Irland: Repressionswelle gegen irisch-republikanische Partei Saoradh

25. August 2020

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Gastbeitrag

Unter der Führung des britischen Geheimdienstes gehen derzeit Polizeibehörden in Irland und Schottland gegen die radikale republikanische Partei Saoradh vor. Der Historiker und Irland-Kenner Dieter Reinisch hat mit Aktivisten der Partei gesprochen. Wir veröffentlichen eine übersetzte und aktualisierte Version eines ursprünglich auf Englisch erschienen Artikels zu der Repressionswelle.

Am Dienstag, den 18. August, verhaftete die nordirische Polizei PSNI, assistiert durch die südirische Polizei An Garda Síochána neun führende Mitglieder der radikalen irisch-republikanischen Partei Saoradh (Befreiung). Die Verhaftungen standen in Verbindung mit diversen Hausdurchsuchungen bei Saoradh-Mitgliedern in Derry, East Tyrone und North Armagh.

Im Süden Irlands durchsuchte die Gardaí die Häuser von sechs Republikanern in Dublin, Cork, Kerry und Laois. Die meisten, die durch die Hausdurchsuchungen und Verhaftungen betroffen waren, sind ehemalige republikanische Gefangene. Alle neun festgenommenen Mitglieder, sieben Männer und zwei Frauen zwischen 26 und 50, werden immer noch in der Musgrave Serious Crime Suite in Belfast verhört. Im Süden gab es keine Verhaftungen.

BBC Nordirland berichtete, dass der britische Geheimdienst MI5 die Operation Arbacia führt. In einer Erklärung vom Freitag informierte die PSNI, dass die Operation weiterlaufe. Am Donnerstag wurden die vier Büros von Saoradh in Derry, Newry, Belfast und Dungannon durchsucht. Am Freitag Morgen wurde in Schottland ein zehntes Parteimitglied nach einer Hausdurchsuchung in Glasgow festgenommen. Alle zehn werden nach britischen Anti-Terrorgesetzen festgehalten und bleiben in Untersuchungshaft.

Diese große, grenzüberschreitende Operation gegen die republikanische Partei Saoradh ist eine der bedeutensten Operationen gegen republikanische Aktivisten in den vergangenen Jahren. Über Monate hat der Geheimdienst seine Überwachung von Saoradh-Aktivisten besonders in Derry und Strabane verstärkt. Die Hausdurchsuchungen und Verhaftungen in Schottland und beiden Teilen Irlands weisen darauf hin, dass die Operation zum Ziel hat, Saoradh zu zerschlagen.

Die Operation fokussiert sich hauptssächlich auf Führungspersonen einer legalen politischen Partei in Nordirland. Zur selben Zeit gab eine Sprecherin von An Garda Síochána an, dass es „keine Pläne gibt, Verhaftungen [in der Republik Irland] durchzuführen“. Erklärungen der Geheimdienste sprechen davon. dass sich die Operation gegen die Aktivitäten der so genannten „Neuen IRA“ oder „IRA“ richteten. Die Festnahme der politischen Aktivisten unter Anti-Terror-Gesetzen bei einer Operation gegen die „Neue IRA“ zielen darauf ab, angebliche Beweise für die sich überschneidene Mitgliedschaft zwischen der legalen Partei Saoradh und der verbotenen paramilitärischen IRA zu etablieren. Sollte dieser Versuch der Geheimdienste erfolgreich sein, dürfte er das Vorspiel für das Verbot von Saoradh werden.

In einer Erklärung betonte Pressesprecher Padd Gallagher aus Derry, dass es sich bei Saoradh um eine legale politische Partei handelt: „Seit der Gründung von Saoradh haben die Regierungen des britischen Staats und des Freistaats [Republik Irland] eine breite Palette drakonischer Maßnahmen genutzt, um die Partei zu unterdrücken. In dem sie auf Parteimitglieder, ihre Familien und Unterstützer gezielt haben, haben die Unterdrücker versucht, die Partei mit Schickanen zur Auflösung zu zwingen. Die vom MI5 geführte Operation, zu der die Internierung verschiedener Mitglieder in Derry, Tyrone und Armagh gehörte sowie weitere Durchsuchungen in Dublin, Cork und Kerry, ist ein weiteres Beispiel für Attacken und den sinnlosen Versuch, das Wachstum unserer Partei zu stoppen.“

