Die Corona-Pandemie stellte die Linke vor eine schwierige Situation: Der Glaube in den Staat wächst, politische Praxis auf der Straße ist kaum noch möglich. Die Radikale Linke Berlin (RLB) mit einigen Überlegungen, wie der Kampf unter den neuen Bedingungen weitergehen könnte.
Seit Anfang des Jahres überrollt die Corona-Virus-Pandemie die gesamte Welt. Wo sich viele in Europa, uns inklusive, Anfang Januar noch in Sicherheit wägten, zwang das Virus innerhalb weniger Wochen eine der größten Volkswirtschaften der Welt zum Stillstand.
Nun wurde auch in Deutschland das gesellschaftliche Leben überwiegend zum Erliegen gebracht, wenn auch nicht so drastisch wie in anderen Ländern.
Die radikale Linke befindet sich indessen in einer scheinbaren Schockstarre – Überwältigt von den rasanten Geschehnissen, durch Kontaktsperre und häusliche Quarantäne in ihrer gewohnten Arbeitsweise gestört. Dabei sind linke Analyse, radikale Antworten und Agitation notwendiger denn je.
Der folgende Text soll zur Analyse der Situation und möglichen Handlungsoptionen aus linksradikaler Perspektive beitragen.
1. Der Globale Kapitalismus in der Krise – Das Recht des Stärkeren im Neoliberalismus
Als Anfang Januar der große Ausbruch in der chinesischen Bau- und Schwerindustriemetropole Wuhan begann, startete gleichzeitig in Europa und Nordamerika eine regelrechte Propagandaschlacht. Die Hauptthese bestand darin, dass die chinesische Führung das wahre Ausmaß der Epidemie verschleiern würde und mit autoritären Maßnahmen das Vertrauen der Bevölkerung verloren hätte. Es wurde das Ende des „Regimes“ herbei geschrieben und mit wackeligen Undercover-Aufnahmen aus überfüllten Krankenhäusern unterfüttert. Nun soll es aber nicht um chinesische Innenpolitik gehen sondern um die Folgen für uns in Europa.
Klar ist, dass in dieser Phase europäische und US-amerikanische Eliten das Virus als Chance begriffen einen starken Konkurrenten auf dem Weltmarkt langfristig geschwächt zu sehen. Sich selbst schien man in relativer Sicherheit zu wiegen, denn Vorbereitungen in europäischen Krankenhäusern wurden nicht getroffen. Ebensowenig gab es Unterstützungsangebote für die überlasteten Krankenhäuser Wuhans.
In die selbe Zeit fallen zwei weitere internationale Konflikte, die weitreichende Folgen für Europa haben. Einerseits tobt seit Anfang März ein unerbittlicher Preiskampf zwischen Russland und Saudi-Arabien um die Neuaufteilung von Förderquoten für Rohöl. Der davon ausgelöste, scheinbar unaufhaltsame Sinkflug des Rohölpreises wird weitreichende Folgen für einige kleinere Schwellenländer haben, die von dessen Export abhängig sind. In Kombination mit den weitreichenden Ausgangssperren und wirtschaftlichen Einschränkungen durch die Pandemie kann der Ölkrieg aber auch für die größeren Volkswirtschaften zum Verhängnis werden und neue Konfliktfelder eröffnen, die zur weiteren Instabilität von ganzen Weltregionen beitragen werden. Besonders im Nahen Osten – seit Jahrzehnten ein durch die imperialistischen Mächte geschürter Krisenherd – ist durch die Folgen der Pandemie und den Ölkrieg mit einer ernsten Zuspitzung der chaotischen Lage zu rechnen. Der Fast-Krieg zwischen Russland und der Türkei in Idlib im Februar diesen Jahres ist beispielhafter Ausdruck einer Weltlage, die die kurdische Freiheitsbewegung seit Jahren als den „dritten Weltkrieg“ beschreibt.
Insbesondere die Millionen Geflüchteten in den Lagern an Europas Außengrenzen sind dem Virus schutzlos ausgeliefert und werden von ihm besonders hart getroffen. Noch vor der Bedrohung durch einen um sich greifenden, neuartigen Virus, war die Lage hier äußerst angespannt. Die rassistische Pogromstimmung, die davon ausgelöste Flucht vieler Hilfsorganisationen und die sich deshalb weiter verschlimmernden hygienischen und vitalen Versorgungszustände ließen die Zustände in und um die Lager auf dystopisches Niveau sinken. Das Aussetzen des Anspruches auf Asyl seitens Griechenlandes wurde Anfang März noch erschreckend still hingenommen. Jetzt ist es de-facto gesamteuropäische Praxis, bei der ein Geschehenlassen der Katastrophe in den Lagern als „alternativlos“ verstanden werden soll und die Aufnahme von 50 unbegleiteten Kindern als humanitäre Großtat gilt.
