Am Sonntag, den 6. Februar 2022, war „Dicke-Pulli-Tag“ in Hannover. Das Nachhaltigkeitsbüro der niedersächsischen Landeshauptstadt machte sich daran, Welt und Klima zu retten und so streifte eine Handvoll angehender Modedesigner:innen wie schon im Vorjahr schräg anmutende Kollektionen über und hielt Schilder mit Parolen in die Kamera. „Heizung aus, Pulli an“, war da zu lesen. Und noch witziger: „Man muss nur wolle“ auf einem Wollpullover.
Ist das zynisch in einer Zeit, in der sich viele Werktätige und Erwerbslose die Heizkosten nicht mehr leisten können, während Jeff Bezos sich eine Yacht bauen lässt, für deren Durchfahrt eine Brücke in Rotterdam demontiert werden muss? Ja. Hilft es bei der Bewältigung der Klimakrise? Null. Und genau deshalb liegen Aktionen wie diese im Trend.
Rund 16 Stunden Fahrradfahrt entfernt, in Berlin, blockierten schon in den Wochen vor dem Hannoveraner „Dicke-Pulli-Tag“ eine Handvoll Klima-Aktivist:innen immer wieder zu den Stoßzeiten Autobahnen. Hier sind nicht die Heizungsaufdreher:innen im Fokus, sondern die mit Auto zur Arbeit pendelnden. Die Pendler:innen reagieren gereizt, gelegentlich mit Gewalt. Die rechte Presse schlachtet genüsslich aus, dass auch Rettungswägen eingeschränkt werden. Diejenigen, die ohnehin nichts von Umweltaktivismus halten, ergießen sowieso ihre Häme. Aber auch viele, die grundsätzlich die Ziele teilen, sehen den Sinn der Protestform nicht. Die Verteidiger:innen offenbaren im Internet in der Defensive ihr Weltbild: Man sehe gar nicht ein, warum Leute noch arbeiten gehen, sollen sie doch einfach aufhören, schreiben einige. Schließlich sei es „5 nach 12“ und man müsse jetzt „was tun“, egal was. Manche Aktivist:innen versteigen sich zu offenem Sozialchauvinismus: Umverteilung von Vermögen bringe für Klimaschutz gar nichts, da konsumieren ja nur dann Arme statt Reiche. Und: „Wir haben z.B. gerade die schwierige Situation, dass diverse Schwellenländer sich unserem Lebensstandard annähern (mit Bauboom, Verkehr und Fleischkonsum) und das eigentlich nicht zugelassen werden darf. So hart das klingt.“
Individualisierung der Umweltkrise
Eigentlich ist die Sache offenkundig und in den antikapitalistischen Kreisen der Klimabewegung längst common sense: Der Kapitalismus ist nicht in der Lage, das Mensch-Natur-Verhältnis auf eine Grundlage zu stellen, die das Überleben der Menschheit gewährleistet. Er kann es nicht, weil sein Imperativ Kapital zu akkumulieren, nur aufgeht, indem er die zwei Springquellen des Reichtums, den Arbeiter und die Natur, ausbeutet. Und weil die Akkumulation maß- und schrankenlos ist, kann ein Planet mit endlichen Ressourcen an ihr nur zugrunde gehen. Es ist irrelevant, welche Technologien angeblich eine „grüne Wende“ im Kapitalismus einleiten sollen, sie werden sofort in den Imperativ der Kapitalakkumulation eingebettet und die Sache geht weiter in Richtung Abgrund. Es gibt keine „nachhaltige Zähmung“ dieses Monsters und alle Daten aus vorherigen mit viel PR-Gedöns vorgetragenen Ansätzen dazu stützen diese Auffassung.
Weil die Sache so einfach ist, müssen von denjenigen, die an der Erhaltung eben dieses Kapitalismus interessiert sind, Ideologien in Umlauf gebracht werden, die sie verschleiern. Die Individualisierung der Umweltkrise ist eine der wichtigsten Säulen der Erhaltung des Status Quo. Es ist ein alter Hut, dass die Popularisierung des personalisierten „carbon foot print“ auf die Kappe von PR-Agenturen ging, die von multinationalen Konzernen beauftragt wurden. Vermittelt werden sollte: Wir sind alle im selben Boot und ihr, die Konsument:innen, seid ja am Ende Schuld dran, dass so viel Dreck produziert wird.
Die These, die dahinter steht, ist – auch bei denen, die gerne die auswendig gelernten Phrasen von „strukturellen Ursachen“ bemühen -, dass letztlich ohne Revolution und im Kapitalismus die Sache noch irgendwie gewuchtet werden könne, wenn „wir“ uns nur „alle“ einschränken. Da das „wir“ klassenneutral gedacht ist – also den auf Mindestlohn darbenden LKW-Fahrer genauso einschließt wie den Vorstandsvorsitzenden von BMW -, ist es einfacher sich an denen abzuarbeiten, die ohnehin schon nichts mehr haben. Den anderen läuft man selten über den Weg. Die anonyme Masse, die sich vermeintlich oder tatsächlich weigert, sich „einzuschränken“, ist die treibende Kraft hinter der Zerstörung der Natur. Der Bockwurst fressende, Stinke-Auto fahrende Pendelproll, der einmal jährlich nach Malle fliegt, ist, eingestanden oder nicht, die Zielfigur dieser Politik. Der muss bestraft werden, indem man ihn beschämt oder sich eben am Freitag nachmittag vor sein Auto setzt, auf dass er demnächst mit dem Fahrrad zur Arbeit radle. Der Unternehmensberater aus Stuttgart tut ja schon alles, er hat sogar Solarzellen auf seinem Eigenheim, was soll man an ihm noch ändern?
