Marina Wetzlmaier, Journalistin und Autorin des Buches „Die Linke auf den Philippinen”, spricht im Interview über den Inselstaat im Ausnahmezustand und über AktivistInnen, die den Repressalien von Industrie und Politik auch in Zeiten der Pandemie standhalten.
Kaum ein Land Südostasiens wurde schlimmer von der Coronavirus-Pandemie getroffen als die Philippinen. Präsident Rodrigo Duterte regiert seit 2016 mit eiserner Faust, er ließ angesichts der steigenden Infektionszahlen den nationalen Notstand ausrufen und harte Lockdowns durch das Militär kontrollieren. 60 Prozent der philippinischen Bevölkerung lebten schon vor der Pandemie von weniger als 1,50 Dollar am Tag, die fehlenden finanziellen Unterstützungen vom Staat vergrößern Armut und Ungleichheit in der Bevölkerung noch mehr. In ihrem Buch „Die Linke auf den Philippinen“ hat sich die Publizistin Marina Wetzlmaier intensiv mit den antikapitalistischen, kommunistischen und regierungskritischen Bewegungen des Inselstaates auseinandergesetzt. Im Interview erzählt sie vom Regime Duterte und ihren Recherchen vor Ort.
Sie schreiben in Ihrem Buch „Die Linke auf den Philippinen” eingangs, sie seien als Kind die ersten Male auf den Philippinen gewesen. An was für ein Land erinnern Sie sich da zurück?
Marina Wetzlmaier: Meine Verwandten auf den Philippinen sind eher in der Mittelschicht angesiedelt, das heißt von den sozialen Problemen, der Ungleichheit, der Armut, von all dem, was mich später beschäftigen sollte, habe ich persönlich als Kind nicht viel mitbekommen. Wenn man durch die Straßen ging, sah man zwar Menschen in informellen Behausungen oder Kinder, die auf der Straße bettelten. Aber aus der Sicht eines Kindes hat das für mich zu den Philippinen dazugehört. Nach Ende der Marcos-Diktatur 1986 gab es mehr Hoffnung im Land, weil bei der Ausarbeitung der Verfassung zivilgesellschaftliche AkteurInnen miteinbezogen wurden und das Landreformgesetz darin als Forderung aufgenommen wurde. Es hat aber nur einige Jahre gedauert, bis eine gewisse Ernüchterung eingetreten ist und die Menschen erkannt haben, dass die alten Eliten durch neue ersetzt wurden, die weiterhin dafür sorgen, dass ein gewisses Ungleichheitssystem aufrechterhalten wird.
Die Landrechte spielen durch die koloniale Vergangenheit der Philippinen ein große Rolle für die linke Agenda. Die Landrechtsreform, die Umverteilung von Ackerland an die ärmere Bevölkerung vorsieht, wird seit Jahren aufgeweicht.
Das Versprechen einer umfassenden Landrechtsreform ist wie gesagt sogar in der Verfassung verankert. Grundstücke ab einer gewissen Größe, die land- oder forstwirtschaftlich genutzt werden, sollen an jene umverteilt werden, die tatsächlich dort arbeiten, an die PächterInnen und LandarbeiterInnen. Es gibt diesen Slogan der Landrechtsbewegung „Land to the tiller“, also das Land dem Bauern und denen, die es tatsächlich bewirtschaften. Das Problem mit dem Gesetz ist unter anderem, dass Ländereien plötzlich umgewidmet werden und es dadurch nicht mehr greift. Auch die Linken sind sich in der Frage der Landrechtsreform nicht einig. Die eine Seite sagt, das Gesetz, das es jetzt gibt, sei schon ein großer Erfolg, wenn es tatsächlich so umgesetzt würde. Die Leute, die Land bekommen, würden dann auch mit Förderungen unterstützt werden, damit die Felder nach jahrzehntelanger Monokultur überhaupt nutzbar werden. Die anderen, die radikalere Strömung der Linken, fordern hingegen eine komplette Agrarrevolution, in der die Großgrundbesitzer entschädigungslos enteignet werden und das Land an die ärmeren Bevölkerungsschichten umverteilt wird.
