Ein Hintergrundbericht zur Wechselwirkung zwischen Klimakrise und Spätkapitalismus am Beispiel Kaliforniens.
Und wieder mal häufen sich die Rekorde, wenn es um die diesjährige Feuersaison in Kalifornien geht. Den Anfang machte diesmal die Zahl an Blitzeinschlägen, die im August im bevölkerungsreichsten Bundesstaat niedergingen. Allein vom 19.bis 21. August schlugen innerhalb von 72 Stunden mehr als 12 000 Blitze ein – ein Rekordwert. Satellitenaufnahmen zeigen die aus dem Weltraum sichtbaren Folgen dieses ungewöhnlich heftigen und ausgedehnten Extremwetterereignisses. Durch die Blitze wurden mehr als 560 Feuer entzündet, die sich inzwischen zu einer der schwersten Feuerkatastrophen in der Geschichte des Bundesstaats ausgeweitet haben.
Verantwortlich dafür sei, laut Meteorologen, der sehr trockenen Winter, auf den ein besonders heißer und trockener Sommer folgte. Mitunter seien die Brände in dem ausgedorrten und unter einer regelrechten „Hitzekuppel“ leidenden Land durch sogenannte „Trockenstürme“ (dry storms) ausgelöst worden, bei denen der die Blitzeinschläge begleitende Regen vor dem Auftreffen auf die staubtrockene Vegetation in der heißen Luft verdunstete.
Anfang September wandelten sich Teile Kaliforniens so in eine apokalyptische, von Orangetönen geprägte Kulisse, die an Filme wie Blade Runner 2049 das Reboot der Doom-Shooter von 2016 erinnerte. Angefacht von neuen Temperaturrekorden, die lokal an die 50 Grad Celsius heranreichten, blockten Rauchwolken das Sonnenlicht in Los Angeles und San Francisco, sodass die Bewohner dieser Westküstenstädte ihre Tage unter einem orangen Himmel in Atemschutzmasken verbringen mussten, während zugleich ein Ascheregen auf Teile Südkaliforniens niederging.
Die verheerenden Feuer, die zehntausende Quadratkilometer Kaliforniens erfassten, haben mindestens 86 Menschenleben gefordert und mehr als 1600 Häuser zerstört. Dabei gerieten die Einsatzkräfte Kaliforniens bei der Feuerbekämpfung schnell an ihre Kapazitätsgrenzen. Die Ressourcen und das Personal des Sonnenstaates seinen bereits überbelastet, klagte dessen Gouverneur, Gavin Newsom, bei einem Appell um Beistand Ende August. Zwar hatten etliche US-Bundesstaaten Kalifornien ihre volle Unterstützung zugesagt, doch blieb die konkrete Hilfe für die rund 12 000 Feuerwehrleute, die in Kalifornien die diesjährigen Feuer bekämpften, weit hinter den Erwartungen zurück. Von den 375 Einsatzgruppen der Feuerwehr, die der Gouverneur bei seinen Amtskollegen in zehn Bundesstaaten angefordert hatte, kamen nur 45 tatsächlich zum Einsatz.
Von der ungewöhnlich starken Hitzewelle ist nämlich nicht nur Kalifornien betroffen, sondern weite Teile der westlichen USA. Die „Hitzekuppel“, unter der sich viele Regionen des Landes befänden, entfache auch in anderen Bundesstaaten Brände, sodass die Möglichkeiten zur „gegenseitigen Hilfe“ beschränkt seien, erklärte der demokratische Gouverneur. Die Trump-Administration hat indes in dieser schweren Krise konsequent jegliche Hilfe aus Washington verweigert.
Die Klimaleugner im Weißen Haus sabotieren nicht nur jegliche nennenswerte Klimapolitik in den Vereinigten Staaten, sie instrumentalisieren zugleich die Folgen des Klimawandels im voll entbrannten US-Wahlkampf. Kalifornien höre nicht auf die Bundesregierung, polterte der Präsident Ende August, deswegen würden die Feuer das Land verwüsten, da das Landesregierung nicht – so wörtlich – „den Boden sauber“ halte. Trump drohte überdies, finanzielle Forderungen gegenüber dem Bundesstaat zu erheben, weil der nicht alle abgestorbenen Blätter und Bäume beseitige.
