Ihre Anführer scheuen oft das Licht der Öffentlichkeit, doch sie besitzen immense Macht. Konten gefüllt mit Milliarden aus Geschäften, die in aller Herren Länder verrichtet werden; tausende Untergebene, die auf Gedeih und Verderb dem Richterspruch der Männer und Frauen an der Spitze ausgeliefert sind; sie blicken oft auf eine mehr als hundertjährige Geschichte krimineller Machenschaften zurück, sind für Millionen Tote mitverantwortlich: Deutsche Kapitalisten-Clans.
Diese Reihe widmet sich den Superreichen der Bundesrepublik, die den traditionsreichen „Familienunternehmen“ vorstehen, von der Politik jeder Couleur hofiert werden und so gut wie nie zum Gegenstand wutbürgerlichen Aufbegehrens werden. Teil eins der Serie widmete sich der Familie Quandt/Klatten, Teil zwei dreht sich um das Schaeffler-Imperium.
Maria-Elisabeth Schaeffler mag Privatjets, Pelzmäntel, Champagner und Kartoffelsuppe mit Trüffel-Spänchen. Sie kann es sich leisten, denn sie hält 20 Prozent an einem deutschen Prestigekonzern: Der Schaeffler AG. Ihr Sohn Georg nagt ebenfalls nicht am Hungertuch, nennt 80 Prozent des Familienbetriebs sein Eigen. Beide sind Multimilliardäre. Und beide sind Erben der Gebrüder Wilhem und Georg Schaeffler, deren Geschichte just im Jahr 1946 beginnt – zumindest, wenn man der Erzählung der offiziellen Homepage des Maschinenbau- und Automobilkonzerns folgt.
Dort wird sehr karg bis 1926 die Geschichte der Fischer AG erzählt, dann klafft eine kleine Lücke und 1946 der nächste Eintrag: „Die Brüder Dr. Wilhelm und Dr.-Ing. E. h. Georg Schaeffler gründen die Industrie GmbH in Herzogenaurach.“ War dazwischen was? Was war denn da nochmal in diesem Zeitraum? Man versteht gar nicht, wieso die Firma ihr Licht so unter den Scheffel stellt, denn Wilhelm Schaeffler jedenfalls war in der Zeit von 1933 bis 1945, der Zeit des großen deutschen Konjunkturprogramms, nicht untätig.
Ein jüdisches Unternehmen ist billig zu haben
Alles begann mit einem Schnäppchen: 1940 erwarb Wilhelm Schaeffler die Davistan AG des schon 1933 aus Deutschland geflohenen jüdischen Textilunternehmers Ernst Frank – unter Wert natürlich, die Rahmenbedingungen waren ja günstig. Der „Kauf“ legte die Grundlage nicht nur für die Geschäfte, welche die Schaefflers nun im Krieg machen würden, sondern auch für die nach 1946.
Wilhelm wird 1941 NSDAP-Mitglied, Bruder Georg engagiert sich in Hitler-Jugend und Wehrmacht. Die Davistan AG wird zur Schaeffler AG und die Produktion auf Krieg umgestellt: Teile für Panzerkampfwagen, Sturmgeschütze und Abwurfanlagen für Flugzeugbomben, Nadellager für Panzerketten. Selbstredend zum Einsatz kommt auch die billigste aller Arbeitskraftressourcen, Zwangsarbeit von Kriegsgefangenen.
Auch wenn der mit der „Aufarbeitung“ der Firmengeschichte beuaftragte Historiker Gregor Schöllgen dies lange bestritt, weisen zahlreiche Indizien darauf hin, dass Schaeffler – der neben der Rüstungs- immer noch in der Textilfertigung tätig war – zudem Menschenhaar aus Auschwitz verarbeiten ließ. Das erzählen nicht nur polnische Zwangsarbeiter:innen, die bei Schaeffler zur Arbeit gezwungen wurden, auch der Historiker Andrzej Strzelecki vom Auschwitz-Museum ist fest davon überzeugt. Schöllgen, der zunächst kategorisch abstritt, lenkte ein, es fehlen ihm aber immer noch „direkte Belege“, wie der Spiegel 2009 berichtete. Naja.
Zweifellos aber steht fest: Ohne den Erwerb der Davistan AG, ohne die Kriegsproduktion und ohne die für selbige eingesetzte Zwangsarbeit hätte auch 1946 keine Firmengeschichte der Schaefflers begonnen. Und ohne Nationalsozialismus wäre Wilhelm Schaeffler mit ziemlicher Sicherheit nicht zum Gründer einer bis heute andauernden deutschen Familiendynastie geworden.
Nach dem Krieg war für die deutschen Kapitalisten keineswegs Schluss. Wilhelm Schaeffler wurde zwar kurz in Polen inhaftiert, weil er für die Nazis an der Arisierung polnischer Betriebe mitgewirkt haben soll. 1951 aber wird auch er entlassen, als „zweitrangige Person“ eingestuft und die Firmengeschichte beginnt von nun an 1946 in Herzogenaurach.