Der Name der Philippinen geht zurück auf König Philipp von Spanien, der die kolonialisierten Inseln für die Habsburger verwaltete. Welche Rolle spielt heute in der philippinischen Linken der Antikapitalismus im Vergleich zum – in unserem Raum stark ausgeprägten – Antifaschismus?
So zersplittert die Linke auf den Philippinen auch ist, was sie vereint, ist die USA-Kritik, die auch die unterschiedlichen kommunistischen Widerstandsbewegungen motiviert hat. Bis heute haben die USA wirtschaftlich sehr viel Einfluss auf die Philippinen, es gibt US-Militärbasen, die philippinische Armee wird von den USA teilweise mit ausgebildet. Im Bezug auf Antifaschismus ist der geschichtliche Hintergrund natürlich ein anderer als hier. Wenn man an den Zweiten Weltkrieg denkt und an die Philippinen, denkt man an die japanische Besetzung und die damit verbundenen Gräuel. Aber da ging es darum, dass die Japaner sich ein ostasiatisches Reich erschaffen und die ostasiatischen Völker angeblich vereinen wollten. Das ging für sie nur, indem man die indigenen Völker unterdrückt. Ganze Dörfer wurden ausgelöscht und japanische Soldaten sind sehr brutal vorgegangen, auch gegen Frauen und Kinder.
In welcher Situation befinden sich die indigenen Völker heute?
Im Norden der Philippinen, der gebirgig ist, und auch in Teilen des Südens gibt es Regionen, die sehr reich an natürlichen Bodenschätzen sind. Gold und andere Edelmetalle finden sich dort, sodass große auch internationale Firmen Bergbau betreiben. Und da stoßen zwei Gesetze aufeinander. Es gibt ein Gesetz zum Schutz der indigenen Bevölkerung und ihrer angestammten Gebiete und dann gibt es das Bergbaugesetz. Das ermöglicht den großen Unternehmen weitreichende Konzessionen zum Rohstoffabbau, an die sie leicht kommen können. Das Gesetz zum Schutz der indigenen Gebiete wird dadurch de facto ausgehebelt. Bevor man in ein angestammtes Gebiet geht und Bodenschätze aushebt, müssten die Unternehmen die Zustimmung der Bevölkerung einholen, die wird teilweise einfach erkauft. Firmenvertreter kommen dann in die Dörfer und bieten den Leuten Geld an, wenn sie das Papier unterschreiben, manche bekommen Autos versprochen oder das Schulgeld für die Kinder. Es kann auch passieren, dass Leute, die sich wehren, bedroht werden, manche Unternehmen haben eigene Sicherheitsleute, die dann die wehrhafte Bevölkerung drangsalieren. Es wurden schon AktivistInnen unter den Indigenen ermordet, wenn der Widerstand lange angedauert hat. Viele AnwohnerInnen ziehen dann weg, weil der Druck zu groß wird. Auf der positiven Seite muss man aber festhalten, dass es auf lokaler Ebene Graswurzelbewegungen gibt, die versuchen, ökonomische Alternativen aufzubauen, Kooperativen und Ähnliches zu gründen, um zu erreichen, dass Menschen selbständig wirtschaften können.
Präsident Rodrigo Duterte regiert die Philippinen jetzt seit 2016 und ist schon mit seinem “Anti-Drogenkrieg” hart gegen die Bevölkerung vorgegangen. Mehr als 25.000 Menschen sollen unter seiner Regentschaft bereits ermordet worden sein, darunter auch JournalistInnen und AktivistInnen. Haben Sie Angst, wenn Sie als europäische Journalistin dort recherchieren?