Dabei dürften die knappen „Ressourcen“ zur Bekämpfung der an Intensität zunehmenden Brände in den alljährlichen Feuersaisons noch weiter abschmelzen. Das zeigt sich allein schon daran, wie in Folge des letzten Krisenschubs im Jahr 2008 damit umgegangen wurde. Nach dem Platzen der großen Immobilienblasen in den Vereinigten Staaten, als die milliardenschweren „Bailouts“ für den mit Schrottpapieren überschwemmten Finanzsektor die öffentliche Verschuldung rasch ansteigen ließen, mussten auch die zuvor ausgesparten Feuerwehren harte Einschnitte hinnehmen. Reportagen aus dem Jahr 2010 geben einen Einblick in den „beispiellosen“ Kahlschlag, den die Feuerwehren im Gefolge der Wirtschaftskrise, die dem Platzen der Immobilienblasen folgte, in vielen Regionen Kaliforniens erfahren haben. In Städten wie Vallejo ist die Zahl der Feuerwehrlaute halbiert worden, in San Jose oder San Diego sind ganze Feuerwachen einfach geschlossen worden. Die Bürger wurden auf den Schildern, die auf den geschlossenen Gebäuden angebracht wurden, darüber aufgeklärt, dass hier keine Feuerwehrleute mehr tätig seien. Im Notfall solle man die Nummer 911 wählen – den Notruf der Polizei. Begrenzte Neueinstellungen von Feuerwehrleuten gab es in Kalifornien erst wieder nach den verheerenden Bränden 2018.
Die „knappen Ressourcen“, die nun der Gouverneur Kaliforniens beklagt, sind also genauso eine Folge der zunehmenden Krisenanfälligkeit und der eskalierenden inneren Widersprüche des Spätkapitalismus, wie die diesjährige Feuerkatastrophe. Der die neoliberale Finanzialisierung und Globalisierung der Weltwirtschaft begleitende Kahlschlag der Infrastruktur, der die spätkapitalistischen Gesellschaften anfälliger für klimabedingte Naturkatastrophen macht, ist aufgrund der krisenbedingt zunehmenden Systemzwänge auch nicht so einfach revidierbar. CalFire, die Brandbekämpfungsbehörde Kaliforniens, wollte aufgrund des sich immer stärker im Bundesstaat bemerkbar machenden Klimawandels eigentlich 500 neue Feuerwehrleute einstellen. Aufgrund der schweren Finanz- und Wirtschaftskrise in den USA, die durch die Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung ausgelöst worden ist, sind es nur 167 Neueinstellungen geworden. Es gebe nicht genug Personal, Löschfahrzeuge und Bulldozer, klagte ein Mitarbeiter der Behörde gegenüber Medien. Die Feuerwehrleute müssten derzeit Wochenarbeitszeiten von 72 Stunden durchhalten.
Zudem werden die Effekte dieser mageren Neueinstellungen bei der Landesbehörde durch Kürzungen bei etlichen städtischen Feuerwehren konterkariert. Aufgrund der katastrophalen Finanzlage sah sich etwa San Diego im vergangenen Mai genötigt, erhebliche Kürzungen bei städtischen Programmen zu erwägen – darunter auch Trainingsprogramme für die Feuerwehr. In Hemet im kalifornischen Riverside Country werden aufgrund der Wirtschaftskrise frei werdende Stellen bei der Feuerwehr nicht besetzt, die mitunter noch dazu mit veraltetem Gerät arbeiten muss. Die Stadt hat im Krisenverlauf rund 34 Prozent ihrer Steuereinnahmen verloren.
Die Folgen der Wirtschaftskrise – die massiven Streuausfälle – schränken somit die Möglichkeiten des Staates ein, den Folgen der Klimakrise wirksam zu begegnen. Besonders krass trat diese Wechselwirkung zwischen der inneren und äußeren Schranke des Kapitals in Südeuropa zutage, wo in den letzten Jahren hunderte Menschen bei historisch beispiellosen Feuerkatastrophen umkamen. Die Länder der europäischen Peripherie waren nach Ausbruch der Eurokrise vom damaligen deutschen Finanzminister Schäuble mit sadistischen Sparpaketen drangsaliert worden. Davon war auch die Infrastruktur zur Feuerbekämpfung betroffen. Anders als Portugal und Griechenland handelt es sich bei Kalifornien aber um ein Zentrum des Weltsystems, das sich kaum noch eine adäquate Feuerbekämpfung leisten kann. Das erlaubt einen Einblick in die gesellschaftliche Zerrüttung der USA.