Schikane gegen ehemalige Gefangene

Alex McCrory, ein bekannter republikanischer Aktivist und ehemaliger politischer Gefangener aus Belfast sagt: „Dieses Niveau grenzübergreifender Koordination und Kooperation ist beispiellos in den vergangenen Jahren. Zweifellos wird dies befördert durch die Ernennung von Drew Harris [Anmerkung: Drew Harris ist ein ehemaliger Polizeibeamter, der von der PSNI in Nordirland zur Polizei der Republik Irland gewechselt hat] zu einem führenden Polizisten der 26 Counties [Republik Irland]. Harris mag die Uniform des Freistaats angezogen haben, aber im Herzen ist er ein britischer Polizist. In diesem Fall hat er sich ein Bein ausgerissen, um seinem voherigen Arbeitgeber zu assistieren.“

Saoradh hat seit dem Start der Operation am Dienstag zwei Erklärungen herausgegeben und Dee Fennell aus Belfast sprach während der Durchsuchungen der PSNI im Belfaster Büro auf UTV [TV-Sender].

Während die Aufmerksamkeit der Medien sich vor allem auf die Entwicklung in Nordirland richtete, habe ich mit eine Repräsentanten von Saoradh in Dublin über die Situation südlich der Grenze gesprochen. Der Aktivist ist ein einflussreiches Mitglied der Partei, möchte aber anonym bleiben: „Wenn mein Name heute in den Medien auftaucht, steht mein Haus auf der Durchsuchungsliste für morgen früh.“ In Dublin wurden bereits zwei Häuser von Parteiaktivisten durchsucht. „Die Operation war ein Angriff auf ehemalige Gefangene. Ausschließlich ehemalige Gefangene wurden herausgesucht, aber es wurde nichts gefunden. Das ist einfach ein Belästigen von [ehemaligen] Gefangenen, wie es das schon seit Jahren gibt.“

Spenden für Gefangene, die in den Hochsicherheitsgefängnissen Maghaberry [Nordirland] und Portlaise [Republik Irland] einsitzen, werden von der „Irish Republican Prisoners’ Dependents’ Association „(IRPWA) gesammelt. Aktuell gibt es rund 30 Gefangene in Portlaoise, um die sich die IRPWA kümmert. „Ein kürzlich entlassender Gefangener hat durch die andauernden Belästigungen durch die Gardaí Special Branch [politische Polizei] seinen Job verloren“.

Besonders empört war mein Gesprächspartner über die Art und Weise der Durchsuchungen: „Durchgeführt wurden die Durchsuchungen von der bewaffnenten Emergency Response Unit. Das betroffene Saoradh-Mitglied hat eine Partnerin mit schweren Rückenproblemen. Sie schaute aus dem Fenster und sah, dass die ganze Straße mit bewaffneten Polizisten voll war. Sie stellten große Lampen um das Haus. Sie wusste sofort, was los war.“

In den letzten Jahren hatte ich immer wieder Treffen mit dem Saoradh-Mitglied, dessen Haus in Crumlin durchsucht wurde. Einige dieser Treffen mussten immer wieder verschoben werden, aufgrund der Gesundheitsprobleme und Krankenhaustermine seiner Partnerin. „Trotz der schweren Gesundheitsprobleme wurde die Partnerin des Saoradh Mitglieds angegriffen und zu Boden gebracht. Das war um fünf Uhr morgens. Aufgrund des Lärms kamen die Nachbarn auf die Straße. Alles was sie mit diesen Durchsuchungen erreichen ist, dass sie der Community schaden. Einige der Nachbarn haben sich gegen die Durchsuchungen ausgesprochen und protestiert.“

Ich habe ihn gefragt, warum er glaubt, dass Saoradh in dieser Woche angegriffen wurde:

„Sie wollen die Stellung unserer Aktivisten in der Community beschädigen. Sie machen sich Sorgen, dass Saoradh mit der Community-Arbeit Erfolg hat, deswegen wollen sie Saoradh von der Community entfremden“.