Also zumindest vor den Lockdowns hatte ich keine. Manila zum Beispiel ist eine riesige Stadt mit 20 Millionen Einwohnern, dort versinkt man in der Anonymität. Ich halte mich an das, was mir befreundete AktivistInnen empfehlen, in manche Gebiete bin ich in der Recherche dann nicht gefahren, weil es dort nicht sicher war. Repressionen gegen KritikerInnen gab es zwar schon vor Duterte, aber nicht so systematisch und nicht so offen gutgeheißen vom Präsidenten. In der Dokumentation „Die Unbeugsamen“ über die Pressefreiheit auf den Philippinen wird gezeigt, wie der Präsident mitten in einem Interview zu einer Journalistin sagt „Die Meinungsfreiheit wird dir auch nicht das Leben retten“. Die Medienleute und AktivistInnen vor Ort sind wirklich mutig, weil sie einfach weitermachen. Ich habe mit einem Journalisten einer Gewerkschaft gesprochen. Der wacht morgens auf, macht seine Mails auf und hat einen Haufen Drohungen im Posteingang. Er sagte, das gehöre einfach dazu und selbst, wenn sie von irgendwem kommen könnten, muss er sie ernst nehmen.
Wie hat sich die Lage auf den Philippinen durch das Coronavirus verändert?
Momentan wird die Lage genutzt, um unter dem Vorwand der Pandemie- und Terrorismusbekämpfung Gesetzesverschärfungen einzuführen. Es gibt zwei wesentliche Gesetze, das eine, der „Bayanihan Act“, geht auf den vergangenen März zurück. Mit ihm wurden sehr strenge Ausgangssperren zur Virusbekämpfung eingeführt, das Militär richtete Posten ein, um deren Einhaltung zu kontrollieren. Jeder Haushalt hat einen Quarantänepass bekommen und es durfte jeweils nur eine Person den Wohnbereich verlassen, zudem musste man im eigenen Bezirk bleiben. Ein großes Problem war der Lockdown für die, die im informellen Sektor arbeiten, keine Ersparnisse haben und dann nicht rausgehen dürfen, um zu arbeiten. Für sie ist das Risiko, an Corona zu erkranken, eher zweitrangig, weil sie ihre Existenz sichern müssen. Und seit Juli gilt nun das Antiterrorgesetz. Duterte stellt alle linken AktivistInnen und kommunistischen Strömungen in das terroristische Eck. Menschenrechtsorganisationen reden von einer „neuen Normalität“, die gekennzeichnet ist von Einschränkungen, auch was Grundrechte anbelangt. Ich denke mir dann immer, in Österreich regen sich die Leute so schnell auf, aber sie tun das immer auf hohem Niveau.
Welche Auswirkungen haben diese Entwicklungen auf die philippinische Medienwelt und auf die Pressefreiheit?
Bei dem Quarantäne-Gesetz gab es Befürchtungen, dass es Auswirkungen auf die Pressefreiheit haben würde, weil die Verbreitung von Falschmeldungen im Bezug auf das Coronavirus unter Strafe gestellt wurde. Was als Falschmeldung gilt, entscheiden aber die Behörden, kritische Berichterstattung wird dann auch schnell als Falschmeldung abgetan und JournalistInnen verhaftet. Auch auf Basis des Gesetzes zur Bekämpfung von Cyberkriminalität kam es zu Anzeigen gegen JournalistInnen. Der bekannteste Fall ist der vom philippinischen Nachrichtenportal Rappler und der Chefredakteurin Maria Ressa. Sie wurde mehrmals angezeigt und im vergangenen Juni wegen übler Nachrede zu bis zu sechs Jahren Haft für ihre kritischen Recherchen verurteilt. Es beeindruckt mich sehr, wenn ich sie in Dokumentationen in der Redaktion stehen sehe und sie sagt „Jetzt müssen wir erst recht weitermachen. Es ist unsere Pflicht, zu berichten“.
Die Journalistin Marina Wetzlmaier, die bereits im „Südwind Magazin“ und im „Der Standard“ publizierte und regelmäßig Sendungen für das freie Radio FRO produziert, lebt und arbeitet in Oberösterreich und engagiert sich politisch bei den Welser Grünen. Ihr Buch „Die Linke auf den Philippinen“ – ein historischer als auch aktueller Streifzug durch die linken politischen Bewegungen des Inselstaates – erschien im Oktober 2020 im Mandelbaum Verlag.
#Titelbild: Mandelbaum Verlag
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