Die Haushaltskürzungen an der Westküste, die die Bekämpfung der Feuerkatastrophe erschweren, haben auch vor den Gehältern der nun bis an den Rand der totalen Erschöpfung arbeitenden Feuerwehrleute nicht halt gemacht. Im Mai beschloss das klamme Kalifornien, wo einige der reichsten Konzerne und Oligarchen der Welt residieren, die Vergütungen der in der Brandbekämpfung arbeitenden Angestellten um 7,5 Prozent zu kürzen. Anstatt gut bezahlter und ausgebildeter Feuerwehrleute setzt der verbrennende Sonnenstaat auf saisonal angestellte und in Windseile ausgebildete Kräfte. Rund 900 solcher Saisonarbeiter wurden im Juli, bei Beginn der Feuersaison, in aller Eile zu „Feuerwehrleuten“ ausgebildet und an die Feuerfront geworfen.
Mit diesen Notmaßnahmen will der Westküstenstaat die Ausfälle bei der Beschaffung von Arbeitskräften in der Feuerbekämpfung kompensieren. Sobald notwendige Arbeiten im Kapitalismus nicht in Form von Lohnarbeit gelistet werden können, greifen seit der Frühen Neuzeit, seit dem berüchtigten atlantischen Dreieckshandel, Tendenzen zum Aufbau eines auf Zwangsarbeit beruhenden Arbeitsregimes. Im Fall Kaliforniens waren es die, weltweit in Relation zur Bevölkerung zahlreichsten, Gefängnisinsassen, die zumeist in solchen Fällen bei der Brandbekämpfung als „Infanterie“ eingesetzt wurden. Doch auch hier greift bereits eine Krisentendenz in die Andere: Die Corona-Pandemie hat sich in der Gefängnisindustrie der USA bereits stark ausgebreitet, weshalb kaum noch Feuerbekämpfungsmannschaften aus Gefängnisinsassen gebildet werden konnten.
Der krisenbedingte Zerfall der gesellschaftlichen Infrastruktur, der zunehmend mit den Folgen des kapitalistischen Klimawandels in Wechselwirkung tritt, wirkt sich besonders verheerend beim Energiesektor Kaliforniens aus. Angesichts von neuen Rekordwerten bei den Temperaturen, die bis knapp 50 Grad Celsius reichten, stellen Klimaanlagen insbesondere für viele ältere Bürger Kaliforniens eine Überlebensnotwendigkeit dar. Und es waren gerade diese heißen Tage Mitte August, wo die Energieversorger des bevölkerungsreichsten Bundesstaates den Strom für mehr als drei Millionen Bürger abstellen mussten, um im Heimatland der globalen IT-Industrie einen Zusammenbruch des maroden Stromnetzems zu verhindern. Der in Hitzephasen durch die massenhafte Benutzung von Klimaanlagen zunehmende Strombedarf überfordert das alte Stromnetz Kaliforniens, das in etwa so marode ist wie die Infrastruktur der Sowjetunion in der zweite Hälfte der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts. Während rechte und neoliberale Medien umgehend den in Kalifornien eingeleiteten Umstieg auf erneuerbare Energien für die Stromausfälle verantwortlich machten, sind die Ursachen der „Blackouts“ eher im Fehlen eines neuen Akkumulationsregimes zu verorten.
Amerikas derzeitige Infrastruktur wurde im Nachkriegsaufschwung errichtet, in den 50er bis 70er Jahren, als der Boom der Autoindustrie und das Fordistische Akkumulationsregime den Staaten genug Steuergelder für den entsprechenden Infrastrukturellen Umbau der kapitalistischen Gesellschaften verschafften. Nach dem Auslaufen dieses Booms – in Deutschland gerne als Wirtschaftswunder bezeichnet – ab den 80er Jahren mussten auch die substanziellen Aufwendungen zum Ausbau der Infrastruktur eingestellt werden, da der Staat langfristig nur dann investieren kann, wenn er genügend Finanzmittel aus breiter Akkumulation in Gestalt von Lohnsteuern, etc. abschöpfen kann. Mit der Deindustrialisierung der USA ging somit auch ein Verfall der Infrastruktur einher, die nur noch notdürftig aufrechterhalten wird, ohne dass umfassende Modernisierungsprogramme ernsthaft umgesetzt würden. Dies gilt auch für das kalifornische Stromnetz, das sich in langsamer Auflösung befindet und schon des öfteren durch Funkenflug Feuerkatastrophen verursacht hat. Der Spätkapitalismus ist somit selbst in seinen Zentren kaum noch in der Lage, die unrentablen, infrastrukturellen Fixkosten des Verwertungsprozesses zu tragen. Gewissermaßen steht nun wieder die Elektrifizierung der Gesellschaft zur Disposition – zumindest der abgehängten und marginalisierten Gesellschaftssichten.