Doch nicht nur an den Außengrenzen der EU ist alles dicht. Innerhalb kürzester Zeit wurden auch zwischen einigen EU Staaten wieder Grenzkontrollen eingeführt. Die Crux dieser kurzfristigen Grenzkontrollen lag für einige Staaten nur darin, dass mit den Einschränkungen in der Personenfreizügigkeit auch gleichzeitig die Warenströme zum Erliegen kamen. Innerhalb eines Tages bildeten sich an der polnischen Grenzen bis zu 50km lange LKW Staus. Dadurch wurden die Just-In-Time Lieferketten der Industrie 4.0 empfindlich gestört, woraufhin es zu größeren Einschränkungen innerhalb der Produktion gekommen ist. Diese Behinderungen sind nachwievor nicht durch staatliche Eingriffe, sondern durch unterbrochene Lieferketten und fehlende Absatzmärkte begründet.
Neben der Unterbrechung der Lieferketten wurde auch der Verkehr für Arbeitskräfte stark eingeschränkt. Dies trifft in Deutschland eigentlich alle Sektoren empfindlich, allerdings müssen zwei besonders hervorgehoben werden. Zum einen die sogenannten Saisonarbeiter*innen in der industriellen Landwirtschaft. Dauerhaft pendelten sonst zehntausende Arbeiter*innen aus den osteuropäischen Staaten nach West- und Nordeuropa, um hier zu schuften und zwar nicht nur in der Spargel- oder Erdbeerernte sondern das gesamte Jahr über auch in Schlachthöfen oder in der Beeren- und Weinernte.
Durch die Bedrohung dieses Stromes billiger Arbeitskräfte, entspann sich hier eine Debatte, die die hässliche Logik, der auch dieser Produktionssektor unterliegt, offenbart. Es geht darum, geduldete Geflüchtete „einzusetzen“, während anderen die Beschäftigung nicht sozialversicherungspflichtiger Gruppen lieber ist. Letzlich werden Sonderregelungen erlassen und osteuropäische Saisonarbeiter*innen in Kontingenten eingeflogen, die während ihrer Arbeit in ihren Betrieben quarantäniert werden sollen.
Zum anderen entfallen tausende Arbeiter*innen in der Pflege. Hier zeichneten sich bereits erste Konflikte ab, denn die deutsche Regierung versucht bereits seit einiger Zeit, gezielt und aggressiv Gesundheitspersonal in verschiedenen Ländern der Peripherie abzuwerben. Dabei wird sich nicht auf Ost- und Südeuropa beschränkt sondern auch in Schwellenländern an – beziehungsweise abgeworben. Denn letztendlich wird damit das gut ausgebildete Personal aus den Ländern abgeworben, die es selbst dringend bräuchten. Der Schluss daraus kann natürlich nicht sein, dass gefordert wird „Arbeit zuerst für Deutsche“, sondern vielmehr die seit Jahrzehnten geforderte Verbesserung der Pflegeausbildung und anschließenden Arbeitsbedinungen.
Ein ähnlicher Konkurrenzkampf ist auch in anderen Branchen und derzeit neben Fachkräften auch im Bereich der medizinischen Produkte besonders deutlich. So versuchte die US-Regierung deutsche Mikrobiologen, die an einem Impfstoff arbeiten, abzuwerben. Gleichzeitig kaufen und klauen sich die ‚europäischen Partner‘ Schutzausrüstung gegenseitig vor der Nase weg.
Nationale Lösungen haben Konjunktur. Auch das Gewäsch der europäischen Solidarität von gestern interessiert heute niemanden mehr. Eine gemeinsame Kostenbewältigung beispielsweise wird von den reicheren Staaten strikt abgelehnt, während die ärmeren der Bewältigung der medizinischen Erfordernisse mit dem kleinen Rest Gesundheitsinfrastruktur beikommen müssen, der ihnen nach den Zwangsprivatisierungen und -Sparmaßnahmen aus der letzten Krise geblieben ist. Ganz zu schweigen von der knallharten Interessenspolitik des Westens im globalen Kontext.
