Wenn man sich auf eines auch in bewegten Zeiten verlassen kann, dann sind es die antikommunistischen Reflexe der Bourgeoisie. Auf bestimmte Ereignisse und Aussagen reagieren Vertreter bürgerlicher Parteien wie der Pawlow’sche Hund, dem das Wasser im Munde zusammen läuft, wenn die Klingel ertönt. Ein solches Ereignis hat vor kurzem in Schwerin stattgefunden, auf den ersten Blick ein normaler parlamentarischer Vorgang. Die Linke-Politikerin Barbara Borchardt, die früher im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern gesessen hat, wurde Mitte Mai von eben diesem Landtag zur Landesverfassungsrichterin gewählt.
Ein Teil der Leitmedien und diverse Bundespolitiker laufen seitdem verbal Amok. Denn Barbara Borchardt ist nicht nur Mitglied der Linkspartei, sondern ist auch Gründungsmitglied der Parteiströmung Antikapitalistische Linke (AKL). Sie war Bürgermeisterin zweier Gemeinden in der DDR und trat 1976 in die SED ein. Für FDP-Generalsekretärin Linda Teuteberg reicht das, um ihre Wahl als eine „Verharmlosung der SED-Diktatur“ hinzustellen. Borchardt bringe „statt juristischer Kompetenz und Erfahrung eine Kader-Karriere in der SED“ mit, geiferte sie im Springer-Kampfblatt Welt. Mit ihr werde zum ersten Mal eine Kandidatin zur Verfassungsrichterin, „die sich in einer als verfassungsfeindlich angesehenen Bewegung engagiert“, behauptete Teuteberg.
Nun wird die AKL tatsächlich vom Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) dem „Linksextremismus“ zu geordnet. Weil sie einen „grundsätzlichen Systemwechsel“ sowie die Überwindung der bestehenden kapitalistischen Gesellschaftsordnung durch einen „Bruch mit den kapitalistischen Eigentumsstrukturen“ fordere. Wie alle wissen, die nicht völlig verblödet sind, ist eine solche Einordnung aber so etwas wie ein Prädikat. Denn nur ein Bruch mit den Eigentumsstrukturen kann diese Gesellschaft so verändern, das sie den Prinzipien des Grundgesetzes zumindest näher kommt.
Natürlich sieht man das auch bei der Bild-Zeitung anders. Das Schmierblatt zitierte den Verfassungsrechtler Michael Brenner mit den Worten, wenn jemand Verfassungsrichter oder -richterin sei, müsse er oder sie „fest auf dem Boden des Grundgesetzes“ stehen. Wer einen Systemwechsel wolle, sei das aber nicht, so der Herr Professor. Denn „Artikel 14 des Grundgesetzes sichert das Privateigentum.“ Wer das ablehne, sei als Verfassungsrichterin untragbar. Damit hat der Mann zumindest die heilige Kuh dieses Systems hervorragend herausgearbeitet.
Dumm nur, dass Borchard im zweiten Wahlgang im Landtag von Schwerin nicht nur die Stimmen ihrer eigenen Fraktion und der SPD bekommen hatte, sondern auch die der CDU-Fraktion. In der Tageszeitung junge Welt erklärte die Linke-Politikerin das damit, dass viele Abgeordnete sie noch aus ihrer Zeit im Landtag kennen und es Wertschätzung eben „manchmal auch über Partei- oder Fraktionsgrenzen hinweg gibt“.
Sie wies darauf hin, dass sie bereits seit 2017 stellvertretendes Mitglied des Landesverfassungsgerichtes ist und schon damals ihre Mitgliedschaft in der AKL bekannt war. 66 Landtagsabgeordnete nahmen damals an der Wahl teil, 63 Stimmen waren gültig, Borchardt erhielt 50.
Bis nach Bayern sind diese Informationen offenbar nicht gedrungen. Jedenfalls schoss CSU-Generalsekretär Markus Blume bei der Kampagne gegen die Linke den Vogel ab. Er postete bei Twitter eine Fotomontage mit einem Konterfei von Borchardt in Richterrobe unter Hammer und Sichel gepostet, flankiert von Abbildungen von Lenin und Stalin. Die Aufschrift: „Linksextremistin wird Verfassungsrichterin!“. Der Modernisierungskurs von CSU-Chef Markus Söder kann offenbar den ideologischen Denkmustern aus den 50er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts in dieser Partei nichts anhaben.
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