Krieg bleibt lukrativ
Noch bevor die Rote Armee anrückte, verschoben die Schaefflers Maschinen und Material aus dem polnischen Katscher gen Westen; das aus der Panzer-Zuarbeit gewonnene Know-How blieb ihnen auch. Und so begann der Wiederaufstieg der Schaefflers, zuerst als Mischkonzern für alles Mögliche, dann durch die Produktion industrieller Nadellager. Der Kommunismus stand vor der Tür und so hatte man auch unter den Westmächten bekanntlicherweise kein Problem mit den ehemaligen Nazi-Größen. Bald produzierte Schaeffler Lagernadeln und Gelenkwellenlager für das US-Militär und mit Genehmigung der US-Behörden für zwei deutsche Ersatzteilhersteller.
Die Geschichte der Bundesrepublik wurde dann zur Geschichte der Konsolidierung und des Ausbaus des Schaeffler-Konzerns, der sich als Zulieferer für die Autoindustrie, die Luftfahrt und für den Maschinenbau etablierte. Drei große Marken vereinigt die Schaeffler AG unter sich: FAG Kugelfischer, INA (Industrienagellager) und LuK (Lamellen- und Kupplungsbau).
2009 gesellte sich der Autozulieferer Continental zur Schaeffler-Gruppe. Bei Conti arbeiten in weltweit über 400 Standorten rund 240 000 Menschen, die Schaefflers halten 46 Prozent des weltweit zweitgrößten Automobilzulieferers.
Rüstung blieb dabei bis heute Teil des Geschäftskonzepts. Stolz erklärt FAG Aerospace in einer Firmenpräsentation: „Neben zivilen Anwendungsbereichen ist FAG auch ein Innovationspartner und Zulieferer in allen großen militärischen Triebwerkprojekten.“ Beim Eurofighter, dem Airbus A400M, dem Joint Strike Fighter Programm sowie für Lockheed Martin sei man tätig. Dazu kommen Kampfhubschrauber. Continental wiederum produziert „general-use“-Komponenten sowie Reifen für Militärfahrzeuge.
Niedriglohn und Fake-Gewerkschaften
Im Jahr 2019 machte Schaeffler rund 14,4 Milliarden Euro Umsatz. Wie kommt das zustande? Auch hier – wie bei allen in dieser Serie porträtierten Familienclans – gilt: Es gibt nur zwei Reichtumsquellen, die sie anzapfen können, Natur und menschliche Arbeitskraft. Bei den Schaefflers sorgen für letzteres offiziell ausgewiesen weltweit rund 90 000 Arbeiter:innen.
Offiziellen Statistiken zufolge sind davon im Jahr 2019 über 60 000 in Europa, knapp 13 000 in Südamerika und den USA, über 12 000 in Greater China und etwas mehr als 3000 im Rest Asiens beschäftigt. Wie viel darauf auf Deutschland entfallen, weisen die Konzernstatistiken nicht aus.
Werke unterhält der Konzern auf der ganzen Welt: Italien, Brasilien, China, Vietnam, Rumänien, Mexiko, Südafrika – die Creme de la Creme der bei Auto- und Maschinenindusrtie beliebten Niedriglohnländer ist durchgängig vertreten. Was Arbeiter:innen in den jeweiligen Ländern verdienen und wie ihre Arbeitsbedingungen sind, lässt sich kaum erruieren, da es sich um kein unter Journalist:innen beliebtes Thema handelt. Es fragt schlichtweg kaum jemand nach.
Einen kleinen Einblick gibt eine Pressemitteilung mehrerer Menschenrechtsorganisationen zu Ausbeutung in Mexiko. Dort heißt es: „Die Montagewerke, die in Mexiko errichtet wurden, und die maquiladoras genannt werden, sind bekannt für ihre schlechten Arbeitsbedingungen, Menschenrechtsverletzungen und die Unterdrückung von Gewerkschaften. Hinter dem Rücken von Arbeiter:innen unterzeichnen ’sindicatos blancos‘ genannte Fake-Gewerkschaften Pseudo-Kollektivverträge mit den Fabrikmanagern. Die Fabriken überweisen als Gegenleistung direkt von den Löhnen abgezogene Mitgliedsbeiträge an die Scheingewerkschaften. Mehrere EU-Unternehmen, darunter BMW und Schaeffler, haben solche Pseudo-Verträge unterzeichnet und verstoßen so gegen internationale Arbeitsrechte.“
Schaeffler unterhält, so weist Thomas Fritz in seiner Studie „Menschenrechte auf dem Abstellgleis“ nach, Fake-Kollektivverträge mit der berüchtigten Confederación de Trabajadores de México (CTM), die zur Durchsetzung der Profite der Bosse gelegentlich auch Schlägertrupps auf protestierende Arbeiter:innen losschickt. Selbst die deutsche IG Metall distanziert sich in aller Form von diesen korrupten Scheingewerkschaften und kritisiert, dass die illegalen Abbuchungen von „Mitgliedsbeiträgen“ für die gelben Gewerkschaften in Mexiko 80 Prozent aller (!) Tarifverträge ausmachen und einen eigenen Geschäftszweig der organisierten Kriminalität bilden. Löhne von 1 bis zwei US-Dollar die Stunde sind übliche Ergebnisse dieser Art von „Tarif“-Aushandlung.
