Das Gläschen Empathie gegen die alte Wut – Die Anthologie „Klasse und Kampf“

22. April 2021

Ich gebe zu, ich habe mir Maria Barankows und Christian Barons Buch „Klasse und Kampf“ nur gekauft, um mich zu ärgern. Schon die Ankündigung des Buches verursachte mir körperliche Schmerzen. Da kommt ein Buch raus, das heißt „Klasse und Kampf“ und versammelt nur Akademiker:innen und Prominente aus dem Kulturbetrieb. Keine Pflegerin, kein Logistiker, niemand vom Bau, niemand aus einer Fabrik, keine Erntehelfer, keine Putzkraft. Die Autor:innen dieses Bandes sind keine Leute, denen nie jemand zuhört, im Gegenteil. Es sind Prominente, die man als Herausgeber eben versammelt, wenn man sich erhofft, im Feuilleton wohlwollend besprochen zu werden. Und dann ist da noch Kübra Gümüsay, für die man, wenn man Solidarität mit linken Kurd:innen in der Türkei für wichtig hält, ohnehin keine besonders warmen Gefühle hat.

Nun kaufe ich also dieses Buch und man kann sagen, die Voraussetzungen für eine freundliche Besprechung sind denkbar schlecht. Das Problem mit einem Rant allerdings ist: Das Buch ist ziemlich gut. Die Texte wirken zum überwiegenden Teil authentisch, sind wirklich schön und klug gearbeitet, ehrlich und gerade. Sie geben einen vielfältigen Einblick in unterschiedlichste Klassenrealitäten in Deutschland.

Klar, es geht um die Vergangenheit: Entweder lebte die Elterngeneration unter drückenden Verhältnissen, die Schwiegermutter oder der Gastarbeitervater. Oder schon man selber, aber irgendwann in der Jugend, lang ist‘s her. Die Mehrheit der Autor:innen „hat‘s geschafft“, wie man so schön sagt, und sie erzählen jetzt von der Mühsal, die dem Aufstieg voranging. Christian Baron ist ja nicht umsonst Träger des „Aufstieg durch Bildung“ – Preises.

Aber dennoch: Die Stories sind eindrucksvoll und man kann zumindest erkennen, dass sich von „damals“ zu heute an den Klassenrealitäten nicht viel geändert hat. Die Protagonist:innen sind sympathische Leute, man kann sich mit ihnen identifizieren oder sie sich als Kolleg:innen vorstellen: Pinar Karabuluts Vater, der sich in einer Textilfirma in Kayseri als Prüfer verkleidet einschleicht, um sich auf seinen Gastarbeiterjob in Deutschland vorzubereiten, muss ein stabiler Typ gewesen sein und mit dem jungen Arno Frank, hätte man sicher auch die ein oder andere Roth-Händle am Müllwagen durchziehen können. Einige Geschichten sind richtig witzig, andere, wie die von Lucy Fricke, einfach erschütternd. Es ist durchweg gute Literatur.

Ich lese die Texte nacheinander in der Bahn zur Arbeit, jeden Morgen etwa einen. Die Voreingenommenheit weicht mit jeder Kurzgeschichte, man kann das Buch eigentlich nicht nicht mögen. Spätestens als Anke Stelling zu ihrer Schwiegermutter sagt: Zu sterben ist doch kein Ausweg, und die Schwiegermutter antwortet: Ich bin genug gerannt, müsste man schon ein ziemliches Arschloch sein, um das Buch zu verreissen. Fünf S-Bahn-Fahrten später, ab Katja Oskamp, mag ich dieses Buch sehr.

