So ziemlich alle in diesem Land dürften mittlerweile wissen, was mit dem Begriff „Streisand-Effekt“ gemeint ist. Für diesen Umstand und für eine überragende bundesweite Bekanntheit seiner selbst hat der Hamburger Innensenator und rechte Sozialdemokrat Andy Grote gesorgt. So gut wie kein Medium lässt es sich nehmen, unter dem Schlagwort „Pimmelgate“ in meist süffisantem Tonfall über die Vorgänge zu berichten, um die es hier geht. Weil er sich von einem harmlosen Tweet bei Twitter vor einigen Monaten beleidigt fühlte, trat Grote eine Lawine los, die ihn jetzt überrollt – so lustig das Ganze auf den ersten Blick wirkt, sollte der Vorgang nicht dazu führen, den Mann nur noch als Clown zu sehen und die Folgen seiner Politik aus dem Blick zu verlieren.
Ehe jetzt jede Menge Leser*innen hektisch zu Wikipedia wechseln, sei der Begriff „Streisand-Effekt“ hier kurz erklärt. Dazu ist es zielführend, den ersten Satz des entsprechenden Artikels der Online-Enzyklopädie wörtlich zu zitieren „Als Streisand-Effekt wird das soziologische Phänomen bezeichnet, wenn der Versuch, eine unliebsame Information zu unterdrücken, das Gegenteil erreicht, indem das ungeschickte Vorgehen eine öffentliche Aufmerksamkeit erzeugt, die das Interesse an der Verbreitung der Information deutlich steigert.“ Besser und treffender kann man nicht ausdrücken, was der auch früher schon nicht durch geschicktes Agieren aufgefallene Grote losgetreten hat.
Woher der Begriff „Streisand-Effekt“ kommt, sei hier auch noch erläutert. Er geht zurück auf einen Vorgang, der von der US-amerikanischen Sängerin, Schauspielerin und Regisseurin Barbra Streisand 2003 ausgelöst wurde, als sie einen Fotografen und die Website Pictopia.com erfolglos auf Zahlung von 50 Millionen US-Dollar Schadensersatz verklagte. Und zwar ging es ihr darum, dass auf einer der auf der Website veröffentlichten 12.000 Luftaufnahmen der Küste Kaliforniens, die die Küstenerosion für das „California Coastal Records Project“ dokumentierten, Streisands Haus zu sehen war. Natürlich hatte das keine Sau gewusst – erst durch die Klage verbreitete sich das Foto lawinenartig im Internet und alle wussten, wo das Luxusanwesen der guten Barbra steht. Früher nannte man das ein klassisches Eigentor, ab da halt „Streisand-Effekt“.
Wie das bei Grote lief, dürfte allgemein bekannt sein. Der Account einer Fankneipe des FC St. Pauli schrieb bei Twitter in Richtung des Senators: „Du bist so 1 Pimmel.“ Es folgte ein Strafantrag Grotes gegen diese „Beleidigung“ und eine Hausdurchsuchung, die dem vermeintlichen Autor des Tweets galt. Richtig Fahrt bekam die Sache, als Aufkleber mit dem Slogan auf St. Pauli auftauchten, die Polizisten abkratzen mussten, und der Satz aus dem Tweet schließlich Ende Oktober groß auf einer Plakatwand des autonomen Zentrums Rote Flora im Schanzenviertel landete. Zweimal rückte die Polizei an, um ihn zu übermalen, die Aufschrift wurde jedesmal erneuert, so dass die Polizei das Übermalen schließlich aufgab.
Natürlich ist Schadenfreude über das saudämliche Verhalten von Andy Grote durchaus angebracht. Auf der anderen Seite ist es nicht ganz ungefährlich, dass der Vorgang die Beurteilung des Sozialdemokraten ins Lächerlich-Harmlose verschiebt. Denn was der Mann, der im rechten Flügel der insgesamt schon rechten Hamburger Sozialdemokratie sozialisiert wurde, in den vergangenen Jahren angerichtet hat, ist nicht harmlos. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben, sei hier darauf verwiesen, dass er der verantwortliche Senator für den gigantischen Polizeieinsatz zur Absicherung des G-20-Gipfels im Sommer 2017 gewesen ist.
Unvergessen ist Grotes faustdicke Lüge, der Gipfel werde ein „Festival der Demokratie“ sein. Tatsächlich wurden Grundrechte massiv eingeschränkt, etwa durch die Einrichtung einer großen Demo-Verbotszone. Die Polizei ging gegen Camps von Gipfelgegnern vor, auf die massive Gewalt gegen Demonstrant*innen von Anfang bis Ende des Gipfels und auf die Zustände in der Gefangenensammelstelle muss hier nicht näher eingegangen werden, weil darüber bereits genug geschrieben wurde. Der Hamburger Innensenator bekam damals zu Recht einen Spitznamen verpasst: „Verbote-Grote“. Er erwies sich damals als braver Kettenhund seines „Masters“, des damaligen Ersten Bürgermeisters Olaf Scholz, der sich gerade anschickt, Bundeskanzler zu werden. Das sollte man bei allem berechtigten Gelächter über „Pimmelgate“ nicht vergessen.
Was der G-20-Gipfel und auch die nachfolgende Fahndungswut der Soko „Schwarzer Block“ vor allem gezeigt haben: Grote und seine Polizei sind nicht zimperlich, wenn es gegen Linke geht. Da schert man sich nicht um die Gesetze, wie zum Beispiel die fragwürdigen Öffentlichkeitsfahndungen nach Gipfelgegnern gezeigt haben. Auch bei Demonstrationen wird im Zweifelsfall ordentlich hingelangt, wie sich etwa bei der Auflösung der „Welcome to hell“-Demo zu Beginn des Gipfels gezeigt hat. Und das ist eigentlich der Punkt: Es ist mehr als grotesk, wenn ein Politiker und eine Polizei, die dermaßen austeilen, sich über die Bezeichnung „Pimmel“ aufregen.
„Selbst Andy Grote geht zum Schlagermove, trägt dort eine bunte Kette und einen dummen Hut –
Selbst Andy Grote geht zum Schlagermove, pisst vor seine eig’ne Haustür –
Was für ein Idiot! Was für ein Idiot! Was für ein Idiot!“ (Oidorno, 2019)
# Titelbild: Rasande Tyskar, Hamburg, 24.10.21, Attribution-NonCommercial 2.0 Generic (CC BY-NC 2.0)