Türkische Militäroperationen gegen die sozialistische Arbeiterpartei Kurdistan (PKK) werden in der westlichen Öffentlichkeit zumeist totgeschwiegen. Dabei handelt es sich bei den mit Luftwaffe und Bodentruppen, Helikoptern und Panzern durchgeführten Attacken keineswegs um irgendwelche Polizeieinsätze, sondern um handfeste Kriege samt ziviler Opfer. Die Namen der Operationen wechseln, aber eigentlich handelt es sich um einen durchgängigen Feldzug im Grenzgebiet zwischen der kurdischen Autonomieregion im Nordirak und den mehrheitlich kurdischen Gebieten auf dem Territorium der Türkei.
Die Operationen haben allerdings häufig wenig Erfolg. Die Guerilla der PKK hat Jahrzehnte Erfahrung und die gebirgige Region ist ihre Heimat. Türkische Soldaten geraten häufig in Hinterhalte, nennenswerte Gebiete über längere Zeit halten, können sie nicht. Auch deshalb greift die Türkei nun seit einigen Monaten auf international geächtete Waffen zurück.
Bereits Anfang Oktober behauptete die Guerilla-Kommandantin Beritan Dersim vom Militärrat der Frauenverteidigungskräfte YJA-Star, dass die Türkei schon seit 5 Monaten Chemiewaffen gegen die Guerilla einsetze. Seitdem sind eine Reihe weiterer Indizien an die Öffentlichkeit gelangt. Neben Augenzeugenberichten existiert Videomaterial aus den Tunnelsystemen der Guerilla, die selbige gefüllt mit grünlich schimmerndem Gas zeigen. „In ihren monatlichen Bilanzen haben die HPG (Volksverteidigungskräfte) 132 Angriffe mit chemischen Waffen auf Guerillakräfte zwischen dem 23. April und dem 23. August bestätigt. Seitdem gab es Dutzende weiterer Angriffe. Diese Angriffe haben unmittelbar zum Tod von mehr als einem Dutzend Mitgliedern der Guerilla geführt“, schreibt der Kurdische Nationalkongress KNK in einem Dossier.
Es ist dabei keineswegs das erste Mal, dass die Türkei verbotene oder geächtete Waffen gegen kurdische Gruppierungen einsetzt. Bereits bei ihrem Einmarsch im nordsyrischen Serekaniye im Oktober 2019 zeigten Aufnahmen Bombardierungen von Wohngegenden mit Weißem Phosphor. Nachgewiesen ist auch, dass die Türkei im Mai 1999 in der kurdischen Provinz Sirnak military-grade-CS-Gas-Granaten einsetzte, um Kämpfer:innen der PKK aus einer Höhle zu treiben – eine ebenfalls verbotene Praxis. Die Gasgranate stammte aus der Produktion einer deutschen Firma. Wie der frühere Biowaffeninspekteur der UN, Jan van Aken, feststellt, produzierte die Türkei derartige Granaten auch selbst. Die Beteuerungen, diese mittlerweile vernichtet zu haben, können als wenig glaubwürdig gelten. Van Aken beschreibt auch weitere Vorfälle, zumindest in den Jahren 2009 und 2011, die Indizien für einen Einsatz von Chemiewaffen in Kriegshandlungen aufweisen.
Welches Gas aktuell genau zum Einsatz kommt, ist schwer zu sagen. Eine Kämpferin, die Augenzeugin der Angriffe wurde, sagte gegenüber Reportern des kurdischen Fernsehsenders Sterk TV: „Manchmal verwendeten sie Tränengas, manchmal andere Giftgase.“ Die Guerilla-Kämpferin berichtet von Gasen unterschiedlichen Geruchs und unterschiedlicher Wirkweise. Und: Sie fordert auf, in den Tunneln und an den Leichen gefallener Genoss:innen eine Untersuchung durchzuführen.
Doch genau hier hapert es. Die Verbündeten Erdogans in EU und USA haben keinerlei Interesse an Aufklärung, denn sie stehen fest an der Seite ihres NATO-Partners, wenn es um die Vernichtung der kurdischen Bewegung geht. Verwunderlicher ist da schon, dass sich bislang kein einziger aus der Zunft der Starjournalist:innen gefunden hat, der es auch nur der Mühe wert fand, den Vorwürfen unvoreingenommen nachzugehen. Zum Zeitpunkt der Niederschrift dieser Zeilen – und damit nach mehreren Monaten von Berichten des Einsatzes von Chemiewaffen durch einen engen Partner Deutschlands – existiert von ARD bis Spiegel, von FAZ bis Süddeutsche keine Zeile zum Thema.
# Bildquelle: ANF