Die mit dem Neoliberalismus einhergehende soziale Spaltung der Gesellschaft droht, in Wechselwirkung mit der Klimakrise, zu einem buchstäblichen Auseinanderbrechen der spätkapitalistischen Gesellschaft als einer einigermaßen kohärenten, sozialen Struktur zu führen. In einem Meer aus Zerfall zeichnen sich nur noch Inseln funktionierender Kapitalverwertung ab. Zwischen jenen Bevölkerungsteilen auf, die noch die Mittel haben, der Klimakatastrophe zu begegnen, und all jenen, die diese Mittel nicht haben, tut sich ein immer größer werdender Abgrund auf. Auch hier, beim Zerfall der Kapitalvergesellschaftung, ist Kalifornien Avantgarde und Schrittmacher für den gesamten Westen.
Wer kann sich in Zeiten knapper Kassen beispielsweise noch eine anständige Feuerwehr leisten? Schon im vergangenen Jahr zeichnete sich im Sonnenstaat ein neuer Trend zur Privatfeuerwehr ab. Reiche Gated Communities oder von der Oberklasse bewohnte Siedlungen und Stadtteile leisten sich einfach private Brandbekämpfer, die nicht unter dem Mangel an Ausrüstung und Personal leiden, den ihre öffentlich angestellten Kollegen erfahren. Je nach Standpunkt handelt es sich hierbei, laut New York Times, um eine „dystopische Form der Ungleichheit“, oder eine „notwendige Dienstleistung“. So oder so werden der Branche angesichts des Klimawandels, der die Feuer Kaliforniens immer gefährlicher macht, sowie einer unterfinanzierten öffentlichen Feuerwehr gute Wachstumschancen prognostiziert: Rund 3000 Dollar koste eine private Feuerbekämpfungseinheit – pro Tag, versteht sich.
Nicht nur die unterschiedlich effektive Bekämpfung der Brände, auch der ungleiche Wiederaufbau der durch Feuersbrünste verwüsteten Ortschaften vertieft die bereits gegebene soziale Spaltung der kalifornischen Gesellschaft. Das Ausmaß und die Schnelligkeit, mit der öffentliche Gelder und sonstige Hilfen in verbrannte Ortschaften und Regionen fließen, sind abhängig von deren Durchschnittseinkommen und sozialer Schichtung. Dabei sind gerade die sozial benachteiligen afroamerikanischen oder hispanischen Minderheitenin Kalifornien besonders benachteiligt. Diese Diskrepanz im Wiederaufbau resultiert oft aus der schwachen Machtstellung ärmerer Communities im Politbetrieb, die sich keine effektive Lobbyarbeit leisten können. Zudem können sich in den armen Vierteln die Bewohner kaum noch die beständig im Preis steigenden Feuerversicherungen leisten, was den Wiederaufbau zusätzlich erschwert und in die Länge zieht. Und selbst die Programme zur Förderung regenerativer Energiegewinnung, etwa durch die Installation subventionierter Solarzellen auf Hausdächern, kommen hauptsächlich wohlhabenden Kaliforniern zugute.
Die geheiligte „unsichtbare Hand“ des kapitalistischen Marktes ist dabei der wichtigste Brandbeschleuniger. Dies nicht nur aufgrund des dem Kapital innewohnenden Verwertungszwanges, der die Welt um seiner Selbstvermehrung willen buchstäblich verbrennt, sondern, im Falle Kaliforniens, auch ganz konkret, wo das Feuerrisiko inzwischen einfach in dem Immobilienmarkt eingepreist ist. Die absurden Immobilienpreise an der Küste Kaliforniens haben einkommensschwache Bevölkerungsschichten in die feuergefährdeten Regionen im Inneren des Bundesstaates abgedrängt.
Deswegen finden sich nun die Armen in den am meisten von Wald- und Buschbränden gefährdeten Regionen wieder. Den besten Schutz vor Bränden stellen aber gerade die teuren Hausdächer aus Stein dar, die sich nur diejenigen wohlhabenden Kalifornier leisten können, die ohnehin die feuergefährdeten Regionen meiden, in denen fast alle Häuser Holzdächer haben. Der kapitalistische Markt sorgt in seiner unergründlichen Weisheit also dafür, dass gerade in den Regionen leicht brennbare Holzhäuser errichtet werden, die besonders anfällig für Großfeuer sind.
Der Autor publizierte zu diesem Thema das Buch Klimakiller Kapital. Wie ein Wirtschaftssystem unsere Lebensgrundlagen zerstört.
# Titelbild: Christopher Michel: CC BY 2.0 „The day The Sun Didn’t Rise“ Golden Gate Bridge in San Francisco