In den Monaten vor dem Ausbruch der Pandemie hat sich Saoradh zunehmend sozialen Problemen wie der irlandweiten Hauskrise zugewandt. In den letzten Wochen hatte Saoradh in Belfast und Dublin gemeinsam mit anderen Sozialisten und irischen Antifaaktivisten Rechte konfrontiert.

Der Journalist John Mooney hat vor kurzem eine Quelle aus der Polizei in der Times zitiert, die erzählte, dass Republikaner „junge Menschen für eine Vielzahl von politischen Themen wie Globalisierung und Antikapitalismus anziehen. Die Menschen, die ihnen beitreten sind nicht nur traditionelle Republikaner sondern eher linke Aktivisten“.

„Aber es gibt noch andere Gründe für diese Operation“, erklärt der Saoradh-Repräsentant:

„Es ist eine PR-Lehrstunde der Polizei, so dass sie sagen können, sie tun etwas gegen die „Dissidenten“. Wir sind mitten in einer Pandemie, die zu einer Rezession führen wird und das ist ihr Weg, den Politikern zu sagen, dass sie mehr Geld brauchen.“

Dann lenkt er die Aufmerksamkeit auf einen anderen Punkt, der regeläßig von Saoradh hervorgehoben wird – Irland als globales Steuerparadies für multinationale Konzerne: „Wir hatten 2008 eine massive Finanzkrise. Banker und Immobilienentwickler haben das Geld der Steuerzahler aus dem Fenster geworfen. Korruption und Kriminalität gab es jahrelang. Wie viele Banken wurden durchsucht? Wie viele Häuser der Top-Bankmanager wurden durchsucht? Wie viele von ihnen wurden für ihre kriminellen Aktivitäten, die zur aktuellen sozialen Krise geführt haben, verurteilt? Keiner, absolut niemand.“

Als ich zur nächsten Frage kommen will, insistiert er:

„Das war eine lang geplante, gut koordinierte Operation. Für so eine Operation brauchst Du Hunderte beteiligte. Wir hören regelmäßig von der Regierung, dass es keine Ressourcen gibt, um anti-soziales Verhalten und Drogen zu bekämpfen. Aber es finden sich über 100 Polizisten, um morgens um 5 die Türen politischer Aktivisten einzutreten“.

Die Durchsuchungen werden uns entschlossener machen“

Saoradh wurde offiziell im Herbst 2016 in Newry gegründet. Das Ziel war der Aufbau einer irlandweiten, radikalen republikanischen Alternativen zum Karfreitagsabkommen und Sinn Fein. Einige der führenden Mitglieder sind erfahrene Republikaner, die während des Konflikts in Nordirland in der provisorischen IRA und Sinn Fein aktiv waren. Hinzu kam eine junge Generation von Republikanern, zumeist aus der städtischen Arbeiterklasse, die von Jugendarbeitslosigkeit und sozialen Problemen betroffen sind und im aktuellen politischen Abkommen keine Perspektive sehen.

Schon Anfang 2016 organisierten einige, die später Saoradh mit aufgebaut haben, einen Gedenkmarsch für die 100-Jahrfeier des Aufstands von 1916. Bis zu 4000 Menschen liefen hinter 50 Männern und Frauen in paramilitärischen Uniformen durch das ländliche Coalisland in der Grafschaft Tyrone. Der Hauptredner der Veranstaltung war der frühere republikanische Gefangene Davy Jordan, der später erster Vorsitzende der Partei wurde. Ihm folgte Brian Kenna aus Dublin aber auch Jordan ist nach wie vor im Parteivorstand von Saoradh.

Die Pandemie hat Saoradh gezwungen, ihre Gedenkmärsche in diesem Jahr abzusagen, aber an Ostern im vergangenen Jahr nahmen immer noch bis zu 1000 Menschen an ihrer nationalen Osterveranstaltung in Dublin teil.

Wie werden die aktuellen Hausdurchsuchungen und Verhaftungen die Arbeit von Saoradh beeinflussen?