All das führt uns zu der Annahme, dass ein weiterer Krisenzyklus vor allem in der europäischen Peripherie auf uns zukommt. Die Frage, die wir uns stellen müssen ist, ob im Zuge dieser Krise links-populistische Kräfte gestärkt werden und ob es eine Wiederholung der deutschen Austeritätspolitik geben kann. Die Ausgangslage deutet nicht in diese Richtung. Aus den Antworten auf diese Fragen müssen wir unsere Politik ableiten.
2. Klassenkampf von oben – den lahmen Gaul am Laufen halten
Mit allen Mitteln versucht der staatliche Apparat die Produktion am Laufen zu halten. Das ist auch seine Aufgabe im Kapitalismus, wenn wir ihn als „ideellen Gesamtkapitalisten“ begreifen. Dazu wurden verschiedenste Maßnahmen ergriffen.
Gerahmt werden diese durch ein zentrales Narrativ: „Wir sitzen alle im selben Boot.“ Diese hinlänglich bekannte Phrase soll seit jeher Klassenwidersprüche verschleiern. Den Menschen, die über kurz oder lang ernsthaft um ihren Lebensunterhalt, ihre Wohnung und ihre Familienangehörigen bangen müssen, soll damit suggeriert werden, dass ihre Ängste und ihre Situation die selbe seien, wie die der Herrschenden und Bosse.
Dem ist natürlich nicht so. Die gleiche Erzählung vom großen „Gleichmacher“, die zuletzt auch dem Klimawandel anhaftete, geistert auch jetzt wieder durch diverse nationale Öffentlichkeiten. Und auch hier ist sie wieder eine Lüge. Uns trifft das Virus im Falle einer Infektion nicht gleichermaßen. Die USA liefern ein besonders trauriges Beispiel dafür, wie stark sich die Einkommensunterschiede auf die medizinische Versorgung auswirken. Insbesondere, da in den USA oft Lohnarbeit und Krankenversicherung direkt aneinander gekoppelt sind. Ebenso jene Milliarden von Menschen, die keinerlei Möglichkeiten des Zugangs zu einem einigermaßen funktionierenden Gesundheitssystem haben. Genausowenig werden wir gleichermaßen von den gesellschaftlichen Auswirkungen der Epidemie getroffen. Wir hocken in unseren ein Drittel des Einkommens fressenden Wohnungen ohne Balkon eng aufeinander, uns wurde der Job gekündigt, ausgesetzt oder wir müssen weiterhin ohne Schutz arbeiten. Was bringt uns die ausgesetzte Kündigung als Mieter*in, wenn sie uns dann hochverschuldet zwei Monate nach der Corona-Zeit ereilt?
Die Reichen hingegen langweilen sich im Landhaus, während die private Haushaltshilfe weiterhin jeden morgen putzt und das Frühstück serviert. Zwischendurch wird gefordert, die Gürtel enger zu schnallen und „gemeinsam“ diese Krise zu bewältigen. Damit ist natürlich allerzuerst gemeint, die Wirtschaft am Laufen zu halten. Die Sorge vor einer Rezession macht vieles möglich und jede Menge Geld in Richtung von Unternehmen und Banken flüssig. Treffen wird diese Krise in den Auswirkungen aber am stärksten uns hier unten.
Über das Stöckchen des Klassenfriedens in der Krise und die Notwendigkeit des sozialen Zusammenhaltes springen auch die seit jeher wohldressierten DGB-Gewerkschaften und verkünden bereits in der zweiten Märzwoche, Konflikte mit dem Sozialpartner hintanzustellen. Hier müssen wir in die Bresche springen und diese Kämpfe führen. Das würde auch Kontakte und gemeinsame Erfahrungen schaffen, die jenseits der Pandemie dringend gebraucht werden.
Diesem ideologischen Angriff müssen wir uns entschieden entgegenstellen. Für uns muss klar sein, dass die (temporäre) Beilegung irgendeines Klassenwiderspruchs nie eine Option sein kann. Vielmehr sollten wir uns darauf konzentrieren, klar zu machen, dass gerade jetzt viele Klassengegensätze deutlich zu Tage treten und wir daraus Kämpfe entwickeln müssen. Es gilt den vermeintlich absoluten Ausnahmezustand als solchen zu dekonstruieren. Die offensichtlichen Probleme in der Daseinsvorsorge, sei es das auf Profitmaximierung ausgerichtete Gesundheitssystem oder die mangelnde Versorgung mit angemessenem Wohnraum, sind im Kapitalismus nicht lösbar und wir können dort anfangen zu kämpfen.
