mewzî hatte ich aus umliegenden Steinen errichtet. Vorne war ein kleines Loch, um daraus mit der BKC schießen zu können. Der Platz war sehr gut. Dann kam der IS mit Allahu Ekber und ich hab angefangen mit der BKC zu schießen. Ich glaube, dass ich in dieser Nacht viele von ihnen getötet habe. Viel konnte ich aufgrund der Dunkelheit nicht sehen. Vielleicht habe ich auch niemanden getroffen (lacht). Als mir die Patronen ausgegangen sind habe ich mit meiner Pistole weitergekämpft. Irgendwann hat sich aber eine Patrone verkeilt. In dieser Dunkelheit konnte ich höchstens 6-7 Meter weit sehen. Als ich mich umgeschaut habe, musste ich feststellen, dass zwei IS Leute mit einem Raketenwerfer auf mich zulaufen. Ihre Schüsse haben mich zum Glück verfehlt. Das Feuer haben sie dann eingestellt, da sie mich lebend wollten, um meinen Kopf abzuschneiden. Daraufhin habe ich meine einzige Granate genommen, den Stift gezogen und sie an meinen Brustkorb gedrückt. Im Bruchteil einer Sekunde habe ich mich aber noch umentschieden und die Bombe in Richtung der Stimmen geworfen. Nach der Explosion war es leise. Ich muss ziemliches Gück gehabt haben. Über Funk wurde mir dann gesagt, dass ich mich zurückziehen soll. Die 500 Meter zu unserer neuen Linie bin ich dann teilweise gerannt, teilweise auf dem Boden gekrochen. Meine Arme und Beine waren danach blutig. An diesem Tag hatten sie es nicht mehr geschafft unsere Stellung zu nehmen.

Wie ging es danach weiter? Die Stadt Kobanê ist ja mehr und mehr in eine Umzingelung geraten.

Erst einmal ist um 9 Uhr am nächsten Morgen Essen gekommen. Außer Mandarinen und Brot gab es aber nichts. Nachdem ich eine Mandarine und etwas Brot gegessen habe, ist eine Freundin auf mich zu gekommen und meinte zu mir, dass ich zusammen mit Heval Silava in ein vorgelagerte Stellung gehen soll. Von der letzten Nacht war zwar meine ganze Kleidung blutig, aber alle Kugeln hatten mich verfehlt. Die Freunde meinten deshalb, dass ich wieder in die vorgelagerte Stellung gehen solle, weil die Kugeln mich eh nicht treffen würden. Insgesamt hatten wir in der Stadt drei Verteidigungslinien aufgebaut. Als der Angriff des IS losging, sind sie direkt mit drei Panzern, mit schweren Dotschka-Maschinengewehren und dahinter zu Fuß auf uns zugerannt. Heval Silava hat eine Rakete aus der RPG geschossen, der Schuss ging aber leider daneben.

Unsere Stellung am Mishtenur Hügel war nicht länger zu halten. Ich und Heval Silava wollten uns aus dem Gebäude zurückziehen. Weit sind wir nicht gekommen, nach wenigen Metern mussten wir uns fallen lassen. Nun wurde auch von hinten auf uns geschossen. Die Feinde waren in das Stadtviertel Kaniya Kurda, das in unserem Rücken lag, eingedrungen. Beim Sprung hinter eine Mauer, hat mich eine Kugel an der linken Hüfte getroffen und ist an der Schulter wieder ausgetreten. Heval Silava wurde auch getroffen. Wahrscheinlich waren das Scharfschützen. Die IS-Kämpfer waren daraufhin nur fünf Meter von uns entfernt. Sie hätten uns in dieser Situation mit Leichtigkeit töten können, aber sie wollten uns lebend gefangen nehmen, um uns dann zu enthaupten. Mit dieser Methode sollte unsere Moral und unsere Psyche zerstört werden.