„Ich glaube nicht, dass diese Durchsuchungen einen Einfluss auf Dublin haben werden. Sie werden unsere Mitglieder entschlossener machen. Ja, diese Zeiten sind beunruhigend. Es ist immer beunruhigend, wenn der Staat so heftig eine politische Gruppe angreift. Aber es wird uns entschlossener machen, unsere Botschaft zu verbreiten.“

Er fährt fort: „Durchsuchungen haben zwei Ziele. Das erste ist, unsere Aktivisten von der Community zu entfremden. Wenn die Menschen solche heftigen Durchsuchungen sehen, denken sie: Oh mein Gott, was haben die bloß getan? Sie müssen etwas getan haben, wenn ihnen so etwas passiert. Der zweite Grund ist, dass sie Menschen davon abhalten wollen, uns beizutreten. Wenn Leute von den Durchsuchungen hören, werden einige uns nicht beitreten.“

Dann spricht er über die Konsequenzen für den Norden Irlands:

„Offensichtlich sind die Festnahmen in den sechs Grafschaften [Bezeichnung für Nordirland] deutlich beunruhigender, weil die Verhafteten immer noch in Haft sind und die Geheimdienste möglicherweise Anklagepunkte erfinden. Das würde bedeuten, dass sie die Festgenommenen für bis zu zwei Jahre aus politischen Aktivitäten rausnehmen. Das ist besorgniserregend.“

Auch wenn es eine nüchternere und wahrscheinlich ehrlichere Bewertung ist, spiegelt sie doch wieder, was auch Paddy Gallagher aus Derry sagt: „Je mehr Widerstand Saoradh leistet, um so größer wird der ausgeübte Druck. Aber je mehr Druck ausgeübt wird, um so mehr wird Saoradh Widerstand leisten.“

Dennoch: mit der Festnahme von zehn führenden Mitglieder von Saoradh hängt die Bedrohung durch Anklagen über der Partei. Falls einige der Mitglieder aus dem Parteivorstand aufgrund von Antiterror-Gesetzen angeklagt werden, wird sich zeigen ob und wie Saoradh sich von so einem Schlag erholen kann.

Repressionswelle geht weiter

Seit der Entstehung des Interviews haben sich die Befürchtungen bewahrheitet. Mittlerweile wurden fünf Männer und zwei Frauen der insgesamt zehn Festgenommenen angeklagt. Der verhaftete Saoradh-Aktivist aus Schottland wurde entlassen. Den Angeklagten wird eine ganze Reihe von Straftaten vorgeworfen. Die Hauptanklagepunkte sind IRA-Mitgliedschaft, Waffen- und Sprengstoffbesitz und Planung von Terroranschlägen. Vermutlich werden auch die zwei anderen Festgenommenen noch angeklagt.

Am vergangenen Samstag wurde zudem ein 62-jähriger, in Schottland lebender, Palästinenser verhaftet. Er hatte im November 2019 am Parteitag von Saoradh in der nordirischen Stadt Newry eine Grußadresse aus Palästina verlesen. Ihm wird vorgeworfen, dass er Kontakte zwischen palästinensischen Organisationen und der Neuen IRA aufgebaut haben soll.

Seit dem Wochenende ist bekannt, dass ein Teil der Ermittlungen auf einen Spitzel zurückzuführen ist, der seit mehreren Jahren in Saoradh und der Neuen IRA aktiv war und ursprünglich aus Schottland stammt. Seit vergangenen November war er in der nationalen Leitung der Partei. Er hatte in der Vergangenheit zwei Treffen in angemieteten Ferienhäusern organisiert. Nach Ansicht des Geheimdienstes handelt es sich um Treffen der Armeeführung der Neuen IRA. Hierauf basieren die Anklagen gegen die Festgenommenen Saoradh-Aktivisten. Dem Geheimdienst liegen nach eigener Aussage mehrere Stunden Audio- und Videomaterial der Treffen vor. Das Haus der Spitzel wurde schon am vergangenen Mittwoch von Mitarbeitern des britischen Geheimdienstes ausgeräumt und er soll sich in einem Zeugenschutzprogramm befinden.

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