Doch die Herrschenden und der Staat haben auch direkte Maßnahmen ergriffen, um die kapitalistische Wirtschaft als ganzes zu schützen. Teilweise haben diese Regelungen auch Widersprüche offenbart. Wir denken hier an das zweiwöchige nationale Exportverbot für medizinische Ausrüstung welches der „Exportweltmeister“ verhängt hat.
Geschützt werden sollen aber vor allem Fachkräfte (z.B. Wissenschaftler*innen vom Tübinger Imstoffproduzenten CureVac ) und Schlüsselindustrien (z.B. Rüstungs-, Automobil- oder Landwirtschaftsindustrie) vor der internationalen Konkurrenz. Durch hunderte Milliarden Euro „rettet“ der Staat Großkonzerne. Ein solcher Eingriff ist stets Teil desselben Spiels: Die Gewinne werden privat ausgeschüttet, die Einbußen der Gesellschaft aufgehalst. Es findet also eine Umverteilung vorausgesehener Verluste im Zuge einer Rezession auf die Gesamtbevölkerung statt. Zahlen sollen wir alle, denn so ist es üblich im krisenhaften Spätkapitalismus.
Spannend bleibt die Frage, ob solche Mittel auch in Bereichen der gesamtgesellschaftlichen Daseinsvorsorge angewandt werden. Würde der Staat Gesundheits- und Pharmakonzerne oder die großen Immobilienaktiengesellschaften verstaatllichen? Letzteres käme ja einer teilweisen Erfüllung der Forderungen der Kampagne Deutsche Wohnen und Co. Enteignen gleich. Bisher wird durch die Aussetzung der Kündigungen von Mietschulden und deren Stundung nur Zeit gekauft. Das Problem hier wird sein, dass ein Großteil der Betroffenen durch Kurzarbeitergeld oder Kündigung auch nach der Pandemie keine Chance haben werden, diese Schulden zu begleichen und mit offenen Augen in die Kündigung und darauf folgende Zwangsräumung laufen werden. Die Pandemie kann also durchaus bisher als Beschleuniger von Verdrängungsprozessen dienen, wenn wir keine wirksamen Gegenmittel auf diese Fragen finden.
3. Autoritäre Formierung
Die Pandemie verstärkt ohnehin bestehende Vorstellungen und Organisationsweisen. Nationalismus, Rassismus und Repressive Maßnahmen sind bereits seit einigen Jahren wieder auf dem Vormarsch. Die Krise beschleunigt und verstärkt diese bestehenden Tendenzen und wir denken nicht, dass nach dem Virus alles so werden wird wie davor. Jetzt geschaffene repressive Regelungen und Gesetze werden auch danach zur Anwendung kommen.
Neben den bereits mehrfach erwähnten, über Nacht organisierten Grenzschließungen und der nationalen Abschottung soll auch kurz auf die Rolle der Repressionsorgane eingegangen werden. Der Einsatz der Bundeswehr im Inneren oder die Einbindung privater Sicherheitsfirmen in staatliche, sprich hoheitsrechtliche, Aufgaben ist keine neue Debatte. Interessenverbände, wie die Gewerkschaften der Polizei und andere rechte Zusammenschlüsse, nutzen die aktuelle Situation allerdings aus, um Fakten zu schaffen. Sie haben also durchaus ein Eigeninteresse für die Zeit danach. Auch bieten die getroffenen Regelungen eine Vielzahl von Einfallstoren für staatliche Willkür. Wer wird kontrolliert? Wer dokumentiert was 1,5m Abstand ist? Was sind notwendige Gründe um im Frühling an die frische Luft zu gehen? Wir denken, dass es durchaus notwendige Einschränkungen gibt, aber vertrauen keinen Deut auf das Urteilsvermögen derjenigen, die auch vor dieser Pandemie nie fähig waren menschliche Entscheidungen zu treffen.
Durch die umfassenden Einschränkungen im öffentlichen Raum und in der Zeit außerhalb der Lohnarbeit eröffnet sich schnell auch die generelle Frage in welchem Umfeld wir leben. Gerade die Unmengen von Leuten in prekären Lebensverhältnissen sind auf den öffentlichen Raum angewiesen um Kindern genügend Platz zum Spielen zu geben oder auch dem*r Partner*in aus dem Weg zu gehen. Dieser Raum ist jetzt verschlossen. Was in der Kombination mit der Schließung vieler Hilfs- und Unterstützungseinrichtungen zu einer enormen Zunahme von häuslicher Gewalt führt. Auch hier muss die radikale Linke deutlich auf die Zuspitzung der Situation und Widersprüche, die Klassenverhältnisse mit dem Patriarchat im Zuge der Krise verstärken, hinweisen.
