Kapitalismus und COVID19: Ein Beispiel aus der Lombardei

25. März 2020

Autor*in

Pier Rot

Italien steht kurz vor dem Höhepunkt seiner Coronavirus-Kurve und ein Unternehmen aus Brescia (Lombardei) verkauft eine halbe Milionen Test-Kits an die USA.

Am 16. März 2020 schickte ein im Bereich digitale Mikrobiologie und Künstliche Intelligenz agierendes Unternehmen aus Brescia 500.000 Kits zum Durchführen der Tests wegen dem tödlichen Virus in die USA. Brescia liegt in der bisher am stärksten betroffenen Region Lombardei, die bis dato 19.884 Infizierungen und 2.168 Todesfälle registrierte. Im ganzen Stiefel wurden seit Beginn des gewalttätigen Ausbruchs des Covid-19 Mitte Februar lediglich 100.000 Tests durchgeführt. Bis zum 16. März wurden in den USA „nur“ 4.500 Infizierungen und 86 Todesfälle gezählt. Wer hätte die Test-Kits nun dringlicher gebraucht? In Zeiten des von allen Seiten als kriegerisch bezeichneten Kampfes gegen den Coronavirus verfolgen die Regierungen weltweit einen Krieg jeder gegen jeden, der den Bevölkerungen unterm Strich nichts erfreuliches bescheren.

Die Meldung wurde am Abend des 19. März von der italienischen sozialdemokratisch ausgerichteten Tageszeitung „La Repubblica“ preisgegeben: ein Unternehmen, das im seit mehreren Wochen kochenden Herd des Ausbruchs von Covid-19 angesiedelt ist, hat 500.000 Kits zum Durchführen des Tests an die USA verkauft. Die 13 Paletten wurden von der im Nordosten Italiens liegenden US-amerikanischen Militärbasis von Aviano mit einem C17 Globemaster Militärflugzeug nach Memphis überführt. In der Tat gab es unweit vom italienischen Epizentrum des Covid-19 einen ungeheuren Bestand an genau dem Test-Kit, den viele Regionen des Landes verzweifelt suchen, um die Ausbreitung der Plage einzudämmen, aber nicht finden. Selbst in düsteren Zeiten einer rabiaten Pandemie, bleibt der unmittelbare Bedarf an einer medizinischen Ware zweitrangig. Viel wichtiger jedoch ist aus Sicht eines Unternehmens sein Tauschwert, sprich wie lukrativ sie auf dem Markt ist und wer das bessere Angebot unterbreitet. Und dies kam nun mal aus dem Pentagon.

In der Tat feierten die USA am Mittwoch Abend die Einfuhr der Test-Kits und der US-amerikanische Botschafter in Italien Lewis M. Eisenberg brachte dem italienischen Unternehmen sogar schäbige Glückwünsche dar: „Wir sind erfreut, dass die italienische Firma Copan Diagnostics weiterhin die Nachfrage von Test-Kits auf Coronavirus in Italien und im Ausland befriedigen kann. Der private Sektor in Italien rettet Leben auf der ganzen Welt. Ich spreche meinen Lob für diese Bemühungen aus“. Wenn Copan Diagnostics wirklich Interesse an der Rettung von Menschenleben gehabt hätte, wären die Test-Kits schon längst in Nord Italien im Einsatz. Durch das massive Durchführen von Tests hätte man konsequent verhindern können, dass asymptomatische Patienten frei und unbekümmert das Virus herum kutschieren. Der amtierende Präsident der Region Venetien Luca Zaia brachte am 20. März seine Fassungslosigkeit gegenüber diesem Vorfall zum Ausdruck: „Mir scheint es nicht normal, dass ein US-amerikanisches Frachtschiff mit 500.000 in Brescia hergestellten Test-Kits an Bord von Aviano aufbricht, wo wir doch keine finden“. Es bleibt jedoch fragwürdig, wie diese Entscheidung an den politischen Akteur*innen vorbei gehen konnte und ob letztere nicht doch über den Verkauf im Bilde waren.

Jedoch wurde das Gezänk um die Kontrolle der Schlüsselelemente zur Bekämpfung des Covid-19 bereits am 17. März mit Trumps Versuch sich die Rechte auf den Impfstoff zu sichern, eröffnet. Der US-amerikanische Präsident versuchte mit happigen Schecks das Team der deutschen Firma CureVac, das zur Zeit intensiv an der Herstellung eines Impfstoffs arbeitet, auf das anderen Ufer des Teichs zu locken. Wie „Die Welt“ berichtet, nahm der Chef der Firma Daniel Menichella bereits Anfang März an einem Treffen von Pharmamanagern im Weißen Haus teil. Vorerst scheint es, als ob die EU die Flucht des Patents mit der Bereitstellung von 80 Mio. Euro verhindern konnte.

Ein ähnlich jämmerliches Beispiel sind die Streitigkeiten zwischen dem deutschen Staat und dem italienische Unternehmen Dispotech srl, das unweit von Mailand seinen Hauptsitz hat. Letzteres hatte 830.000 chirurgische Schutzmasken aus China bestellt und wollte diese ursprünglich über Deutschland nach Italien versenden. Doch am 4. März 2020 verließ das deutsche Außenministerium eine Verordnung, die den Export von gewissen Medizinprodukten verbietet. „Wir tun alles, was in unserer Macht steht, um diese Schutzmasken nach Italien zu bringen – erklärte die Inhaberin von Dispotech srl am 13. März der lokalen Tageszeitung „Il Giorno“ – jedoch können wir sie nicht mehr aufspüren.

Der Zwietracht wegen der Schutzmasken vermehrt sich aber nicht nur auf zwischenstaatlicher Ebene. Auch zwischen den italienischen Regionen wird immer hitziger um die grundlegenden Medizinprodukte gerungen. Am 13. März meldete die Tageszeitung „Il Mattino“, dass eine von der öffentlichen Gesundheitseinrichtung in Neapel geordneten Lieferung von 70.000 Schutzmasken von der Landesregierung Toskana angehalten wurde. Der Präsident der Region Kampanien Vincenzo De Luca spricht Tacheles: „Wenn ein von uns bestellter Lastwagen voller Schutzmasken angehalten wird, dann haben wir uns nicht deutlich genug ausgedrückt. In diesem Fall machen wir Krieg“.

Der Coronavirus hat die schmähliche Knappheit an Medizinprodukten wie Test-Kits, Schutzmasken und Atemgeräten auf allen Ebenen glasklar und lapidar zum Ausdruck gebracht. Die Jahrzehnte der koordinierten und virulenten Auskernung des Sozialstaates können nicht mehr rückgängig gemacht werden. So geben sich Staaten und Länder zu einem bisweilen kannibalischen und zynischen Krieg her, in dem sie sich um den Besitz der noch verfügbaren medizinischen Krümel balgen. Die oben genannten Beispiele zeigen, dass in Zeiten einer verheerenden Gesundheits- und Wirtschaftskrise nur jene Staaten, die finanziell am längeren Hebel sitzen, möglicherweise glimpflich davonkommen können. „Im Kapitalismus nichts Neues“ würde manch ein politischer Visionär sagen. Allerdings verleihen die tödlichen Auswucherungen des Covid-19 diesem Satz einen extrem bitteren Geschmack.

Titelbild: Governor Tom Wolf/CC BY 2.0

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