Also jetzt eine durchweg positive Rezension? Nein, denn es bleibt ein großes Manko und das liegt in der Ideologie, die das Buch in Gestalt des Vorworts einrahmt. Es versammelt all das, was man aus der „Klassismus“-Debatte kennt. Später als bei „gender“ oder „race“, aber doch merkbar, wird „Klasse“ zu einem beliebten Thema in der bürgerlichen Publizistik. Auch für das letzte Glied der „intersektionalen“ Trias soll eine Erzählung geschaffen werden, die nicht mehr revolutionär ist. Und die lautet, dass „Klassismus“ eben auch eine Diskriminierungserfahrung ist und man deshalb die soziale Durchlässigkeit nach oben erhöhen muss. Auch „Arbeiterkinder“ – zumindest die in den imperialistischen Metropolen, die anderen kennt eh keiner – sollen was werden dürfen im Kapitalismus. Dafür gibt es dann Fördertöpfe und gelegentlich auch das ein oder andere kritische Wort der Bundeszentrale für politische Bildung. In der ZEIT stellt man uns gelegentlich Listen mit „prominenten Arbeiterkindern“ vor, die es schwer hatten, aber sich durchgebissen haben: Cem Özdemir, Rüdiger Grube, Frank-Walter Steinmeier und so weiter.

Das Vorwort von „Klasse und Kampf“ atmet diese Ideologie von vorne bis hinten. Es fängt mit einer Klassendefinition an, die einige Elemente des Marxismus verkürzt aufgreift, dann aber direkt in den Chancengleichheitsdiskurs abdriftet: Man spreche heute sehr viel über „race“ und „gender“, doch „class“ sei derzeit noch viel weniger cool. „Aber wie viele Leute aus armen und/oder nicht akademischem Elternhaus sitzen denn in den Macht- und Entscheidungspositionen der DAX-Konzerne, des Kulturbetriebs, der politischen Parteien?“ Es braucht Bildung, Diversität, Vielfalt – die alter Leier davon, dass die Elite endlich bunter werden muss.

Die Idee einer Revolution, der gemeinsamen Organisation auf einer gemeinsamen politischen Grundlage halten zumindest die beiden Herausgeber:innen Christian Baron und Maria Barankow offenbar für eine Art Träumerei. Es gehe ihnen vielmehr darum, jenseits von jeder politischen „Strömung“ durch „persönliche Perspektiven die Missstände greifbar (zu) machen und damit eine Einladung zur Empathie auszusprechen“. Denn: „Die Revolution steht nicht gerade bevor. Vielleicht jedoch lässt sich eine bessere Welt ohnehin am besten in kleinen Schritten erreichen, zu denen auch ein Werk wie Klasse und Kampf zählt.“

„Kampf“ ist in diesem Kontext nicht der kollektiv geführte zur Überwindung des gesamten Kapitalismus – der kommt eigentlich überhaupt nicht vor. Da will niemand seine Kolleg:innen organisieren, demonstrieren, streiken oder alles kurz und klein schlagen, Sabotage oder meinetwegen sogar eine Wahlalternative gründen. „Kampf“ ist – in den im Buch beschriebenen Biographien wie im überwiegenden Teil unserer Klasse heute – der ums individuelle Fortkommen. Der mag brutal sein, aber dem Kapitalismus bricht er nicht den kleinsten Zacken aus der Krone. Jede:r kann es schaffen, aber eben niemals alle zugleich. Selbst bei denen, die in dieser Lotterie überhaupt mitspielen, ziehen die meisten irgendeinen Platz irgendwo zwischen Kulturindustrie, Fördergeldern, Uni-Karriere oder mittleres Parteienkarussel. Die Plätze an der Spitze von Dax-Konzernen sind dann doch zu limitiert verfügbar.

Dieser Kampf bleibt in der Vereinzelung und was er erreichen kann, ist die Umstände für je eine konkrete Person weniger drückend zu machen. Und vielleicht noch ein bisschen „Empathie“ von denen, die ihn nie führen mussten. Ob einem das reicht, oder ob die Empathie einem im Hals stecken bleibt, merkt man dann ja irgendwann selber. „Er lächelte mich an und schenkte mir Champagner nach. Doch Champagner hilft nur bedingt gegen die alte Wut“ , wie Lucy Fricke schreibt.

#Titelbild: wikimedia.commons

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