Wen erreichen?
Der letztlich liberale Aktivismus, der aus der Analyse entspringt, dass „wir alle“ jetzt sofort „unseren Lebensstil“ ändern müssen, hat mehrere Probleme. Das systematische ist, dass er die Ursachen für die vom Kapitalismus gemachte Klimakrise verkennt und sich deshalb an Symptomen abarbeiten muss. Die zweifellos notwendige Veränderung des Konsumverhaltens wird von ihrer Voraussetzung – der Änderung der Produktionsweise – getrennt und läuft ins Leere.
Das organisatorische Manko ist: Der Ansatz führt in die Isolation, weil irgendwie will ihn die stumpfe Masse nicht verstehen – und selbst die, die ihn total gut finden, schränken sich selbst in den seltensten Fällen bis zur Wald- und Wiesenexistenz ein. Man redet sich dann zwar gegenseitig gut zu, klopft sich auf die Schulter und erklärt die dummen Arschlöcher, die trotz wissenschaftlich bestätigtem Countdown immer noch zur Maloche fahren, zu unverbesserlichen Anhängern der „Auto-Ideologie“, die Grillfraktion zu Opfern der „Fleisch-Ideologie“. Aber am Ende hilft alles nichts, man steht hier, die anderen da.
Auf der anderen Seite der Barrikade sieht es nicht besser aus. Ich kann es aus meinem Arbeitsumfeld sagen und stand selber in einem der Staus. Den Aktivist:innen wird alles mögliche zugeschrieben, was eigentlich auf die Kappe anderer geht. Sie werden als „privilegiert“ wahrgenommen, der Stress, der durch den Stau entsteht, wird nicht als Auswirkung des sowieso vorhandenen Arbeitsdrucks gesehen, sondern eben individualisiert: Die Aktivist:innen sind schuld. Dass man selber nicht gut genug verdient, liegt nicht am Chef, sondern dass man auch noch „solche da“ durchfüttern muss, die ja wohl sicherlich von staatlichen Leistungen leben. Und so weiter. Auch hier jede Menge Ideologie der Herrschenden.
Die Blockade-Aktion, wie nobel auch immer ihre Intention war, verstärkt eine Kluft, die vielleicht ohnehin schon vorhanden war. Jedenfalls aber hat sie kein Interesse an denen, die sie da blockiert. Auf der Homepage der Organisation, die das Autobahnsitzen betreibt, wird auch klar, warum. Es handelt sich nicht um eine „Radikalisierung“ der Klima-Bewegung, sondern vielmehr das Gegenteil: Man hofft auf Gesetze durch die Regierung, Verantwortungsgefühl bei den Konzernen und beschwört die Verfassung. Man will nicht eine Massenbewegung erreichen, sondern man will durch „direkte Aktionen“ so stören, dass die Herrschenden aus Einsicht oder warum auch immer, Gesetze beschließen, die das Menschheitsdesaster abwenden.
Ohne Massen keine Lösung
Dass Aktivist:innen überhaupt etwas tun, sich selbst in die Wagschale werfen, ist anzuerkennen. Einer liberalen Ideologie aufzusitzen, die Tag für Tag durch die Leitmedien, die Think Tanks, die PR-Agenturen der Unternehmen und die auf ökologisches Marketing setzenden Parteien in die Köpfe gedrückt wird, ist auch keine moralische Schuld. Völlig nachvollziehbar ist, dass angesichts der Größe der Krise viele das Gefühl haben, jetzt schnell etwas tun zu müssen – was auch durchaus eine richtige Einschätzung der Lage ist.
Nur leider führt „irgendwas tun“ in den seltensten Fällen zu dem Ziel, das man sich gesetzt hat, manchmal auch einfach davon weg. Und die Sache an der Klima-Krise ist eben, dass sie von den anderen multiplen Krisen des Kapitalismus nicht zu trennen ist: Nicht von der imperialistischen Produktionsweise, die vom Outsourcing und Offshoring der arbeitsintensiven und umweltschädlichen Produktionsteile in den Trikont lebt; nicht von Krieg und Hochrüstung; und nicht von der Klassenspaltung. Man muss Klima-Krise und diese anderen Aspekte des Kapitalismus nicht äußerlich „zusammendenken“, man kann sie nur trennen um den Preis, in liberale Irrwege abzurutschen.
Ohne die Vergesellschaftung der Produktion und die Aneignung der Macht durch die organisierte Gesellschaft gibt es nicht einmal die Möglichkeit, die Katastrophe noch abzuwenden. Das aber geht nicht ohne Massenbewegung. Wer das teilt, kann aber Aktionen weder nur zum Appell an die Eliten, noch zur Selbstbestätigung machen. Das Gefühl „ich tue ja was, die dumme Mehrheit aber nicht“ mag über die Wintermelancholie retten, vor dem Untergang der Menschheit rettet es nicht. Auch wenn es „5 nach 12“ ist, führt an dem langen Weg zum Ziel, zumindest eine handlungsfähige Mehrheit der Gesellschaft gegen den Kapitalismus und seinen Staat in Stellung zu bringen, kein Weg vorbei. Auf Autobahnen sitzen oder das Abdrehen der Heizung zu romantisieren, bis es 10 nach 12 ist, bringt diesem Ziel keinen Schritt näher.
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