Leider zeigt sich jetzt neben all der Solidarität und Umsichtigkeit auch, dass das kapitalistische System ungemein viele Individualist*innen hervorbringt. Diese wiederum brauchen den starken Staat und seine Vorschriften, um im Kollektiv überleben zu können. Wir begreifen gesellschaftliche Selbstverteidigung nicht nur im Sinne der direkten, körperlichen Selbstverteidigung, sondern auch darin, wie sich eine Gesellschaft schützen kann, vor Umweltzerstörung oder Gesundheitsgefährdung, aber auch vor ideologischen Angriffen. Der aktuell verbreitete positive Bezug auf starke Führungspersönlichkeiten oder das Expert*innentum der Wissenschaft und die Erwartung, möglichst klar gesagt zu bekommen, was richtig und was falsch ist, zeigt, dass dieses Wissen und die Fähigkeit, eine menschliche wie umsichtige Entscheidung selbstständig zu treffen, verloren gegangen sind. Dem sollten wir durch Selbstermächtigung und Bildung zu nicht-staatlichen Ansätzen entgegenwirken. Das Vertrauen in das staatlich-kapitalistische System kann nur durch den Aufbau und die Verbreitung von kommunalen Ansätzen gebrochen werden.
4. Zurück zur Handlungsfähigkeit
Klar ist in diesen Tagen, dass unsere Handlungsoptionen stark eingeschränkt sind. Persönliche Gespräche und Diskussionen sind zentrale Bestandteile von Selbstorganisierung. Doch diese Einschränkungen bedeuten keinesfalls, dass wir herum sitzen können und darauf warten bis dieser Zustand vorüber ist. Deshalb sollten wir uns fragen, was es heißt, sich in der Krise zu organisieren?
Auch in jeder*m von uns sind die Folgen von Jahrzehnten neoliberaler Politik und Individualisierung tief verwurzelt. Diese Mentalität hält uns in Zeiten der Krise wie auch sonst passiv und abwartend. Wir müssen uns aus dieser Umklammerung lösen und zum kollektiven und kommunalen Leben zurück finden-.
Organisieren heißt für uns, sich vorzubereiten und kollektive Antworten zu entwickeln im Kampf gegen das kapitalistische und patriarchale System. Diesen Ansatz verfolgten wir vor der Pandemie, genauso wie wir ihn während und nach der Krise verfolgen werden. Um handlungsfähig zu werden, erscheint uns als erster wichtiger Schritt eine umfassendere kollektive Analyse der gesellschaftlichen Widersprüche notwendig, um gemeinsam weiter kämpfen zu können. Damit wollen wir auch verhindern, in dieser Situation Forderungen rein entlang der Vorgaben der kapitalistischen Staatsordnung zu stellen und unsere generellen Ziele aus den Augen zu verlieren. Die Forderung nach mehr Personal im Krankenhaus ist absolut gerechtfertigt, aber verändert nicht das grundsätzliche Problem einer nach kapitalistischen Kriterien organisierten Daseinsvorsorge. Ähnliches gilt für unterbezahlte und überarbeitete Kassierer*innen, Lieferdienstfahrer*innen und Arbeiter*innen in den Amazon „Fullfillment-Centern“.
Ohne genaue Analysen der gesellschaftlichen Verhältnisse und organisierte Kräfte besteht die Gefahr, dass Selbstorganisation und Nachbarschaftshilfe schnell durch staatliche Akteure eingebunden wird und damit eher befriedet als Gegenmacht schafft. Das Vertrauen auf die Spontanität von kleinen Initiativen und Aktivist*innen stößt derzeit an seine Grenzen. Dies kann derzeit an den sich sehr schnell bildenden Nachbarschaftshilfe-Gruppen auf Telegramm und anderen Social Media Kanälen nachvollzogen werden, deren Aktivität bereits merklich abflaut und die durch staatliche und staatlich geförderte Angebote eingebunden werden.
Die letzten Wochen der Einschränkung zeigen uns aber auch, dass es durchaus gute Ideen gibt die umgesetzt werden. Per Videostream publizierte, „stille“ Besetzungen für Wohnungslose, Autokorso‘s und Kundgebungen mit Abstand oder Podcast und Zeitungsformate zeigen, dass es Potential für Aktionen gibt und wir sicher noch viele weitere Ideen entwickeln können. Das stimmt uns hoffnungsvoll und gibt uns Kraft auch in dieser schwierigen Zeit zu kämpfen.
# Titelbild: redfish media facebook