Unserer Kommandantin Heval Medya gelang es, sich zu uns durchzuschlagen. Sie rief uns zu, dass wir aufstehen und rennen sollten. Ich war dazu außerstande und bin eingeschlafen. Vor meinem inneren Auge habe ich Weizenfelder gesehen über denen ich geflogen bin, was sehr sehr schön war (pfeift leise). Dann bin ich wieder aufgewacht, auf dem Rücken von einem Freund. Ich wurde zu einer Ambulanz gebracht. Dort wurden mir die ganze Zeit Backpfeifen gegeben, damit ich nicht einschlafe. Ich und ein weiterer Freund mussten aufgrund der Schwere unserer Verletzungen zur Behandlung nach Urfa gebracht werden. Auch dort konnten sie mich nicht versorgen, da sich mittlerweile zu viel Blut im Oberkörper gesammelt hatte. Es hieße, ich müsse nach Amed gebracht werden. Ich war nicht in der Lage zu sprechen. Die Worte vom Arzt konnte ich aber ganz klar hören: “Vielleicht wird er überleben”. Mehrere Stunden hat die Fahrt mit dem Rettungswagen nach Amed gedauert. Währenddessen bin ich weggetreten….

…. Erst vier Tage später hab ich meine Augen im Krankenhaus wieder aufgemacht, ich lag also im Koma. Nach 12 Tagen mussten mich die Freunde aus dem Krankenhaus holen, weil die türkische Polizei in den Krankenhäusern auf der Suche nach verletzten Freunden war. Illegal bin ich dann wieder über die Grenze nach Derik gebracht worden, wo ich einen Monat Kräfte sammeln konnte. Danach ging es wieder nach Kobanê.

In Kobanê war in der Geschichte der Freiheitsbewegung Kurdistans eine wesentliche Erfahrung. Wenige Organisationen der Region haben solch eine Praxis im Städtekrieg entwickeln können. Kannst du uns schildern wie die Kriegsführung in Kobane ausgesehen hat?

Wir mussten Tag und Nacht kämpfen. Ich erinnere mich noch genau an die Kälte. Fast alle Freunde waren verwundet. Ein Freund hatte beispielsweise Maden in seiner Wunde und auch meine Wunde war sehr schwer entzündet. Einmal am Tag hat sich ein Arzt unsere Verletzungen angeguckt. Wir haben trotzdem weiter gekämpft. Stück für Stück ist es uns gelungen, den IS aus der Stadt heraus zu treiben, wodurch sich die Kämpfe wieder auf die Dörfer verlagert haben. Zur Verteidigung der Stadt sind Menschen aus allen Teilen Kurdistans nach Rojava gekommen. In meinem Taxim waren auch türkische Internationalisten von sozialistischen und kommunistischen Organisationen. Vor Ort habe ich auch zwei kurdische Frauen kennengelernt, die aus Europa nach Kobanê gekommen sind und dort gefallen sind. Es ist dabei auch Realität, dass manche an die Front gekommen und dort direkt gefallen sind, ehe sie überhaupt ein Glas Wasser in der Stadt getrunken haben.

Die Bilder von Şehîd Arîn Mîrkan sind mir noch klar im Kopf. Sie hat sich in die Luft gesprengt hat, um den Vormarsch des IS zu stoppen. Neben ihr haben sich noch andere FreundInnen aufgeopfert. Ein anderer Freund, der später in Raqqa gefallen ist, hatte in einer Situation bereits den Stift aus seiner Handgranate gezogen und dann festgestellt, dass sich nicht Feinde, sondern FreundInnen nähern. Mit seiner Hand hat er die Granate dann so fest umschlossen, dass die anderen von uns keine Schrapnells abbekommen. Er aber hat seinen Unterarm durch die Explosion verloren. Ein anderer Freund, dessen ganze Schädeldecke durch eine Kugel aufgerissen worden war, hat nur mit einem Tuch verbunden weitergekämpft. Später ist er auch im Kampf gefallen. Insgesamt kann man sagen, dass wir alle sehr große Hoffnung hatten und in jedem Moment diese tiefe Freundschaft gespürt haben. Wir wussten für was wir sterben würden.

Den Islamischen Staat stellen sich viele Menschen auf der Welt als ‚das Böse‘ schlechthin dar. Wie hast du den IS ‚von Angesicht zu Angesicht‘ wahrgenommen.