Arbeitsplatzabbau in Deutschland, neue Fabriken in Niedriglohnländern
Den Preis der Ware Arbeitskraft so niedrig wie möglich zu halten, gehört zu den beliebtesten Methoden der Profitmaximierung. Und so bieten Krisen auch immer Chancen, denn man kann unter Verweis auf die drückende Notlage des jeweiligen Konzerns sogenannte „Umstrukturierungen“ vornehmen, also sich bessere Ausbeutungsbedingungen ergaunern.
Die Familie Schaeffler tut das vorhersagbar in jeder Krise – 2009 nach der sogenannten Finanzkrise genauso wie aktuell im Zuge der „Corona-Krise“. So war bereits im Herbst zu hören, dass Schaeffler 4400 Stellen vor allem in der Bundesrepublik abbauen wolle, die Werke in Wuppertal und Clausthal-Zellerfeld könnten ganz geschlossen werden. Für 2019 weist der Konzernbericht global einen Arbeitsplatzabbau von rund 5000 Stellen aus, davon auch wiederum proportional der größte Anteil in Deutschland. Die sogenannte „Strukturanpassung“ besteht aber nicht einfach nur in der Verringerung von Arbeitsplätzen, sondern zudem in der Verlagerung der Produktion in Niedriglohnländer. Im mexikanischen Huejotzingo wurde 2016 eine neue Fabrik eröffnet, im tschechischen Svitavy 2017, im vietnamesischen Bien Hoa 2019.
Noch deutlicher ist die „Umstrukturierung“ zur Kostenreduktion beim ebenfalls vom Milliardärsclan Schaeffler kontrollierten Auto-Riesen Continental. Bis zu 13 Prozent seiner Gesamtbelegschaft sollen betroffen sein, 30 000 Stellen sind gefährdet. Sowohl bei Conti wie auch bei Schaeffler selbst sind die Stellenstreichungen in Deutschland kein Ergebnis der Corona-Krise – der Prozess hatte bereits in den Jahren zuvor begonnen.
Die IG Metall – traditionell sozialpartnerschaftlich so eng verwoben mit dem Konzern, dass man nicht weiß, wo Management aufhört und wo Arbeiter:innenvertretung anfängt – ist ratlos. Viel mehr als einige symbolische Kundgebungen und die Mahnung von Gewerkschaftschef Jörg Hofmann, die Kapitalisten gefährden so ihre „eigene Zukunftsfähigkeit“, fand bislang nicht statt.
Anders als Hofmann vermutet, gefährden aber Outsourcing, Verlagerung der Produktion in Niedriglohnländer und Offshoring allerdings nicht die „Zukunftsfähigkeit“ kapitalistischer Konzerne. Vielmehr basiert ihre „Wertschöpfungskette“ genau darauf. Dementsprechend geht es auch bei Schaeffler und Continental um die Erschließung neuer Produktionsstandorte und Absatzmärkte in Ländern, in denen man nicht so genau nachfragt, zu welchen Konditionen Arbeit ausgebeutet und die Umwelt geschädigt wird. Und dieser Prozess wird allein durch „sozialpartnerschaftliche“ Liebkosungen nicht zu stoppen sein.
Profite privat, Verluste vergesellschaftet
Zu erwarten ist dagegen, dass mit gewerkschaftlichem Druck als Ausgleich für irgendwelche Kompromisse zur „Erhaltung“ von Arbeitsplätzen Schaeffler versuchen wird, sich auch hierzulande noch zu krallen, was zu krallen ist. Schon 2009 verhandelte der Milliardärsclan um Staatshilfen, hatte aber auch zuvor Subventionen in Millionenhöhe kassiert. Generell werden die Autoindustrie und ihre Zulieferbetriebe reichlich aus staatlichen Quellen „gefördert“. Eine Kleine Anfrage der Linkspartei dokumentiert etwa für Conti und Schaeffler jährliche Zuwendungen in Millionenhöhe für die Jahre 2010 bis 2016 aus verschiedenen Ministerien.
Derzeit sind es die lukrativen Corona-Angebote, die man im Konzern gern wahrnimmt: Kurzarbeit gab es sowohl bei Schaeffler wie auch bei Continental. Am Stellenabbau hat das nichts geändert. Und selbst am Willen zur Übernahme anderer Übernehmen nicht. Der Konzern, der so geschunden ist, dass ihm der Staat unter die Arme greifen muss, ließ zeitgleich verlauten, dass man sich Zukäufe auch in der Krise vorstellen könne: „In der Krise ergeben sich jede Menge Chancen, auch für Übernahmen“, so Vorstandschef Klaus Rosenfeld.
#Bildquelle: pixabay
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