Einen anderen Tag haben wir furchtbaren Lärm und „Tekbir – Allahu Ekber“ Schreie gehört. Wir dachten, dass das bestimmt tausende von denen sein müssen. Gesehen haben wir aber nur einen, den wir dann niedergeschossen haben. Erst dann haben wir festgestellt, dass er sich einen Lautsprecher auf den Rücken geschnallt hatte. Die IS Kämpfer waren nicht dumm und sie haben auch nicht schlecht gekämpft. Ich selbst hatte, bevor ich nach Kobane gekommen bin, keine Ahnung von Krieg. Das was ich wusste habe ich vorher durch das Anschauen von Kriegsfilmen gelernt. In der 40 tägigen Ausbildung haben wir gelernt wie man schießt. Das meiste habe ich im Krieg selbst gelernt. Wenn beispielsweise ein Freund oder eine Freundin neben mir waren, die bereits Erfahrung aus dem Guerillakrieg in den Bergen hatten, hab ich immer nachgefragt. Auch von IS Kämpfern habe ich mir abgeschaut, wie sie sich bewegen und wo sie in Deckung gehen. Wenn du überleben willst, dann musst du deinen Kopf benutzen und schnell lernen. Im Städtekrieg bewegt man sich von Haus zu Haus, indem man mit Vorschlaghämmern Löcher in die Wände schlägt. Das hat der IS natürlich zeitgleich auch gemacht. Wer es zuerst in einen Raum geschafft hat, der hat überlebt.

Der Sieg in Kobanê jährt sich nun zum 10. mal. Kobane ist zu so etwas wie einem modernen Mythos geworden. Welche Auswirkungen hat der Kampf für dich persönlich gehabt? Was hat sich nach dem Sieg von Kobanê für das Kurdische Volk geändert?

Ich bin ja eigentlich nicht für das kurdische Volk nach Kobanê gekommen, sondern für Shengal und die Menschheit. Wenn du die Freundschaft im Krieg erlebst und du siehst, wie sich jemand für einen anderen Freund und vor eine Kugel wirft, dann vergisst du das dein Leben lang nicht. Erklären kann ich das Gefühl nicht so gut, das muss man selbst erlebt haben. Mit dem Kriegseintritt der Internationalen Anti-IS Koalition hat sich die Lage natürlich verändert und wir hatten nicht mehr das Gefühl, komplett alleine dazustehen. Als die Flugzeuge angefangen haben, die Stellungen des IS zu bombardieren, hab ich zum Spaß gesagt, dass wir von jetzt an gut schlafen können. Natürlich war das nicht so. Im Krieg waren wir froh, wenn wir in der Nacht mal 1-2 Stunden die Augen zu bekommen haben.

Kobanê war von seiner Bedeutung wie Stalingrad. Du weißt, dass du für was kämpfst und das erfüllt dich mit Stolz. Unsere eigenen Gefallenen haben wir immer versucht zu bergen. Manchmal sind dafür vier oder fünf FreundInnen gefallen. Ich kann mich noch erinnern, dass unsere Einheit zwei FreundInnen bergen wollte. Ein Team ist losgegangen und sieben FreundInnen sind gefallen. Der IS hatte dort eine Mine platziert. Eine zweite Gruppe ist daraufhin losgegangen und 12 FreundInnen wurden verletzt. Erst als Flugzeuge der Koalition gekommen sind und lauter Staub nach der Bombardierung in der Luft war, konnten wir unsere Gefallenen bergen.

Beim IS war das etwas anderes. Wenn ein normaler Kämpfer getötet wurde, war das denen egal. Einmal haben wir aber einen Emir erschossen. Die IS Kämpfer sind wie Verrückte unter unserem Feuer zum Emir gerannt, um ihn vom Boden aufzuheben. Bestimmt 250-300 von denen sind dabei gestorben. Irgendwann sind uns die Kugeln ausgegangen und dann haben wir nicht weiter geschossen.

In zahlreichen Revolutionen in der Geschichte blieb das Kriegshandwerk Sache der Männer. Frauen wurde untersagt sich daran zu beteiligen. Im Gegendatz dazu wird die außerordentliche Rolle von Frauen in der Verteidigung Kobanes oft hervorgehoben. Wie hast du die Rolle von Frauen im Krieg wahrgenommen?

Diese Frage ist sehr wichtig. An unserer Seite haben sehr viele Frauen gekämpft. Die Wahrheit ist, dass die meisten Frauen besser als wir Männer gekämpft haben. Dadurch, dass sie an unserer Seite gekämpft haben, haben auch wir mehr Kraft bekommen. Wenn du neben einer Frau gekämpfst, dann empfindest du Stolz. Ich habe ja davon erzählt, dass als ich mit Heval Silava in der Stellung war. Damals hatte sie zuerst gesagt, dass sie den anrückenden Feind mit ihrer RPG beschießt. In der Situation konnte ich natürlich nicht sagen, dass ich Angst hatte. Stattdessen hab ich dann gesagt: „Ich schieße auch mit“.

In der Verteidigung von Kobanê haben die Frauen wirklich eine große Rolle gespielt. Auch der IS hat große Angst vor den Frauen gehabt, gerade bei ihrem „tilili“ Schlachtruf. Die Frauen waren stärker als Männer und sie waren immer an vorderster Linie. In meinem vorherigen Leben in Deutschland habe ich Frauen anders gesehen. Beispielsweise meine Mutter und meine Schwester, die sich immer um die Kinder kümmern und Essen machen sollten. Wenn du siehst, dass Frauen zweimal so stark wie Männer kämpfen, dann verändert das natürlich ein solches Weltbild. Ich könnte noch viel mehr davon erzählen, wenn man es aber nicht selber erlebt hat, dann kann man sich das nur schwer vorstellen.

Was willst du unserern Leserinnen und Lesern noch mit auf den Weg geben?

Der Widerstand von Kobanê war ein Stich ins Herz vom IS und genauso ins Herz der Türkei. Die berüchtigsten Kämpfer und Kommandanten vom IS sind in Kobanê getötet worden. Diese Kräfte wollen daher immer noch Kobanê einnehmen. Der IS hat seinen Fehler eingesehen, zuerst versucht zu haben Kobanê vor dem Rest Syriens einzunehmen. Mit solch einem Widerstand hatte niemand gerechnet. Gerade besteht aber die Gefahr, dass versucht wird, Kobanê zu umzingeln, indem von der Karakozak Brücke und Ain Issa angegriffen wird. Jedes Kind hier weiß aber, dass in Kobanê die Menschheit verteidigt wurde. Wenn Kobanê gefallen wäre, dann hätte den Vormarsch des IS keiner stoppen können.

Jedes eingenommene Dorf hat für den IS zehn neue Kämpfer bedeutet, jede Stadt hundert. Die Zahl der Kämpfer ist also stetig gewachsen. In den Dörfern, die wir befreit haben, habe ich einen IS Kämpfer gesehen, der nicht einmal eine Pistole hatte und auf Badelatschen gelaufen ist. Vier Kugeln von mir hatten ihn getroffen, er ist trotzdem „Allahu Ekbar“ schreiend auf uns zu gerannt. Erst nachdem ihn die fünften Kugel in den Kopf getroffen hatte, ist er in sich zusammengesackt. Bei der Durchsuchung haben wir eine Spritze und Drogen gefunden. Das war bei sehr vielen IS-Kämpfern so. In einem Gefecht an der Karakozak Brücke haben wir 17 Kämpfer aus den Spezialeinheiten von IS getötet. Unter ihnen waren Deutsche, Griechen, Chinesen und Afrikaner. Alle waren sehr hochgewachsen und trugen große Dolche bei sich. Bei dem Deutschen haben wir einen Koran auf Deutsch gefunden. Ebenso waren auch Tschetschenen, Kurden und Türken mit dabei. Hätten wir den IS damals nicht in Kobanê gestoppt, dann hätte ihn niemand mehr stoppen können. Ich glaube nicht, dass sie Kobane angreifen. Das liegt nicht nur an unserer Stärke, sondern daran, dass Kobane zu einem Symbol für die Welt geworden ist. In diesem Leben kann aber alles passieren.

Foto: YPGà Kobané4,VOA,C0 via wikimedia

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